Urteil des VG Freiburg vom 03.03.2017

einstellung des verfahrens, bundesamt, rücknahme, aufschiebende wirkung

VG Freiburg Beschluß vom 3.3.2017, A 7 K 817/17
Leitsätze
1. Die Rücknahme des Asylantrags zusammen mit der Klageerhebung führt allein noch nicht zur
Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung. Denn bei einer Rücknahme des Asylantrags muss, wenn keine
Abschiebungsverbote vorliegen, eine inhaltsgleiche Abschiebungsandrohung ohne weitere Sachprüfung
ergehen.
2. Auch die Rechtmäßigkeit der Ausreisefrist wird durch die Rücknahme des Asylantrags nach Erlass des
Bundesamtsbescheides nicht berührt.
Tenor
Die Anträge der Antragsteller auf Gewährung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt.
Die Anträge der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens je zur Hälfte.
Gründe
1 Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Berichterstatter als Einzelrichter.
2 1. Die Anträge auf Gewährung auf vorläufigen Rechtsschutzes haben – wie sich aus dem Nachstehenden
ergibt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weshalb der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
abzulehnen ist (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3 2. Die Anträge auf Gewährung auf vorläufigen Rechtsschutzes bleiben in der Sache ohne Erfolg.
4 a) Die Antragsteller haben in ihren am 13.02.2017 erhobenen Klagen – A 7 K 816/17 – beantragt, die
Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass das Asylverfahren (nach ihrer in der Klageschrift zuvor
erklärten Rücknahme der Asylanträge) eingestellt sei und „ob/das“ ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5
oder 7 AufenthG vorliege. Hilfsweise haben sie beantragt, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass
ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliege.
5 Obgleich sie eine Aufhebung der im Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt)
vom 31.01.2017 enthaltenen Abschiebungsandrohung nicht ausdrücklich beantragt haben, werden die
Klagen sachdienlich dahin ausgelegt, weil dies dem erkennbaren Rechtsschutzbegehren der Antragsteller
entspricht (vgl. § 88 VwGO).
6 b) Die Anträge der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die im
Bescheid des Bundesamtes verfügte Abschiebungsandrohung sind zulässig, insbesondere ist die
Nichteinhaltung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 AsylG nicht festzustellen, da der Bescheid des Bundesamtes
offensichtlich nicht den Vorgaben des Verwaltungszustellungsgesetzes gemäß, sondern mit
Einwurfeinschreiben (vgl. VAS 89), zugestellt worden ist.
7 c) Die Anträge sind jedoch unbegründet. Hat das Bundesamt - wie hier - einen Asylantrag als offensichtlich
unbegründet abgelehnt, so darf das Gericht die Aussetzung der Abschiebung nur anordnen, wenn zum
maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Entscheidung des Bundesamts bestehen (Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ob dies
auch für die – atypische – Konstellation gilt, dass der Asylbewerber im gerichtlichen Verfahren nicht (mehr)
seinen Asylantrag weiterverfolgt, sondern die Ersetzung der Sachentscheidung durch die
Einstellungsentscheidung nach § 32 AsylG verbunden mit der Feststellung des Vorliegens eines
Abschiebungsverbots begehrt, kann dahinstehen. Denn selbst wenn man zugunsten der Antragsteller den
für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO geltenden Maßstab anlegt, erweist
sich der Antrag als unbegründet. Danach hat ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Erfolg, wenn das private
Aussetzungsinteresse das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt.
8 Dabei kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache besondere Bedeutung zu.
Rechtsbehelf der Hauptsache ist – wie oben bereits ausgeführt – allein die Anfechtung der im Bescheid des
Bundesamts unter Ziffer 5 erlassene Abschiebungsandrohung. Diese Abschiebungsandrohung ist
voraussichtlich zu recht erlassen worden.
9 Selbst wenn man der in der Klageschrift erklärten Rücknahme der Asylanträge – ungeachtet bestehender
Zweifel an der formellen Wirksamkeit – die von den Antragstellern offenbar intendierte Wirkung beimisst,
dass dem Bescheid des Bundesamtes hinsichtlich der Ablehnung der Asylanträge in der Sache (Ziffern 1 bis 3
des Bescheides) und womöglich auch der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs.
7 AufenthG (Ziffer 6 des Bescheides) die Grundlage entzogen wird und das Bundesamt (gegebenenfalls
unter Aufhebung der genannten Entscheidungen) eine Einstellung nach § 32 AsylG verfügen muss, würden
die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG allein hierdurch nicht in
Frage gestellt. Denn die Voraussetzungen von § 34 Abs. 1 Nr. 1 bis 2a AsylG, dass die Antragsteller weder
als Asylberechtigte anerkannt worden, noch ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt oder der subsidiäre
Schutz gewährt worden ist, sind unabhängig davon erfüllt, ob das Bundesamt bereits eine ablehnende
Entscheidung getroffen hat oder der Asylantrag insofern zurückgenommen worden ist (vgl. nur Pietzsch, in:
BeckOK-Ausländerrecht, § 34 AsylG Rn. 23).
10 Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsteller einen Aufenthaltstitel besitzen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AsylG).
11 Erfolg könnten die Antragsteller daher nur haben, wenn die Feststellung eines Abschiebungsverbots (vgl. §
34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) zumindest so ernstlich in Betracht käme, dass die endgültige Klärung dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten werden müsste. Dann wäre die aufschiebende Wirkung der gegen die
Abschiebungsandrohung gerichteten Klagen mit Rücksicht auf die Wertung des Art. 19 Abs. 4 GG
anzuordnen. So liegt es hier jedoch nicht. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5
oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, dessen Feststellung die Antragsteller in der Sache alleine noch begehren,
liegen ersichtlich nicht vor. Die Mutter der Antragsteller hat zur Begründung der Asylanträge der
Antragsteller schriftlich erklärt, dass es allein in Kosovo sehr schlecht ergangen sei, dass der Vater der
Antragsteller die Familie verlassen habe und abgehauen sei. Der – nach damaligem Recht zutreffend – selbst
angehörte Antragsteller zu 1) hat bei seiner Anhörung am 28.07.2015 erklärt, dass er sich auf die von
seiner Mutter vorgebrachten Asylgründe beziehe. Diese hat gegenüber dem Bundesamt auf Nachstellungen
durch ihren Ehemann, ihren Schwager und eventuelle Geldeintreiber abgehoben. Hieraus lassen sich keine
Abschiebungsverbote herleiten (vgl. den dem Prozessbevollmächtigten und der Mutter der Antragsteller
bekannten Beschluss des VG Freiburg vom 22.02.2016 - A 6 K 239/16 -). Die Klage der Mutter gegen den
Bescheid vom 14.01.2016, in dem dies festgestellt worden ist, hat diese – durch den jetzigen
Prozessbevollmächtigten der Antragsteller – zurückgenommen. Die Antragsteller haben auch im hiesigen
gerichtlichen Verfahren keine Angaben dazu gemacht, warum in ihrer Person die Voraussetzungen für ein
Abschiebungsverbot vorliegen sollten.
12 Die Klagen der Antragsteller gegen die Abschiebungsandrohung haben auch nicht deshalb Aussicht auf
Erfolg, weil diese zu früh ergangen wäre. Zwar sind eine Abschiebungsandrohung ebenso wie die
Feststellung, dass ein Abschiebungsverbot nicht besteht, mit dieser Erwägung aufzuheben, wenn eine
Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG oder die Einstellungsentscheidung nach § 33 AsylG auf die
Anfechtungsklage hin aufgehoben wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris, Rn. 21; Urt. v.
07.03.1995 - 9 C 264.94 -, juris, Rn. 19). Diesen Konstellationen ist jedoch gemein, dass das Asylverfahren
nach erfolgreicher Anfechtung dergestalt durch das Bundesamt fortzuführen ist, dass eine
weitere
Sachprüfung erfolgen und anschließend hieran eine neue oder erstmalige Sachentscheidung zu treffen ist.
Wird jedoch – wie hier – der Bescheid des Bundesamtes allein zu dem Zweck angefochten, anstelle der
Sachentscheidung eine Verfahrenseinstellung herbeizuführen, ist eine weitere Sachprüfung nicht veranlasst
und die Einstellungsentscheidung kann umgehend ergehen. Dass die weiteren Entscheidungen des
Bundesamtes verfrüht erlassen worden wären, kann in dieser Situation nicht behauptet werden. Die Kläger
haben insbesondere kein berechtigtes Interesse daran, bis zu der von ihnen vorliegend sogar mit der
Verpflichtungsklage begehrten Einstellungsentscheidung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont
zu bleiben. Sie verhielten sich selbstwidersprüchlich, wenn sie einerseits mit ihren Klagen die Verpflichtung
der Beklagten begehrten, eine Einstellung des Asylverfahrens festzustellen (womit notwendig der Erlass
eine Abschiebungsandrohung einherginge, die mit derjenigen unter Ziffer 5 des Bescheides inhaltsgleich
wäre), und sich andererseits darauf beriefen, dass das Bundesamt bis zur Erfüllung des eingeklagten
Anspruchs aus rein verwaltungstechnischen Gründen eine gewisse Zeit benötige. Dass die bereits erlassene
Abschiebungsandrohung tatsächlich vor dem Erlass der von den Antragstellern begehrten
Einstellungsentscheidung vorliegt, führt nicht dazu, dass sie „verfrüht“ im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts ergangen wäre.
13 Schließlich greift die erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs im Asylverfahren nicht durch. Der
Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat sich erstmals auf die Aufforderung zur Stellungnahme wegen
der Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots vom 12.11.2015 mit Schreiben vom
19.11.2015, beim Bundesamt eingegangen am 23.11.2015, als Bevollmächtigter bestellt. Er hat sich darauf
beschränkt, diese Anhörung als verfrüht zu rügen, weil die Entscheidung nach § 11 Abs. 7 AufenthG nach
seiner Rechtsauffassung die Bestandskraft eines den Asylantrag ablehnenden Bescheides voraussetzt.
Weder in diesem Schreiben noch später hat der Bevollmächtigte geltend gemacht, dass Erklärungen zur
Sache abzugeben seien oder die Antragsteller bzw. ihre Mutter bisher nicht ausreichend in der Lage
gewesen seien, die Gründe für das Asylgesuch vorzubringen. Dies ist auch im gerichtlichen Verfahren nicht
substantiiert behauptet worden. Insbesondere hat der Bevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt kein
Gesuch auf Gewährung von Akteneinsicht gestellt noch sonst zu erkennen gegeben, dass er oder seine
Mandantschaft in die Akte Einsicht nehmen möchte. Dass ihm eine solche nicht gewährt worden ist, kann
folglich einen Verfahrensmangel nicht begründen.
14 Auch die Ausreisefrist von einer Woche ist nicht zu beanstanden. Sowohl bei der Ablehnung des Asylantrags
als offensichtlich unbegründet als auch bei Einstellung des Verfahrens nach Rücknahme des Asylantrags
beträgt die Ausreisefrist eine Woche (vgl. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG). Dass § 38 Abs. 2 AsylG dem
Wortlaut nach auf den Fall der Rücknahme
vor Erlass der Entscheidung abstellt, ist allein dem Umstand
geschuldet, dass bei Rücknahme nach Erlass der Sachentscheidung bereits eine – im Fall der Ablehnung als
einfach-unbegründet gemäß § 38 Abs. 1 AsylG längere – Ausreisefrist gesetzt worden ist (vgl. Pietzsch, in:
BeckOK-Ausländerrecht, § 38 AsylG Rn. 6). Diese bleibt auch nach Rücknahme des Asylantrags maßgeblich
(vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 32 Rn. 34; § 38 Rn. 16). Es wäre auch widersinnig, den Betroffenen, der
die Berechtigung seines Asylantrags nicht etwa gegen die Ablehnung als offensichtlich-unbegründet
verteidigt, sondern – im Gegenteil – sogar zurücknimmt und sich damit selbst und freiwillig in die Rolle des
Unterlegen begibt, irgendwie besser zu stellen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 32 Rn. 35 mit Blick auf den
Fall des Verzichts). Die Vorschrift des § 38 Abs. 3 AsylG kommt schon deshalb nicht zum Tragen, weil die
Antragsteller keine Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise signalisiert und auch keinen entsprechenden
Antrag beim Bundesamt gestellt haben.
15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. 100 Abs. 1 ZPO.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Verfahren nach dem Asylgesetz nicht erhoben (§ 83b
AsylG).
16 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).