Urteil des VG Gießen vom 29.09.2010

VG Gießen: treu und glauben, gegen die guten sitten, berechnung der steuer, abgabenordnung, rechtssicherheit, verwaltungsakt, verordnung, grobes verschulden, stillschweigende annahme, nichtigkeit

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Gericht:
VG Gießen 2.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 K 1417/09.GI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 2 AbsFondsG, § 22
MilchFettG, § 82 Abs 1
BVerfGG
Frage der öffentlich rechtlichen Erstattung von Beiträgen
nach dem Absatzfondsgesetz
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenausspruch vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
festgesetzten Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt eine Molkerei. Als solche unterlag sie der Beitragspflicht nach
dem Gesetz über die Errichtung eines zentralen Fonds zur Absatzförderung der
Deutschen Land- und Ernährungswirtschaft (Absatzfondsgesetz – AbsFondsG).
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 03.02 2009 – 2 BvL 54/06 –
(BVerfGE 122, 316 ff) entschieden, dass die gesetzlichen Grundlagen für diese
Abgabenerhebung, nämlich § 2 Abs. 1 bis Abs. 4 S. 1, Abs. 6, § 10 Abs. 1 bis Abs.
8, sowie die §§ 11 und 12 AbsatzfondsG in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni
1993 (BGBl. I S. 998) mit den nachfolgenden Änderungen, zuletzt in der Fassung
des Gesetzes zur Neufassung des AbsatzfondsG vom 4. Oktober 2007 (BGBl. I S.
2342) seit dem 01. Juli 2002 mit dem Grundgesetz (Art. 12 i. V. m. Art. 105 und
Art. 110) unvereinbar und nichtig sind.
Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Erhebung der Abgaben, die sie
für den Zeitraum Dezember 2004 bis September 2005 in Höhe von insgesamt
29.734,67 Euro entrichtet hat.
Grundlage der Abgabenerhebungen waren monatliche Mitteilungen der Klägerin an
das Regierungspräsidium Gießen über die Menge der von hessischen Erzeugern
angelieferten Milch. Nach Erfassung der Mengenangaben errechnete das
Regierungspräsidium Gießen nach vorgegebenem Beitragssatz die Höhe der
jeweiligen monatlichen Abgabe und verschickte an die Klägerin Serienbriefe mit
folgendem Wortlaut: „Aufgrund des § 10 Abs. 3 Nr. 6 Absatzfondsgesetz vom
08.11.1976 i.V.m. § 3 der Verordnung über die Beiträge nach dem
Absatzfondsgesetz in der jeweils geltenden Fassung bitten wir Sie im Rahmen der
Selbstveranlagung zur Zahlung des Beitrages für den Monat: …“. Genannt ist
dann der betreffende Monat, des Weiteren die Menge der angelieferten Milch
multipliziert mit 1,22 Euro/1.000 kg. Die Schreiben enthielten eine Zahlungsfrist
zum 15. des auf den Beitragsmonat folgenden übernächsten Monats.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 04. Mai 2009 – vorab per Fax am gleichen Tag bei
dem Regierungspräsidium Gießen eingegangen - beantragte die Klägerin unter
Bezugnahme auf die vorbezeichnete Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, die rechtskräftigen Bescheide ab dem Zeitraum Juli
2002 aufzuheben und die in den Bescheiden festgesetzten Beträge zu erstatten.
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2002 aufzuheben und die in den Bescheiden festgesetzten Beträge zu erstatten.
Zur Begründung wies sie darauf hin, dass nach der Nichtigkeitserklärung der
maßgeblichen Vorschriften des Absatzfondsgesetzes durch das
Bundesverfassungsgericht bei anderen Molkereien eine Erstattung vorgenommen
worden und somit aufgrund der gegebenen Wettbewerbssituation von einer
Ermessensreduzierung auf Null auszugehen sei. Der Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfordere die Rücknahme der Bescheide.
Hilfsweise werde ein Widerruf nach § 49 HVwVfG bzw. ein Wiederaufgreifen nach §
51 HVwVfG beantragt.
Mit Bescheid vom 25. Mai 2009 hat das Regierungspräsidium Gießen den Antrag
abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf
Aufhebung der Beitragsbescheide. Einer Aufhebung stehe die Bestandskraft der
Bescheide entgegen. Diese seien weder nichtig noch im Rahmen einer
Verpflichtung zum Wiederaufgreifen der bestandskräftig abgeschlossenen
Verfahren aufzuheben.
Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens
gemäß § 51 Abs.1 HVwVfG. Auch unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen
Ermessens (§ 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 VwVfG) habe der Antrag auf Wiederaufgreifen
des Verfahrens keinen Erfolg. Hier habe die Behörde einerseits zwischen der
materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall und andererseits dem durch die
Bestandskraft der Bescheide eingetretenen Rechtsfrieden abzuwägen und der
Rechtssicherheit den Vorrang eingeräumt, was auch der Gesetzgeber so
entschieden habe, indem er für die Anfechtung von Verwaltungsakten Fristen
vorschreibe. Das gelte umso mehr, als es sich um in großer Anzahl erlassene
unanfechtbare Verwaltungsakte handele, deren Rechtsfolgen in der Vergangenheit
abgeschlossen seien. Da die Klägerin über viele Jahre hinweg von der Möglichkeit,
innerhalb der Rechtsbehelfsfristen Widerspruch einzulegen, keinen Gebrauch
gemacht habe, könne sie sich nunmehr nicht auf Vertrauensschutz oder
Billigkeitserwägungen berufen um die eingetretene Bestandskraft zu überwinden.
Die vereinnahmten Beiträge seien vom RP Gießen an den Absatzfonds zur
Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben, der Durchführung von
Absatzförderungsmaßnahmen, abgeführt worden. Dieser habe die ihm zur
Verfügung gestellten Mittel auch zur Absatzförderung verwendet, wovon die
Klägerin profitiert habe. Darüber hinaus spräche gegen eine Stattgabe des
Antrags auch die praktische Durchführung eines solchen Wiederaufgreifens aller
Verfahren. Dies würde einen nicht leistbaren Personal- und Zeitaufwand bedeuten.
Schließlich sei auch das Fehlen von Rückstellungen hinsichtlich bestandskräftiger
Bescheide zu bedenken.
Der am 25. Mai 2009 zur Post gegebene Bescheid ist dem Klägerbevollmächtigten
nach eigenen Angaben am 28. Mai 2009 zugegangen.
Am 29. Juni 2009 – einem Montag – hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel,
unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 25.05.2009 die rechtskräftigen
Festsetzungen der Beitragserhebungen zum Absatzfonds für den Zeitraum ab Juli
2002 zurückzunehmen und die geleisteten Beiträge zu erstatten. Mit Schriftsätzen
vom 31.08.2009 und 30.10.2009 hat sie dargelegt, dass die Beitragserhebungen
im Zeitraum Dezember 2004 bis September 2005 erfolgten und ihr
Klagebegehren unter Auflistung der konkreten Beitragserhebungen und –
zeiträume entsprechend präzisiert. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt
dieser Schriftsätze Bezug genommen.
Die Klägerin ist der Auffassung, die im sog. „Selbstveranlagungsverfahren“
erlassenen Verwaltungsakte seien ungeachtet einer formellen Bestandskraft in
keinem Fall in materielle Bestandskraft erwachsen. Für das Verfahren zur
Abgabenerhebung nach dem Absatzfondsgesetz seien die Vorschriften der
Abgabenordnung (AO) entsprechend heranzuziehen. Zur Begründung verweist sie
auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 15.05.1984 – 3 C
86.82 – , juris; B. v. 22.08.1986 – 3 B 48.85 –, juris) und des VG Köln (Urt. v.
30.04.2009 – 13 K 156/08 –, juris) in denen aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit
der Beitragserhebung nach dem Absatzfondsgesetz und der Steuererhebung für
die Regelungsbereiche der Verjährung und des Erlasses aus Billigkeitsgründen
sowie der Prozesszinsen eine Regelungslücke angenommen worden sei. Die
Klägerin habe die Zahlungen aufgrund der Monatsmeldungen entsprechend dem
Hinweis des Beklagten in den jeweiligen Bescheiden „im Rahmen der
Selbstveranlagung“ erbracht. Bei der Entgegennahme von Beiträgen im
Selbstveranlagungsverfahren durch den Beklagten handele es sich nicht um
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Selbstveranlagungsverfahren durch den Beklagten handele es sich nicht um
förmliche Steuerbescheide gemäß § 155 AO. Der Klägerin stehe in jedem Fall die
Möglichkeit der Nachprüfung gemäß §§ 164, 168 AO zu, die wegen § 170 AO auch
jetzt noch bestehe. Eine Überprüfung der im Selbstveranlagungsverfahren
entrichteten Beiträge durch den Beklagten habe zu keinem Zeitpunkt
stattgefunden. Die seitens der Klägerin erbrachten Zahlungen seien daher als
„unter Vorbehalt der Nachprüfung“ erbracht anzusehen. Die
Nachprüfungsverpflichtung beziehe sich auch auf die Frage, ob die
Beitragserhebung verfassungsgemäß gewesen sei. Ein Ermessen des Beklagten
sei aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Nichtigkeit des
Absatzfondsgesetzes „auf Null“ reduziert. Gegebenenfalls sei im Rahmen der
Ermessensentscheidung die Neuveranlagung „auf Null“ vorzunehmen. Die
Klägerin führt insoweit im anwaltlichen Schriftsatz vom 29.12.2009 aus, sie gebe
hiermit unmittelbar an das Regierungspräsidium Gießen im Rahmen der
Selbstveranlagung die Erklärung ab, dass die Abgabe nach dem
Absatzfondsgesetz für alle streitbefangenen Monate 0,00 Euro betrage.
Gleichzeitig richte sie vorsorglich ausdrücklich den Antrag an den Beklagten,
erstmals Bescheide über die Erhebung der Abgabe nach dem Absatzfondsgesetz
zu erlassen und dabei die Abgabe mit 0,00 Euro festzusetzen.
Unabhängig von der Anwendbarkeit der Regelungen der Abgabenordnung sei der
Beklagte verpflichtet, die Verwaltungsakte aufzuheben. Er habe stets die
Auffassung vertreten, die Abgabe an den Absatzfonds der Land- und
Ernährungswirtschaft sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, verfassungsrechtliche
Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich dieser Sonderabgabe bestünden nicht. Soweit
angesichts der Begründung des Bundesverfassungsgerichts in seiner
Entscheidung vom 3.02.09 nicht bereits eine Nichtigkeit der entsprechenden
Bescheide angenommen werden müsse, sei unabhängig von der evtl. formellen
Bestandskraft allein die Aufhebung der rechtswidrigen Bescheide
ermessensgerecht. Die Sach- und Rechtslage habe sich wesentlich geändert, das
Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung erfordere die Aufhebung. Nach
Maßgabe der gegebenen Wettbewerbssituation sei die Aufrechterhaltung der
Verwaltungsakte schlechthin unerträglich, da es mehr oder weniger von Zufällen
abhänge, ob eine Erstattung erfolge oder nicht. Die Aufhebung der rechtswidrigen
Verwaltungsakte habe daher gemäß § 48 VwVfG (Rücknahme) zu erfolgen.
Hilfsweise sei der Widerruf nach § 49 VwVfG, höchst hilfsweise das Wiederaufgreifen
des Verfahrens nach § 51 VwVfG geboten. Soweit der Beklagte argumentiert habe,
die Klägerin habe von den Maßnahmen des Absatzfonds profitiert, werde dies
durch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom
03.02.2009 widerlegt.
Die Klägerin beantragt,
1. unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 25.05.2009 den
Beklagten zu verpflichten, die Beitragsbescheide über Beiträge zum Absatzfonds
gegenüber der Klägerin für den Zeitraum Dezember 2004 bis September 2005
zurückzunehmen, hilfsweise, zu widerrufen, weiter hilfsweise, die Verfahren wieder
aufzugreifen;
hilfsweise:
unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 25.05.2009
die oben genannten Beitragsbescheide aufzuheben, hilfsweise, den
Beklagten zu verpflichten, die Absatzfondsbeiträge auf 0 festzu-
setzen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin € 29.734,67 nebst Verzugszinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz, jeweils ab dem
Zeitpunkt des Entrichtens des Absatzfondbeitrages, zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum lägen
schriftlich erlassene bestandskräftige Verwaltungsakte hinsichtlich der erbrachten
Beitragszahlungen vor; die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rücknahme bzw.
Widerruf der ergangenen Beitragsbescheide.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sei das spezielle Verfahrensrecht der
Abgabenordnung (AO) auf die Erhebung der vorliegenden Sonderabgabe nach
dem Absatzfondsgesetz nicht anwendbar. Der Geltungsbereich der
Abgabenordnung sei gemäß § 1 AO auf Steuern beschränkt. Auch eine analoge
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Abgabenordnung sei gemäß § 1 AO auf Steuern beschränkt. Auch eine analoge
Anwendung komme nicht in Betracht, da keine Regelungslücke vorliege, die die
Anwendung der Abgabenordnung rechtfertige. Vorliegend verfüge das
Verwaltungsverfahrensrecht über ein ausdifferenziertes System zur Behandlung
von bestandskräftigen Verwaltungsakten. In der Rechtsprechung seien der Abgabe
nach dem Absatzfonds vergleichbare Sonderabgaben auf der Grundlage des
Verwaltungsverfahrensrechts abgewickelt worden. Hierzu verweist der Beklagte auf
das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.04.1995 zu § 5 Abs. 4 der
Verordnung zur Durchführung des Weinwirtschaftsgesetzes. Auch das VG Köln
habe in seinen Entscheidungen zum Absatzfondsgesetz (vgl. nur Urt. v.
30.04.2009 – 13 K 4793/09) keine Veranlassung gesehen, auf die Abgabenordnung
zurückzugreifen.
Die Ablehnung des Antrags auf Wiederaufgreifen nach § 51 HVwVfG sei zu Recht
erfolgt. Ergänzend zu den Ermessenserwägungen im ablehnenden Bescheid vom
25.05.2010 trägt der Beklagte vor, das beklagte Land habe nicht dadurch
ermessensfehlerhaft gehandelt, dass es nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zwar ab sofort keine Beiträge mehr nach dem
Absatzfondsgesetz erhoben, bei den durch einen bestandskräftigen Bescheid
bereits abgeschlossenen „Altfällen“ aber keine Änderung der Beitragserhebung
mehr vorgenommen habe. Insbesondere werde mit dieser Verfahrensweise nicht
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Es treffe
auch nicht zu, dass es von Zufällen abhänge, ob eine Erstattung erfolge. Vielmehr
werde in keinem Fall, in dem ein bestandskräftiger Beitragsbescheid vorliege, eine
Rückerstattung von bereits gezahlten Beiträgen vorgenommen. So werde
bundesweit aufgrund einer Absprache zwischen den Bundesländern, der
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sowie dem Absatzfonds verfahren
(vgl. den Ergebnisvermerk vom 13.02.2009, Bl. 164, 165 der Akte). Bis zur
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe es keine Veranlassung
gegeben, an der Verfassungsgemäßheit der Beitragserhebung nach dem
Absatzfondsgesetz zu zweifeln.
Desweiteren trägt der Beklagte „vorsorglich“ vor, ungeachtet seiner
Rechtsauffassung zum Vorliegen schriftlicher Bescheide seien in den
stillschweigenden Entgegennahmen der Mitteilungen der Klägerin durch das
Regierungspräsidium Gießen Verwaltungsakte, die die Feststellung der
Milchmenge und der sich daraus schematisch errechneten Beitragshöhe
beinhalteten, zu sehen.
Das Regierungspräsidium Gießen hat mit Schreiben vom 7.01.2010 den im
gerichtlichen Verfahren gestellten Antrag der Klägerin, im Rahmen einer
Neuveranlagung für den streitbefangenen Zeitraum (erstmals) Bescheide über die
Erhebung einer Abgabe nach dem Absatzfondsgesetz zu erlassen und die Abgabe
mit 0,00 Euro festzusetzen mit der Begründung abgelehnt, eine Grundlage sei
hierfür nicht zu erkennen.
Auf gerichtliche Nachfrage hat der Beklagte das praktizierte Erhebungsverfahren
im Einzelnen dargestellt. Insoweit wird auf Bl. 162, 163 der Akte Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Verwaltungsgerichts
Gießen mit dem Aktenzeichen 2 K 1414/09.GI.A sowie eines Hefters
Behördenunterlagen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat weder mit ihrem Hauptantrag (I.) noch dem Hilfsantrag (II.) Erfolg.
Das mit Klageerhebung anhängig gemachte Klagebegehren der Klägerin
entspricht demjenigen, das sie mit ihrem Antrag in der mündlichen Verhandlung
zum Ausdruck gebracht hat. Mit der Präzisierung ihres Klageantrags im
anwaltlichen Schriftsatz vom 10.10.2009, der eine Auflistung der konkreten
Beitragserhebungen und –zeiträume beinhaltet und die Aufhebung der
Beitragsbescheide für den Zeitraum Dezember 2004 bis September 2005 und die
Rückerstattung der allein für diesen Zeitraum erbrachten Beitragszahlungen zum
Gegenstand hat, hat die Klägerin daher nicht etwa eine als Klagerücknahme zu
wertende Beschränkung des Klageantrags (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. A. , § 91,
Rdnr. 9) vorgenommen. Zwar hat die Klägerin in der Klageschrift den Antrag
angekündigt, „den Beklagten zu verpflichten …. die rechtskräftigen Festsetzungen
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angekündigt, „den Beklagten zu verpflichten …. die rechtskräftigen Festsetzungen
der Beitragserhebungen zum Absatzfonds für den Zeitraum ab Juli 2002
zurückzunehmen ….“ Erkennbar hat sie jedoch mit ihrer Klage dem
Streitgegenstand den Sachverhalt der tatsächlich erbrachten Beitragszahlungen
zu Grunde legen wollen; wie im anwaltlichen Schriftsatz vom 31.08.10 ausgeführt,
ist aber vor Dezember 2004 keine Milch aus Hessen an die Klägerin geliefert
worden und sind für den Zeitraum davor auch keine Beitragserhebungen erfolgt.
Die Formulierung in der Klageschrift orientierte sich offenbar an dem Umstand,
dass das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Grundlagen der
Beitragserhebung für den Zeitraum ab Juli 2002 für nichtig erklärt hat; zudem sind
der angekündigte Antrag und der Inhalt der Klageschrift im Übrigen nicht
konkretisiert, da hieraus weder hervorgeht, wann der Zeitraum endet, noch eine
Bezifferung der Beträge, deren Erstattung begehrt wird, erfolgt ist.
I. Die mit dem Hauptantrag erhobene Verpflichtungsklage ist gemäß § 42 VwGO
zulässig, jedoch unbegründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 25.05.2009 ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Die Klägerin hat
keinen Anspruch auf die im Wege der Rücknahme begehrte Aufhebung der
bestandskräftigen Beitragsbescheide, womit auch kein Anspruch auf Erstattung
der geleisteten Beitragszahlungen und Verzinsung besteht.
Eine Aufhebung kommt weder auf der Grundlage der Regelungen der
Abgabenordnung, noch nach den vorliegend einschlägigen Regelungen des
Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) in Betracht.
Den Beitragserhebungen liegen bestandskräftige Verwaltungsakte zu Grunde.
Rechtsgrundlage der Erhebung von Beiträgen zum Absatzfonds war § 10 Abs. 2
Satz 1, Abs. 3 Nr. 6 AbsFondsG i. d. F. v. 8.08.2002 (BGBl. I S. 3114). Danach
betrug der Beitrag für Molkereien 1,22 Euro je 1000 Kilogramm angelieferte Milch.
Hinsichtlich des Verfahrens der Beitragserhebung von den Molkereien,
Milchsammelstellen und Rahmstationen verweisen § 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 der
gemäß § 10 Abs. 8 AbsFondsG erlassenen Verordnung über die Beiträge nach
dem Absatzfondsgesetz i. d. F. v. 04.07.1994 (BGBl. I S. 1456) zuletzt geändert
durch Art. 7 des Gesetzes vom 25.06.2001 (BGBl I S. 1215) – AbsFondsGBeitrV –
auf das Verfahren nach § 22 des Milch- und Fettgesetzes i. d. F. v. 10.12.1952
(BGBl I S. 811, zuletzt geändert durch Art. 193 der Verordnung v. 29.10.2001
(BGBl I S. 2785) – MilchFettG –. Nach § 3 Abs. 1 der aufgrund § 22 MilchFettG
erlassenen hessischen Verordnung über die Erhebung einer Umlage zur Förderung
der Milchwirtschaft vom 1.12.1981 (GVBl I S. 427) zuletzt geändert durch
Verordnung v. 01.12.2005 (GVBl I S. 808) – MilchWUmlV HE – hat der
Umlageschuldner dem Regierungspräsidium Gießen bis zum 15. jeden Monats
eine Erklärung über die im vergangenen Monat angelieferte Milch abzugeben und
gleichzeitig die sich danach ergebende Umlage zu entrichten. Abs. 2 der
Bestimmung regelt, dass das Regierungspräsidium Gießen den Umlagebetrag
durch Bescheid festsetzt, wenn der Umlageschuldner seiner Erklärungspflicht nach
Abs. 1 nicht oder nicht vollständig nachkommt.
Aus dem Zusammenhang zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 3 MilchWUml HE folgt,
dass im Regelfall (Abgabe der Erklärung) kein förmlicher Bescheid ergeht. Ein
Bescheid wird auch nicht gesetzlich fingiert, wie dies in den Ländern, in denen
diese Umlage nicht erhoben wird, der Fall ist (vgl. § 3 Abs. 2 i. V. m. § 4 Abs. 3 Satz
1 AbsFondsGBeitrV). Aus dem Umstand, dass die MilchWUmlV HE keine Fiktion
entsprechend der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV enthält, ist
allerdings nicht der Schluss zu ziehen, dass der Beitragserhebung nach § 3 Abs. 1
MilchWUmlV HE kein Verwaltungsakt zugrunde liegt. Eine solche Schlussfolgerung
hat auch nicht etwa der Verordnungsgeber der AbsFondsGBeitrV vorgegeben,
indem er aus Praktikabilitätsgründen auf die Vorschriften über das
Erhebungsverfahren und die Fälligkeit der Umlage nach § 22 MilchFettG
zurückgegriffen hat.
Der den monatlichen Abgabenzahlungen jeweils zugrunde liegende
Verwaltungsakt liegt in der widerspruchslosen Entgegennahme der für den
Zeitraum Dezember 2004 bis September 2005 an das Regierungspräsidium
Gießen jeweils übermittelten monatlichen Mitteilungen der Klägerin über die Menge
der von hessischen Erzeugern angelieferten Milch.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind diese Mitteilungen jedoch nicht einer
Steueranmeldung, der die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der
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Steueranmeldung, der die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der
Nachprüfung zukommt und deren Aufhebung sie mithin innerhalb der vierjährigen
Festsetzungsfrist beantragen könnte (vgl. §§ 164, 168 AO), gleichzusetzen. Die
Abgabenordnung findet vorliegend weder unmittelbar noch entsprechend
Anwendung.
Der unmittelbare Geltungsbereich der Abgabenordnung ist auf Steuern
beschränkt, § 1 AO. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
3.02.2009 – 2 BvL 54/06 – (a.a.O.) handelt es sich aber bei den Beiträgen nach
dem AbsFondG um eine Sonderabgabe mit Finanzierungsfunktion. In den
vorliegend maßgeblichen Vorschriften findet sich für den hier zu beurteilenden
Regelfall, dass der Umlageschuldner seiner Erklärungspflicht aus § 3 Abs. 1
MilchWUmlVHE nachkommt, weder eine unmittelbare noch mittelbare Verweisung
auf die entsprechende Anwendung der Abgabenordnung. Die Regelung in § 23
MilchFettG, wonach die Beitreibung der Umlage nach den Bestimmungen der AO
durchgeführt werden kann, ist vorliegend nicht einschlägig, denn aus § 10 Abs. 8
AbsFondsG folgt, dass das Beitreibungsverfahren von dem Erhebungsverfahren zu
unterscheiden ist; § 3 Abs. 1 AbsFondsGBeitrV verweist für den Beitrag nach dem
AbsatzFondsG allein auf die entsprechende Anwendung der Vorschriften über das
Erhebungsverfahren und die Fälligkeit für die Umlage nach § 22 MilchFettG, wobei
er die Regelung des § 9 AbsFondsGBeitrV, die im Falle der Säumnis,
Säumniszuschläge festlegt, unberührt lässt. Die MilchWUmlV HE (§ 3 Abs. 2 Satz
2) sieht nur im (Ausnahme-)Fall, dass der Umlageschuldner seiner
Erklärungspflicht nicht oder nicht vollständig nachkommt, die entsprechende
Anwendung von Vorschriften der AO vor, die dann eine Festsetzung des
Umlagebetrags durch Amtsermittlung und Schätzung ermöglichen, vgl. §§ 88 bis
92, 96, 97, 155, 157, 158 und 162 AO. Diese Regelung ist auch erforderlich, denn,
anders als § 4 Abs. 3 Satz 2 AbsFondsGBeitrV, regelt die MilchWUmlV HE diese
Möglichkeit nicht. Auch bietet das HVwVfG insoweit keine Handhabe.
Schließlich liegt keine Regelungslücke vor, die für den Regelfall (Abgabe der
Erklärung) die analoge Anwendung der für die Steueranmeldung in § 168 AO
geregelten Rechtsfolgeverweisung auf die Vorbehaltsfestsetzung nach § 164 AO
rechtfertigte. Eine Regelungslücke hat das Bundesverwaltungsgericht, soweit
ersichtlich, lediglich bei der Frage der Verjährung und des Erlasses aus
Billigkeitsgründen angenommen und die entsprechende Anwendung der
Vorschriften der AO als gerechtfertigt angesehen (Urt. v. 15.05.1984 -3 C 86.82 -,
BVerwGE 69, 227, 234; B. v. 22.08.1986 – 3 B 48.85 -, juris). Ebenfalls eine
entsprechende Anwendung der AO haben das VG Köln (Urt. v. 30.04.2009 – 13 K
156/08 -, juris) und das OVG NW (Urt. v. 22.06.2010 – 20 A 1271/09 -, juris) für die
Verzinsung einer Rückzahlungsforderung von Beiträgen nach dem
Absatzfondsgesetz angenommen, entgegen der sonst bei öffentlich-rechtlichen
Geldforderungen erfolgenden sinngemäßen Anwendung der Vorschrift des § 291
ZPO.
Anders als in diesen Fällen, in denen eine Regelungslücke besteht, bietet
vorliegend das Verwaltungsverfahrensrecht ein der Besonderheit des vorliegenden
Umlageverfahrens gerecht werdendes Regelungssystem sowohl hinsichtlich der
Abgabenerhebung als auch der Rückabwicklung.
Verwaltungsakt ist nach der gesetzlichen Definition des § 35 HVwVfG (ebenso des
§ 118 AO) jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die
eine Behörde zur Reglung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen
Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine
hoheitliche Maßnahme in diesem Sinne bedarf grundsätzlich keiner besonderen
Form, Verwaltungsakte können daher auch in einem konkludenten Verhalten zu
sehen sein. Während Untätigkeit oder bloßes Schweigen im Regelfall nicht genügt,
ist diese Form des Verwaltungsakts allgemein in der Literatur und Rechtsprechung
anerkannt (vgl. BFH, B. v. 25.03.1986, VII B 164-165/85, juris). Für die Beurteilung
eines behördlichen Akts als Verwaltungsakt ist maßgeblich darauf abzustellen, ob
dieser Akt sich nach objektiver Betrachtung als verbindliche und auf
Rechtsbeständigkeit hin abzielende und von der Behörde erkennbar so gewollte
Regelung darstellt oder nicht (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. A., § 35 Rn. 20, 22 m. w.
N.).
Die vorbehaltlose Entgegennahme einer Selbsterrechnungserklärung bei Abgaben,
bei denen eine förmliche Festsetzung nicht vorgesehen ist, genügt diesen
Anforderungen. Dies gilt zumindest dann, wenn der Zahlungspflichtige – wie
vorliegend – den von ihm selbst errechneten Betrag kennt und auch zahlt und
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vorliegend – den von ihm selbst errechneten Betrag kennt und auch zahlt und
dementsprechend das Heranziehungsverfahren mit der Entgegennahme
abgeschlossen ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht für den Fall einer
Steuerpflicht (Heranziehung zur Lohnsummensteuer gem. § 26 GewStG a.F.)
entschieden (stdg. Rspr. Urt. v. 18.09.1970, - VII C 68.68 -, KStZ 1971, 10; v.
18.08.1972, - VII C 55.70 -, KStZ 1972, 236 und v. 30.06.1972, -VII C 36.70 -, juris)
und dabei auf den Sinn und Zweck des Verfahrens abgestellt. Das Gesetz
verpflichte den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Erklärung über die Berechnung
der Steuer und schreibe ihm die Methode der Berechnung vor. Er sei auch dann
zur Zahlung verpflichtet, wenn er die Steuer für verfassungswidrig halte; aus dem
Gesetz ergebe sich, dass ein förmlicher Steuerbescheid nicht ergehe, wenn der
Steuerpflichtige die Steuer entrichtet habe. Die Behörde habe, soweit sie nichts
anderes erkläre, einen entsprechenden Bescheidungswillen, um etwaige
Einwendungen des Steuerpflichtigen an Rechtsmittelfristen zu binden. Denn die
Steuererhebung im Wege der Selbsterrechnung erfülle ihren Zweck nur, wenn der
Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit erlange, seine Einwendungen gegen die
Heranziehung zeitlich unbegrenzt geltend zu machen, was mit dem Prinzip der
Rechtssicherheit nicht mehr zu vereinbaren wäre. Die gesetzliche Regelung des
formlosen Heranziehungsverfahrens bleibe weiterhin nur sinnvoll, wenn auch die
Bekanntgabe des Heranziehungsakts, auf die die §§ 58 Abs. 2, 70 VwGO für den
Beginn der Anfechtungsfrist abstellten, in der unbeanstandeten Entgegennahme
der Steuererklärung durch die Behörde gesehen werde; dem Steuerpflichtigen, der
die Selbsterrechnungserklärung abgegeben und die Steuer gezahlt habe, sei
dieser Heranziehungsakt bekannt. Praktikabilitäts- wie Billigkeitsgesichtspunkte
forderten daher die Wertung, dass mit der widerspruchslosen Entgegennahme der
Selbsterrechnungserklärung auch die Bekanntgabe anzunehmen sei. Da die
behördliche Bestätigung der sachlichen Richtigkeit der Steuererklärung durch das
„zum-Soll-Stellen“ oder Verbuchen des erklärten Steuerbetrags behördenintern
bleibe, beginne die Frist schon mit dem Zugang der Steuererklärung bei der
Behörde zu laufen. Denn mit dem Zugang der Selbsterrechnungserklärung beim
Adressaten sei dessen Kenntnisnahme regelmäßig möglich und nach den
Gepflogenheiten des Verkehrs zu erwarten. Diese gelte für beide Beteiligte,
solange die Behörde für den Zeitpunkt der Wirksamkeit ihres
Heranziehungsbescheids keine andere Erklärung abgegeben habe. Der Zugang
sei aus dem Eingangsstempel der Steuererklärung ersichtlich und für den
Steuerpflichtigen ohne besondere Mitteilung hinreichend sicher bestimmbar, weil
für ihn das Absendedatum feststehe (BVerwG, Urt. v. 18.08.1972, - VII C 55.70 -,
a.a.O.).
Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht an.
Die Konstruktion eines Verwaltungsakts durch vorbehaltlose Entgegennahme als
Rechtsgrundlage der Beitragszahlungen wird nicht durch das spätere Inkrafttreten
der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, in Frage gestellt.
Der Gesetzgeber hat mit den Begriffsmerkmalen des Verwaltungsakts in § 35
VwVfG/HvwVfG keine neuen, sondern lediglich die zuvor bereits in Rechtsprechung
und Schrifttum zu §§ 42, 113 VwGO entwickelten Kriterien aufnehmen und
positivieren wollen; gleiches gilt für das in § 41 VwVfG/HVwVfG geregelte
Erfordernis der Bekanntgabe und die in § 43 VwVfG/HVwVfG geregelte Wirksamkeit
des Verwaltungsakts, wobei die Vorschriften selbst keine Definition des Begriffs der
Bekanntgabe und der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts enthalten (vgl.
Kopp/Ramsauer a.a.O., § 35 Rdnr. 3; § 41 Rdnrn. 2, 7; § 43 Rdnr. 1).
Auch hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27.04.1995
(AZ.: 3 C 9/95, NVwZ-RR, 1996, 107) an der Konstruktion einer konkludenten
Willensäußerung durch widerspruchslose Entgegennahme einer Mitteilung
festgehalten. In diesem zu § 5 Abs. 4 der Verordnung zur Durchführung des
Weinwirtschaftsgesetzes ergangenen Urteil führt es aus, die Bestimmung, wonach
die Mitteilung des Abgabeschuldners als Abgabebescheid gilt, wenn der Betrag der
Abgabe darin zutreffend angegeben worden ist, bedürfe der gesetzeskonformen
Auslegung, da es sich nach der Definition des § 35 VwVfG beim Verwaltungsakt um
eine hoheitliche Maßnahme handele, die eine Behörde treffe. Gegenstand der
Klage könne daher nicht die Abgabemitteilung als solche sein, sondern deren
stillschweigende Annahme durch die Behörde.
Jüngere Anwendungsfälle in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bei denen es
an einer nach außen wahrnehmbaren „Maßnahme der Behörde“ – verstanden als
Willensäußerung – fehlt, betreffen die Entgegennahme einer Steuererklärung bei
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Willensäußerung – fehlt, betreffen die Entgegennahme einer Steuererklärung bei
Abgaben, bei denen eine förmliche Festsetzung nicht vorgesehen oder nicht üblich
ist. Dies hat der Bundesfinanzhof mit ähnlichen Erwägungen wie das
Bundesverwaltungsgericht in dessen älteren Entscheidungen für die
Entgegennahme der Mitteilungen der Molkereien über die Summe der
Referenzmengen nach § 4 Abs. 5 Satz 2 der Milch-Garantiemengen-Verordnung
(MGVO) und die Entgegennahme der Anmeldung der Summe der Abgaben gemäß
§ 11 MGVO entschieden (B. v. 25.03.1986, VII B 164-165/85 u. v. 16.07.1985, VII B
53/85, juris), ebenso das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 18.12.1985, AZ: 2
BvR 1167/84, juris) und das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 23.04.1993, AZ:
3 C 12/91, juris).
Die vorgenannte Rechtsprechung ist auch nicht durch die AO 1977 mit Schaffung
von ausdrücklichen Normen, die den Sachverhalt der Selbsterrechnungserklärung
im Steuerrecht regeln, den §§ 164, 168 AO, gegenstandslos geworden.
Insbesondere ist damit nicht die Wertung der Beitragsmitteilungen als
Vorbehaltsfestsetzung vorgezeichnet. Diese Normen geben der Steueranmeldung
die Wirkung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung,
welche bereits alle Wirkungen eines Verwaltungsakts (Steuerbescheids) hat.
Insoweit handelt es sich um eine gesetzliche Verwaltungsaktfiktion (vgl.
Tipke/Kruse, AO, § 168 Tz. 1). Die Steueranmeldung ist, wie die
streitgegenständliche Beitragsmitteilung, dadurch gekennzeichnet, dass der
Steuerpflichtige die Steuer selbst errechnet (§ 150 Abs. 1 Satz 2 AO) und den von
ihm errechneten Betrag an das Finanzamt abzuführen hat. Eine Festsetzung ist
nur dann erforderlich, wenn das Finanzamt von einer Steueranmeldung abweichen
will oder der Steuerpflichtige die Steueranmeldung nicht abgibt, § 167 AO.
Sinn einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung ist es, dass
einerseits, wie beim Umlageverfahren auch, eine rasche Steuererhebung möglich
ist, andererseits der Steuerfall offengehalten wird, und zwar sowohl zugunsten des
Fiskus als auch zugunsten des Steuerpflichtigen. Einzige Voraussetzung für die
Beifügung des Vorbehalts nach § 164 AO ist, dass der Steuerfall noch nicht
abschließend geklärt ist; nach abschließender Prüfung entfällt die Rechtfertigung
für den Vorbehalt (vgl. Klein, AO, 6. A. § 164, 1., 7.). Mithin hat der Gesetzgeber
durch die Fiktion in § 168 AO zum Ausdruck gebracht, dass er es auch bei der
Steueranmeldung als zentral ansieht, dass der Steuerfall noch nicht
abgeschlossen ist. Erst mit Ablauf der 4-jährigen Festsetzungsfrist entfällt der
Vorbehalt, gemäß § 164 Abs. 4 AO. Vergleichbare Regelungen bzw.
Regelungszusammenhänge enthalten das AbsFondsG und die dazu ergangenen
Verordnungen nicht. Die MilchWumlV HE verweist weder auf die einschlägigen
Regelungen der AO noch regelt sie, dass die Beitragsmitteilung eine
Steueranmeldung ist, wie das der Gesetzgeber hinsichtlich der
Lohnsummensteuererklärung mit Art. 12 Nr. 7 des Einführungsgesetzes zur
Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14.12.1976 (BGBl. I S. 3341), der den § 26
Abs. 2 Satz 3 GewStG entsprechend neu fasst, getan hat. Die Kammer sieht
jedenfalls keine Gründe, die dafür sprechen, dass allein die Vorbehaltsfestsetzung
nach der AO den Besonderheiten des vorliegenden Heranziehungsverfahrens
gerecht werden könnte. Auf allgemeine Rechtsgrundsätze und Auslegungsregeln
kann daher vorliegend ebenso zurückgegriffen werden wie auf die oben
aufgezeigte frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, zumal auch
das Bundesverwaltungsgericht in der oben genannten Entscheidung vom
27.04.1995 (AZ: 3 C 9/95, a.a.O.) die Abgabenmitteilung nach dem
Verwaltungsverfahrensrecht beurteilt hat. Schließlich sind auch in den bisher
ergangenen Entscheidungen betreffend der Anfechtung bzw. Rückabwicklung von
Beitragszahlungen nach dem AbsatzFondsG nicht die Vorschriften der AO bei der
Charakterisierung des Verwaltungsakts herangezogen worden (vgl. VG Köln, Urt. v.
10.06.2010 – 13 K 5186/09 -, juris; Urt. v. 24.06.2010 - 13 K 5847/09 -, juris).
Anknüpfend an die oben dargestellte Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur Selbsterrechnungserklärung stellt die Kammer bei
der Beurteilung des Regelungscharakters der Beitragsmitteilungen auf Sinn und
Zweck des vorliegenden Heranziehungsverfahrens unter Berücksichtigung von
Praktikabilitäts- und Billigkeitserwägungen ab. Hiernach gelangt sie zu der
Auffassung, dass das Erhebungsverfahren mit der jeweiligen Beitragsmitteilung
ebenso abgeschlossen sein soll, wie wenn ein förmlicher Bescheid mit
anschließender Zahlung vorläge. Denn die lediglich für den Ausnahmefall (§ 3 Abs.
2 MilchWUmlV HE) geregelte Festsetzung des Beitrags durch Bescheid ist nur
sinnvoll, wenn auch im Regelfall ein entsprechender Bescheid zustande kommen
soll, der die Rechtsbehelfsfristen in Lauf setzt. Gründe, die ein Abweichen vom
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soll, der die Rechtsbehelfsfristen in Lauf setzt. Gründe, die ein Abweichen vom
Verwaltungsverfahrensrecht gebieten, indem der Heranziehungsakt offen zu
halten wäre, wie bei der Steueranmeldung, sind nicht ersichtlich. Vielmehr
erscheint die vier-jährige Festsetzungsfrist aus Gründen der Rechtssicherheit auch
nicht sinnvoll. Die Behörde kann unmittelbar mit Erfassung der angegebenen
Mengenmitteilungen und der vorgegebenen zeitgleichen Zahlung
Plausibilitätskontrollen durchführen und die Höhe des errechneten Beitrags
nachprüfen. Im Falle einer erst nach Eintritt der Bestandskraft festgestellten
unzutreffenden Mengenmitteilung steht der Behörde der Weg der Rücknahme
nach § 48 HVwVfG offen. Der Abgabeschuldner kennt die von ihm selbst
errechneten und gezahlten Beiträge (1,22 € je 1000 kg), so dass es der Billigkeit
entspricht, dass er diese auch als für sich rechtlich verbindlich festgestellt
annimmt. Mit der unbeanstandeten Entgegennahme der monatlichen Mitteilungen
des Abgabeschuldners bringt die Behörde konkludent den Willen zum Ausdruck,
den aufgrund der mitgeteilten Menge errechneten Beitrag vereinnahmen zu wollen
und trifft damit jeweils hoheitliche Maßnahmen. Maßgeblich ist mithin der Zugang
bei der Behörde; dieser kann in entsprechender Anwendung der
verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften vom Absender errechnet und davon
ausgegangen werden, dass die Mitteilungen binnen 3 Tagen nach Absendung
eingegangen sind (vgl. § 41 Abs. 2 HVwVfG). Mit diesem Verständnis wird den
Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und der Verwaltungsökonomie zugleich
Rechnung getragen, was umso mehr gilt, als es im Regelfall bei dieser Berechnung
sein Bewenden hat, wie der vorliegende Fall bestätigt. Der Vertreter des Beklagten
hat nämlich in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei keine Beitragszahlung
angefochten worden und Plausibilitätskontrollen hätten zu keinen Beanstandungen
geführt. Was die monatlichen Schreiben des Beklagten an die Klägerin betrifft,
handelt es sich hierbei hinsichtlich der Beitragshöhe um eine bloße Wiedergabe
eines bereits vorhandenen Verwaltungsakts ohne neuen Regelungsgehalt
hinsichtlich der Beitragshöhe (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 35 Rdnr. 55; § 41
Rdnr. 19), verbunden mit der Regelung einer verlängerten Zahlungsfrist, die der
Beklagte im Rahmen seiner nach § 4 MilchWUmlV HE gegebenen Zuständigkeit ab
dem 01.01.2005 mit der Umstellung des Rechnungswesens aus Gründen der
haushaltsmäßigen Abwicklung treffen durfte.
Der damit bestehende Rechtsgrund für die Erlangung der entrichteten Beiträge ist
auch nicht nachträglich wieder entfallen. Die als Beitragsbescheide geltenden
Beitragsmitteilungen sind nicht durch die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nichtig geworden. Zwar hat das
Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 03.02.2009 – 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122,
316) die gesetzlichen Grundlagen der Beitragserhebung (§ 10 Abs. 1 bis Abs. 8
AbsFondsG) als mit dem Grundgesetz unvereinbar und damit nichtig erklärt. Nach
§ 31 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG)
hat die Entscheidung Gesetzeskraft und entfaltet damit Allgemeinwirkung. Nach §§
82 Abs. 1, 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben jedoch die auf einer für nichtig
erklärten Norm beruhenden, nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen davon
unberührt.
Auch liegt eine Nichtigkeit nach § 44 HVwVfG nicht vor. Zwar stellt der Umstand,
dass das Bundesverfassungsgericht die Beitragsregelung für nichtig erklärt hat,
einen besonders schwerwiegenden Fehler dar, weil die Ermächtigungsgrundlage
wegen deren Verfassungswidrigkeit fehlt; die Unvereinbarkeit der Beitragsregelung
mit dem Grundgesetz war jedoch im Zeitraum der Heranziehungen nicht
offenkundig im Sinne dieser Vorschrift. Mehrere Gerichte haben die
Beitragserhebung selbst dann noch für zulässig erachtet bzw. die
Verfassungswidrigkeit des AbsFondsG nicht als offensichtlich bezeichnet, als der
Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 18.05.2006 bereits dem
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegen hat (so VG München, B. v.
8.01.2007 – M 18 S 06.4166 -, juris; Bay VGH, B. v. 4.04.2007 – 19 CS 07.400-,
juris). Daran gemessen fehlt es hier an der zu fordernden Evidenz.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Beitragsbescheide nach § 48
Abs. 1 Satz 1 HVwVfG, denn die dafür erforderliche Ermessensreduzierung auf Null
liegt nicht vor.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG kann ein rechtswidriger belastender
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückgenommen werden. Die vorliegenden Beitragsbescheide
sind aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig
geworden. Damit war der Beitragserhebung formell wie materiell bereits bei Erlass
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geworden. Damit war der Beitragserhebung formell wie materiell bereits bei Erlass
der Beitragsbescheide, auf den es maßgeblich ankommt, die Rechtsgrundlage
entzogen.
Einer Rücknahme steht § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, durch den die Rechtsfolgen
der Nichtigkeit im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt
werden, auch nicht entgegen (vgl. Bethge, in Maunz/W./Bleibtreu/ Klein/ Ulsamer,
BVerfGG, § 79, Rdnr. 56 m.w.N.).
Der Beklagte hat jedoch ermessensfehlerfrei die Rücknahme abgelehnt.
Bei der Ausübung des Rücknahmeermessens hinsichtlich belastender
Verwaltungsakte kommt dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell
kein größeres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem
anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen
ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.01.1974 – 8 C 20.72 – BverwGE 44, 333). Das der
materiellen Einzelfallgerechtigkeit gegenläufige Gebot der Rechtssicherheit ist ein
wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit und damit ein Konstitutionsprinzips
des Grundgesetzes. Aus ihm folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit
unanfechtbarer Verwaltungsakte. Gibt die Rechtsordnung der Verwaltungsbehörde
die Möglichkeit, durch Hoheitsakt für ihren Bereich das im Einzelfall rechtlich
Verbindliche festzustellen, zu begründen oder zu verändern, so besteht auch ein
verfassungsrechtliches Interesse daran, die Bestandskraft des Hoheitsaktes
herbeizuführen. Diese mögliche Folge, auch rechtswidrige, aber bestandskräftige
Verwaltungsakte hinzunehmen, wird in ihren Auswirkungen begrenzt durch die
Möglichkeit der fristgerechten Anfechtung belastender Verwaltungsakte mit
Widerspruch und Anfechtungsklage. Die mit dem Verstreichen der Anfechtungsfrist
regelmäßig einhergehende Bestandskraft eines Verwaltungsakts ist mithin das
Instrument zur Gewährleistung von Rechtssicherheit (vgl. BVerfG, B. v. 20.04.1982
– 2 BvL 26/81 – BverfGE 60, 253). Tritt der Grundsatz der Rechtssicherheit mit dem
Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, so ist es zunächst Sache des
Gesetzgebers und dann der Rechtsprechung, das Gewicht, das ihnen in dem zu
regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden
Prinzipien der Vorrang gegeben werden soll (vgl. BVerfG, B. v. 14.03.1962 – 1BvL
28/62 – BverfGE 15, 313). Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, der das erkennende Gericht folgt, besteht mit Blick
auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise dann ein Anspruch
auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes, wenn dessen
Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist. Ob sich die Aufrechterhaltung des
Verwaltungsaktes als schlechthin unerträglich erweist, hängt von den Umständen
des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Das
Festhalten an dem Verwaltungsakt ist etwa dann schlechthin unerträglich, wenn
die Behörde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dadurch verstößt, dass sie in
gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen in der Regel von ihrer Befugnis zur
Rücknahme Gebrauch macht, hiervon jedoch in anderen Fällen ohne
rechtfertigenden Grund absieht. Genauso liegt es, wenn Umstände gegeben sind,
die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen
die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Auch eine – im
Zeitpunkt des Erlasses - offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
kann die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin
unerträglich. Ferner kann in dem einschlägigen Fachrecht eine bestimmte
Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben sein, dass das
Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des
Verwaltungsaktes ausgeübt werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem
Sinne als intendiert erweist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 07.07.2004 – 6 C 24.03 -,
BVerwGE 121, 226 ff m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 17.01.2007 – 6 C 32,06, NVwZ
2007, 709 ff).
Nach diesen Grundsätzen scheidet hier die Annahme einer Reduzierung des
Rücknahmeermessens auf Null von vornherein aus. Die von dem Beklagten
getroffene Ermessensentscheidung, die Beitragsbescheide nicht zurückzunehmen,
führt nicht zu einem „schlechthin unerträglichen“ Ergebnis. Allein der Umstand,
dass damit auf verfassungswidriger Grundlage ergangene Bescheide aufrecht
erhalten bleiben, begründet eine solche Bewertung keinesfalls, wie § 79 Abs. 2 S. 1
BVerfGG aufzeigt.
Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Beitragsbescheide im maßgeblichen
Zeitpunkt des Erlasses ist – wie unter I. bei der Frage der Nichtigkeit der
Beitragsbescheide ausgeführt - nicht gegeben. Auch im Übrigen liegen keine
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Beitragsbescheide ausgeführt - nicht gegeben. Auch im Übrigen liegen keine
Umstände vor, die die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide als „schlechthin
unerträglich“ erscheinen ließen und daher zu einer Ermessensreduzierung führen
könnten. Dem einschlägigen Fachrecht lässt sich nichts für eine zwingende
Rücknahme Sprechendes entnehmen, so dass es bei dem in § 79 Abs. 2 S. 1
BVerfGG niedergelegten allgemeinen Grundsatz verbleibt. Der Gesetzgeber räumt
darin dem der materiellen Einzelfallgerechtigkeit gegenläufigen Gebot der
Rechtssicherheit grundsätzlich den Vorrang ein.
Nichts anderes gilt in Ansehung der von der Klägerin in besonderer Weise betonten
gravierenden Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG oder
auch der weiteren, zur Begründung der Nichtigkeit vom Bundesverfassungsgericht
genannten Verfassungsverstöße. Soweit die Klägerin diesen eine entsprechende
Durchschlagswirkung auf die zu treffende Ermessensentscheidung beimisst, steht
dem entgegen, dass es sich hier um Elemente handelt, die u. a. zur
Verfassungswidrigkeit geführt haben bzw. vom Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung bereits berücksichtigt wurden. Einer von der Klägerin letztlich
angestrebten Doppelverwertung dieser Elemente, sowohl bei der Rechtswidrigkeit
der Bescheide selbst als auch bei der Rücknahmeentscheidung im Wege der
Ermessensreduzierung, steht, wie oben bereits ausgeführt, die Ratio des § 79 Abs.
2 Satz 1 BVerfGG entgegen. Auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben oder die
guten Sitten liegt nicht vor. Aus den oben dargelegten Gründen zur
offensichtlichen Rechtswidrigkeit war es für den Beklagten nicht ersichtlich, dass
das Absatzfondsgesetz in maßgeblichen Teilen verfassungswidrig war. Er hat daher
nicht „sehenden Auges“ verfassungswidrige Beitragsbescheide erlassen in der
Hoffnung, dass sie mangels Anfechtung bestandskräftig würden.
Die Ablehnungsentscheidung des Beklagten hält sich auch im Übrigen im Rahmen
der gesetzlichen Grenzen des Ermessens (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Zu Recht hat
der Beklagte in die Erwägungen einbezogen, dass die Rechtsfolgen der
bestandskräftigen Verwaltungsakte in der Vergangenheit abgeschlossen und
bereits seit mehreren Jahren unanfechtbar sind. Soweit der Beklagte ausführt, die
Bescheide seien mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen, trifft dies
zwar nicht zu. Dies ist jedoch unerheblich, da der Beklagte hier, wie aus den
weiteren Ausführungen in diesem Zusammenhang folgt, ersichtlich hat darauf
abstellen wollen, dass die Klägerin die Beitragserhebungen über die Jahre
akzeptiert hat. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt auch nicht, wie der
Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf den
Wortlaut des Ergebnisvermerks vom 13.02.2009 meint, darin, dass der Beklagte
etwa gar keine eigene Ermessensentscheidung getroffen, sondern schlicht eine
Weisung des Bundesjustizministeriums, Wiederaufgreifensanträgen nicht zu
entsprechen, umgesetzt hatte. Dem hat der Beklagte zu Recht entgegnet, es
liege keine verbindliche Vorgabe vor, der Vermerk beinhalte eine reine
Aufzeichnung der Besprechung.
Weiterhin war die Erwägung des Beklagten nicht ermessensfehlerhaft, er habe die
vereinnahmten Beiträge an den Absatzfonds zur Erfüllung seiner gesetzlichen
Aufgaben, der Durchführung von Absatzförderungsmaßnahmen, abgeführt und
dieser die ihm zur Verfügung gestellten Mittel auch zur Absatzförderung
verwendet. Soweit sich der Beklagte ferner auf die Vielzahl der im Falle einer
Rücknahme ebenfalls wiederzueröffnender Verfahren und den damit verbundenen,
nicht zu bewältigenden Personal- und Zeitaufwand berufen hat, handelt es sich
zwar grundsätzlich um legitime Ermessenserwägungen. Vorliegend erscheint diese
Erwägung allerdings nicht tragfähig, da das Regierungspräsidium Gießen lediglich
für die Beitragserhebungen eines überschaubaren Kreises von Molkereien,
Milchsammelstellen und Rahmstationen, an die hessische Erzeuger Milch liefern,
zuständig war. Wie der Beklagte im Schriftsatz vom 23.11.2009 zum
Parallelverfahren 2 K 1414/09.GI.A für die Kammer überzeugend ausgeführt hat,
hat er allerdings diesen Erwägungen auch kein tragendes Gewicht beigemessen.
Die Klägerin kann auch nicht auf dem Wege des Wiederaufgreifens der Verfahren
die begehrte Aufhebung der bestandskräftigen Beitragsbescheide verlangen.
Die Voraussetzungen des von den Wiederaufgreifensgründen allein in Betracht
kommenden § 51 Abs. 1 Nr. 1 HVwVfG liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift hat
die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines
unanfechtbaren Verwaltungsaktes – hier: der bestandskräftigen Beitragsbescheide
- zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach-
oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Durch die
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oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Durch die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die hier maßgeblichen
Normen des Absatzfondsgesetzes für nichtig erklärt worden sind, ist jedoch eine
Änderung der Rechtslage in diesem Sinne nicht eingetreten (vgl. Kopp/Ramsauer,
VwVfG, § 51, Rn. 30). Gerichtliche Entscheidungen über die Gültigkeit von
Rechtsvorschriften wirken nicht konstitutiv auf das materielle Recht ein. Vielmehr
bestätigen Nichtigerklärungen eine schon gegenüber dem Verwaltungsakt
jedenfalls von den Gerichten aufgrund des richterlichen Prüfungsrechts durch
eigene Verwerfung oder gegebenenfalls Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu
beachtende, unverändert gebliebene Rechtslage (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs,
VwVfG, § 51 Rdnr. 100). Von dieser rechtstheoretischen Grundannahme hat sich
ersichtlich auch der Gesetzgeber leiten lassen, wenn er in dem einzigen Fall, in
dem gerichtlichen Entscheidungen ausdrücklich Gesetzeskraft beigemessen wird
(vgl. § 31 BVerfGG), in dem also nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ein Wiederaufgreifen
alter Verfahren grundsätzlich geboten sein könnte, in § 79 Abs. 2 BVerfGG
geregelt hat, dass die Bestandskraft unanfechtbarer, auf der nichtigen Norm
beruhenden Entscheidungen unberührt bleibt. Eine Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr.
1 VwVfG, nach der die Nichtigkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts eine
Änderung der Rechtslage bedeutete und mithin zu einem Anspruch auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens führte, würde in einem Wertungswiderspruch zu
der ausdrücklichen Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG stehen (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 11.10.1966 – 1 BvR 178/64, BVerfGE 20, 230).
Unabhängig davon, dass bereits ein Wiederaufgreifensgrund nicht vorliegt, steht
einem Anspruch der Klägerin entgegen, dass sie nicht ohne grobes Verschulden
außer Stande gewesen ist, den Grund für das Wiederaufgreifen in den früheren
Verfahren insbesondere durch Rechtsbehelfe geltend zu machen (§ 51 Abs. 2
VwVfG). Sie hat gegen die Beitragsbescheide für den Zeitraum ab Oktober 2005 ,
also zeitlich vor dem Vorlagebeschluss des VG Köln vom 18.05.2006, Rechtsmittel
eingelegt, gleiches hätte sie auch bereits hinsichtlich der streitgegenständlichen
Zeiträume tun können.
II. Da den Beitragsmitteilungen nach den obigen Ausführungen nicht die Wirkung
von Steuerfestsetzungen unter Vorhalt der Nachprüfung gemäß § 168 AO
zukommt, dringt die Klägerin auch mit ihrem Hilfsantrag auf Aufhebung der
Beitragsbescheide nicht durch. Entsprechend besteht auch für die weiter hilfsweise
begehrte Verpflichtung des Beklagten, die Absatzfondsbeiträge auf 0
festzusetzen, keine Rechtsgrundlage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.