Urteil des VG Neustadt vom 29.09.2010

VG Neustadt: belastungsgrenze, arzneimittel, angemessenheit, fürsorgepflicht, beihilfe, nachzahlung, erlass, befreiung, faber, vollstreckung

VG
Neustadt/Wstr.
24.09.2010
6 K 947/09.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 29.09.2010 - 6 K 947/09.NW
Beamtenrecht, Beihilferecht
Verkündet am: 24.09.2010
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau …
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwaltskanzlei Rapp, Waldstraße 8, 67434 Neustadt an der
Weinstraße,
gegen
die Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch den Vorstand diese vertreten durch den Direktor des
Service-Hauses, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,
- Beklagte -
wegen Beihilfe
hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 24. September 2010, an der teilgenommen haben
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Faber-Kleinknecht
Richterin am Verwaltungsgericht Jahn-Riehl
Richter Niesler
ehrenamtlicher Richter Goldschmied Alvermann
ehrenamtliche Richterin Kauffrau Baumrucker
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 26. November 2008, 24. März 2009 und
7. August 2009 und Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2009 verpflichtet, über die
Bewilligung von Beihilfeleistungen an die Klägerin für die Jahre 2007 und 2008 erneut unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Versorgungsempfängerin des Bundes. Die Beteiligten streiten über Beihilfeerstattungen
für die Jahre 2007 und 2008.
Mit mehreren Beihilfeanträgen begehrte die Klägerin in den Jahren 2007 und 2008 Beihilfe unter
anderem zu nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die Beklagte erkannte diese Aufwendungen
zum Teil nicht als beihilfefähig an.
Unter dem 14. Oktober 2008 stellte die Klägerin im Hinblick auf die nicht verschreibungspflichtigen
Arzneimittel den Antrag auf Anerkennung eines Härtefalls und Einbeziehung der Aufwendungen in die
Belastungsgrenze des § 12 Abs. 2 der Beihilfevorschriften nach den Grundsätzen des
Bundesverwaltungsgerichtsurteils vom 26. Juni 2008 (2 C 2.07). Der Antrag bezog sich auf die
Kalenderjahre 2007 und 2008.
Nach Aufforderung der Beklagten legte sie ihr Einkommen aus den Vorjahren offen, worauf die Beklagte
für das Jahr 2007 eine Belastungsgrenze in Höhe von 251,43 € und für das Jahr 2008 eine solche in
Höhe von 251,28 € errechnete. Mit zwei Bescheiden vom 26. November 2008 erfolgten
Nachberechnungen zu den Beihilfeanträgen vom 25. Oktober 2007 sowie vom 19. Februar, 25. März,
11. Juni, 5. September und vom 1. Oktober 2008.
Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch: Sie könne die Nachberechnungen nicht ganz nachvollziehen.
Die Höhe der Eigenbehalte sei zum Teil nicht identisch mit den ursprünglich in Abzug gebrachten
Beträgen. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die wegen Unverträglichkeiten als
Alternativmedikation verordnet würden, seien bei der Nachberechnung nicht berücksichtigt.
Die Beklagte erläuterte ihr Vorgehen mit Schreiben vom 10. Dezember 2008 und erließ unter dem 24.
März 2009 weitere Änderungsbescheide zu Beihilfeanträgen aus 2007 und 2008 und den Bescheiden
vom 26. November 2008. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom
5. August 2009 zurück. Hierin führte sie aus, die Berechnung der Belastungsgrenze gemäß § 12 Abs. 2
5. August 2009 zurück. Hierin führte sie aus, die Berechnung der Belastungsgrenze gemäß § 12 Abs. 2
der Beihilfevorschriften sei korrekt erfolgt. Die Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige
Medikamente seien hierin nicht einzubeziehen, für diese sei nach einem Rundschreiben des BMI vom
6. Oktober 2008 eine gesonderte Belastungsgrenze anzusetzen.
Gleichzeitig holte die Beklagte eine Stellungnahme des Personalarztes zu dem von der Klägerin
vorgelegten ärztlichen Attest zu einigen nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein. Die
Stellungnahme des Personalarztes vom 15. August 2009 befasst sich mit den Präparaten Kreon, Nasic,
Konakion, Phytodolor und Calcium Verla. Danach könne lediglich eine Beihilfefähigkeit für das Präparat
Calcium Verla bestehen, wenn eine Osteoporose diagnostiziert sei.
Nach Erlass des Widerspruchsbescheids regelte die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 7. August 2009
die Beihilfeanträge aus 2007 und 2008 nochmals neu unter Abänderung ihrer Bescheide vom 24. März
2009 und führte hierzu aus, aufgrund der Nachberechnung sei mit dem Beleg Tebonin intens die
Belastungsgrenze für das Kalenderjahr 2007 erreicht, ab da erfolge die Befreiung von nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die Klägerin erhielt eine Nachzahlung in Höhe von 172,49 €. Im
Jahr 2008 sei mit dem Beleg Moviwit im Beihilfeantrag vom 11. Juni 2008 die Belastungsgrenze erreicht,
ab da erfolge die Befreiung von den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Dies führte zu einer
Nachzahlung von 203,66 €.
Die Klägerin wandte sich gegen den Widerspruchsbescheid mit einem Schreiben vom 10. August 2009,
mit dem sie um erneute Überprüfung bat und geltend machte, trotz Erreichen der Belastungsgrenze seien
im Jahr 2007 bestimmte Medikamente nicht berücksichtigt bzw. weiterhin Abzugsbeträge einbehalten
worden. Bei korrekter Berechnung sei die Belastungsgrenze im Jahr 2008 bereits früher überschritten,
verschiedene Medikamente würden auch hier weiter nicht berücksichtigt.
Am 7. September 2009 hat sie Klage erhoben.
Sie trägt vor: Die Beklagte habe die Belastungsgrenzen fehlerhaft errechnet, indem sie davon ausgehe,
dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in die Summe der geleisteten Eigenbehalte gemäß § 12
Abs. 2 der Beihilfevorschriften nicht einzubeziehen seien. Dies widerspreche dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2008, wonach die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel
vorläufig zusätzlich zu den in § 12 Abs. 1 der Beihilfevorschriften genannten Aufwendungen im Rahmen
des Abs. 2 zu berücksichtigen seien. Maßgebend sei danach der Gesamtbetrag der Eigenbehalte. Im
Übrigen verweist sie auf ihr Schreiben vom 10. August 2009.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide, die zu den Erstattungsanträgen betreffend das Jahr 2007
und das Jahr 2008 ergangen sind, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2009 zu
verpflichten, über die Bewilligung von Beihilfeleistungen für die Jahre 2007 und 2008 erneut unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Mit den Bescheiden vom 7. August 2009 habe sie für 2007 und 2008 verschiedene nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel ab Erreichen der Belastungsgrenze berücksichtigt, im Übrigen
verweise sie auf die Stellungnahme des Personalarztes. Das Bundesverwaltungsgericht habe im
Grundsatz bestätigt, dass nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Beihilfefähigkeit
ausgeschlossen seien. Im Rahmen der Fürsorgepflicht habe es eine Härtefallregelung für erforderlich
gehalten. Bei dieser Härtefallregelung sei die Beklagte an das Rundschreiben des BMI vom 6. Oktober
2008 gebunden. Damit werde den Empfehlungen des Bundesverwaltungsgerichts nur zum Teil gefolgt, da
es sich aber nur um eine Empfehlung handele, sei die Rechtsauslegung des BMI rechtmäßig. Danach
erfolgten zwei getrennte Feststellungen für das Erreichen der Belastungsgrenze für die Eigenbehalte nach
§ 12 Abs. 1 der Beihilfevorschriften und für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die ärztlich
verordnet, medizinisch notwendig und angemessen seien. Auch unter Geltung der neuen
Beihilfevorschriften bleibe es bei der ministeriellen Vorgabe, da die Bundesbeihilfenverordnung keine
Regelung hierzu treffe. Die Beihilfe sei nur eine ergänzende Hilfeleistung des Dienstherrn. Die Verletzung
der Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern stehe bei einem Streitwert wie vorliegend nicht in Rede.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und
die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 26. November 2008 und die ergangenen
Änderungsbescheide vom 24. März 2009 und 7. August 2009 sowie der Widerspruchsbescheid vom
5. August 2009, mit denen die Beklagte auf Antrag der Klägerin die vom Bundesverwaltungsgericht
geforderte Härtefallregelung in Bezug auf ihre Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige
Medikamente in den Jahren 2007 und 2008 vorgenommen hat, und die die Klägerin sämtlich in zulässiger
Weise in das vorliegende Klageverfahren einbezogen hat, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in
ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte insgesamt nochmals unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts über ihre Härtefallanträge entscheidet, weil die Sache nicht spruchreif
ist, da hierfür weitere Verwaltungsermittlungen erforderlich sind (§ 113 Abs. 5 Satz 2
Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
Die Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Bescheide folgt nach Auffassung des Gerichts schon daraus, dass
die Beklagte die Belastungsgrenze, ab der der Klägerin unter Beachtung der Fürsorgepflicht des
Dienstherrn die Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Jahren 2007 und
2008 erstattet werden müssen, nicht zutreffend ermittelt hat. Der Fehler liegt namentlich darin, dass die
Beklagte für diese nicht verschreibungspflichtigen Medikamente eine eigene, zusätzliche
Belastungsgrenze in Ansatz gebracht hat, wohingegen dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
26. Juni 2008 (- 2 C 2.07 -, BVerwGE 131, 234, hier zitiert nach juris) aus Sicht der Kammer eindeutig zu
entnehmen ist, dass diese Aufwendungen – vorübergehend bis zum Inkrafttreten rechtmäßiger
Beihilferegelungen –, soweit sie nach ärztlicher Verordnung notwendig und angemessen sind, in die
Belastungsgrenze des § 12 Abs. 2 der hier noch anzuwendenden Beihilfevorschriften vom 1. November
2001 – BhV – einzubeziehen sind. Dies ergibt sich nach Überzeugung des Gerichts aus den folgenden
Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 26. Juni 2008, a.a.O., juris Rdnrn. 21 und 22:
„Der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht muss auch während des Übergangszeitraums bis zu der
gebotenen normativen Neuregelung des Beihilferechts des Bundes Rechnung getragen werden. Wie
dargelegt steht sie der vorläufigen weiteren Anwendung der Ausschlussregelungen für nicht
dargelegt steht sie der vorläufigen weiteren Anwendung der Ausschlussregelungen für nicht
verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 b BhV nicht entgegen. Sie verlangt
jedoch, unzumutbare Härten zu vermeiden, die sich in Einzelfällen ergeben können. Hierfür bedarf es
einer abstrakt-generellen Härtefallregelung, wie sie die Beihilfevorschriften in § 12 Abs. 2 enthalten.
Danach sind die in § 12 Abs. 1 BhV vorgeschriebenen Eigenbehalte für bestimmte beihilfefähige
Aufwendungen innerhalb eines Kalenderjahres auf Antrag des Beihilfeberechtigten nicht mehr
abzuziehen, sobald diese Abzüge für den Beihilfeberechtigten und seine berücksichtigungsfähigen
Angehörigen zusammen die festgelegte finanzielle Belastungsgrenze überschreiten.
Um die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen im Übergangszeitraum zu gewährleisten, hält
es der Senat für angezeigt, die Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Falle ihrer
Notwendigkeit und Angemessenheit vorläufig im Rahmen des § 12 Abs. 2 BhV zusätzlich zu den in § 12
Abs. 1 genannten Aufwendungen zu berücksichtigen. Sobald der Gesamtbetrag der Eigenbehalte gemäß
§ 12 Abs. 1 BhV und der Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel die maßgebende
Belastungsgrenze des § 12 Abs. 2 BhV im jeweiligen Kalenderjahr überschreitet, sind weitere derartige
Aufwendungen nach den Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit zu erstatten. (...)
Ergibt die Einbeziehung dieser Aufwendungen für sich genommen oder zusammen mit Eigenbehalten
gemäß § 12 Abs. 1 BhV in diesem Kalenderjahr eine Überschreitung der Belastungsgrenze, so ist dem
Kläger der darüber liegende Betrag zu erstatten.“
Auch Sinn und Zweck der Belastungsgrenze wird es allein gerecht, dass sie dem Beihilfeberechtigten
insgesamt in der Höhe nur einmal entgegengehalten werden kann, weil sie die Obergrenze dessen bildet,
was er nach der fürsorgerechtlichen Bewertung des Dienstherrn prozentual aus seinem Einkommen für
Eigenbeteiligungen an Krankheitskosten im Jahr aufbringen kann. Dieser Betrag steht dem
Beihilfeberechtigten aber nur einmal zur Verfügung, unabhängig davon, ob er ihn für
verschreibungspflichtige oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel aufwenden muss.
Der Erlass des BMI vom 6. Oktober 2008 wird dieser Konkretisierung der Fürsorgepflicht durch das
Bundesverwaltungsgericht für die hier betroffene Übergangszeit nicht gerecht. Er kann als
Verwaltungsvorschrift eine zulässige Einschränkung der beihilferechtlichen Ansprüche der Klägerin nicht
begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 2 C 28/08 –, NVwZ-RR 2009, 730, hier zitiert aus
juris).
Die Zugrundelegung einer einheitlichen Belastungsgrenze gemäß § 12 Abs. 2 BhV pro Kalenderjahr
muss zu einer vollständigen Neuberechnung der Erstattungsleistungen für 2007 und 2008 an die Klägerin
führen, wobei zunächst die Belastungen, die sie in diesen Jahren bereits für Eigenanteile und
Praxisgebühren gemäß § 12 Abs. 1 BhV aufgewandt hat, zu ermitteln und zu berücksichtigen sind. Diese
Belastungen müssen in dem neu zu fassenden Bescheid nachvollziehbar ausgewiesen werden, damit
erkennbar wird, ob innerhalb der einschlägigen Belastungsgrenze überhaupt noch Raum für
Aufwendungen der Klägerin für nicht verschreibungspflichtige Medikamente bleibt.
Sollte dies der Fall sein, muss der Bescheid in Bezug auf die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel
klarstellen, welche dieser Aufwendungen schon dem Grunde nach nicht in die Belastungsgrenze
eingerechnet werden können und woran dies jeweils scheitert. Dafür kann es nämlich mehrere Gründe
geben: Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2008 kommt die Einbeziehung von
Aufwendungen für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in die Belastungsgrenze - wie auch ihre
Erstattung – nur in Betracht im Rahmen der Notwendigkeit und Angemessenheit. An diesen
Voraussetzungen kann es im Einzelfall fehlen, was die Beklagte ggf. gegenüber der Klägerin zu erläutern
hat. Bestehen Zweifel daran, ob die Behandlung der Klägerin den Einsatz eines bestimmten nicht
verschreibungspflichtigen Arzneimittels erfordert, zum Beispiel um Nebenwirkungen
verschreibungspflichtiger Medikamente zu verringern (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2008, a.a.O.), ist
vorab die Stellungnahme des Personalarztes hierzu einzuholen.
Liegen die Voraussetzungen der Notwendigkeit und Angemessenheit danach vor, sind die
Aufwendungen – wie dies wohl die Beklagte auch praktiziert (vgl. die Aufstellung über die Ermittlung der
Belastungsgrenze im Jahr 2009 für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Bl. 123 VA) – in voller
Höhe in die Belastungsgrenze einzurechnen. Der neu zu erlassende Bescheid der Beklagten muss
dementsprechend konkret ausweisen, welche Aufwendungen (für welches Arzneimittel und in welcher
Höhe) in die Belastungsgrenze einbezogen werden und wann die Belastungsgrenze erreicht bzw.
überschritten wird. Nach diesem Zeitpunkt dürfen weder Eigenbehalte noch Praxisgebühren von den
Aufwendungen der Klägerin abgezogen werden. Auch die so genannten Festbeträge für Arzneimittel
dürfen im Übrigen nicht zu einer Kürzung der Aufwendungen führen. Die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts, dass die im Recht der gesetzlichen Krankenkassen geltenden Festbeträge
für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht die Notwendigkeit und Angemessenheit von Aufwendungen
im Beihilferecht beschränken können, weil sie auf außerhalb dieser beihilferechtlichen Kriterien liegenden
Zwecken beruhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2009, a.a.O.), ist nach Auffassung der Kammer bei der
Prüfung der Notwendigkeit und Angemessenheit nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Rahmen
der Härtefallregelung gleichermaßen zu beachten. Eine Differenzierung, wie sie in den Bescheiden der
Beklagten zwischen „dem Grunde nach beihilfefähigen“ Beträgen und letztlich „beihilfefähigen“ Beträgen
auch nach Erreichen der Belastungsgrenze teilweise noch vorgenommen wurde (vgl. zum Beispiel den
Bescheid vom 7. August 2009, nach dem die Belastungsgrenze mit Beleg Nr. 5 vom 16. Juni 2007 erreicht
war, dennoch erfolgten bei späteren Belegen u.a. vom 14. August und 14. September 2007 offensichtlich
noch Abzüge), ist nicht aus sich heraus verständlich und deshalb in jedem Fall gegenüber der Klägerin zu
erläutern.
Bei der sodann erforderlichen Berechnung der nach Erreichen der Belastungsgrenze zu erstattenden
Beträge für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel ist allerdings zu beachten, dass die Erstattung nur
in Höhe des einschlägigen Beihilfebemessungssatzes, bei der Klägerin 70 v.H., erfolgt. Hieraus ergeben
sich zwangsläufig – worauf die Beklagte die Klägerin schon zu Recht hingewiesen hat – betragsmäßige
Unterschiede zwischen den zunächst in Ansatz gebrachten Eigenbehalte (beispielsweise 10,-- € auf die
Kosten eines Arzneimittels von 100,-- €) und dem prozentual ermittelten Erstattungsbetrag auf die
ungekürzten Aufwendungen (im Beispielsfall: 7,-- €, nämlich neue Gesamterstattung von 70,-- € = 70 v.H.
aus 100,-- €, statt bisher 63,-- € = 70 v.H. aus 90,-- €).
Dies alles soll bei der gebotenen Neubescheidung der Klägerin aus den Bescheiden selbst
nachvollziehbar hervorgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Auslegung des Urteils des
Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2008, a.a.O., für die Beklagte grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtsmittelbelehrung ...
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 744,-- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1 GKG). Dies entspricht den
nicht anerkannten Beihilfebeträgen, welche die Klägerin im Schreiben vom 10. August 2009 aufgeführt
hat, zuzüglich der außer Acht zu lassenden Belastungsgrenzen in Höhe von 251,43 € und 251,28 € für die
streitgegenständlichen Jahre 2007 und 2008.
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Faber-Kleinknecht
gez. Jahn-Riehl
gez. Niesler