Urteil des VG Neustadt vom 23.08.2010

VG Neustadt: gaststätte, treu und glauben, nutzungsänderung, bebauungsplan, befreiung, anfang, auflage, nachbar, stadt, grundstück

VG
Neustadt/Wstr.
23.08.2010
5 K 410/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 23.08.2010 - 5 K 410/10.NW
Bauplanungsrecht, Baunachbarrecht
Verkündet am: 23. August 2010
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …,
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Berberich, Friedrich, Schmucker & Partner, Hetzelgalerie 2,
67433 Neustadt,
gegen
die Stadt Neustadt an der Weinstraße, vertreten durch den Oberbürgermeister, Marktplatz 1, 67433
Neustadt an der Weinstraße,
- Beklagte -
beigeladen:
1. Frau H.
2. Herr H.
Prozessbevollmächtigte zu 1-2: Rechtsanwältin Anja Krist-Thomas, Kellereistraße 16, 67433
Neustadt,
wegen Baugenehmigung
hat die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 23. August 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Dr. Cambeis
Richter am Verwaltungsgericht Wingerter
Richterin am Verwaltungsgericht Reitnauer
ehrenamtlicher Richter Landwirtschaftsmeister Kuntz
ehrenamtliche Richterin Hausfrau Heyne
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der
Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die
Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger betrieb bis Ende Januar 2009 in der Lachener Straße 43 bis 45 in Neustadt die
„Musikwerkstatt“. Nachdem dieses Gebäude durch einen Brand vernichtet worden war, suchte er Anfang
Februar 2009 einen Ersatzstandort, den er in einem ehemaligen Kasernengebäude in derselben Straße
(Hausnummer 88) fand. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Naulott
Guckinsland III. Änderung“ der Beklagten, der für diesen Bereich ein eingeschränktes Gewerbegebiet
ausweist.
Am 9. März 2009 stellte der Kläger einen Bauantrag betreffend die teilweise Nutzungsänderung und den
Umbau des vorhandenen Gebäudes. Dazu erklärte er, dass der Verkauf von alkoholischen und nicht
alkoholischen Getränken sowie ein Imbiss und Musikveranstaltungen geplant seien, und legte eine
Beschreibung der Betriebsstätte vor. Die Öffnungszeiten sollten 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr betragen. Das
Vorhaben umfasst eine Nutzfläche von etwa 318 m² und außerdem die Errichtung von 53 Stellplätzen auf
der Freifläche nördlich bzw. nordöstlich des Gebäudes. Dem Bauantrag fügte der Kläger ein Gutachten
der Firma D….. vom 17. März 2009 über die Prognose von Schallimmissionen bei. Dieses betrifft die
Schallimmissionen durch den Betrieb der Musikwerkstatt und dem damit verbundenen Parkplatzverkehr
an den nächstgelegenen Wohnhäusern. Außerdem wurde eine brandschutztechnische Stellungnahme
des Diplomingenieurs S…….. vom 16. April 2009 vorgelegt.
Mit Datum vom 16. April 2009 erteilte die Beklagte dem Kläger einen „vorläufigen Bauschein“ zur
Nutzungsänderung des Gebäudes in eine „Gaststätte mit regelmäßigen Musikveranstaltungen mit max.
300 Personen“. Danach wird die vorläufige Genehmigung auf jederzeitigen Widerruf und nur unter
Einhaltung der nachfolgenden Auflagen erteilt, wozu u.a. das D…..-Gutachten (Auflage Nr. 14) und eine
Schallimmissionswerteregelung gehören (Auflage Nr. 15). Auch werden weitergehende Forderungen
bezüglich des Lärmschutzes vorbehalten (Auflage Nr. 16). Unter Auflage Nr. 17 heißt es dann: „Die
maximale Anzahl der Personen, die sich in der Gaststätte aufhalten dürfen, wird auf 300 Personen (gemäß
Prognose von Schallimmissionen vom 17. März 2009) beschränkt“. Außerdem werden
gewerbeaufsichtliche Auflagen der SGD Süd zum Gegenstand der Genehmigung gemacht, die sich auf
den Betrieb von Diskotheken beziehen (Bl. 5 der Bauakte).
Nach den genehmigten Plänen erfährt das Erdgeschoss des bestehenden Gebäudes nur insofern
Veränderungen, als eine Kassenzone und eine Garderobe bzw. ein Vorraum geschaffen werden. Eine
weitere Nutzung des Erdgeschosses für das Vorhaben des Klägers ist nicht vorgesehen. Im
weitere Nutzung des Erdgeschosses für das Vorhaben des Klägers ist nicht vorgesehen. Im
Obergeschoss finden sich neben dem Treppenbereich, einem Vorraum und den Toiletten die
Nutzungsbezeichnungen „Lounge“ mit 166,16 m² und „Regie“ sowie „Podest“ und „Bar/Ausschank“.
Davon getrennt soll eine „Raucherlounge“ mit einer Größe von 78,82 m² und einer Bestuhlung von 15
Sitzplätzen sowie ein weiterer Bar-/Ausschankbereich eingerichtet werden. Die eingereichten Pläne für
die Nutzung des darüber gelegenen sog. Galeriegeschosses, die eine weitere Bestuhlung von 32
Sitzplätzen vorsehen, enthalten den Roteintrag der Beklagten: „Galeriegeschoss darf nicht benutzt
werden“. Hintergrund sind bestimmte Brandschutzanforderungen, die zum Zeitpunkt der Erteilung des
Bauscheins nicht erfüllt waren.
Nachdem der Kläger die Musikwerkstatt eröffnet hatte, erreichten die Beklagte schon im April 2009
Nachbarbeschwerden über Lärmstörungen und Müll aufgrund des neuen Betriebes. Zu diesen Nachbarn
gehören die Beigeladenen zu 1) und 2), die Eigentümer des Grundstücks Lachener Straße Nr. …,
Flurstück-Nr. ….. östlich des Baugrundstücks. Dort betreiben sie ein Gerüstbauunternehmen und wohnen
in der zugehörigen Betriebswohnung. Es handelt sich dabei nach dem Lärmschutzgutachten der D…. um
die nächst gelegene Wohnung zum Bauvorhaben. Mit Anwaltschreiben vom 8. August 2009 legten sie
schließlich – zugleich auch für die Firma G… H… – gegen die Baugenehmigung vom 16. April 2009
Widerspruch ein. Sie rügten weiter nächtliche Eigentums- und Gesundheitsverletzungen und machten
geltend, die Musikwerkstatt sei im Gewerbegebiet unzulässig, da der Bebauungsplan Vergnügungsstätten
ausschließe. Zwar werde das Vorhaben in der Genehmigung als Gaststätte bezeichnet. Ergänzend werde
aber ausgeführt, dass damit regelmäßige Musikveranstaltungen verbunden seien. Die
gewerbeaufsichtlichen Auflagen bezögen sich ausdrücklich auf einen Diskothekenbetrieb, der auch
tatsächlich stattfinde, was schon die Bezeichnung „Musikwerkstatt“ belege. Keineswegs handele es sich
um eine Gaststätte, in der gelegentlich oder nebenbei Musikveranstaltungen stattfänden.
Demgegenüber machte der Kläger im Widerspruchsverfahren geltend, der Widerspruch der Beigeladenen
sei verspätet erhoben worden, da schon Anfang Februar 2009 in der Zeitung angekündigt worden sei,
dass die Musikwerkstatt in fünf Wochen am neuen Standort eröffnen solle. In diesem Zuge habe er auch
Kontakt zu den Beigeladenen gehabt und alles Erdenkliche daran gesetzt, die für Lärmimmissionen
festgelegten Grenzwerte einzuhalten und zahlreiche Messungen durchführen lassen. Die Gaststätte sei
auch wie genehmigt nach dem Bebauungsplan zulässig, jedenfalls habe er einen Anspruch auf Befreiung
von den Festsetzungen des Bebauungsplanes. Die erforderlichen Baumaßnahmen zur
Nutzungsänderung mit einem Kostenvolumen von 170.000,- € seien vollständig abgeschlossen und
sämtliche beteiligten Behörden in die Konzeption der Gaststätte eingeweiht gewesen. Sie hätten die
entsprechende Planung und Genehmigung forciert. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB lägen
insoweit vor. Zur Vorläufigkeit der Baugenehmigung führte der Kläger noch aus, diese habe sich nur auf
noch nicht erfüllte brandschutztechnische Auflagen bezogen. Er habe aber darauf vertrauen dürfen, dass
der endgültigen Erteilung keine anderen Gründe entgegengestellt würden. Aufgrund einer geänderten
An- und Abfahrt zur Gaststätte seien seit Ende des Jahres 2009 jedenfalls keine Beeinträchtigungen der
Widerspruchsführer mehr zu erwarten.
Mit Bescheid vom 15. März 2010 gab der Stadtrechtsausschuss dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1)
und 2) sowie der Firma G… H… statt und hob die dem Kläger erteilte Baugenehmigung vom 16. April
2009 auf. Zur Begründung stellte er darauf ab, bei dem Betrieb der Musikwerkstatt handele es sich
objektiv um eine Vergnügungsstätte, denn die Tanz- und Musikdarbietungen stünden deutlich im
Vordergrund. Geprägt sei die Musikwerkstatt durch regelmäßige, ständig wechselnde
Unterhaltungsprogramme. Gerade die Mottopartys gäben dem Betrieb das Gepräge und machten es zur
Vergnügungsstätte, wofür auch die Erhebung eines Eintrittsgeldes ein deutliches Kennzeichen sei,
ebenso wie die Öffnungszeiten ab 22.00 Uhr. Es habe bisher – soweit ersichtlich – keinen Öffnungstag
ohne Musikveranstaltung gegeben. Dass auch kleine Speisen und Getränke verabreicht würden, mache
aus der Musikwerkstatt noch keine Schank- und Speisewirtschaft, zumal es in dem Gebäude keine Küche
gebe. Für den Betrieb einer Diskothek spreche schließlich auch, dass über die Homepage ein
Einwilligungsformular heruntergeladen werden könne betreffend den Diskothekenbesuch von
Jugendlichen unter 18 Jahren.
Als Vergnügungsstätte sei das Vorhaben wegen der im geltenden Bebauungsplan geregelten
Nutzungsausschlüsse unzulässig. Daraus ergebe sich die Rechtsverletzung der Nachbarn, denn diese
hätten einen Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 19. April 2010 Klage erhoben.
Er macht geltend, er habe das bestehende Konzept der Musikwerkstatt am neuen Standort fortsetzen
wollen, der nur 200 m vom alten entfernt sei. Es handele sich um einen Veranstaltungsort mit
Livekonzerten, Mottopartys, Comedy und Kleinkunstveranstaltungen und nicht um eine Diskothek. Sowohl
das Jugendamt Neustadt als auch die Musikhochschule Mannheim seien in Veranstaltungen
eingebunden. Die Stadt habe sein Vorhaben stets unterstützt. Es hätten zahlreiche Besprechungen
stattgefunden. Die genehmigte Nutzungsänderung sei planungsrechtlich zulässig. Sie entspreche dem
Betrieb am alten Standort. Insoweit könne sich der Kläger auf Bestandsschutz berufen. Der Widerspruch
der Beigeladenen sei bereits verwirkt, da sie schon seit Anfang Februar 2009 über sein Vorhaben
informiert gewesen seien. Die Nachbarrechte könnten nämlich auch schon vor Ablauf der Jahresfrist
verwirkt sein, wenn der Nachbar durch sein Verhalten beim Bauherrn den berechtigten Eindruck erweckt
habe, er werde keine Einwendungen gegen das Vorhaben erheben.
Weiter verweist der Kläger auf umfangreiche Schallschutzmaßnahmen, die getroffen worden seien.
Insgesamt sei das Vorhaben mittlerweile vollständig realisiert, so dass ihm jedenfalls ein
Befreiungsanspruch zur Seite stehe. Es sei auch nicht ersichtlich, welche Gründe bei Aufstellung des
Bebauungsplans zum Ausschluss der Vergnügungsstätten in dem Gebiet geführt hätten. Vom damaligen
Gebietskonzept sei nicht mehr viel übrig. So sei in unmittelbarer Nähe zum Betrieb der Beigeladenen eine
Lagerhalle genehmigt worden und es solle ein zusätzlicher Bahnhaltepunkt in dem Gebiet errichtet
werden, womit beträchtlicher Lärm zu erwarten sei.
Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid vom 15. März 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt aus, an der Sach- und Rechtslage habe sich nichts geändert, und nimmt Bezug auf die
Verwaltungsentscheidungen.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Klage abzuweisen
und verweisen zur Begründung auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren sowie auf die Gründe des
Widerspruchsbescheides.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen
den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die von der Beklagten vorgelegten Bau- und
Widerspruchsakten sowie die Bebauungsplanakten. Ihr Inhalt ist Gegenstand der mündlichen
Verhandlung vom 23. August 2010 gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO im Wesentlichen zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 15. März 2010, denn
dieser ist rechtmäßig. Der Stadtrechtssausschuss hat zu Recht den zum Betrieb der Musikwerkstatt
erteilten Bauschein vom 16. April 2009 zur Nutzungsänderung in eine Gaststätte mit regelmäßigen
Musikveranstaltungen auf den Widerspruch der – von der Baugenehmigung als Verwaltungsakt mit
Drittwirkung – betroffenen Nachbarn, der Beigeladenen zu 1) und 2), hin aufgehoben, weil diese in
subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sind.
Etwas anderes gilt allerdings, soweit mit dem angefochtenen Bescheid zugleich der Widerspruch der von
der Beigeladenen zu 1) geführten Firma G… H… als zulässig und begründet angesehen worden ist. Da
die Einzelfirma selbst nicht Eigentümerin des hier betreffenden Betriebs- und Wohngrundstücks ist bzw.
nicht sein kann (vgl. Baumbach/Hopt, Kommentar zum HGB, zu § 17, RdNr. 18), konnte namens der Firma
die Verletzung bauplanungsrechtlicher Nachbarrechte von vornherein nicht geltend gemacht werden (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 20.8.1998, NVwZ 1998, 956).
Ein Rechtschutzbedürfnis des Klägers für eine Teilaufhebung des damit hinsichtlich der Firma G… H… zu
Unrecht ergangenen Widerspruchsbescheides ist aber insoweit nicht zu erkennen.
Der Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses vom 15. März 2010 ist im Übrigen rechtmäßig.
Der Kläger rügt zu Unrecht, der Widerspruch der Beigeladenen gegen die ihm erteilte Baugenehmigung
vom 16. April 2009, der mit Anwaltsschreiben vom 8. August 2009 erhoben wurde, sei verspätet gewesen.
Da die streitige Baugenehmigung den Beigeladenen nicht bekannt gegeben worden ist, galt die
einmonatige Widerspruchsfrist gemäß § 70 Abs. 1 VwGO für sie nicht. Zwar wird der Rechtsbehelf unter
dem Gesichtspunkt der Verwirkung unzulässig, wenn der Bauherr nach Treu und Glauben nicht mehr mit
der Erhebung rechnen muss. Der Nachbar ist daher so zu stellen, als sei ihm die Baugenehmigung zu
dem Zeitpunkt bekannt gegeben worden, in dem er von ihr sichere Kenntnis erlangt hat bzw. hätte
erlangen können. Die Frist für die Einlegung eines Widerspruchs beträgt dann - in Anlehnung an § 58
Abs. 2 VwGO - in der Regel ein Jahr (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.1.1974, NJW 1974, 1260), wobei aber
besondere Umstände zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.3.2010, 4 B 5/10,
veröffentlicht in juris).
Dass die Beigeladenen hier ihr nachbarliches Abwehrrecht ausnahmsweise vor Ablauf der Jahresfrist ab
Kenntnis von der Erteilung der Baugenehmigung verwirkt haben könnten, weil sie bereits früher eindeutig
zu erkennen gegeben hätten, dass sie die Zulassung der Nutzungsänderung akzeptieren, ist vom Kläger
jedoch selbst nicht vorgetragen worden. Der Umstand, dass über sein Vorhaben schon Anfang Februar
2009 und damit zwei Monate vor der Erteilung des Bauscheins in der Presse berichtet wurde, ist insofern
nicht relevant.
Die zugunsten des Klägers ergangene Baugenehmigung der Beklagten vom 16. April 2009 wurde unter
Verletzung der Nachbarrechte der Beigeladenen erteilt.
Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass die für die Genehmigung gewählte Bezeichnung „vorläufiger
Bauschein“ sich auf den auf Seite 2 geregelten Widerrufsvorbehalt bezieht. Die entsprechende
allgemeine Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ist nämlich auch im baurechtlichen
Genehmigungsverfahren anwendbar (vgl. Jeromin, Kommentar zur LBauO, zu § 70, RdNr. 127), während
die Erteilung einer vorläufigen Baugenehmigung an sich regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.11.2003, juris; VG Koblenz, Beschluss vom 25.1.2005, 7 L
85/05.KO m.w.N.) .
Die von den Beigeladenen angefochtene Baugenehmigung ist rechtswdrig, denn das Vorhaben des
Klägers ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Nach der Art der Nutzung widerspricht es dem einschlägigen
Bebauungsplan der Beklagten.
Ungeachtet der Bezeichnung in der Baugenehmigung - Nutzungsänderung in eine Gaststätte - hat die
Beklagte den Betrieb einer Vergnügungsstätte im Sinne der BauNVO zugelassen. Dies ergibt sich zum
einen daraus, dass die Nutzungsbestimmung mit dem Zusatz „mit regelmäßigen Musikveranstaltungen mit
max. 300 Personen“ versehen ist, zum anderen aber auch aufgrund der genehmigten Pläne und der der
Genehmigung beigefügten Nebenbestimmungen.
Bereits der Rechtsausschuss hat zur Qualifizierung der Musikwerkstatt als Vergnügungsstätte auf die vom
OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 9.3.2007 (8 A10066/07, veröffentlicht in juris) zur Abgrenzung
von einem Gaststättenbetrieb herangezogenen Kriterien zurückgegriffen, die sich auch die Kammer zu
Eigen macht:
„Bei Vergnügungsstätten handelt es sich um Gewerbebetriebe besonderer Art, die dem „Amusement“
dienen und durch kommerzielle Freizeitgestaltung gekennzeichnet sind. Gemeint sind gewerbliche
Nutzungsarten, die sich in unterschiedlicher Ausprägung (etwa als Diskotheken, Spielhallen, Tanzbars
und Nachtlokale) unter Ansprache oder Ausnutzung des Geselligkeitsbedürfnisses, des Spiel- oder des
Sexualtriebs einer bestimmten auf Gewinnerzielung gerichteten Freizeitunterhaltung widmen. Für den
städtebaulichen Bezug ist wesentlich, dass solche Einrichtungen typischerweise mit negativen
Folgewirkungen, wie zum Beispiel Lärmbelästigungen, Beeinträchtigungen des Stadt- und Straßenbildes
oder Verschlechterungen der Gebietsqualität, verbunden sind (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: VGH
BW, Beschluss vom 28. November 2006 - 3 S 2377/06 -, juris, Rn. 5; Bielenberg, in:
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 4 a BauNVO, Rn. 58 ff.; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 2.
Aufl. 2003, § 7 Rn. 16, jew. m.w.N.). Vergnügungsstätten unterscheiden sich insbesondere von Schank-
und Speisewirtschaften, die eine eigenständige städtebauliche Nutzungskategorie darstellen (vgl. § 6
Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Schank- und Speisewirtschaften sind gewerbliche Betriebe, in denen Getränke
aller Art allein oder zusammen mit Speisen an Gäste zum Zwecke des Verzehrs in den Wirtschaftsräumen
verabreicht werden. Hierzu gehören etwa Restaurants, Cafés, Wein- oder Bierstuben, Eisdielen und
Trinkhallen (vgl. Bielenberg, a.a.O., § 2 BauNVO, Rn. 33). Dabei verliert eine Schank- und
Speisewirtschaft nicht dadurch ihren planungsrechtlichen Charakter, dass gelegentlich in ihr
Tanzveranstaltungen durchgeführt werden oder Unterhaltungsmusik geboten wird. Eine Schank- und
Speisewirtschaft mit regelmäßigen Musikdarbietungen ist hingegen eine Vergnügungsstätte (vgl.
Bielenberg, a.a.O., § 4 a BauNVO, Rn. 58 a).“
Die Nutzungsbezeichnung des Vorhabens des Klägers als Gaststätte mit regelmäßigen
Musikveranstaltungen ist danach ein gewichtiges Indiz für die Genehmigung einer Vergnügungsstätte.
Weiter sprechen die eingereichten Baupläne gegen den Betrieb einer Gaststätte, denn im Erdgeschoss
ist eine dafür untypische Kassenzone vorgesehen und die Hauptnutzfläche im Obergeschoss wird als
„Lounge“ mit den Bereichen „Podest“ und „Regie“ sowie „Bar/Ausschank“ bezeichnet, ohne dass hier
überhaupt eine Bestuhlung vorgesehen ist. Außerdem belegen die späten Öffnungszeiten ebenso wie die
zum Bestandteil der Genehmigung gewordenen Auflagen der SGD Süd, die zeigen, dass der Betrieb
gewerbeaufsichtlich als Diskothek behandelt wird, und die Betriebsbeschreibung im Lärmschutzgutachten
der Fa. D…. den Charakter des Vorhabens als Vergnügungsstätte.
Diese Einordnung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Musikwerkstatt nach dem Konzept des
Klägers keine Diskothek im herkömmlichen Sinn sein soll. Insgesamt besteht kein Zweifel daran, dass die
angefochtene Baugenehmigung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht die Nutzung des bestehenden
Gebäudes als Vergnügungsstätte zulässt.
Planungsrechtliche Beurteilungsgrundlage des klägerischen Vorhabens ist § 30 Abs. 1 BauGB in
Verbindung mit § 8 BauNVO, da das Grundstück in dem durch den Bebauungsplan “Naulott-Guckinsland
III. Änderung“ der Beklagten ausgewiesenen Gewerbegebiet liegt, gegen dessen Rechtsverbindlichkeit
keine Bedenken bestehen. In Gewerbegebieten, die nach § 8 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der
Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben dienen, sind zwar Gewerbebetriebe
aller Art als Regelnutzung zulässig (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO). Hiervon ausgenommen sind jedoch
Vergnügungsstätten, die nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO nur ausnahmsweise zugelassen werden können
(vgl. Söfker, in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzber-ger, Baugesetzbuch, zu § 8 RdNr. 46).
Die Zulässigkeit der Musikwerkstatt auf der Grundlage der Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1
BauGB kommt jedoch nicht in Betracht, denn die Beklagte hat unter Ziffer 1.3.2 der textlichen
Festsetzungen des Bebauungsplans die Erteilung von Ausnahmen nach § 8 Abs. 2 (Anlagen für
kirchliche, kulturelle, soziale und gesundheitliche Zwecke) und Abs. 3 (Vergnügungsstätten) BauNVO
ausdrücklich ausgeschlossen. Nur wenn aber die für die Aufstellung des Bebauungsplans zuständige
Gemeinde festgesetzt hat, dass eine Ausnahme erteilt werden kann, ist § 31 Abs. 1 BauGB im
Baugenehmigungsverfahren anwendbar (Söfker, a.a.O. zu § 31 RdNr. 22).
Ist das Vorhaben des Klägers in dem maßgeblichen Bebauungsplangebiet der Art der Nutzung nach
unzulässig, so folgt daraus bereits eine Verletzung der Nachbarrechte der Beigeladenen.
Als Grundstückseigentümer im selben Baugebiet steht ihnen der vorliegend aus § 30 Abs. 1 BauGB, § 8
BauNVO herzuleitende Gebietserhaltungsanspruch zu. Dieser in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts entwickelte Schutzanspruch des Nachbarn auf die Bewahrung der Gebietsart
nach der BauNVO gründet darauf, dass die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan
nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet hat. Ein
Nachbar im Baugebiet soll sich danach, weil und soweit er in der Ausnutzung seines Grundstücks
öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, auch dann gegen die Zulassung einer
gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.
So wird insbesondere die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks dadurch
ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im
ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im
Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet
das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets
unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (BVerwG, Beschluss vom
18.12.2007, NVwZ 2008, 427 m.w.N.).
Die Frage, ob von dem Betrieb der Musikwerkstatt unzumutbare Beeinträchtigungen auf das Grundstück
der Beigeladenen ausgehen, stellt sich damit im vorliegenden Verfahren nicht. In diesem Zusammenhang
ist hier auch nicht zu prüfen, ob sich der Kläger zu Recht darauf beruft, er habe im Hinblick auf die
Zulässigkeit der Musikwerkstatt von der Art der Nutzung her einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung
von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB. Nach der Vorschrift kann zwar
eine solche Befreiung unter im Einzelnen bestimmten Voraussetzungen erteilt werden, wenn die
Grundzüge der Planung nicht berührt werden und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher
Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Eine Befreiungsgewährung zur Art der Nutzung des im Gewerbegebiet gelegenen Bauvorhabens ist
jedoch mit der angefochtenen Baugenehmigung nicht verbunden. Offensichtlich hat die Beklagte schon
keine Notwendigkeit dafür gesehen, da sie den zugelassenen Betrieb der Musikwerkstatt mit der
gewählten Nutzungsbezeichnung „Gaststätte mit regelmäßigen Musikveranstaltungen“ nicht als
Vergnügungsstätte, sondern als einen nach § 8 Abs. 2 BauNVO regelmäßig zulässigen Gewerbebetrieb
angesehen hat. Bei dieser Sachlage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte – ohne
es ausdrücklich auszusprechen – konkludent eine gegebenenfalls erforderliche Befreiung erteilt hat.
Das bloße Vorliegen einer Befreiungslage würde aber nicht genügen, um die ohne zusätzlich erteilte
Befreiung ergangene Baugenehmigung als rechtmäßig ansehen zu können. Vielmehr bedarf es der
tatsächlichen Befreiungserteilung, wenn nur dadurch ein bestimmtes Vorhaben in einem Baugebiet
zugelassen werden kann (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. 2. 2010, 1 B 11356/09.OVG,
veröffentlicht in ESRIA).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladenen einen
Sachantrag gestellt haben und dadurch selbst ein Kostenrisiko eingegangen sind, entspricht es der
Billigkeit, auch ihre außergerichtlichen Kosten dem im Verfahren unterlegenen Kläger aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167
Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung ...
gez. Dr. Cambeis
gez. Wingerter
gez. Reitnauer
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000 € festgesetzt (§§ 52 Abs 1, 63 Abs. 2 GKG; vgl. OVG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. 6. 2010, 8 E 10650/10.OVG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Dr. Cambeis
gez. Wingerter
gez. Reitnauer
Beschluss
1. Der Antrag der Beigeladenen auf Beiladung der Firma G… H… gemäß § 65 Abs. 2 VwGO wird
abgelehnt, denn die Firma ist nicht beteiligtenfähig im Sinne des § 61 Nr.1 VwGO. Es handelt sich um
eine von der Beigeladenen zu 1) geführte Einzelfirma, der anders als einer OHG oder KG (vgl. §§ 124,
161 Abs. 2 HGB) keine Teilrechtsfähigkeit verliehen ist, so dass sie nicht den juristischen Personen
gemäß § 61 Nr. 1 VwGO als gleichgestellt angesehen wird (vgl. Sodann-Ziekow, Kommentar zur VwGO, 2.
Aufl. zu § 61, RdNr. 24). Im vorliegenden Verfahren kann daher nur die Firmeninhaberin als natürliche
Person beteiligt werden, die ohnehin beigeladen ist.
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Beigeladenen wird gemäß §
162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt, denn die Zuziehung durfte vom Standpunkt einer
verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden,
erscheint also - wie hier aus Sicht der Beigeladenen - nicht willkürlich und überflüssig, sondern
zweckdienlich.
Rechtsmittelbelehrung ...
gez. Dr. Cambeis
gez. Wingerter
gez. Reitnauer