Urteil des VG Göttingen vom 07.07.2014

VG Göttingen: anspruch auf bewilligung, genehmigung, rückzahlung, vermögensübertragung, ausbildung, schenkung, darlehensvertrag, vormund, datenschutz, gefahr

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Ausbildungsförderung - hier: Antrag nach § 123
VwGO
Eine Darlehensabrede, die ein minderjähriges Kind mit einem Elternteil ohne
die Genehmigung des Familiengerichts trifft, ist zivilrechtlich unwirksam.
VG Göttingen 2. Kammer, Beschluss vom 07.07.2014, 2 B 211/14
§ 27 Abs 1 Nr 2 BAföG, § 1643 Abs 1 BGB, § 1822 Nr 8 BGB
Gründe
Die 1990 geborene Antragstellerin studiert seit dem Wintersemester
2011/2012 an der Antragsgegnerin die Fächer Erdkunde und Französisch auf
Lehramt. Sie beantragte am 26. September 2011, 23. Mai 2012 und 17.
Februar 2014 jeweils Ausbildungsförderungsleistungen bei dem namens und
im Auftrage der Antragsgegnerin handelnden Studentenwerk Göttingen. Bei
diesen Anträgen gab sie jeweils an, Vermögen über dem gesetzlichen
Freibetrag nicht zu haben. Daraufhin erhielt die Antragstellerin von der
Antragsgegnerin zunächst Ausbildungsförderungsleistungen unter
Anrechnung eines geringen Betrages elterlichen Einkommens.
Durch Mitteilung nach § 45 d EStG des Bundesamtes für Finanzen vom 20.
November 2012 erfuhr die Antragsgegnerin davon, dass die Antragstellerin im
Jahr 2011 einen Freistellungsauftrag in Höhe von 132,00 Euro bei der Demir
Halk Bank in Düsseldorf in Anspruch genommen hatte. Auf Nachfrage teilte die
Antragstellerin mit, sie habe bei dieser Bank ein Guthaben in Höhe von
20.650,00 Euro besessen. Dieses Guthaben habe sie am 28. Juni 2011 an
ihren Vater überwiesen. Das Guthaben habe aus zwei Überweisungen
bestanden, die ihr Vater am 11. (in Höhe von 11.500,00 Euro) und 16.
Dezember 2008 (in Höhe von 10.000,00 Euro) zu ihren Gunsten
vorgenommen habe. Sie habe dieses Geld an ihren Vater zurückgezahlt, weil
es sich um ein Darlehen gehandelt habe, das ihr Vater ihr für eine größere
Anschaffung gegeben habe, zu der es dann aber nicht gekommen sei.
Mit Bescheid vom 30. September 2013 nahm die Antragsgegnerin daraufhin
die ergangenen Bescheide für die Bewilligungszeiträume Oktober 2011 bis
August 2013 zurück und forderte von der Antragstellerin zu viel geleistete
Beträge in Höhe von 10.012,00 Euro zurück. Zur Begründung gab sie an, die
Antragstellerin habe mindestens grob fahrlässig die Angabe des
Vermögensbetrages unterlassen, der ihr als solches zuzurechnen sei, auch
wenn er im Zeitpunkt der ersten Antragstellung am 26. September 2011 nicht
mehr bei ihr vorhanden gewesen sei. Denn die Weggabe des Geldes an ihren
Vater sei rechtsmissbräuchlich erfolgt und ausbildungsförderungsrechtlich
daher nicht anzuerkennen. Ein Motiv für das vermeintliche Darlehen sei nicht
zu erkennen. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 1. November 2013
Klage (2 A 901/13) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Auf den Antrag vom 17. Februar 2014 lehnte die Antragsgegnerin die
Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen mit Bescheid vom 30. April
2014 auch für den Zeitraum von Februar 2014 bis April 2015 ab. Die
Antragstellerin hat diesen Bescheid mit Schriftsatz vom 17. Mai 2014 in das
laufende Klageverfahren einbezogen.
Am 10. Juni 2014 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen
gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung von Klage und
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Antrag trägt sie im Wesentlichen vor, sie habe am 28. Juni 2011 durch die
Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 20.650,00 Euro an ihren Vater
lediglich eine ihm gegenüber bestehende Darlehensverbindlichkeit getilgt. Er
habe ihr dieses Darlehen im Dezember 2008 für eine größere Anschaffung
gegeben, zu der es dann aber nicht gekommen sei.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, ihr vorläufig Ausbildungsförderungsleistungen in
gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie vertieft die Begründung ihres Bescheides vom 30. September 2013 und
weist insbesondere darauf hin, dass die angebliche Darlehensabrede unklar
sei. Wenn das Darlehen für eine größere Anschaffung gedacht gewesen sei,
die sich zerschlagen habe, sei nicht zu erklären, warum die Rückzahlung erst
knapp drei Jahre nach Bewilligung erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Diese
Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg, denn er ist unbegründet.
Einstweilige Anordnungen zur (vorläufigen) Regelung eines streitigen
Rechtsverhältnisses, wie sie die Antragstellerin begehrt, sind gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden
Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende
Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt
einen Anordnungsgrund, die Dringlichkeit der Anordnung betreffend, und einen
Anordnungsanspruch, die inhaltliche Notwendigkeit gerichtlicher Hilfe, mithin
das Bestehen des behaupteten Anspruchs, voraus. Beides ist gemäß § 123
Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Der
Antragstellerin ist es nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu
machen.
Die Antragstellerin hat, wie die Antragsgegnerin zu Recht mit Bescheid vom
30. April 2014 entschieden hat, einen Anspruch auf Bewilligung von
Ausbildungsförderungsleistungen derzeit voraussichtlich nicht.
Nach der von der Kammer geteilten (vgl. zuletzt Urteil vom 07.08.2012 -2 A
153/11-) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom
14.03.2013 -5 C 10/12-, NVwZ-RR 2013, 689 und vom 13.01.1983 – 5 C
103/80 – DVBl. 1983, 846) handelt der Auszubildende grundsätzlich
rechtsmissbräuchlich, wenn er im Hinblick auf eine konkret geplante oder
schon begonnene Ausbildung, für die Ausbildungsförderung in Anspruch
genommen werden soll, um eine Anrechnung von Vermögen zu vermeiden,
Vermögen an einen Dritten unentgeltlich überträgt, ohne eine dessen Wert
entsprechende Gegenleistung zu bekommen, anstatt es für seinen
Lebensunterhalt und seiner Ausbildung einzusetzen. Hierauf beruht die
Fragestellung in Zeile 121 des amtlichen Antragsvordrucks für die Bewilligung
von Ausbildungsförderungsleistungen. Ein gewichtiges Indiz für die Absicht
des Auszubildenden, durch die Vermögensübertragung eine Anrechnung von
Vermögen zu vermeiden, liegt vor, wenn die Vermögensübertragung zeitnah
zur Beantragung von Ausbildungsförderung erfolgt (vgl. BVerwG, Urteil vom
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14.03.2013, a.a.O.; Bayrischer VGH, Urteil vom 28.01.2009 -12 B 08.824-,
zitiert nach Juris). Danach ist Voraussetzung für die Annahme des
Rechtsmissbrauchs ein ziel- und zweckgerichtetes, finales Handeln des
Auszubildenden, mit dem alleinigen Ziel, in den Genuss von
Ausbildungsförderungsleistungen zu gelangen. Gibt es für die Verfügung über
die Forderung und / oder den Verbrauch der angelegten Gelder eine
nachvollziehbare, wirtschaftlich sinnvolle Begründung, scheidet die Annahme
eines Rechtsmissbrauches aus. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin hier
auf eine Darlehensvereinbarung zwischen ihr und ihrem Vater.
Für die Frage, ob ein behauptetes Darlehen rechtlich anzuerkennen ist, ist
allein maßgeblich, ob ein Darlehensvertrag zivilrechtlich wirksam
abgeschlossen worden ist und dies von dem insoweit darlegungspflichtigen
Auszubildenden auch nachgewiesen werden kann. Weil und soweit der für
den Auszubildenden förderungsrechtlich günstige Umstand, ob und in
welchem Umfang er Schulden hat, seine Sphäre betrifft, obliegt ihm bei der
Aufklärung der erforderlichen Tatsachen eine gesteigerte Mitwirkungspflicht;
die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht zu seinen Lasten. Um der Gefahr
des Missbrauchs zu begegnen, ist Voraussetzung für die Annahme einer
Darlehensabrede zwischen nahen Angehörigen, dass sich die
Darlehensgewähr auch anhand der tatsächlichen Durchführung klar und
eindeutig von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten, auch
freiwilligen Unterhaltsgewährung abgrenzen lässt (BVerwG, Urteil vom
04.09.2008 – 5 C 30.07 – DVBl. 2009, 125). Die Darlehensvereinbarung
zwischen der Antragstellerin und ihrem Vater ist weder zivilrechtlich wirksam
noch aufgrund der unklaren Durchführung der Vereinbarung von einer
verschleierten Schenkung abzugrenzen.
Da die Zahlung der Darlehenssumme auf das Konto der Antragstellerin am 11.
und 16. Dezember 2008 erfolgte und der Erfüllung einer
Darlehensgewährungspflicht ihres Vaters dienen sollte, behauptet die
Antragstellerin den Abschluss eines Darlehensvertrages vor den Zeitpunkten
der Einzahlungen auf ihr Konto. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch
minderjährig, da sie ihr 18. Lebensjahr erst am 29. Dezember 2008 vollendete.
Zu diesem Zeitpunkt konnte sie rechtlich einen Darlehensvertrag mit ihrem
Vater nicht wirksam schließen. Dem steht nicht allein das – durch
nachträgliche Genehmigung außer Kraft zu setzende – Verbot des
Insichgeschäfts nach § 181 BGB entgegen, sondern vor allem die Regelungen
in §§ 1643 Abs. 1 i.V.m. 1822 Nr. 8 BGB. Gemäß § 1643 Abs. 1 BGB bedürfen
die Eltern zu Rechtsgeschäften für das Kind der Genehmigung des
Familiengerichts in den Fällen, in denen nach § 1821 und nach § 1822 Nr. 1,
3, 5, 8 bis 11 ein Vormund der Genehmigung bedarf. Gemäß § 1822 Nr. 8
BGB bedarf der Vormund der Genehmigung des Familiengerichts zu
Aufnahme von Geld auf den Kredit des Mündels. Wenn also das minderjährige
Kind mit einer Kreditverbindlichkeit belastet werden soll, bedarf es also einer
familiengerichtlichen Genehmigung. Ohne diese ist das Rechtsgeschäft
unwirksam. Eine solche vermag die Antragstellerin nicht vorzulegen, behauptet
sie auch nicht. Der Vertrag war und ist damit zivilrechtlich unwirksam und damit
ausbildungsförderungsrechtlich unbeachtlich (vgl. zu einem ähnlichen Fall, VG
Chemnitz, Urteil vom 25.05.2009 -4 K 285/05-).
Die angebliche Darlehensabrede ist auch nicht klar und eindeutig. Unklar ist,
worauf auch die Antragsgegnerin abstellt, wieso die Rückzahlung des
Darlehens erst 2011 erfolgt. Das Darlehen war nach Aussage der
Antragstellerin für eine größere Anschaffung gedacht, die die Antragstellerin
dann aber nicht weiter verfolgt haben will. Zunächst bleibt völlig unklar, was die
Antragstellerin hat anschaffen wollen. Nachdem sich diese
Anschaffungsabsicht zerschlagen hatte, hätte die Antragstellerin Gründe dafür
darlegen müssen, dass, und vor allem warum, dieser Prozess drei Jahre
gedauert hat. Derartige vernünftige und nachvollziehbare Gründe vermochte
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sie nicht darzulegen. Sie hat darüber hinaus auch nicht plausibel machen
können, wieso sie auf die vermeintliche Darlehensgewährung in Höhe von
21.500,00 Euro lediglich 20.650,00 Euro hat zurückzahlen müssen. Wenn sie
insoweit ausführt, dies habe sie allein der Großzügigkeit ihres Vaters zu
verdanken, spricht dies insgesamt vielmehr eher für einen
Schenkungsvorgang als für ein Darlehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.