Urteil des VG Minden vom 24.03.2009

VG Minden: europäische union, drittstaat, abschiebung, ausländer, verordnung, asylverfahren, entlastung, unhcr, vollzug, schwangerschaft

Verwaltungsgericht Minden, 1 L 140/09.A
Datum:
24.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 140/09.A
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
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Der Antrag des Antragstellers,
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der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, Maßnahmen
zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die
Dauer von sechs Monaten auszusetzen und der zuständigen Ausländerbehörde
mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für
die Dauer von sechs Monaten nicht durchgeführt werden darf,
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ist nicht begründet.
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Dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren des Antragstellers steht die Regelung des §
34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen. Danach darf die Abschiebung nach Abs. 1 nicht nach §
80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden.
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Im vorliegenden Fall ist die Zuständigkeit Griechenlands für das Asylverfahren des
Antragstellers gegeben. Dies ergibt sich aus der Fiktion des Art. 18 Abs. 6 i.V.m. Art. 18
Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (im Folgenden: Dublin II VO),
nachdem die griechischen Behörden auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) nicht geantwortet haben. Für
die Kammer ist es nicht offensichtlich erkennbar, dass die Bundesrepublik Deutschland
hiervon abweichend zuständig sein könnte. Nach den Angaben des Antragstellers bei
seiner Befragung zum Reiseweg durch die Bundespolizeiinspektion Flughafen
Düsseldorf vom 04.02.2009 ist dieser am 04.02.2009 über Griechenland in die
Europäische Union eingereist, was die Zuständigkeit dieses Mitgliedsstaates für das
Asylverfahren begründet, und ist von dort weiter in die Bundesrepublik Deutschland
geflogen. Das Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden ist daher nicht zu
beanstanden.
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Von daher ergibt sich für die Kammer aus § 34 a Abs. 2 AsylVfG das gesetzliche Verbot,
die Abschiebung auszusetzen. Eine Ausnahme hiervon kommt auch in
verfassungskonformer Auslegung der in § 34 a AsylVfG getroffenen Regelung nicht in
Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann ein derartiger
Ausnahmefall angenommen werden, wenn dem Ausländer im Zielstaat die Todesstrafe
droht, wenn für ihn die konkrete Gefahr besteht, dort in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Rückverbringung Opfer eines Verbrechens zu werden, welches zu verhindern
nicht in der Macht des Drittstaates steht, wenn sich die Verhältnisse im Drittstaat
schlagartig geändert haben oder wenn offen zutage tritt, dass der Drittstaat seinen
Schutzverpflichtungen nicht nachkommen wird.
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Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 -, BVerfGE 94, 49, 98; so
auch VG Gießen, Beschluss vom 25.04.2008 - 2 L 01/08.GI.A - m. w. N.
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Danach kann der Ausländer eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen
Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen,
nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdringt, dass er von
einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle
individuell betroffen ist.
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Solche individuellen Gründe trägt der Antragsteller jedoch nicht vor. Er verweist
vielmehr lediglich auf die allgemeine Situation im zuständigen EU-Staat Griechenland,
in dem ihm angeblich erhebliche Rechtsverletzungen drohen, und auf hierzu ergangene
- positive - Entscheidungen von Verwaltungsgerichten. Die geltend gemachten Gründe
reichen jedoch nicht aus, um ausnahmsweise ein Abschiebungsverbot nach
Griechenland und eine Durchbrechung der Regel des § 34a Abs. 2 AsylVfG annehmen
zu können. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die Lebensbedingungen von
Asylbewerbern in Griechenland nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sind,
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vgl. hierzu die Dokumentation von Pro Asyl "Neue Recherchen und Dokumente zur
Situation von Schutzsuchenden in Griechenland", Stand: August 2008,
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und Verfahren nicht mit der in Deutschland üblichen Effizienz durchgeführt werden.
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Vgl. UNHCR-Positionspapier zur Überstellung von Asylsuchenden nach Griechenland
nach der Dublin-II-Verordnung vom 15.04.2008.
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Härten des Einzelfalls trägt die Antragsgegnerin dadurch Rechnung, dass sie
grundsätzlich den sechsmonatigen Überstellungszeitraum ausschöpft, um zur
Entlastung der griechischen Behörden beizutragen. Außerdem wird im Zweifel bei
besonders schutzwürdigen Personen von einer Überstellung nach Griechenland
abgesehen. Dies gilt für Flüchtlinge hohen Alters, für Minderjährige und für Flüchtlinge,
bei denen eine Schwangerschaft, ernsthafte Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder
besondere Hilfsbedürftigkeit vorliegt.
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Vgl. Antwort der Bundesregierung "Zweifel an der Einstufung Griechenland als
"sicherem Drittstaat" im Asyl- bzw. Dublin-II-Verfahren" vom 05.01.2009, BT-Drs
16/11543, S. 6.
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Der Antragsteller unterfällt keiner dieser Gruppen. Das Gericht sieht sich daher aufgrund
der oben dargestellten Gesetzeslage daran gehindert, Asylbewerbern im Falle von
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Griechenland eine generelle Ausnahme von der Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG
zuzugestehen.
So auch VG Münster, Beschluss vom 04.03.2009 - 9 L 77/09.A -, juris; VG Bremen,
Beschluss vom 03.03.2009 - 5 V 251/09. A -; VG Regensburg, Beschluss vom
15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - in: Asylmagazin 2009, S. 16.
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Demzufolge ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin von dem in ihrem
Ermessen stehenden Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO bisher keinen
Gebrauch gemacht hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b Abs. 1 AsylVfG.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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