Urteil des VG Neustadt vom 02.06.2010

VG Neustadt: entlassung, ärztliche untersuchung, grobe fahrlässigkeit, soldat, beurteilungsspielraum, anwärter, zustellung, rückforderung, begriff, erkenntnis

VG
Neustadt/Wstr.
02.06.2010
3 K 1415/09.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 02.06.2010 - 3 K 1415/09.NW
Soldatenrecht
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn …
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Warken & Kollegen, Völklinger Str. 1, 66346 Püttlingen,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Verteidigung, Abteilung IV -
Personalamt -, Kölner Straße 262, 51140 Köln,
- Beklagte -
wegen Entlassung
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 2. Juni 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Seiler-Dürr
Richterin am Verwaltungsgericht Meyer
Richter Niesler
ehrenamtliche Richterin Geschäftsführerin Hornbach
ehrenamtlicher Richter Landwirt Lichti
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Entlassungsbescheides vom 31. Juli 2009 sowie des
Beschwerdebescheides vom 23. November 2009 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Entlassung
wegen Dienstunfähigkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Abänderung eines Entlassungsbescheides dahingehend, dass er nicht wegen
Ungeeignetheit, sondern wegen Dienstunfähigkeit entlassen wird.
Er war seit dem 1. Oktober 2002 als Soldat auf Zeit im Dienst der Beklagten tätig und wurde am 1. Juli
2004 in die Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdienstes als Sanitätsoffizier-Anwärter im Dienstverhältnis
eines Soldaten auf Zeit übernommen. Ab dem 2. Oktober 2004 war er zum Studium der Humanmedizin an
der Universität Saarbrücken/Homburg beurlaubt. Zuletzt stand er im Rang eines Leutnants (SanOA).
In der Folgezeit beantragte er insgesamt fünf Zusatzsemester. Im Sommersemester bestand er die
Wiederholungsklausur Biochemie nicht und beantragte deshalb ein erstes, leistungsbedingtes
Zusatzsemester. Nachdem er die Wiederholungsklausur bestanden hatte, fiel er im Sommersemester
sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Teil durch den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
(Physikum) und beantragte ein zweites, leistungsbedingtes Zusatzsemester. Im Oktober 2007 beantragte
er ein drittes, diesmal gesundheitsbedingtes Zusatzsemester, weil er aus gesundheitlichen Gründen
gehindert gewesen sei, am zweiten Tag den schriftlichen Teil des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung
anzutreten. Diese drei Zusatzsemester wurden jeweils bewilligt.
Im Februar 2008 bestand der Kläger den mündlichen Teil des Physikums, nicht aber den schriftlichen,
weshalb er im Mai 2008 ein viertes, leistungsbedingtes Zusatzsemester beantragte. In einem daraufhin
zur Erforschung der Hintergründe für die Anträge auf Bewilligung leistungsbedingter Zusatzsemester
geführten Personalgespräch gab er an, dass er die Ursache für seinen Misserfolg hauptsächlich in dem
„Multiple-Choice-System“ sehe. Gerade bei einfachen Fragen habe er etwas überlesen und deshalb
falsche Antworten gegeben. Zur Vorbereitung auf das Physikum habe er mehrfach verschiedene
Repetitorien und unter erheblichem finanziellen Aufwand den „Medi-Learn-Kurs“ in M… besucht.
Gesundheitliche Einschränkungen oder Belastungen im persönlichen Umfeld machte er nicht geltend. Die
Entscheidung über die Bewilligung des vierten Zusatzsemester stellte die Beklagte bis zur Vorlage des
Ergebnisses des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung im August 2008 zurück.
Nachdem der Kläger den schriftlichen Teil des Physikums im Herbst 2008 krankheitsbedingt nicht ablegen
konnte, beantragte er bei dem Landesprüfungsamt des Saarlandes den krankheitsbedingten Rücktritt von
der Prüfung. Daraufhin bat das Personalamt der Bundeswehr den Beratenden Arzt um Stellungnahme zur
Überprüfung der Studier- und Prüfungsfähigkeit des Klägers sowie um Bewertung der Anerkennung eines
krankheitsbedingten Zusatzsemesters.
Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 19. November 2008 aus, dass die Verwendungsfähigkeit des
Klägers derzeit eingeschränkt sei. Eine langfristige Prognose hänge vom Ergebnis der derzeit laufenden
Therapie ab. Aus militärärztlicher Sicht sei die Studier- und Prüffähigkeit wahrscheinlich noch mehr als ein
halbes Jahr eingeschränkt. Eine langfristige Beurteilung der Verwendungsfähigkeit könne noch nicht
erfolgen. Die Anerkennung eines krankheitsbedingten Zusatzsemesters werde befürwortet.
Am 15. Dezember 2008 leitete das Personalamt der Bundeswehr die Entlassung des Klägers aus dem
Dienstverhältnis wegen Nichteignung zum Sanitätsoffizier ein. Wegen der vom Beratenden Arzt
festgestellten Einschränkung der Studier- und Prüfungsfähigkeit sei der Kläger nicht mehr geeignet. Der
Median der mittleren Fachstudiendauer im Fach Humanmedizin liege im Bundesdurchschnitt bei
12,9 Semestern bzw. bei 12,6 Semestern an der Universität Saarbrücken/Homburg. Der Kläger benötige
wegen fehlender Leistungsnachweise in Grundlagengebieten und wegen des zweimaligen
Nichtbestehens des Ersten Abschnitts der Ärztlichen Prüfung bereits vor Ablauf eines Drittels der
Mindeststudiendauer mindestens sechs Zusatzsemester, die er im weiteren Studienverlauf nicht mehr
kompensieren könne.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 wurde der Kläger von der beabsichtigten Entlassung in Kenntnis
gesetzt und am 18. Dezember 2008 hierzu angehört. Auf die Anhörung der Vertrauensperson verzichtete
er.
In seiner Stellungnahme vom 15. Januar 2009 führte er aus, dass eine Nichteignung im Sinne des
Soldatengesetzes bei ihm nicht gegeben sei. Vielmehr liege eine truppenärztlich festgestellte temporäre
Dienstunfähigkeit vor, wegen derer er sein Studium nicht innerhalb der vorgesehenen Studienzeit habe
absolvieren können. Ferner berief er sich auf ein Attest des vom Truppenarzt bestimmten Facharztes –
Arzt für Neurologie und Psychiatrie – Dr. K…. vom 28. November 2008, wonach er – der Kläger – aus
nervenärztlicher Sicht dienstunfähig sei.
Vor diesem Hintergrund hielt das Personalamt der Bundeswehr eine erneute Prüfung der Dienstfähigkeit
für erforderlich und bat mit Schreiben vom 26. Februar 2009 den Beratenden Arzt um Stellungnahme zur
Überprüfung der Dienstfähigkeit sowie der Studier- und Prüfungsfähigkeit des Klägers und zur
Notwendigkeit der Einleitung eines Dienstunfähigkeitsverfahrens.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2009 teilte der Beratende Arzt mit, dass der Kläger seine Mitwirkung an einer
militärärztlichen Begutachtung verweigert habe. Der Untersuchungsauftrag sei nach Angaben des Klägers
über seinen Anwalt zu stellen, der indessen keine weitere Begutachtung für erforderlich halte und davon
abrate. Bis zur Vorlage der in Auftrag gegebenen militärärztlichen Begutachtung könne er sich nicht weiter
zur Verwendungsfähigkeit des Klägers äußern.
Mit Bescheid vom 31. Juli 2009 wurde der Kläger wegen mangelnder Eignung aus dem Dienst mit Ablauf
eines Monats, gerechnet vom Tag der Zustellung des Bescheides, entlassen. Er habe die Pflicht zum
Abschluss der Ausbildung zum Arzt innerhalb der nach der Approbations- und Prüfungsordnung
vorgeschriebenen Mindeststudienzeit nicht erfüllt. Erhebliche und persistierende Leistungsdefizite hätten
zusammenfassend einen bedeutsamen ungünstigen Prognosefaktor für den weiteren Verlauf seines
Medizinstudiums dargestellt. Es sei nicht wahrscheinlich, dass es im weiteren Verlauf zu keinen
Verzögerungen mehr kommen werde. Die Verzögerungen hätten maßgeblich auf erheblichen
Leistungsdefiziten beruht. Eine Dienstunfähigkeit sei nicht feststellbar gewesen.
Mit seiner hiergegen am 11. August 2009 eingelegten Beschwerde brachte der Kläger vor, dass der nicht
rechtzeitige Studienabschluss überwiegend gesundheitliche Gründe gehabt habe, weshalb er, wie auch
der Facharzt Dr. K… festgestellt habe, wegen Dienstunfähigkeit und nicht wegen mangelnder Eignung zu
entlassen sei. Ebenso habe der Beratende Arzt zu keinem Zeitpunkt die Dienstunfähigkeit
ausgeschlossen. Außerdem habe er – der Kläger – sich der militärärztlichen Begutachtung nicht
verweigert, sondern lediglich um eine schriftliche Einweisung gebeten, um den Inhalt der Untersuchung
zu erfahren. Er sei nach wie vor bereit, sich im Hinblick auf seine Dienstunfähigkeit untersuchen zu lassen,
wozu er die Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens anbot.
Mit Beschwerdebescheid vom 23. November 2009 wurde die Beschwerde mit der Begründung
zurückgewiesen, dass ein Sanitätsoffizier-Anwärter in der Erwartung eingestellt werde, dass er später
seinen Dienst als Sanitätsoffizier verrichte. Inwieweit ein Laufbahnanwärter geeignet sei, obliege der
Feststellung durch seine unmittelbaren militärischen Vorgesetzten, denen insoweit ein auch von der
Beschwerdestelle zu beachtender Beurteilungsspielraum zustehe. Soweit danach die
Entlassungsverfügung im Beschwerdeverfahren einer Überprüfung zugänglich sei, sei sie nicht zu
beanstanden. Für eine erneute Begutachtung der Verwendungs- und Dienstfähigkeit des Klägers bestehe
kein Anlass. Die Gutachten der Ärzte der Bundeswehr seien insoweit abschließend.
Nach Zustellung des Beschwerdebescheides am 24. November 2009 hat der Kläger am 23. Dezember
2009 Klage erhoben. Zu deren Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen sein bisheriges
Vorbringen. Ergänzend trägt er vor, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb im Beschwerdeverfahren eine
erneute Begutachtung im Hinblick auf seine Dienst- und Verwendungsfähigkeit unterblieben sei, obwohl
sich die Ärzte der Bundeswehr diesbezüglich nicht zu einer abschließenden Stellungnahme befähigt
gesehen hätten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Entlassungsbescheides vom 31. Juli 2009 sowie des
Beschwerdebescheides vom 23. November 2009 zu verpflichten, seinen Antrag auf Entlassung wegen
Dienstunfähigkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die angefochtenen Bescheide. Ergänzend trägt sie vor, dass über
die Rückforderung von Aufwendungen der Bundeswehr im Rahmen des Studiums des Klägers in einem
weiteren Verfahren entschieden werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur
Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese
Unterlagen lagen der Kammer vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Des Weiteren
wird auf das Sitzungsprotokoll vom 2. Juni 2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten
Abänderung der Entlassungsverfügung, weil ein wegen Ungeeig-netheit entlassener Soldat auf Zeit
keinen Anspruch auf Zahlung von Übergangsgebührnissen gemäß § 11 Soldatenversorgungsgesetz –
SVG – hat. Hinzu kommt, dass der Kläger infolge der Entlassung wegen Ungeeignetheit einer möglichen
Rückforderung der entstandenen Kosten des Studiums gemäß § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Soldatengesetz –
SG – ausgesetzt ist. Zwar stellte das Personalamt der Bundeswehr bereits in einem Vermerk vom
30. Januar 2009 fest, dass keine Anhaltspunkte für grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz im Hinblick auf die
angenommene Nichteignung vorlägen, so dass die Regressvoraussetzungen des § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
SG hiernach nicht erfüllt wären. Dieser Vermerk ist nach dem Vortrag des Bevollmächtigten der Beklagten
in der mündlichen Verhandlung indessen kein Verzicht auf etwaige Rückforderungen, die in einem
weiteren Verfahren zu prüfen seien.
Die Klage ist auch begründet. Die Entlassung des Klägers aus dem Dienst der Bundeswehr wegen
Ungeeignetheit und die Ablehnung seines Antrages auf Entlassung wegen Dienstunfähigkeit sind
rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung –
VwGO –).
Ein Soldat auf Zeit kann nach § 55 Abs. 4 Satz 1 SG in den ersten vier Jahren seiner Dienstzeit entlassen
werden, wenn er die Anforderungen, die an ihn in seiner Laufbahn zu stellen sind, nicht mehr erfüllt. Nach
Satz 2 dieser Vorschrift soll ein Sanitätsoffizier-Anwärter, der sich nicht zum Sanitätsoffizier eignen wird,
unbeschadet des Satzes 1 entlassen werden.
Es steht nicht fest, dass der Kläger als Sanitätsoffizier i.S.d. § 55 Abs. 4 Satz 2 SG ungeeignet sein wird.
Der Begriff der Eignung umfasst die geistigen, charakterlichen, fachlichen und körperlichen
Eigenschaften. Bei der hier vorzunehmenden Prognoseentscheidung, ob sich der Kläger zum
Sanitätsoffizier eignen wird, handelt es sich um einen Akt wertender Erkenntnis, weshalb der Gesetzgeber
dem Dienstherrn einen gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum eingeräumt hat. Infolge
dessen darf das Gericht die Beurteilung der Beklagten, ob sich der Kläger zum Sanitätsoffizier eignen
wird, nur darauf überprüfen, ob der Begriff der Eignung und die gesetzliche Grenze des
Beurteilungsspielraums verkannt worden sind, ob der Beurteilung ein unrichtiger Sachverhalt zugrunde
gelegt und ob allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt
worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1969 – BVerwG VIII C 63.66 –, BVerwGE 32, 237 [238 f.];
Vogelsang, in: Fürst, GKÖD, Band I, Yk § 55 Rn. 8).
Gemessen daran erweist sich die Entlassung des Klägers wegen Ungeeignetheit als
beurteilungsfehlerhaft, weil eine Überprüfung der sich aufdrängenden Umstände, die auch eine
Entlassung wegen Dienstunfähigkeit nach § 55 Abs. 2 Satz 1 SG rechtfertigen könnten, pflichtwidrig
unterblieben ist.
Ein Soldat auf Zeit ist gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 44 Abs. 3 SG wegen Dienstunfähigkeit zu
entlassen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur
Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist, oder wenn auf Grund seines körperlichen Zustandes
oder aus gesundheitlichen Gründen die Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit nicht innerhalb eines
Jahres zu erwarten ist. Die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit und die Entlassung wegen
Ungeeignetheit infolge mangelnder gesundheitlicher oder körperlicher Leistungsfähigkeit stehen dabei
nicht in einer bestimmten Rangfolge oder einem Spezialitätsverhältnis zueinander.
Erfüllt ein Sanitätsoffizier-Anwärter aus körperlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht die
Anforderungen, die an einen Sanitätsoffizier gestellt werden, muss der Dienstherr deshalb sorgfältig und
unter Einbeziehung aller relevanten Umstände eine Entscheidung darüber treffen, ob der Soldat
dienstunfähig oder ungeeignet und deshalb nach § 55 Abs. 2 SG oder nach § 55 Abs. 4 SG zu entlassen
ist.
Liegen sowohl die Voraussetzungen für eine Entlassung nach § 55 Abs. 2 SG als auch die für eine
Entlassung nach § 55 Abs. 4 SG vor, kann es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus § 31 SG wegen der
für den Soldaten günstigeren Rechtsfolgen gebieten, ihn wegen Dienstunfähigkeit anstatt wegen
Ungeeignetheit aus dem Dienst zu entlassen (offen gelassen von VG Würzburg, Beschluss vom 9. März
2005 – W 1 S 04.1552 –, juris, Rn. 25).
Die Verpflichtung, im Rahmen des Entlassungsverfahrens bei entsprechenden Anhaltspunkten zu
überprüfen, ob alternativ zur Entlassung wegen Ungeeignetheit auch eine wegen Dienstunfähigkeit in
Betracht kommt und vorzuziehen ist, besteht aber nicht nur, wenn lediglich körperliche oder
gesundheitliche Mängel vorliegen, sondern auch dann, wenn die Nichterfüllung der Anforderungen
sowohl auf gesundheitlichen als auch auf fachlichen Gründen beruht. Dann nämlich muss der Dienstherr
entscheiden, ob die gesundheitlichen Gründe die fachlichen Defizite derart überwiegen, dass der Soldat
wegen Dienstunfähigkeit zu entlassen ist und nicht wegen mangelnder Eignung. Darüber muss der
Dienstherr schon deshalb Klarheit gewinnen, weil ein Soldat auf Zeit bei Dienstunfähigkeit zwingend zu
entlassen ist, wohingegen seine Entlassung im Falle der Ungeeignetheit in das (intendierte) Ermessen
des Dienstherrn gestellt ist.
Geht der Dienstherr sich aufdrängenden, greifbaren Anhaltspunkten für eine Dienstunfähigkeit i.S.d. § 55
Geht der Dienstherr sich aufdrängenden, greifbaren Anhaltspunkten für eine Dienstunfähigkeit i.S.d. § 55
Abs. 2 SG nicht nach, hat dies indessen nicht erst die Ermessensfehlerhaftigkeit der Entlassung nach § 55
Abs. 4 Satz 2 SG zur Folge. Vielmehr führt die insoweit unzureichende Sachverhaltserforschung bereits
zur Fehlerhaftigkeit der Eignungsbeurteilung, weil der Dienstherr nicht sämtliche für die Bewertung der
Eignung relevanten Umstände eingestellt und infolge dessen fehlerhaft zur Annahme der Nichteignung
gelangt ist.
Die Verpflichtung zur Überprüfung der hier ebenfalls in Betracht kommenden Dienstunfähigkeit ist
entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dadurch entfallen, dass noch kein förmliches
Entlassungsverfahren wegen Dienstunfähigkeit i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 44 Abs. 4 SG eingeleitet
worden war. Dass die Dienstunfähigkeit noch nicht i.S.d. § 44 Abs. 4 Satz 1 SG festgestellt ist, entbindet
nicht von der Notwendigkeit, Anhaltspunkten hierfür zunächst einmal nachzugehen. Dieser Auffassung
war offenkundig auch das Personalamt der Bundeswehr, als es auf Grundlage der Stellungnahme des
Klägers vom 15. Januar 2009 und des fachärztlichen Attestes des Dr. K… vom 28. November 2008 eine
ärztliche Untersuchung des Klägers auf seine Dienstfähigkeit für erforderlich gehalten und den
Beratenden Arzt mit einer entsprechenden Untersuchung beauftragt hat.
Ob der Kläger seine Mitwirkung an der in Auftrag gegebenen militärärztlichen Untersuchung zu Unrecht
verweigert hatte und die Beklagte deshalb zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Entlassungsbescheides
von seiner Ungeeignetheit ausgehen durfte, bedarf hier keiner Erörterung. Denn jedenfalls im Rahmen
des Beschwerdeverfahrens hätte die Beklagte der nach dem nervenärztlichen Attest im Raum stehenden
Dienstunfähigkeit nachgehen müssen, weil sich der Kläger in seiner Beschwerdebegründung
ausdrücklich mit einer ärztlichen Untersuchung im Hinblick auf seine Dienstfähigkeit einverstanden und
von sich aus die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten hat.
Soweit diese Prüfung mit dem Hinweis darauf unterblieben ist, dass im Rahmen des
Beschwerdeverfahrens ein Beurteilungsspielraum der Disziplinarvorgesetzten zu beachten und die
Überprüfung der Entlassung im Beschwerdeverfahren auf eine Rechtsprüfung beschränkt sei, hat die
Beschwerdestelle bereits einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab angelegt. Ist – wie hier gemäß § 82
Abs. 1 SG – für die Klage aus dem Wehrdienstverhältnis der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, tritt das
Beschwerdeverfahren nach § 23 Abs. 1 Wehrbeschwerdeordnung – WBO – an die Stelle des
Vorverfahrens gem. §§ 68 ff. VwGO. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat die Widerspruchsbehörde die
gleiche Entscheidungsbefugnis wie die Erstbehörde und ist – anders als das zur Beachtung eines
Beurteilungsspielraums verpflichtete Gericht – nicht auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Vielmehr muss
sie auch von der ihr zustehenden Beurteilungsermächtigung Gebrauch machen (BVerwG, Urteil vom
11. Februar 1999 – 2 C 28/98 –, juris, Rn. 29 f.). Auf eine den Disziplinarvorgesetzten des Klägers
vorbehaltene wertende Erkenntnis der Ungeeignetheit kann sich die Beschwerdestelle auch deshalb nicht
zurückziehen, weil das Personalamt der Bundeswehr hier nicht nur über die Beschwerde entscheidet,
sondern gemäß § 55 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 3 SG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 der
Anordnung über die Ernennung und Entlassung von Soldatinnen und Soldaten und die Ernennung von
Reservistinnen und Reservisten vom 18. Oktober 2006 (BGBl. I, S. 2495) bereits über die Entlassung des
Soldaten und damit über die Festlegung der Entlassungsgründe.
Die Prüfung der Dienstfähigkeit und einer etwaigen Entlassung wegen Dienstunfähigkeit nach § 55 Abs. 2
SG durfte hier auch nicht deshalb unterbleiben, weil diese Frage bereits im Ausgangsverfahren geklärt
gewesen wäre. Anders als im Beschwerdebescheid ausgeführt, haben sich die Ärzte der Bundeswehr zur
Frage der Dienstfähigkeit noch nicht abschließend geäußert, weil sie sich hierzu mangels Untersuchung
des Klägers außerstande gesehen haben. Infolge der ausdrücklich erklärten Mitwirkungs- und
Untersuchungsbereitschaft des Klägers hätte der sich aufdrängenden Frage der Dienstfähigkeit im
Beschwerdeverfahren nunmehr nachgegangen und die unterbliebene Untersuchung nachgeholt werden
müssen. Weil dies pflichtwidrig unterlassen wurde, liegt der Annahme der Nichteignung ein unzureichend
erforschter Sachverhalt zugrunde, so dass die verfügte Entlassung wegen Dienstunfähigkeit nach § 55
Abs. 4 Satz 2 SG rechtswidrig ist.
Wenngleich die Beklagte hinsichtlich des Begriffs der Dienstunfähigkeit i.S.d. §§ 55 Abs. 2, 44 Abs. 3 SG
keinen Beurteilungsspielraum hat (Vogelsang, a.a.O., Rn. 4), darf das Gericht hier ausnahmsweise nicht
selbst über die Entlassung wegen Dienstunfähigkeit entscheiden. Anderenfalls würde es in der hier
inmitten stehenden Konstellation zugleich eine Entscheidung über die Eignung des Klägers i.S.d. § 55
Abs. 4 SG treffen, wozu es indessen wegen der der Beklagten insoweit zustehenden
Beurteilungsermächtigung nicht berechtigt ist.
Vielmehr muss diese selbst der im Raum stehenden Dienstunfähigkeit nachgehen und entscheiden, ob
die so gewonnenen Erkenntnisse noch die Annahme der Ungeeignetheit rechtfertigen oder ob der Kläger
wegen Dienstunfähigkeit zu entlassen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO.
Rechtsmittelbelehrung ...
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.266,-- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Seiler-Dürr
gez. Meyer
gez. Niesler