Urteil des VG Münster vom 02.06.2004

VG Münster: gemeindeverwaltung, gemeindeordnung, vertreter, vertretungsmacht, zahl, behörde, begriff, auflage, verwaltungsrecht, beschränkung

Verwaltungsgericht Münster, 1 K 51/03
Datum:
02.06.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Münster
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 51/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht
der Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Nr. 1
Gemeindeordnung für das Land Nordrhein - Westfalen (GO NRW) wegen der
Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, das sich gegen die Einrichtung der Funktion eines
Beigeordneten richtet.
1
Am 14. Februar 2002 beschloss der Beklagte den Stellenplan für das Haushaltsjahr
2002. Wegen des Amtes eines Beigeordneten richtete er erstmals eine Stelle der
Besoldungsgruppe A 14 BBO ein (§ 2 Abs. 2 Eingruppierungsverordnung). Der
Beklagte ergänzte mit Beschluss vom 23. Mai 2002 die Hauptsatzung der Gemeinde um
den § 11 a. Die Satzungsregelung hat den folgenden Wortlaut:
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㤠11 a Beigeordnete (1) Es wird eine hauptamtliche Beigeordnete bzw. ein
hauptamtlicher Beigeordneter gewählt. Die gewählte Person ist die allgemeine
Vertretung der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters. (2) Der Rat kann eine weitere
beamtete Person bestellen, die die allgemeine Vertretung im Bedarfsfall übernimmt."
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Die Änderung der Hauptsatzung wurde im Amtsblatt der Gemeinde I. vom 13. Juni 2002
bekannt gemacht.
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Am 15. Juli 2002 reichten die Kläger bei dem Beklagten ein Bürgerbegehren ein, das
1.749, davon 1.588 gültige Unterschriften von Bürgerinnen und Bürgern der Gemeinde I.
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enthielt. Das Bürgerbegehren hat den folgenden Wortlaut:
„Die Unterzeichnenden beantragen, dass folgende Angelegenheit der Gemeinde I. zum
Bürgerentscheid gestellt wird: ‚Sind Sie dafür, dass § 11 a Hauptsatzung der Gemeinde
I., wonach eine hauptamtliche Beigeordnete bzw. ein hauptamtlicher Beigeordneter
gewählt werden soll, wieder aufgehoben wird?' „ Das Bürgerbegehren enthält eine
Begründung und Ausführungen zur Notwendigkeit eines Kostendeckungsvorschlags.
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Am 10. Oktober 2002 entschied der Beklagte, dass das Bürgerbegehren nach § 26 Abs.
5 Nr. 1 GO NRW unzulässig sei. Der Bürgermeister der Gemeinde teilte den Klägern mit
Bescheid vom 11. Oktober 2002 die Entscheidung des Beklagten mit. Den dagegen
eingereichten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte am 28. November 2002
zurück. Die Entscheidung über den Widerspruch wurde den Klägern mit
Widerspruchsbescheid des Bürgermeisters vom 05. Dezember 2002 bekanntgegeben.
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Die Kläger haben am 09. Januar 2003 Klage erhoben.
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Am 27. März 2003 wählte der Beklagte einen Beigeordneten. Der Beigeordnete wurde
mit Wirkung zum 01. Juni 2003 als Wahlbeamter auf Zeit ernannt und trat seinen Dienst
bei der Gemeinde I. an. Die Kläger tragen vor, das Bürgerbegehren habe sich infolge
der Wahl und Ernennung des Beigeordneten nicht erledigt. Im Übrigen bestehe ein
Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO
NRW lägen nicht vor. Das Bürgerbegehren erstrecke sich nicht auf die - evtl.
innerorganisatorische - Bestimmung der Zahl der Beigeordneten, sondern auf die Frage,
ob überhaupt ein Beigeordneter gewählt werde.
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§ 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW wolle allein derartige Fragen von einem Bürgerbegehren
ausschließen, an denen die Bürger kein Interesse hätten, weil sie den internen Bereich
der Verwaltung nicht verließen. Im Sinne der Vorschrift beschränke sich die innere
Organisation der Gemeindeverwaltung auf die traditionellen Gegenstände der
Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt, deren Ausübung durch fachlich-technische
Zweckmäßigkeitserwägungen der Behördenleitung bestimmt werde. Für solche
Entscheidungen sei (auch) der Beklagte nach § 41 Abs. 1 S. 2 lit. a GO NRW zuständig.
Die Einführung des Beigeordnetenamtes sei jedoch eine dem Bürgerbegehren
zugängliche Frage der Kommunalverfassung, die die Rechte und Pflichten der
Gemeinde als solcher und ihrer Organe, deren Stellung sowie deren Rechte und
Pflichten gegenüber den Gemeindebürgern und den anderen Organen beträfe. Die
Vertretung der Gemeinde nach außen durch einen Beigeordneten sei nicht nur eine
Frage der inneren Verwaltung. Der Beigeordnete könne die Gemeinde mit
Außenwirkung vertreten (§§ 68, 64 GO NRW). Beigeordnete griffen mit ihrer Tätigkeit in
die Politik über, vermittelten den politischen Willen in die Verwaltung und wirkten in die
Öffentlichkeit als eine Art „Gemeindeminister". Es handele sich um eine
Gemeindeangelegenheit von öffentlicher Bedeutung.
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Die Kläger beantragen, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Oktober
2002 und des Widerspruchsbescheids vom 05. Dezember 2002 zu verpflichten, die
Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zur Aufhebung des § 11 a der Hauptsatzung der
Gemeinde festzustellen,
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hilfsweise
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festzustellen, dass die Nichtzulassung des Bürgerbegehrens zur Aufhebung des § 11 a
der Hauptsatzung der Gemeinde rechtswidrig war.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Er trägt vor, das Bürgerbegehren habe sich mit der Ernennung des Beigeordneten zum
01. Juni 2003 erledigt. Für die Kläger bestehe kein berechtigtes
Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
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Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW lägen vor. Das Bürgerbegehren
sei allein deshalb unzulässig, weil über die gestellte Frage nur einheitlich entschieden
werden könne und jedenfalls die Teilregelung in Satz 2 des § 11 a Abs. 1 der
Hauptsatzung über die Vertretung im Amt die innere Organisation der
Gemeindeverwaltung betreffe.
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Die Bestimmung der Zahl der Beigeordneten sei ebenfalls eine Regelung der inneren
Organisation der Gemeindeverwaltung, die sich nicht auf die Organisation der Behörde
„Bürgermeister" beschränke. Auch der Beklagte sei Teil der Gemeindeverwaltung (§§
40 f. GO NRW). Eine Beschränkung des § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW auf die
traditionellen Gegenstände der Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt, deren
Ausübung durch fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägungen der
Behördenleitung bestimmt werde, erstrecke sich nicht auf den Regelungsbereich des §
26 Abs. 1 GO NRW. Der Beigeordnete sei kein selbständiges Organ der Gemeinde. Ihm
komme mit der Funktion eines Vertreters des Bürgermeisters nur eine abgeleitete und
damit mittelbare Organstellung zu. Die Bestimmung der Beigeordnetenzahl richte sich
an der notwendigen und zweckmäßigen Geschäftsverteilung aus.
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Die Bestimmung des Geschäftskreises eines Beigeordneten betreffe ebenfalls nur die
innere Organisation der Gemeindeverwaltung.
18
Die Wahl von Beigeordneten sei die Folge einer entsprechenden
Verwaltungsorganisation.
19
Ungeachtet dessen sei das Bürgerbegehren nach §§ 26 Abs. 1 und 7, 7 Abs. 3 S. 3 GO
NRW GO NRW unzulässig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten (1 Heft) ergänzend Bezug
genommen.
21
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
22
Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter (§
87 a Abs. 3 und 2 VwGO) und - nach Durchführung des Erörterungstermins - unter
Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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I. Die Klage hat keinen Erfolg. 1. a) Die mit dem Hauptantrag verfolgte
Verpflichtungsklage ist zwar weiterhin zulässig, weil sich das gegen § 11 a der
Hauptsatzung gerichtete Bürgerbegehren auch unter Mitberücksichtigung der Frist des §
26 Abs. 8 S. 2 GO NRW nicht erledigt hat, nachdem die Planstelle durch einen Beamten
auf Zeit besetzt wurde, dessen Berufung in das Beamtenverhältnis für die Dauer von
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acht Jahren (§ 196 Abs. 2 Landesbeamtengesetz NRW) und damit länger als zwei Jahre
(§ 26 Abs. 8 S. 2 GO NRW) wirksam ist. Die Feststellung der Zulässigkeit des
Bürgerbegehrens ermöglicht eine erneute (Abhilfe- oder Nichtabhilfe-) Entscheidung
des Beklagten oder die Fortsetzung einer unmittelbar-demokratischen Willensbildung,
die auf die Regelung des § 11 a der Hauptsatzung und nicht auf das konkrete
Beamtenverhältnis des derzeitigen Stelleninhabers unmittelbar gerichtet sind (vgl. § 26
Abs. 6 S. 4 und S. 3 GO NRW). Dies bedarf jedoch keiner weiteren Begründung, weil
die Klage in der Sache keinen Erfolg hat.
b) Der angefochtene Bescheid und Widerspruchsbescheid sind nicht rechtswidrig und
verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die
begehrte Zulässigkeitsentscheidung des Beklagten.
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Das von den Klägern vertretene Bürgerbegehren ist gem. § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW
unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist ein Bürgerbegehren über die innere Organisation
der Gemeindeverwaltung unzulässig. Diese Voraussetzungen liegen vor.
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Die innere Organisation der Gemeindeverwaltung im Sinne der o. a. Vorschrift umfasst
nach der Rechtsprechung der Kammer die gesamte innere Verwaltungsstruktur der
Gemeinde. Sie ist - über die interne Ausgestaltung der verschiedenen
Verwaltungsorgane hinaus - Inbegriff der wechselseitigen Beziehungen der Organe der
Gemeindeverwaltung untereinander und gibt zugleich den Rahmen für ihr Tätigwerden
im Außenverhältnis der Gemeinde vor. Sie unterscheidet sich dadurch zunächst von der
äußeren Organisation der Gemeinde, wonach sie durch die Gesamtheit ihrer
Bürgerinnen und Bürger als Körperschaftsmitglieder gebildet wird. Der Tatbestand des §
26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW ist durch den Zusatz „der Gemeindeverwaltung" weiterhin
gegenüber der inneren Organisation der Gemeinde abgegrenzt, die nämlich nicht allein
aus den Verwaltungsorganen, sondern auch aus den Gemeindebürgerinnen und -
bürgern in ihrer Eigenschaft als Trägerorgan (etwa als Wahlbürgerschaft) besteht. Die
innere Organisation der Gemeindeverwaltung wird danach durch jede Entscheidung
betroffen, die Regelungen in Bezug auf die gemeindlichen Verwaltungsorgane und ihre
(inneren und äußeren) Zuständigkeiten trifft.
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VG Münster, Beschluss vom 10. Januar 1996 - 1 L 1439/95 -; zum Begriffspaar
innere/äußere Organisation vgl. auch Wolff, Verwaltungsrecht II, 3. Aufl., § 71 II a und b;
Kluth, in: Wolff u. a., Verwaltungsrecht Band 3, 5. Auflage, § 80 I. 1. Von dieser
Rechtsprechung der Kammer ist nach Auffassung des Gerichts nicht abzuweichen. Dies
gilt auch unter Mitberücksichtigung der vom Oberverwaltungsgericht NRW geäußerten
Zweifel. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 1996 - 15 B 134/96 -, OVGE 45 S. 230
= NVwZ-RR 1997 S. 110 = StGRat 1996 S. 151 = Mitt NWStGB 1996 S. 107; vgl. auch
Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung NRW, § 26 Anm. VI. und (allein) für das hessische
Landesrecht HessVGH, Beschluss vom 30. September 2003 - 8 TG 2479/03 -,
http://www.justiz.hessen.de/VGRecht/ Rechtsp.nsf/ = NVwZ-RR 2004 S. 281. Nach
dessen Ausführungen spreche angesichts der Wortwahl des Gesetzgebers viel dafür,
dass der von § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW erfasste Bereich auf die traditionellen
Gegenstände der Organisation- und Geschäftsleitungsgewalt beschränkt sei, deren
Ausübung durch fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägungen der
Behördenleitung bestimmt werde, ohne dass das Oberverwaltungsgericht NRW dies
letztendlich entscheiden musste. Diesen Ausführungen folgt das Verwaltungsgericht
nicht. § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW ist nicht auf den Bereich der traditionellen
Gegenstände der Organisation- und Geschäftsleitungsgewalt beschränkt, deren
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Ausübung durch fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägungen der
Behördenleitung bestimmt werde.
Entscheidungen der Behördenleitung und damit des Bürgermeisters sind regelmäßig
nicht von einem Bürgerbegehren betroffen. § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW steht in einem
Regel-/ Ausnahmeverhältnis zu § 26 Abs. 1 GO NRW und erfasst damit ausschließlich
Regelungsbereiche, über die der Gemeinderat entscheidet. Die nach § 41 Abs. 1 S. 2 lit.
a GO NRW bestehende Regelungsbefugnis des Beklagten erfasst damit ebenfalls
keinen Organisations- oder Geschäftsleitungsbereich, dessen Ausübung durch
Zweckmäßigkeitserwägungen einer Behördenleitung bestimmt wird; es entscheidet
nach § 41 Abs. 1 GO NRW im Rahmen der internen Willensbildung der Gemeinde ein
anderes Organ und nicht die Behördenleitung (vgl. §§ 62 Abs. 1 S. 2 ff., 70 Abs. 4 S. 1
GO NRW).
29
Vgl. auch zur Differenzierung Organ und Behörde z. B. Kluth, a.a.O., § 83 III 1, Rn. 137.
Die vom Gesetzgeber in § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW verwendete Wortwahl führt
ebenfalls nicht zu der Annahme, dass die Vorschrift allein den Bereich der traditionellen
Gegenstände der Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt erfasst, deren Ausübung
durch fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägungen der Behördenleitung bestimmt
wird. Mit dem Begriff der Gemeindeverwaltung wird nicht „die Gemeindeverwaltung"
oder „die Stadtverwaltung" im Sinne eines Verwaltungs- und Behördenapparats,
sondern „das Verwalten der Gemeinde" im Sinne der Tätigkeit für die Gemeinde
umschrieben. Die Gemeindeordnung verwendet den Begriff der „Verwaltung der
Gemeinde" und „Gemeindeverwaltung" nicht ausschließlich in einem organisatorisch
strukturellen, sondern in wesentlichen Punkten in dem funktionell dynamischen Sinne
der Tätigkeit des Verwaltens. Dies ist insbesondere bei den Vorschriften der Fall, die -
wie § 26 GO NRW - im Zusammenhang mit der Willensbildung der Gemeinde stehen
(§§ 40 Abs. 1, 41 Abs. 1 S. 1, 55 Abs. 1, 124 GO NRW).
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Der Ausschluss von Bürgerbegehren über die innere Organisation der
Gemeindeverwaltung ist insoweit eine Ausprägung des Grundsatzes oder zumindest mit
dem Grundsatz vergleichbar, dass ein Bürgerbegehren nicht auf eine Vorgabe gerichtet
sein soll, sondern mit einem Bürgerentscheid die Sachentscheidung selber treffen soll.
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vgl. dazu z. B. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 15 A 974/97 - , NWVBl. 1998
S. 273. Auf die Beeinflussung der Willensbildung für Sachentscheidungen gerichtete
Vorgaben können nicht nur inhaltlicher, sondern auch verfahrensmäßiger Art sein. Mit
einem Bürgerbegehren über die innere Organisation der Gemeindeverwaltung wird aber
in die Art und Weise der Willensbildung eingegriffen, nicht aber die letztendliche
Willensbildung für Fragen in der Sache selbst erreicht.
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Den Begriff der Organisation der Gemeindeverwaltung im Sinne des § 26 Abs. 5 GO
NRW auf die Tätigkeit des Bürgermeisters und der (weiteren) Beamten, Angestellten
und Arbeiter der Gemeinde zu beschränken, widerspricht auch das Ergebnis, dass das
Bürgerbegehren bzw. der Bürgerentscheid in einem solchen Fall in die Art und Weise
der Tätigkeit der Behörde „Bürgermeister" nur beschränkt, in die Art und Weise der
Tätigkeit des Rats einer Gemeinde und seiner Unterorganisationen aber umfassend
eingreifen könnte. Dies mag verdeutlicht werden an den Beispielen, per
Bürgerbegehren und -entscheid Ausschüsse des Rats zu bilden oder aufzulösen, alle
Entscheidungen, soweit sie nicht von § 41 Abs. 1 S. 2 GO NRW erfasst werden, auf ein
anderes Entscheidungsorgan als den Rat, insbes. einen Ausschuss, zu übertragen,
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Initiativrechte von fraktionslosen Mitgliedern zu stärken bzw. im Rahmen der
Gemeindeordnung zu beschränken oder auch „nur" den Zeitpunkt von Ratssitzungen zu
bestimmen. Für eine solche unterschiedliche Behandlung der Gemeindeorganisation, je
nachdem, ob das Organ und die Behörde „Bürgermeister" oder ob der Rat betroffen ist,
sieht das Gericht - neben § 26 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW - keinen durchgreifenden
Wertungsgesichtspunkt.
Bei Anwendung dieser Vorgaben liegen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO
NRW vor, wenn sich das Bürgerbegehren auf die Bestimmung der Wahl eines
Beigeordneten und die Vertretungsregelung des Bürgermeisters richtet. Der
Qualifizierung des § 11 a der Hauptsatzung als Entscheidung zur inneren Organisation
der Gemeindeverwaltung steht die kommunalverfassungsrechtliche Funktion und
Stellung des Beigeordneten nicht entgegen.
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Die kommunalverfassungsrechtliche Funktion des Beigeordneten und - daran
anknüpfend - die Bestimmung der Zahl der Beigeordneten geht nach der Auffassung
des Gerichts nicht über die innere Organisation der Gemeindeverwaltung hinaus.
Entgegen der Auffassung der Kläger ist die kommunalverfassungsrechtliche Stellung
eines Beigeordneten nicht mit der Stellung eines Ministers einer Regierung
vergleichbar.
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Die Funktion eines Beigeordneten wird zwar kommunalverfassungsrechtlich dadurch
bestimmt, dass ein Beigeordneter einen Geschäftskreis leitet, ihm dafür - entsprechend
seiner Führungsverantwortung - eigene, der unumschränkten Einflussnahme durch den
Bürgermeister entzogene materielle Verwaltungszuständigkeiten eingeräumt sind und
ihm eine sein gesamtes Arbeitsgebiet umfassende, durch den Bürgermeister nach
außen nicht wirksam beschränkbare Vertretungsmacht zusteht.
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Vgl. zur GO NRW a. F. OVG NRW, Beschluss vom 28. September 1982 - 15 A 2376/79 -
, S. 4; Beschluss vom 20. Juli 1990 - 12 B 390/90 -, EStT NW 1991 S. 399 Aber
gleichwohl trägt nicht er, sondern der Bürgermeister gemeinsam mit dem Beklagten die
Gesamtverantwortung für das kommunale Handeln.
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OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 1 B 1750/03 -, S. 8; Rehn/Cronauge,
Gemeindeordnung, § 62 GO Anm. 2. Solange und soweit der Beklagte von seinem
Recht nach § 73 Abs. 1 GO NRW keinen Gebrauch macht, den Geschäftskreis des
Beigeordneten festzulegen, bestimmt der Bürgermeister - ggf. unter Beachtung einer
beamtenrechtlichen Zusicherung - dessen Arbeitsfeld (§ 62 Abs. 1 S. 3 GO NRW).
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z. B. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 1 B 1750/03 -, S. 4 Der
Beigeordnete unterliegt der Leitungsbefugnis des Bürgermeisters. Der Bürgermeister ist
Dienstvorgesetzter aller Beamten und damit auch des Beigeordneten. Der Beigeordnete
ist an dessen fachlichen Weisungen gebunden und diesem - und nicht unmittelbar dem
Beklagten - für sein Arbeitsgebiet verantwortlich.
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OVG NRW, Urteil vom 18. September 1981 - 15 A 1306/79 -, NVwZ 1982 S. 318; Urteil
vom 16. Januar 1992 - 12 A 60/90 -, NWVBl. 1992 S. 285. Der Beigeordnete hat selbst
als Mitglied des Verwaltungsvorstands kein eigenständiges Letztentscheidungsrecht
(vgl. § 70 Abs. 4 S. 1 GO NRW); der Verwaltungsvorstand haut ausschließlich eine
Mitwirkungsfunktion (§ 70 Abs. 2 GO NRW).
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Vgl. Erichsen, Kommunalrecht NRW, 2. Auflage, § 7 A 4, S. 133 f. Soweit ein
Beigeordneter berechtigt ist, eine von der Meinung des Bürgermeisters abweichende
Auffassung im Hauptausschuss vorzutragen (§ 70 Abs. 4 S. 2 GO NRW), bewirkt dies
keine Folgerungen, die ein Letztentscheidungsrecht des Beigeordneten verursachen
oder die den Rechtskreis der Gemeindeverwaltung verlassen.
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Vgl. zu den Folgerungen Held u. a., Kommunalverfassungsrecht NRW, § 70 GO Anm.
6.2 Die Vertretungsmacht im eigenen Arbeitsgebiet des Beigeordneten beinhaltet
ausschließlich eine Beschränkung der Art und Weise des Leitungsrechts des
Bürgermeisters, auch wenn sie nach außen grds. nicht beschränkbar ist.
42
Vgl. zu § 51 Abs. 2 GO NRW a. F. OVG NRW, Urteil vom 18. September 1981 - 15 A
1306/79 -, NVwZ 1982 S. 318. Im Übrigen ist sie nicht Gegenstand der Hauptsatzung,
sondern unmittelbare gesetzliche Folge der Bestellung zum Beigeordneten (§ 68 Abs. 2
GO NRW).
43
Auch die Vertretungsmacht eines Beigeordneten nach §§ 64, 68 Abs. 1 S. 1 GO NRW
als allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters führt entgegen der Auffassung der Kläger
nicht dazu, dass mit § 11 a der Hauptsatzung eine Entscheidung zur äußeren
Organisation getroffen wird. Sie ist nicht Wesensmerkmal der Funktion und Stellung
eines Beigeordneten. Im Fall der Bestellung einer Mehrzahl von Beigeordneten ist nicht
jeder Beigeordneter zugleich allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters. Die
Bestimmung eines allgemeinen Vertreters bedarf einer besonderen Entscheidung.
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Mit der Bestellung zum allgemeinen Vertreter nach § 11 a Abs. 1 S. 2 der Hauptsatzung
ist im Übrigen eine Zuweisung bestimmter Dienstgeschäfte (nur) für den dienstlichen
Aufgabenbereich und damit den internen Bereich verbunden.
45
Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung, § 68 Anm. I. 1; OVG NRW, Urteil vom 12.
November 1975 - 12 A 596/74 -, Kottenberg/Rehn/von Mutius, Rechtsprechung zum
kommunalen Verfassungsrecht, GO NW § 51 Nr. 4, S. 33; das VG Arnsberg knüpfte im
Urteil vom 21. März 1974 - 1 K 1588/73 -, Kottenberg/Rehn/von Mutius, Rechtsprechung
zum kommunalen Verfassungsrecht, GO NW § 51 Nr. 3, S. 24 ausdrücklich an das
innere Gefüge einer Verwaltung an. Der als allgemeiner Vertreter tätige Beigeordnete ist
ebenfalls im Vertretungsfall an die Weisungen des Bürgermeisters intern gebunden. Er
kann zwar im Außenverhältnis wirksam seine Vertretungsmacht ausüben, darf sie aber
im Innenverhältnis nicht entgegen den Vorgaben des Bürgermeisters nutzen.
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Ungeachtet dessen haben auch Entscheidungen in dem Bereich der traditionellen
Gegenstände der Organisation- und Geschäftsleitungsgewalt, deren Ausübung durch
fachlich-technische Zweckmäßigkeitserwägungen der Behördenleitung bestimmt wird,
eine Außenwirkung. Regelung des Bereichs der inneren Organisation sind im Übrigen
auch sonst nicht frei von Bezugspunkten zum Außenrecht. Dies folgt bereits daraus,
dass jede innerorganisatorische Entscheidung zur Änderung von Geschäftsverteilung
Außenrechtsbezüge über das öffentliche Dienstrecht hat, weil jede
innerorganisatorische Entscheidung nicht nur die Amtswaltersphäre, sondern weiterhin
die privaten Rechte des betroffenen Bediensteten miterfasst.
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Vgl. z. B. Kluth, in: Wolff u. a., Verwaltungsrecht, Band 3, 5. Auflage, § 80 Rn. 65 f., 79.
Mit jeder Änderung der Geschäftsverteilung für die Bediensteten der Gemeinde ist
insoweit eine Veränderung der Außenvertretung verbunden. Die Bediensteten sind in
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ihrem Geschäftsbereich regelmäßig zur Außenvertretung des Bürgermeisters
bevollmächtigt, soweit sie nicht Verpflichtungen zu Lasten der Gemeinden eingehen.
Nur für den letzteren Bereich regelt § 64 GO NRW eine besondere
Gesamtvertretungsmacht.
Im Übrigen besteht - wie hier - im Falle der Bestimmung nur eines Beigeordneten für
den Beklagten wegen der Bestimmung des allgemeinen Vertreters kein
Entscheidungsermessen (§ 68 VwGO). Soweit sich das Bürgerbegehren gegen § 11 a
Abs. 1 S. 2 der Hauptsatzung richtet, ist es daher bereits gem. § 26 Abs. 5 Nr. 9 GO
NRW unzulässig.
49
Dass die Bestimmung der Zahl der Beigeordneten eine Angelegenheit der Kom-
munalverfassung und eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung in der Ge- meinde
ist, begründet nicht die Annahme eines Akts der äußeren Organisation der
Gemeindeverwaltung. Richtig ist zwar, dass eine kommunalverfassungsrechtliche
Angelegenheit grundsätzlich Gegenstand eines Bürgerbegehrens und -entscheids sein
kann. § 26 Abs. 1 und 5 GO NRW knüpfen nicht an eine Betroffenheit der
Kommunalverfassung an. Jede Angelegenheit der Gemeinde kann unterschiedslos
Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein, ohne dass es auf eine Qualität oder den Grad
der Wichtigkeit ankommt (§ 26 Abs. 1 GO NRW), soweit nicht die Voraussetzungen
eines Ausnahmetatbestands vorliegen. § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW schließt das
Bürgerbegehren für alle Fälle aus, die die innere Organisation der Gemeindeverwaltung
betreffen. Auch dieser Ausschlusstatbestand steht schon nach seinem Wortlaut nicht
unter dem Vorbehalt, dass die Kommunalverfassung nicht betroffen ist. Ein Vergleich mit
§ 41 Abs. 1 S. 1 GO NRW zeigt demgegenüber auf, dass der Ausnahmetatbestand des
§ 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW gerade auch für kommunalverfassungsrechtliche Vorgaben
gelten kann. Dem Bürgerbegehren sind auch sonst mit § 26 Abs. 5 Nrn. 1 bis 10 GO
NRW Angelegenheiten von öffentlicher Bedeutung entzogen.
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Vgl. weiterhin zu einer anderen Konstellation, in der eine
kommunalverfassungsrechtliche Entscheidung dem Bürgerbegehren entzogen ist,
gerade OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 1996 - 15 B 134/96 -, OVGE 45 S. 230 =
NVwZ-RR 1997 S. 110 = StGRat 1996 S. 151 = Mitt NWStGB 1996 S. 107
(Beibehaltung der kommunalen Doppelspitze). Das wertende Ergebnis der
Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens wird im Rahmen einer Gesamtschau der
betroffenen gegenseitigen Interessen bestätigt. Wie sich aus der Begründung des
Bürgerbegehrens ergibt, richtet sich das Begehren nicht gegen die Bestellung eines
Beigeordneten als solchen, sondern gegen die von Gesetzes wegen daran
anknüpfenden weiteren Aufwendungen (vgl. § 7 Abs. 1 Stellenobergrenzenverordnung
und § 2 Abs. 2 Eingruppierungsverordnung, § 5 Abs. 1 Nr. 1
Stellenobergrenzenverordnung), die das Bürgerbegehren mittelbar als ein solches nach
§ 26 Abs. 5 Nr. 2 und/oder Nr. 3 GO NRW erscheinen lassen.
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2. Der Hilfsantrag ist nicht rechthängig geworden, nachdem die Bedingung der
Unzulässigkeit des Hauptantrags nicht eingetreten ist.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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Die Zulassung der Berufung folgt aus §§ 124 a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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Zwar liegt keine Abweichung von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts
NRW vor, weil die mit Beschluss vom 12. Februar 1996 - 15 B 134/96 - geäußerten
Bedenken für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht
entscheidungstragend waren. Die Sache hat aber grundsätzliche Bedeutung in Bezug
auf die Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift des § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW. Eine
(sonstige) Entscheidung des Oberverwal-tungsgerichts NRW zu § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO
NRW ist nicht ersichtlich.
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