Urteil des VG Hannover vom 15.11.2012

VG Hannover: vorzeitige auflösung, besoldung, verminderung, rechtfertigung, niedersachsen, vergleich, versorgung, nachzahlung, entlastung, anpassung

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Auflösung der Versorgungsrücklage
Nach Auflösung der Niedersächsischen Landesversorgungsrücklage haben
Beamtinnen und Beamte keinen Anspruch auf Nachzahlung von Bezügen.
VG Hannover 2. Kammer, Urteil vom 15.11.2012, 2 A 1918/11
§ 14 BBesG, § 14a BBesG, Art 125a Abs 1 GG, Art 33 Abs 5 GG, Art 74 Abs 1 Nr 27
GG, § 1 Abs 3 BesG ND, § 2 S 2 VersRücklG ND, § 6 Abs 3 VersRücklG ND
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig
vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist mit Ablauf des Monats Juli 2006 als Ministerialrat (A16) in den
Ruhestand getreten und bezieht seitdem Versorgungsbezüge. Er begehrt mit
seiner Klage u. a. die Nachzahlung von Besoldung und Versorgungsbezügen,
weil das Sondervermögen „Niedersächsische Landesversorgungsrücklage“
vorzeitig aufgelöst worden ist.
Durch Artikel 5 Nr. 4 des Gesetzes zur Umsetzung des Versorgungsberichts
vom 29.06.1998 wurde § 14a in das Bundesbesoldungsgesetz (BBesG)
eingeführt. Danach soll eine Versorgungsrücklage als Sondervermögen durch
eine verminderte Anpassung der Besoldung und Versorgung um jeweils 0,2
Prozent gegenüber der Tariferhöhung aufgebaut werden. Zunächst sah die
Regelung vor, dass die gemäß § 14 BBesG regelmäßig vorzunehmenden
Besoldungs- und Versorgungsanpassungen in der Zeit vom 01.01.1999 bis zum
31.12.2013 um durchschnittlich jeweils 0,2 % vermindert werden; nach einer
Änderung des § 14a BBesG mit Wirkung vom 01.01.2003 sollte die
Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen zeitweise
ausgesetzt, danach aber wieder bis zum Jahr 2017 mit 0,2 Prozentpunkten je
Gehaltsanpassung fortgeführt werden. Die Unterschiedsbeträge gegenüber der
nichtverminderten Anpassung sollten einem Sondervermögen zugeführt
werden. Dieses Sondervermögen soll dazu beitragen, die Beamtenversorgung
angesichts der demografischen Veränderungen und des Anstiegs der Zahl der
Versorgungsempfänger auch in Zukunft sicherzustellen. Die Mittel des
Sondervermögens dürfen deshalb gemäß § 14a Abs. 2 Satz 3 BBesG nur zur
Finanzierung von Versorgungsausgaben verwendet werden.
Auf besoldungs- und versorgungsrechtlicher Ebene vollzog der Gesetzgeber
das Programm des § 14a BBesG erstmals durch das Gesetz über die
Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1999
(BBVAnpG 1999) vom 19.11.1999 und das BBVAnpG 2000 vom 19.04.2001.
Aufgrund des BBVAnpG 1999 stiegen die Bezüge der Beamten mit Wirkung
zum 01.06.1999 um 2,9 %. Durch das BBVAnpG 2000 wurden die Bezüge zum
01.01.2001 um 1,8 % und zum 01.01.2002 um 2,2 % angehoben. Die
Erhöhungen blieben damit um jeweils 0,2 % hinter den Tarifabschlüssen für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst zurück.
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Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst zurück.
Die näheren Regelungen über die Bildung einer Versorgungsrücklage für das
Land Niedersachsen erfolgten durch das Niedersächsische
Versorgungsrücklagegesetz vom 16.11.1999 (NVersRücklG - Nds. GVBl. Seite
388). Damit wurde die Bundesgesetzgebung im Bereich des Landes
Niedersachsen umgesetzt. Dieses Gesetz sah zunächst vor, dass die durch die
um jeweils 0,2 Prozentpunkte verringerten Besoldungs- und
Versorgungsanpassungen eingesparten Mittel dem Sondervermögen unter den
Namen "Niedersächsische Landesversorgungsrücklage" zugeführt werden, um
ab dem Jahr 2014 (nach der Änderung des Gesetzes im Dezember 2002 ab
dem Jahr 2018) als Kapitalstock zu dienen und für Versorgungsaufwendungen
verwendet zu werden.
Das Niedersächsische Versorgungsrücklagegesetz wurde mit Gesetz vom
28.10.2009 (Nds. GVBl Seite 402) geändert. So wurde § 2 Satz 2 neu gefasst.
Danach dürfen die Versorgungsrücklagen bereits ab dem Haushaltsjahr 2009
nach Maßgabe des Haushaltsrechts für Versorgungsaufwendungen eingesetzt
werden. § 6 Absatz 3 Versorgungsrücklagegesetz wurde dahingehend
geändert, dass Zuführungen an das Sondervermögen für die Haushaltsjahre ab
2010 nicht mehr geleistet werden.
Mit Schreiben vom 16.04.2010 beantragte der Kläger beim Niedersächsischen
Finanzministerium, die ihm in den Jahren 1999 bis 2002 im Vergleich zum
Tarifbereich um jeweils 0,2 % verminderten Besoldungsanpassungen
nachzuzahlen und seine Versorgungsbezüge um die Minderungsbeträge
anzuheben. Zur Begründung führte er aus: Die Inanspruchnahme des
Sondervermögens bereits ab 2009 führe zu einer nahezu vollständigen Abkehr
von dem ursprünglichen Zweck des Sondervermögens, finanzielle Probleme
des Landeshaushalts durch Versorgungsaufwendungen bei der
Ruhestandsversetzung geburtenstarker Jahrgänge abzufedern. Das Land
Niedersachsen habe die Versorgungsrücklage faktisch abgeschafft und wolle
die in den Jahren 1999 bis 2002 gebildeten Rückstellungen und darauf
basierende Erträge bereits ab dem Jahr 2009 für versorgungsrechtliche
Aufwendungen verwenden. Dadurch habe der Landesgesetzgeber der
Versorgungsrücklage und der Verminderung der Anhebung der Besoldungs-
und Versorgungsanpassungen rückwirkend die Rechtfertigung genommen. Der
ursprünglich vorgesehe und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Zweck,
die Entlastung des Haushalts im Falle der Ruhestandsversetzung
geburtenstarker Jahrgänge, könne nicht mehr erreicht werden.
Mit Schreiben vom 02.06.2010 wies das Niedersächsische Finanzministerium
den Antrag auf Nachzahlung von Bezügen zurück. Daraufhin bat der Kläger das
Finanzministerium darum, auch über seinen Antrag auf Anhebung der
Versorgungsbezüge zu entscheiden. Das Finanzministerium leitete den
Vorgang deshalb an die Beklagte weiter. Diese behandelte den Antrag als
beamtenrechtlichen Widerspruch, lehnte die Anhebung der Versorgungsbezüge
des Klägers um die Minderungsbeträge in den Jahren 1999 bis 2002 mit
Bescheid vom 12.04.2011 ab und wies den Widerspruch zurück.
Am 09.05.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor:
Mit seiner Klage gehe es ihm nicht um die Nachzahlungen der in den Jahren
1999 bis 2002 verminderten Besoldungsanpassungen. Es gehe ihm vielmehr
um den Ausgleich der sogenannten Basiseffekte. Seine Versorgung sei ab dem
Jahr 2010 nämlich nicht um die verminderten Beträge der
Besoldungsanpassungen erhöht worden. Die besoldungsrechtlichen
Auswirkungen der im Vergleich zum Tarifbereich verminderten
Besoldungsanpassungen hätten sich mithin versorgungswirksam fortgesetzt. Im
verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2009
habe er eine "fiktive Eigenbeteiligung" von insgesamt 777,22 Euro geleistet.
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Mit dem Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen
Versorgungsrücklagegesetzes vom 28.10.2009 habe der Gesetzgeber
entschieden, dass für die Haushaltsjahre ab 2010 keine Zuführungen mehr an
das Sondervermögen "Niedersächsische Landesversorgungsrücklage" geleistet
werden und die Versorgungsrücklage ab dem Haushaltsjahr 2009 für
Versorgungsaufwendungen nach Maßgabe des Haushaltsrechtes eingesetzt
werde. Damit würden die eingebrachten Versorgungsrücklagen einschließlich
der Erträge in Niedersachsen zwar weiterhin einer Verwendung für
Versorgungszwecke vorbehalten. Die Verwendungsmöglichkeit der
Rückstellungen ab dem Jahr 2009 führe gleichwohl zu einer nahezu
vollständigen Abkehr von dem ursprünglichen Zweck des Sondervermögens,
finanzielle Probleme des Landeshaushaltes durch Versorgungsaufwendungen
bei der Ruhestandsversetzung geburtenstarker Jahrgänge abzufedern. Auch
Niedersachsen werde künftig mit Problemen der Finanzierbarkeit steigender
Versorgungsleistungen konfrontiert sein. Die Zahl der Versorgungsempfänger
beim Bund sei nach dem dritten Versorgungsbericht der Bundesregierung aus
2005 kontinuierlich gesunken. Im Vergleich dazu sei die Zahl der
Versorgungsempfänger in den Ländern gestiegen. Dies solle bis zum Jahr 2050
auch so bleiben. Eine größere Steigerung sei für den Zeitraum zwischen 2015
und 2020 berechnet worden. Für diesen Zeitraum sei die Versorgungsrücklage
ursprünglich gedacht gewesen.
Durch die faktische Abschaffung des Sondervermögens habe der
Landesgesetzgeber der Versorgungsrücklage durch die im Vergleich zum
Tarifbereich verminderten Bezügeanpassungen im Nachhinein die sachliche
Rechtfertigung genommen. Zumindest bestehe keine Rechtfertigung für die sich
fortsetzende Basiseffekte auch zu seinen Lasten. Obgleich die Rückstellungen
versorgungsrechtlich Verwendung finden müssen, könne der ursprünglich
vorgesehene und vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Zweck, die
Entlastung des Haushaltes im Falle der Ruhestandversetzung geburtenstarker
Jahrgänge, nicht mehr erreicht werden, insbesondere nicht durch die
Basiseffekte. Eine allgemeine Verwendung der Rückstellungen für
Versorgungsbezüge, eine Verwendung also unabhängig vom Zahlenmaterial im
ersten Versorgungsbericht, sei nicht vorgesehen gewesen. Nicht vorgesehen
sei auch gewesen eine allgemeine Verwendung der sich durch die faktische
Abschaffung des Sondervermögens ergebenden Basiseffekte.
Auf Rückstellungen zurückzuführende künftige Einsparungen, die nicht in
Sondervermögen einflössen, führten ausschließlich zu einer allgemeinen
Entlastung des Haushaltes. Ihre Verwendung stehe nicht mehr unter der
Bedingung des Einsatzes für Versorgungsaufwendungen. Dadurch, dass ab
dem Jahr 2010 keine versorgungsrechtlichen Rückstellungen mehr erfolgten,
die im Vergleich zum Tarifbereich in dem Jahre 1999 bis 2002 nur vermindert
angehobenen Besoldungs- und Versorgungsbezüge aber auch nach
Aufzehrung des angesparten Kapitals und seiner Erträge fortwirkten, leisteten
die Beamten und Versorgungsempfänger daher ein tatsächlich nicht mehr
gerechtfertigtes Sonderopfer zur Konsolidierung des Haushaltes. Die durch die
verminderten Anpassungen erzielten Einsparungen und Erträge kämen
spätestens nach dem Verbrauch des Kapitals für Versorgungsaufwendungen
Versorgungsempfängern nicht mehr zugute, würden also systemfremd
verwendet. Das Bundesverfassungsgericht habe aber einen allgemeinen
Beitrag der Beamten zur Entlastung der Haushalt nicht gebilligt.
Es könne angesichts des starken Zuwachses der Versorgungsempfänger in
Niedersachsen im Zeitraum von 2009 bis 2030 auch nicht die Rede davon sein,
dass das Sondervermögen nach aktuellen Prognosen nicht mehr sinnvoll sei. Im
Übrigen werde es als Verstoß gegen das beide Seiten bindende
beamtenrechtliche Fürsorge- und Treueverhältnis bewertet, wenn die
Differenzbeträge auch künftig ohne eine dies rechtfertigende
Versorgungsrücklage einbehalten würden.
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Der niedersächsische Landesgesetzgeber sei zudem verpflichtet gewesen, vor
der faktischen Abschaffung des Sondervermögens den sogenannten
Programmsatz des § 14a BBesG (als Landesrecht) in der bis zum 31.08.2006
gültigen Fassung zu ändern oder zu streichen. Zur Zeit bestehe eine
verfassungsrechtlich unzulässige Mischlage aus Bundes- und Landesrecht für
ein und denselben Regelungsgegenstand.
Der Kläger beantragt,
den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.04.2012 aufzuheben
und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Zuführungen zum
Sondervermögen im Zeitraum vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2009 aus
den im Vergleich zum Tarifbereich um jeweils um 0,2 % verminderten
Besoldungsanpassungen in den Jahren 1999 bis 2001 nachzuzahlen
sowie festzustellen, dass das Vorenthalten der sogenannten Basiseffekte,
die durch die Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassung
von 1999 bis 2002 zum Zwecke der Bildung einer Versorgungsrücklage
entstanden sind, rechtswidrig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin: Auch als Teil der Gesamtausgaben des Landes kämen die
Entnahmen aus dem Sondervermögen der Finanzierung der
Versorgungsausgaben und damit den Versorgungsempfängern zugute.
Als normenausführende Behörde sei sie an Gesetz und Recht gebunden und
könne in ihren Entscheidung nicht über bestehende Regelungen der
Tabellenwerke als Bestandteil der besoldungs- und versorgungsrechtlichen
Vorschriften hinausgehen. Die Bezügezahlungen an den Kläger seien im
Einklang mit den Vorschriften ergangen.
Hervorzuheben sei die Vorschrift des § 1 Absatz 3 NBesG. Hiernach gelten "…
die sonstigen bis zum 31.08.2006 gültigen bundesrechtlichen Vorschriften fort,
soweit sich aus diesem Gesetz oder anderen Landesgesetzen nicht anderes
ergebe." Bezogen auf den konkreten Fall sei mit "anderen Landesgesetzen" das
Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Versorgungsrücklagegesetzes
vom 28.10.2009 gemeint. Durch diese gesetzgeberische Maßnahme sei es
nicht erforderlich, den ab 01.09.2006 als Landesrecht weiter geltenden § 14a
BBesG formell zu ersetzen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage bleibt sowohl mit dem Verpflichtungs- als auch mit dem
Feststellungsantrag ohne Erfolg.
1.) Die Klage ist unbegründet, soweit sie sich darauf richtet, die Beklagte zu
verpflichten, dem Kläger die Zuführungen zum Sondervermögen im Zeitraum
vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2009 aus den im Vergleich zum Tarifbereich um
jeweils um 0,2 Prozent (richtiger: Prozentpunkte) verminderten
Besoldungsanpassungen nachzuzahlen. Weil der Kläger mit Ablauf des Juli
2006 in den Ruhestand getreten ist, macht er insoweit einen Anspruch auf
Nachzahlung sowohl von Besoldung als auch von Versorgungsbezügen
geltend. Für den Anspruch auf Nachzahlung von Bezügen fehlt es aber an
einer Rechtsgrundlage. § 2 Abs. 1 BBesG bestimmt, dass die Besoldung der
Beamten, Richter und Soldaten durch Gesetz geregelt wird. Nach § 3 Abs. 1
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BeamtVG wird auch die Versorgung der Beamten und ihrer Hinterbliebenen
durch Gesetz geregelt. Die strikte Gesetzesbindung der Besoldung und
Versorgung stellt einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums nach
Artikel 33 Abs. 5 GG dar. Sie besagt, dass Beamten, Richtern und Soldaten ein
Gehalts- bzw. ein Versorgungsanspruch ausschließlich nach Maßgabe der
gesetzlichen Vorschriften zusteht. Der Grundsatz der strikten Gesetzesbindung
beruht u. a. auf der Erwägung, dass vom positiven Recht losgelöste richterliche
Einzelentscheidungen das für die Stabilität und Leistungsfähigkeit des
öffentlichen Dienstes wichtige Besoldungsgefüge erschüttern könnten. Es
könnte dann jeder einzelne Beamte unter Berufung darauf, dass das geltende
Besoldungs- und Versorgungsrecht nicht dem Gleichheitsgebot, dem
Alimentationsgrundsatz oder anderen Verfassungsvorschriften entspreche,
einen Anspruch auf weitere und höhere als die gesetzlich bestimmten Bezüge
geltend machen und gerichtlich durchsetzen. Angesichts der Breitenwirkung
solcher - möglicherweise auch noch unterschiedlicher - Gerichtsentscheidungen
auf die große Zahl vergleichbarer Beamter und Versorgungsberechtigter würde
dadurch die Gleichbehandlung der Beamten, das beamtenrechtliche
Besoldungs- und Versorgungsgefüge sowie das Recht der öffentlichen
Haushalte in unerträglicher Weise gestört (ZAP, Kommentar zum
Besoldungsgesetz, 1. Auflage 2011, Dawin).
Eine gesetzliche Vorschrift, die dem Kläger einen Anspruch auf Nachzahlung
der ihm vorenthaltenen "Basiseffekte" der verminderten
Besoldungsanpassungen aus den Jahren 1999 bis 2001 verschafft, gibt es
nicht. Der Kläger hat die Besoldung und die Versorgung erhalten, die ihm nach
den geltenden Gesetzen zusteht.
2. a) Die von dem Kläger erhobene Feststellungsklage ist zulässig. Das
erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Nur mit der Feststellungsklage
kann der Kläger sein von ihm geltend gemachtes subjektiv öffentliches Recht
auf Nachzahlung der ihm seiner Auffassung nach zu Unrecht vorenthaltenen,
durch die verminderten Bezügeanpassungen entstandenen Basiseffekte
sichern.
Die Feststellungsklage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Dass dem Kläger
die in Rede stehenden Basiseffekte vorenthalten werden, erweist sich nicht als
rechtswidrig.
b) Die Klagebegründung geht im Ausgangspunkt zu Recht davon aus, dass die
Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen durch die
BBVAnpG 1999 und 2000 sich nicht nur Jahren 1999, 2000, 2001 und 2002
auswirkt, auf die sich diese Vorschriften ausdrücklich beziehen. Die
verminderten Besoldungsanpassungen um jeweils 0,2 % gegenüber den
Tariferhöhungen im Arbeitnehmerbereich haben sich vielmehr auch nach 2002
besoldungs- bzw. versorgungsmindernd ausgewirkt, weil sich die jeweiligen
Besoldungserhöhungen immer auf der Grundlage der abgesenkten Besoldung
berechneten. Die so erzielten „Basiseffekte“ wurden ebenfalls dem
Sondervermögen zugeführt. Dies lässt sich auch § 14a Abs. 2a Satz 2 BBesG
entnehmen: die Vorschrift bestimmt, dass - auch soweit die Anpassung der
Besoldung nach dem 31.12.2002 ausgesetzt war - die auf vorangegangenen
Anpassungen beruhenden weiteren Zuführungen an die Versorgungsrücklage
unberührt bleiben.
Soweit der Kläger argumentiert, das Vorenthalten dieser Basiseffekte sei im
Hinblick auf die Regelungen des Gesetzes zur Änderung des
Niedersächsischen Versorgungsrücklagegesetzes vom 28.10.2009, nach
denen für die Haushaltsjahre ab 2010 keine Zuführungen mehr an das
Sondervermögen "Niedersächsische Landesversorgungsrücklage" geleistet und
Versorgungsrücklagen in Sondervermögen ab dem Haushaltsjahr 2009 für
Versorgungsaufwendungen nach Maßgabe des Haushaltsrechtes eingesetzt
werden, rechtswidrig, ist dem allerdings nicht zu folgen.
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c) Der Landesgesetzgeber durfte sich mit dem Gesetz zur Änderung des
Niedersächsischen Versorgungsrücklagegesetzes vom 28.10.2009 von den
Vorgaben des § 14a BBesG lösen und die Versorgungsrücklage vorzeitig
auflösen. Im Zuge der sog. Föderalismusreform (vgl. Gesetz zur Änderung des
Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034), die am 1.09.2006 in
Kraft getreten ist, ist nämlich unter anderem die Regelung der Besoldung und
Versorgung der Landesbeamten Ländersache geworden. Nach der neu
geschaffenen Zuständigkeitsregelung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG erstreckt sich
die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nunmehr auf Statusrechte und -
pflichten der Beamten der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des
öffentlichen Rechts sowie der Richter in den Ländern mit Ausnahme der
Regelungen zur Laufbahn, Besoldung und Versorgung. Für die vorbezeichneten
drei Rechtsbereiche ist nunmehr die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz
der Länder gegeben. Auf der Grundlage des Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG gelten
die bis dahin vom Bundesgesetzgeber verabschiedeten Regelungen zum
Laufbahn-, Besoldungs- und Versorgungsrecht - also auch das BBesG - als
Bundesrecht fort; dieses kann aber gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch
Landesrecht ersetzt werden. Die Fortgeltungsklausel in Satz 1 verlängert nicht
die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, sondern soll lediglich eine
Regelungslücke bis zum Inkrafttreten des jeweiligen Landesrechts vermeiden
(vgl. BVerwG, Urteil vom 20.03.2008 - 2 C 49.07 - , juris, OVG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 30.01.2012 - 3 A 555/10, juris)
Ob es zu einer Ersetzung von Bundesrecht durch Landesrecht kommt, steht im
Ermessen des jeweiligen Landes, da dieses ausweislich des eindeutigen
Wortlautes der Norm ("kann") grundsätzlich nicht verpflichtet ist, von der
Ersetzungsbefugnis Gebrauch zu machen. Mit "ersetzen" ist nicht "ändern"
gemeint. Eine Ersetzung i.S.d. Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG liegt vor, wenn das
Land rechtliche Be-
stimmungen anordnet, durch die es die betreffende Materie in eigener
Verantwortung regelt. "Ersetzen" bedeutet nicht, dass ein Land ein
bundesrechtliches Regelungswerk vollumfänglich durch landesrechtliche
Bestimmungen ersetzen muss; daher reicht auch eine partielle Ersetzung des
fortgeltenden Bundesrechts aus, wenn es sich um einen abgrenzbaren
Teilbereich einer Materie handelt und die verbleibende bundesrechtliche
Regelung sinnvoll bleibt (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.01.2012
- 3 A 555/10, juris).
Der Landesgesetzgeber hat in § 1 Abs. 3 NBesG bestimmt, dass für die
Besoldung der niedersächsischen Beamtinnen und Beamten die bis zum
31.08.2006 gültigen bundesrechtlichen Vorschriften fortgelten, soweit sich aus
diesem Gesetz (dem NBesG) oder anderen Landesgesetzen nichts anderes
ergibt. Ein anderes Landesgesetz im Sinne dieser Vorschrift ist das
NVersRücklG in der durch Gesetz vom 28.10.2009 geänderten Fassung (vgl.
Kümmel/Pohl, Kommentar zum Besoldungsrecht Niedersachsens, BBesG
14a/10 bis 14a/13). Mit diesem Gesetz ist nicht etwa eine verfassungsrechtlich
unzulässige „Mischlage“ entstanden ist, wie die Klägerpartei bemängelt.
Vielmehr hat der Landesgesetzgeber das fortgeltende BBesG im Hinblick auf die
Regelungen über die Versorgungsrücklage partiell ersetzt und damit von seiner
durch die Föderalismusreform gewonnen Gesetzgebungskompetenz für einen
abgrenzbaren Teilbereich Gebrauch gemacht.
d) Das Vorenthalten der sogenannten Basiseffekte ist auch nicht rechtswidrig,
weil der Verminderung der Bezügeanpassungen in den Jahren 1999 bis 2002
durch die Änderung des NVersRücklG durch das Gesetz vom 28.10.2009
„nachträglich die sachliche Rechtfertigung genommen wurde“, wie der Kläger
argumentiert.
aa. Es ist bereits fraglich, ob die Verminderung der Bezügeanpassungen im
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Vergleich zum Tarifbereich durch das BBVAnpG 1999 und das BBVAnpG 2000
überhaupt einer sachlichen Rechtfertigung bedurfte. Das
Bundesverfassungsgericht hat in einem Nichtannahmebeschluss vom
24.09.2007 (2 BvR 1673/03 u.a., juris) zu der Frage, ob die
Anpassungsverminderungen durch die BBVAnpG 1999 und 2000 mit dem
beamtenrechtlichen Alimentationsprinzip vereinbar sind, offen gelassen, ob es
sich bei diesen Anpassungsverminderungen um echte rechtfertigungsbedürftige
Kürzungen der Besoldungs- und Versorgungsbezüge handele oder ob darin
keine Kürzungen im Eigentlichen zu sehen seien, die wegen des sehr weiten
Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers keiner besonderen Rechtfertigung
bedürfen. Das Bundesverfassungsgericht musste sich in dieser Frage nicht
entscheiden, weil, selbst wenn es sich bei den Anpassungsverminderungen um
echte rechtfertigungsbedürftige Kürzungen der Besoldungs- und
Versorgungsbezüge handeln würde, diese gerechtfertigt wären, weil es hierfür
sachliche Gründe gebe. Diese lägen darin, dass der Gesetzgeber mit den
Verminderungen der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen eine
Versorgungsrücklage begründen wollte, um dem Anstieg der Versorgungslasten
zu begegnen.
bb. Aus Sicht der Kammer spricht vieles dagegen, dass es sich bei den
Verminderungen der Bezügeanpassungen um rechtfertigungsbedürftige
Kürzungen handelt. Die einfachgesetzliche Verpflichtung in § 14 BBesG und §
70 Abs. 1 BeamtVG , die Bezüge der Beamten durch eine Erhöhung oder auch
eine Verminderung der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und
finanziellen Verhältnisse anzupassen, stellt sich nämlich als Konkretisierung des
Alimentationsgrundsatzes aus Art. 33 Abs. 5 GG dar (vgl. BVerfGE 56, 353,
361). Bei der Konkretisierung der aus Art. 33 Abs. 5 GG resultierenden Pflicht
zur amtsangemessenen Alimentierung hat der Gesetzgeber aber einen weiten
Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfGE 8, 1, 22 f; 76, 256, 295; 81, 363,375 f.; 114,
258, 288; stRspr). Die Vorstellung, für die Verminderung der Besoldungs- und
Versorgungsanpassungen bedürfe es einer sachlichen Rechtfertigung, dürfte
auf dem fehlerhaften Verständnis beruhen, es würden von den Beamtinnen und
Beamten persönlich erwirtschaftete und ihnen persönlich zustehende Beträge
abweichend von der ursprünglichen Zielsetzung verwendet (vgl. Kümmel/Pohl,
Kommentar zum Besoldungsrecht Niedersachsens, BBesG 14a/8).
cc. Letztlich kann das Gericht diese Frage aber offen lassen. Selbst wenn die
Verminderung der Besoldungs- und Versorgungsanpassungen zur Bildung
einer Versorgungsrücklage einer sachlichen Rechtfertigung bedürfen, ist diese
durch das Gesetz zur Änderung des NVersRücklG vom 28.10.2009 nicht
nachträglich entfallen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem
Nichtannahmebeschluss vom 24.09.2007(2 BvR 1673/09 u.a., juris) einen
sachlichen Grund für die Verminderung der Besoldungs- und
Versorgungsanpassungen in dem berechtigten Anliegen gesehen, eine
Versorgungsrücklage zu bilden, um dem Anstieg der Versorgungslasten zu
begegnen. An dieser Rechtfertigung hat sich grundsätzlich nicht dadurch etwas
geändert, dass das Sondervermögen "Niedersächsische Versorgungsrücklage"
bereits ab 2009 "nach Maßgabe des Haushalts" für Versorgungsaufwendungen
eingesetzt wird. Denn die Zweckbindung der vorhandenen Mittel - ihre
Verwendung für Versorgungsaufwendungen - wurde beibehalten (§ 2 Abs. 1
Satz 1 NVersRücklG). Die vorzeitige Auflösung der Versorgungsrücklage
gegenüber der ursprünglichen gesetzlichen Planung - nicht vor Ablauf des
31.12.2017 - wurde im Rahmen der parlamentarischen Beratungen außerdem
damit gerechtfertigt, dass nach aktuellen Prognosen in Niedersachsen bereits in
den kommenden Jahren, bis 2014, die stärksten jährlichen Aufwüchse der
Versorgungsausgaben anstehen und diese ab 2015 bereits wieder abflachen
würden. In Anbetracht dieser Entwicklung sei es nicht sinnvoll, im Zeitraum der
stärksten Ausgabensteigerungen der Versorgungsrücklage weitere Beträge
zuzuführen, um diese erst nach dem Abflachen der Steigerung wieder zu
entnehmen (vgl. Zweite Beratung Plenarprotokoll 16/48, 28.10.2009, S. 6097 -
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6120; der Entwurf zur Änderung des NVersRücklG - LT-Drs. 16/1641 - sowie der
schriftliche Bericht - LT-Drs. 16/1792 - gehen auf diesen Gesichtspunkt
allerdings nicht ein). Ob die Bewertung der Prognosen zur Entwicklung der
Versorgungslasten in Niedersachsen zutreffend ist und ob die vorzeitige
Auflösung der Versorgungsrücklage ein geeignetes Mittel ist, um auf diese
Entwicklung zu reagieren, hat das Gericht nicht zu prüfen, weil auch
insoweit der Gesetzgeber einen weiten Einschätzungs- und
Gestaltungsspielraum hat. Die der vorzeitigen Auflösung zugrundeliegende
Erwägung, das Sondervermögen dann in Anspruch zu nehmen, wenn die
Versorgungsaugaben besonders hoch sind, ist jedenfalls nicht offensichtlich
sachwidrig.
e) Soweit der Kläger die Vorenthaltung der sogenannten Basiseffekte deshalb
für rechtswidrig hält, weil die durch die verminderten Anpassungen erzielten
Einsparungen und Erträge spätestens nach dem Verbrauch des Kapitals für
Versorgungsaufwendungen Versorgungsempfängern nicht mehr zugute kämen,
also systemfremd verwendet würden, wird nicht hineichend in den Blick
genommen, dass dies auch nach den Bestimmungen des NVersRücklG bis zu
der Gesetzesänderung vom 28.10.2009 der Fall war. Nach § 6 Abs. 1
NVersRücklG in der bis zum 05.11.2009 geltenden Fassung i.V.m. § 14a Abs. 2
BBesG sollte die Versorgungsrücklage bis zum 31.12.2017 aufgebaut und gem.
§ 2 Satz 2 NVersRücklG in der bis zum 05.11.2009 geltenden Fassung ab dem
01.01.2018 für Versorgungsaufwendungen verwendet werden. Die auf
Rückstellungen zurückzuführenden Einsparungen hätten auch nach der
ursprünglichen Konzeption der Versorgungsrücklage - wenn auch zu einem
späteren Zeitpunkt - ausschließlich zu einer allgemeinen Entlastung des
Haushaltes geführt und wären nicht für Versorgungsaufwendungen eingesetzt
worden.
3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4.) Die Berufung ist nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Klärung der Frage, ob den
Beamtinnen und Beamten die auf den verminderten Versorgungsanpassungen
zum Aufbau des Sondervermögens basierenden Erträge vorenthalten werden
dürfen, nachdem der Landesgesetzgeber entschieden hat, die
Versorgungsrücklage vorzeitig aufzulösen, ist auch im Hinblick auf die nach
Angaben der Beklagten bei ihr ruhenden über 10.000 Widersprüche in
gleichgelagerten Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung.