Urteil des VG Göttingen vom 26.06.2014

VG Göttingen: geschäft, grundstück, verwaltungsakt, klagebefugnis, satzung, kommunikation, drittwirkung, ausnahme, sicherheit, verkehr

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Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines
Werbeschilds; Klagebefugnis gegeben
Bei einer Sondernutzungserlaubnis nach § 18 NStrG handelt es sich
grundsätzlich nicht um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Eine
Ausnahme besteht nur, wenn die Erteilung der Erlaubnis gleichzeitig und
zwangsläufig eine grundsätzlich zur Nutzung des Straßenraums
berechtigende subjektive Rechtsposition eines Dritten betrifft. Insoweit
kommt eine Verletzung des Anliegergebrauchs in Betracht.
VG Göttingen 1. Kammer, Urteil vom 26.06.2014, 1 A 126/13
§ 18 StrG ND
Tatbestand
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung einer der Beigeladenen
erteilten Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung eines Werbeschilds.
Die Klägerin betreibt in G. Q. ein Optikergeschäft. Die Beigeladene betreibt O.
das M. „N.“. Mit Bescheid vom 19.02.2013 erteilte die Beklagte der
Beigeladenen eine Sondernutzungserlaubnis für die Aufstellung eines
Werbeschilds mit den Maßen 100 cm x 67,5 cm auf dem Gehweg R. /Ecke S..
Der Bescheid enthält keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die Klägerin erhielt am
23.04.2013 Kenntnis von der Sondernutzungserlaubnis.
Sie hat am 16.05.2013 Klage erhoben.
Sie ist der Ansicht, die der Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis sei
rechtswidrig. Nach § 50 Abs. 4 Niedersächsische Bauordnung – NBauO – und
§ 3 Abs. 3 der Satzung der Beklagten über Außenwerbung, Markisen und
Vordächer seien Werbeanlagen, wozu auch das Werbeschild der
Beigeladenen zähle, nur an der Stätte der Leistung zulässig. Diese
Voraussetzung sei hier nicht erfüllt, da das Werbeschild der Beigeladenen in
ca. 250 bis 300 Meter Entfernung zu ihrem M. aufgestellt sei. Es liege auch
keine Ausnahme nach § 8 Abs. 1 der Satzung der Beklagten vor, wonach
abweichend von § 3 Abs. 3 Werbeanlagen ausnahmsweise entfernt von der
Stätte der Leistung zulassungsfähig seien, wenn es sich um in versteckt bzw.
in entlegenen Nebenstraßen gelegene Betriebe handele.
Die Klägerin sei auch klagebefugt, da die genannten Vorschriften dem
Nachbarschutz dienen würden und sie durch die Aufstellung des Werbeschilds
in ihrem Eigentumsrecht und in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt werde. Sie
werde durch das Werbeschild der Beigeladenen in ihren eigenen
Werbemöglichkeiten eingeschränkt, da das Schild unmittelbar vor dem
Schaufenster ihres Geschäfts und direkt neben ihrem eigenen Werbeschild
stehe. Es nehme einen Großteil der Gehfläche ein und verhindere, dass sie
ihrer Pflicht, einen ausreichenden Durchgang für Passanten und Kunden vor
ihrem Betriebsgrundstück zu gewährleisten, nachkommen könne.
Die Klägerin beantragt,
die der Beigeladenen erteilte Sondernutzungserlaubnis vom
19.02.2013 zur Aufstellung eines Werbeschilds auf dem Gehweg R.
/Ecke S. in G. aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage bereits für unzulässig, weil die Klägerin durch die
angegriffene Sondernutzungserlaubnis nicht in ihren Rechten verletzt sei.
Weder § 50 Abs. 4 Niedersächsische Bauordnung und § 3 Abs. 3 ihrer
Satzung über Außenwerbung, Markisen und Vordächer noch § 18
Niedersächsisches Straßengesetz hätten drittschützende Wirkung. Ein
Nachbar könne sich im Regelfall nicht gegen eine Sondernutzungserlaubnis
wehren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den vom Gericht beigezogenen
Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Sie ist zulässig. Die Klägerin verfügt auch über die notwendige Klagebefugnis.
Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist ihre Klage nur zulässig, wenn sie geltend macht,
durch den angefochtenen Verwaltungsakt in ihren Rechten verletzt zu sein;
eine Rechtsverletzung der Klägerin muss demnach zumindest möglich
erscheinen. Da die Klägerin selbst nicht Adressatin des angefochtenen
Verwaltungsakts ist, ist eine Klagebefugnis nur gegeben, wenn es sich bei der
angefochtenen Sondernutzungserlaubnis um einen sogenannten
Verwaltungsakt mit Drittwirkung handelt und die zugrundeliegende Norm, hier
§ 18 Niedersächsisches Straßengesetz – NStrG -, dem Schutz der
individuellen Interessen der Klägerin zu dienen bestimmt ist. Dies ist nicht der
Fall. Bei der Sondernutzungserlaubnis nach § 18 NStrG handelt es sich
grundsätzlich nicht um einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung, weil § 18 NStrG
grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt. Bei der Erteilung der
Sondernutzungserlaubnis sind vorrangig Belange des Straßenverkehrs,
insbesondere die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu prüfen.
Maßgeblich ist allein, ob die straßenfremde Nutzung mit den Belangen der
Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vereinbar und insoweit
gemeinverträglich ist. Dritte können daher regelmäßig die Rechtmäßigkeit der
Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis an eine andere Person nicht
gerichtlich überprüfen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht
nur, wenn die Erteilung der Erlaubnis gleichzeitig und zwangsläufig eine
grundsätzlich zur Nutzung des Straßenraums berechtigende subjektive
Rechtsposition eines Dritten betrifft (BayVGH, Urteil vom 23.07.2009 – 8 B
08.3282 –, Rn. 35 ff. und VG Augsburg, Urteil vom 23.05.2012 – Au 6 K 12.317
–, Rn. 21, jeweils zitiert nach juris).
Eine solche Rechtsposition macht die Klägerin hier geltend, indem sie sich
sinngemäß auf eine Verletzung ihres Rechts am Anliegergebrauch beruft. Eine
Verletzung des Anliegergebrauchs kommt in Betracht, wenn durch eine
Sondernutzungserlaubnis die für das Grundstück erforderlichen Zufahrten und
Zugänge unzumutbar beeinträchtigt werden (BayVGH, a.a.O., Rn. 37 und
BVerwG, Beschluss vom 11.05.1999 – 4 VR 7/99 –, Rn. 5 ff., jeweils zitiert
nach juris). Die Klägerin macht selbst nicht geltend, dass das von der
Beigeladenen aufgestellte Werbeschild den Zugang zu ihrem Geschäft
verhindert oder unzumutbar beeinträchtigt. Soweit sie vorträgt, der
Fußgängerverkehr vor ihrem Geschäft werde durch das Werbeschild
beeinträchtigt, betrifft dies nicht den Zugang zu ihrem Geschäft und damit nicht
ihren Anliegergebrauch. Eine Verletzung ihres Anliegergebrauchs kommt
jedoch insoweit in Betracht, als sie geltend macht, sie werde durch das von der
Beigeladenen aufgestellte Werbeschild in ihren eigenen Werbemöglichkeiten
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für ihr Geschäft eingeschränkt, da das Schild der Beigeladenen unmittelbar vor
dem Schaufenster ihres Geschäfts und direkt neben ihrem eigenen
Werbeschild stehe. Zum Anliegergebrauch kann auch der Kontakt nach außen
gehören, der dem Grundstück über die Gewährleistung seiner Verbindung mit
dem öffentlichen Wegenetz hinaus in gewissen Grenzen die Nutzung der
Straße als Kommunikationsmittel ermöglicht. Hierzu zählt die Einwirkung durch
Werbung auf den vorbeifließenden Verkehr (VG Augsburg, a.a.O., Rn. 33 ff.,
mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 29.04.1977 - IV C 15.75 -, Rn. 17, zitiert
nach juris).
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil die Klägerin in ihrem Anliegergebrauch
tatsächlich nicht verletzt ist. Das vom Anliegergebrauch umfasste Recht auf
werbende Kommunikation wird nicht schrankenlos gewährleistet. Es besteht
insbesondere kein Anspruch des Einzelnen darauf, dass er in bestmöglicher
Weise von seinem Grundstück aus werben kann und sein Grundstück zu
diesem Zweck von allen Seiten und auf weite Entfernung hin einsehbar ist.
Eine Grenze ist erst dort zu ziehen, wo der Betroffene praktisch keine
Möglichkeit mehr hat, auf den Verkehr werbend einzuwirken. Gewisse
Einschränkungen der (optimalen) Einwirkungsmöglichkeiten sind
hinzunehmen (VG Augsburg, a.a.O., Rn. 33).
Nach diesem Maßstab wird das Recht der Klägerin auf werbende
Kommunikation in seinem Kerngehalt durch die der Beigeladenen erteilte
Sondernutzungserlaubnis nicht verletzt. Eine werbende Kommunikation ist für
die Klägerin trotz der Sondernutzungserlaubnis nach wie vor möglich. Der
durchgeführte Ortstermin hat gezeigt, dass das Werbeschild der Beigeladenen
am Rand des an dem Geschäft der Klägerin vorbeiführenden Gehwegs steht
und den Blick der an dem Geschäft vorbeikommenden Passanten auf die
Schaufensterauslagen der Klägerin nicht beeinträchtigt. Der Einwand der
Klägerin, sie werde deshalb unzumutbar in ihren eigenen Werbemöglichkeiten
beeinträchtigt, weil das Werbeschild der Beigeladenen mit einem
Seitenabstand von nur 60 cm zu ihrem eigenen Werbeschild aufgestellt sei, ist
bereits deshalb unerheblich, weil - wie sich in der mündlichen Verhandlung
herausgestellt hat - die Klägerin für ihr eigenes Werbeschild gar nicht über die
notwendige Sondernutzungserlaubnis verfügt. Da die Klägerin tatsächlich in
ihrem Anliegergebrauch nicht verletzt ist, kann dahingestellt bleiben, ob der
Beigeladenen die Sondernutzungserlaubnis ermessenfehlerhaft erteilt wurde.
Selbst wenn dies der Fall wäre, würde es immer noch an einer
Rechtsverletzung der Klägerin fehlen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO nicht
erstattungsfähig, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt und damit kein
Kostenrisiko übernommen hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.