Urteil des VG Köln vom 19.05.2010

VG Köln (kläger, umgebung, gebäude, dachgeschoss, höhe, geschosszahl, antrag, bundesverwaltungsgericht, beurteilung, aufstockung)

Verwaltungsgericht Köln, 23 K 7786/09
Datum:
19.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 7786/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die
Vollstreckungsschuldner dürfen die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die
Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks I. 00 in Bergheim-G.
(Gemarkung I1. , Flur 00, Flurstück 000). Das Grundstück ist mit einem
dreigeschossigen Reiheneckhaus bebaut. Dieses weist, wie die ganze Häuserreihe
entlang der Straße I. 0 - 00, ein Flachdach auf. Eine dreigeschossige Bebauung mit
Flachdächern findet sich ebenfalls auf den östlich gelegenen Grundstücken N. Straße 0
- 00. Angeschlossen an die Straße I. verlaufen in östlicher Richtung weiterhin zwei
begehbare Wohnwege. Die an diesen Wohnwegen gelegenen Grundstücke weisen
ganz überwiegend eine zweigeschossige Bebauung mit Flachdächern auf. Die
Wohngebäude I. 0, 00, 00 und 00 sind in der Vergangenheit mit Genehmigung der
Beklagten um ein Dachgeschoss mit Satteldach aufgestockt worden. Die beschriebenen
Grundstücke werden ausschließlich für Wohnzwecke genutzt. Sie liegen nicht im
Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
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Nachdem die Beklagte mit Bescheiden vom 24. Januar 2008 und vom 19. März 2008
Bauanträge der Kläger für die Aufstockung ihres Hauses um ein Dachgeschoss unter
Hinweis auf entgegenstehendes Bauplanungsrecht abgelehnt hatte, stellten diese unter
dem 8. Juni 2009 einen Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids und fragten an, ob
die Aufstockung ihres dreigeschossigen Wohngebäudes um ein Dachgeschoss mit
Satteldach bauplanungsrechtlich zulässig sei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch
Bescheid vom 3. November 2009 ab. Zur Begründung führte sie aus, das Bauvorhaben
füge sich nicht i. S. v. § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der First
des geplanten Satteldaches überrage das Niveau der Flachdächer der
dreigeschossigen Gebäude um ca. 3,50 m und das der zweigeschossigen Gebäude um
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ca. 6 m. Es entstehe durch den geplanten Dachaufbau der Eindruck eines
viergeschossigen Wohngebäudes, welches im gesamten Baugebiet ohne Beispiel sei.
Das Vorhaben könne auch nicht ausnahmsweise zugelassen werden. Seine
Verwirklichung würde nämlich die nähere Umgebung in einer Weise in Bewegung
bringen, welche das Bedürfnis nach einem Bauleitplanverfahren hervorrufe.
Die Kläger haben am 23. November 2009 Klage erhoben. Sie machen geltend, das von
ihnen geplante Bauvorhaben sei auf der Grundlage von § 34 BauGB
genehmigungsfähig. Die vorhandenen vier Satteldachaufstockungen auf den Häusern I.
0, 00, 00 und 00 habe die Beklagte genehmigt. Sie prägten die maßgebliche Umgebung
deutlich mit, was insbesondere für das dem Vorhaben unmittelbar gegenüber stehende
Haus I. 00 gelte. Es sei im Übrigen zweifelhaft, ob das von ihnen bewohnte Haus Nr. 00
drei Vollgeschosse aufweise. Das Haus sei nicht unterkellert, das Erdgeschoss sei ein
Garagengeschoss nebst Heizungsraum und weiteren Nebenräumen. Die lichte
Innenhöhe betrage in der Garage 2,0 m und ansonsten 2,10 m. Es bestehe auch keine
wirklich deutliche Höhenstufung zwischen den Häusern mit zwei Vollgeschossen
einerseits und denen mit drei Vollgeschossen andererseits. Die Höhendifferenz
zwischen Flachdach mit zweigeschossiger Bebauung und Flachdach mit
"dreigeschossiger" Bebauung liege nur bei ca. 2,20 m. Die Wandhöhe des Gebäudes I.
00 betrage 6,89 m, die des Gebäudes I. 00 betrage 7,75 m, so dass nur eine
Höhendifferenz von 0,86 m gegeben sei.
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Die Kläger beantragen, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 3.
November 2009 zu verpflichten, ihren Antrag auf Erteilung eines Bauvorbescheids vom
8. Juni 2009 für eine Dachgeschossaufstockung auf das Einfamilienhaus I. 00, 00000
Bergheim (Gemarkung I1. , Flur 00, Flurstück 000) positiv zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweis sie im Wesentlichen auf die Ausführungen im Bescheid vom 3.
November 2009.
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Der Vorsitzende hat die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf die Terminsniederschrift vom 15. April 2010 verwiesen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden
einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e Der Vorsitzende kann als
Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten anstelle der Kammer entscheiden (§
87 a Abs. 3 VwGO).
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Die Verpflichtungsklage der Kläger ist zulässig, aber nicht begründet. Die Kläger haben
keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bauvorbescheids, da ihrem Vorhaben
öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen stehen (§ 71 Abs. 2 i. V. m. § 75 Abs. 1 Satz 1
BauO NRW). Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 3. November 2009 ist
rechtmäßig und verletzt die Kläger deshalb nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO).
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Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig. Grundlage der planungsrechtlichen
Beurteilung ist § 34 BauGB, denn das Vorhaben liegt nicht im Geltungsbereich eines
Bebauungsplans, wohl aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im
Sinne dieser Bestimmung. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben nur
zulässig, wenn es sich u. a. nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der
näheren Umgebung einfügt. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
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Bei der Beurteilung, ob sich ein Bauvorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung im
Rahmen der Umgebungsbebauung hält, ist in erster Linie auf solche Maße abzustellen,
die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die
vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander
setzen lassen. Ihre (absolute) Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei
offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, prägen
das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als
Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. März 1994 - 4 C 18/92 -, BVerwGE 95,
277 - 284; Beschluss vom 21. Juni 1996 - 4 B 84/96 -, BRS 58 Nr. 83; Hofherr in Berliner
Kommentar zum Baugesetzbuch, 3. Auflage, § 34 Rdnr. 31 m. w. N..
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Der als "nähere Umgebung" für das Einfügen des Bauvorhabens maßgebliche Bereich
reicht soweit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens
auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des
Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst,
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ständige Rechtsprechung seit Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 C
9.77 -, BVerwGE 55, 369, 380.
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Die maßgebliche nähere Umgebung des Baugrundstücks umfasst danach, soweit es
das hier allein entscheidungserhebliche Maß der baulichen Nutzung betrifft, nach dem
Eindruck von der Örtlichkeit, den das Gericht im Ortstermin gewonnen hat und der durch
die vorliegenden Lichtbilder und das vorhandene Kartenmaterial bestätigt wird, den
bebauten Grundstücksbereich am südöstlichen Rand des Stadtteils Bergheim-G. ,
östlich der L 000 und südlich der N. Straße, der dort entlang dieser Straße und der
Straße I. gelegen sind. Die Baulichkeiten in diesem von der übrigen Bebauung deutlich
abgegrenzten Siedlungsstück prägen nach ihrer Höhe und Geschossigkeit einerseits
das Grundstück der Kläger, andererseits kann sich das streitige Vorhaben nach dem
Maß der geplanten baulichen Nutzung auch auf diese beschriebene Umgebung
auswirken. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten im Übrigen kein Streit.
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Die Liegenschaften in dieser für die bauplanungsrechtliche Beurteilung relevanten
Umgebung weisen nach den Feststellungen des Gerichts im Ortstermin vom 15. April
2010 eine Bebauung mit zwei bzw. drei über die Geländeoberfläche hinausragenden
Geschossen auf. Entlang der westlichen Seite der Straße I. sind die Grundstücke
bislang ausschließlich dreigeschossig mit jeweiligen Flachdächern bebaut. Dabei
kommt es rechtlich nicht auf die von den Klägern aufgeworfene Frage an, ob ihr
Wohnhaus drei Vollgeschosse aufweist. Die für die Beurteilung im Rahmen von § 34
Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebliche Geschosszahl richtet sich allein nach der in der
näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Geschosszahl. Zur Bestimmung dieser
Geschosszahl ist nicht auf die Feinheiten des landesrechtlichen Vollgeschossbegriffs
(vgl. § 20 Abs. 1 BauNVO i. V. m. § 2 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW) abzustellen. Auch
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kommt es nicht darauf an, wie das Geschoss konkret baulich genutzt wird. Entscheidend
ist vielmehr allein, ob sich das Gebäude nach seinen nach außen wahrnehmbaren
Maßen in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt,
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. März 1994, a. a. O..
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Nach den Feststellungen im Ortstermin wirkt das Wohngebäude der Kläger auf den
Betrachter optisch eindeutig dreigeschossig. Die sichtbaren Geschosse sind in vollem
Umfang oberirdisch angelegt. Das trifft auch auf das Erdgeschoss zu, das entgegen der
Auffassung der Kläger nicht wie ein Keller- oder Garagengeschoss wirkt. In ihm befindet
sich der Hauseingang, neben dem ein Fenster angeordnet ist, das optisch den Eindruck
eines Wohnraumfensters vermittelt. Optisch ebenfalls dreigeschossig wirken nach den
Feststellungen des Gerichts im Ortstermin, wie auch durch die in diesem Termin
gefertigten Fotografien belegt wird, die Wohngebäude auf den Grundstücken I. 0 bis 00.
Im Übrigen hat das Gericht keine Zweifel, dass auch das Erdgeschoss des streitigen
Wohnhauses der Kläger bauplanungsrechtlich als Vollgeschoss zu qualifizieren ist.
Vollgeschosse sind nach § 20 Abs. 1 BauNVO i.V.m. § 2 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW
Geschosse, deren Deckenoberkante im Mittel mehr als 1,60 m über die
Geländeoberfläche hinausragt und die eine Höhe von mindestens 2,30 m haben. Die
Höhe der Geschosse wird von der Oberkante Fußboden bis zur Oberkante Fußboden
der darüber liegenden Decke gemessen (§ 2 Abs. 5 Satz 4 BauO NRW). Danach ist das
Erdgeschoss des Hauses I. 00 eindeutig ein Vollgeschoss, es weist insbesondere die
erforderliche Höhe auf. Diese Höhe beträgt 2,375 m, wie sich aus der dem Antrag vom
8. Juni 2009 beigefügten Schnittzeichnung ergibt.
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Östlich der Straße I. und südlich der N. Straße sind die Grundstücke überwiegend mit
zweigeschossigen Wohngebäuden mit Flachdächern bebaut. Nur die Gebäude auf den
Grundstücken I. 0, 00, 00 und 00 weisen eine andere Geschosszahl auf. Diese
ursprünglich ebenfalls zweigeschossigen Gebäude sind in der Vergangenheit mit
Genehmigung der Beklagten jeweils um ein Dachgeschoss mit Satteldach aufgestockt
worden.
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In diesen so bestimmten Rahmen fügt sich das Vorhaben der Kläger nicht ein. Ihr
Wohnhaus soll aufgestockt werden um ein Dachgeschoss mit einer Gesamthöhe (bis
zur Firstoberkante) von 3,60 m, wodurch eine Wohnfläche von ca. 35,41 qm gewonnen
werden soll. Für ein Bauvorhaben mit einer derartigen Geschosszahl (drei Geschosse
plus Dachgeschoss) gibt es in der maßgeblichen Umgebung kein Vorbild. Maximal
vorhanden sind darin, wie aufgezeigt, Gebäude mit drei Geschossen bzw. zwei
Geschossen nebst Dachgeschoss.
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Auch nach seiner geplanten Höhe fügt sich das Vorhaben der Kläger nicht in die nähere
Umgebung ein. Die eingereichten Bauvorlagen belegen, dass der First des Hauses das
Niveau der Flachdächer der nördlich anstoßenden dreigeschossigen Gebäude um ca.
3,50 m überragen soll. Nach den Feststellungen der Beklagten soll der First des
geplanten Vorhabens auch ca. 2,50 m über dem Niveau der Firste der mit einem
Satteldach versehenen zweigeschossigen Gebäude in der näheren Umgebung liegen.
Das Gericht sieht auch aufgrund der Ausführungen der Kläger im Schriftsatz vom 21.
April 2010, die sie in der mündlichen Verhandlung nochmals unter Hinweis auf ein von
ihrem Architektenbüro erstelltes Höhenschema vom 18. April 2010 erläutert haben,
keinen Grund an der Richtigkeit dieser Feststellungen im Ergebnis zu zweifeln. Die
Kläger stellen nämlich lediglich auf die Wandhöhe des Gebäudes I. 00, nicht aber auf
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die allein maßgebliche Gesamthöhe des Hauses (einschließlich First) ab, die nach dem
von ihnen vorgelegten HöheHöHöhenschema 8,35 m betragen soll. Nach der dem
Antrag der Kläger auf Erteilung eines Bauvorbescheids beigefügten Schnittzeichnung
hätte ihr Bauvorhaben nach Fertigstellung aber eine Gesamthöhe (einschließlich First)
von 11,51 m. Auch nach dem eigenen Vortrag der Kläger hält ihr Bauvorhaben damit
wegen der sich errechnenden Höhendifferenz von deutlich über 3 m zum Gebäude Nr.
00 den vorgegebenen Rahmen nicht ein.
Hat das strittige Vorhaben der Kläger nach alledem, soweit es das Merkmal des Maßes
der baulichen Nutzung betrifft, kein Vorbild in der maßgeblichen Umgebung und
überschreitet es damit den aus seiner Umgebung abgeleiteten Rahmen, ist es auch
nicht - ausnahmsweise - zulässig, weil es keine bodenrechtlich relevanten Spannungen
hervorrufen würde,
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vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 1978, a. a. O.; Hofherr, a. a. O.,
§ 34 Rdzif. 20 m. w. N..
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Bodenrechtliche Spannungen sind hier im Gegenteil zu bejahen, weil das den Rahmen
überschreitende Vorhaben wegen der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung für eine
weitere Bebauung in Gestalt der Aufstockung mit einem Dachgeschoss die gegebene
Situation in negativer Hinsicht in Bewegung bringt und verschlechtert,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 1994, - 4 C 13.93 -, BRS 56
Nr. 61.
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Ließe man das strittige Bauvorhaben nämlich zu, bestünde die konkrete Gefahr, dass
auch die weiteren Gebäude auf den Grundstücken I. 0 - 00 jeweils mit einem
Dachgeschoss in der geplanten Dimension aufgestockt würden. Entsprechende
Bauwünsche könnte die Beklagte dann schwerlich verhindern.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung des Bauvorhabens der Kläger lassen sich nach
allem nur unter Einsatz der Mittel der Bauleitplanung schaffen, nach § 34 BauGB ist das
Vorhaben hingegen nicht realisierbar. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1,
159 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich
aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.
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