Urteil des VG Freiburg vom 13.03.2017

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VG Freiburg Beschluß vom 13.3.2017, 4 K 4916/16
Leitsätze
1. Die in der Rechtsprechung vielfach angewendete Vermutungsregel, dass eine Windenergieanlage eine optisch
bedrängende Wirkung auf eine Wohnnutzung nur dann hat, wenn ihr Abstand zur Wohnnutzung das Maß der
zweifachen Höhe unterschreitet, bedarf für Anlagen der neuen Generation mit Höhen von 200 m oder mehr der
Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren.
2. Das gleiche gilt für die Annahme, dass die optisch bedrängende Wirkung einer Windenergieanlage dann
typischerweise geringer ist, wenn ihr Standort wesentlich höher liegt als der der Wohnnutzung.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die vom Landratsamt Lörrach der
Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 23.11.2016 wird hinsichtlich der
Windenergieanlage 1 wiederhergestellt.
Im Übrigen wird der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen je ein Viertel der Gerichtskosten und der außergerichtlichen
Kosten des Antragstellers. Der Antragsteller trägt die Hälfte der Gerichtskosten und jeweils die Hälfte der
außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners und der Beigeladenen. Ihre außergerichtlichen Kosten im Übrigen
behalten die Beteiligten jeweils auf sich.
Der Streitwert wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1 Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz wegen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
für mehrere Windenergieanlagen.
2 Der Antragsteller ist Eigentümer und teilweise auch Pächter von Grundstücken auf der Gemarkung
Schopfheim-Gersbach, die eine etwa 30 ha große Waldlichtung südlich des auf Gemarkung Hasel liegenden
Glaserkopfs bilden. Sein auf der Lichtung stehendes Wohnhaus (...) sowie weitere landwirtschaftlich
genutzte Gebäude hat der Antragsteller mit seiner Ehefrau im Jahr 2009 ausgebaut. Die Eheleute betreiben
dort eine Landwirtschaft, den „...“. Dazu gehört die Zucht von Islandpferden (zur Zeit etwa 40 Tiere
unterschiedlichen Alters), von Limousin-Rindern und von Schafen; ferner bieten sie - baurechtlich noch nicht
genehmigte - Ferienwohnungen sowie Yoga-Kurse an.
3 Die Beigeladene ist eine GmbH, welche als Tochterunternehmen für ein großes Energieunternehmen
Windkraftprojekte ausführt.
4 Auf den Antrag der Beigeladenen vom 04.12.2015, zuletzt geändert am 01.08.2016, erteilte das
Landratsamt Lörrach nach Beteiligung des Antragstellers unter dem 23.11.2016 eine
immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb des „Windparks Hasel“,
bestehend aus fünf Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 137 m (Windenergieanlage 1) bzw. 149
m (Windenergieanlagen 2 bis 5) und (bei allen) einem Rotordurchmesser von 126 m, also Gesamthöhen von
200 m (Windenergieanlage 1) bzw. 212 m (Windenergieanlagen 2 bis 5). Laut Genehmigung betragen die
Abstände der Windenergieanlagen 1 bis 3 zu dem Wohnhaus des Antragstellers 409 m (bzw. zu einem zum
Wohnhaus gehörenden Freisitz 402 m), 746 m und 1101 m. Die weiteren Windenergieanlagen sind vom
Wohnhaus des Antragstellers aus nicht sichtbar. Die Windenergieanlage 1 wird auf einer Höhe von 843,25
m ü. NN. nahe am Gipfel des Glaserkopfs errichtet; das südlich gelegene Wohnhaus des Antragstellers liegt
auf 746 m ü. NN.
5 In der Genehmigung wird zur Frage, ob die dem Anwesen des Antragstellers nächstgelegene
Windenergieanlage 1 auf dieses optisch bedrängend wirken werde, ausgeführt: Der Abstand zwischen dem
Wohnhaus und der Anlage betrage mit 409 m (etwas) mehr als das Doppelte der Höhe, so dass nach der von
zahlreichen Oberverwaltungsgerichten übernommenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts
Nordrhein-Westfalen nicht regelhaft eine optisch bedrängende Wirkung anzunehmen sei. Da der Abstand
aber weniger als die dreifache Höhe der Anlage betrage, bedürfe es einer intensiven Prüfung aller Umstände
des Einzelfalls. Dabei sei zu berücksichtigen: Wer (privilegiert) im Außenbereich wohne, müsse mit weiteren
im Außenbereich privilegierten Vorhaben rechnen. Von sehr hohen Anlagen gehe naturgemäß eine andere
optische Einwirkung aus als von Anlagen mit deutlich geringerer Höhe. Zu berücksichtigen sei aber, dass die
Anlage auf der Anhöhe stehe. So werde die Drehbewegung des Rotors weniger wahrgenommen, weil der
Betroffene dafür in den Himmel starren müsse. Auch erscheine die Blickachse länger als die tatsächliche
Entfernung in der Luftlinie. Innerhalb der Gebäude sei der Rotor der Windenergieanlage gar nicht zu sehen,
nur ein Teil des Mastes. Zudem sei das Anwesen des Antragstellers nach Süden ausgerichtet. Die Anlage
befinde sich in der weniger attraktiven nördlichen Richtung, in welche die Schlafräume des Anwesens
wiesen. Wegen der vorherrschenden Windrichtungen West bzw. Nordost und weil Südwind nur zu etwa 5
% eines Jahres wehe, sei die Drehbewegung des Rotors die meiste Zeit (etwa zu 80 % des Jahres) vom
Anwesen des Antragstellers kaum oder gar nicht zu sehen. Der Antragsteller könne die Wohn-/Essbereiche,
die Terrasse und den Wintergarten nutzen, ohne dass die Anlage in den Blick gerate. Teilweise würde sie
ohnehin durch Bäume an der Grundstücksgrenze verdeckt. Beim Freisitz, der hauptsächlich nach Süden
ausgerichtet sei und bei weiteren Blickbeziehungen zur Windkraftanlage sei zudem architektonische
Selbsthilfe möglich. Soweit Räume bisher nicht genehmigt als Ferienwohnung genutzt würden, sei von
diesen aus die Windenergieanlage (nur) teilweise sichtbar. Die weiteren Windenergieanlagen befänden sich
in einer so großen Entfernung, dass es auf sie nicht ankomme. Die Genehmigung wurde dem Antragsteller
am 30.11.2016 zugestellt. In ihr hat das Landratsamt Lörrach die sofortige Vollziehung angeordnet.
6 Der Antragsteller hat am 23.12.2016 Widerspruch eingelegt und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Er
trägt vor:
7 Das Vorhaben sei wegen seiner optisch bedrängenden Wirkung ihm gegenüber rücksichtslos. Die
Windenergieanlage 1 sei für sein Anwesen allgegenwärtig und überrage es in unzumutbarer Weise. Sie
throne geradezu darüber. Dass sein Anwesen ebenfalls im Außenbereich privilegiert sei, werde nicht
berücksichtigt. Fehlerhaft halte das Landratsamt den Höhenunterschied von 97,25 m zwischen dem
Wohnhaus und dem Standort der Windenergieanlage 1 sogar für vorteilhaft. Dabei sei die Höhe, in der die
Drehbewegung des Rotors wahrzunehmen sei, von entscheidender Bedeutung. Es sei deshalb falsch, dass
das Landratsamt bei der Anwendung der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen
nicht den Höhenunterschied zwischen dem Standort der Windenergieanlage und dem Anwesen des
Antragstellers berücksichtige. Richtigerweise sei von einer Gesamthöhe der Windenergieanlage von 297,25
m auszugehen. Damit entspreche der Abstand, der im Übrigen tatsächlich nicht 409,35 m, sondern nur
404,17 m betrage, nur etwa dem 1,4 fachen der Höhe der Anlage, so dass nach der Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen regelhaft von einer Unzumutbarkeit des Vorhabens
auszugehen sei. Selbst wenn man den Höhenunterschied der Standorte nicht in diesem Sinne
berücksichtige, sei die Abwägung des Landratsamts fehlerhaft. Man könne nicht davon ausgehen, dass sich
die optisch bedrängende Wirkung mit zunehmender Höhe der Anlage für den Antragsteller verringere, weil
man bei seinem Anwesen in den Himmel blicken müsse, um die Drehbewegung des Rotors überhaupt
wahrzunehmen. Das zeige sich auch daran, dass die Beigeladene in Anschluss an eine Besprechung mit dem
Landratsamt am 15.7.2016 die Nabenhöhe der Anlage auf 137 m gesenkt habe, offensichtlich deshalb, um
zu erreichen, dass der Abstand die Schwelle der zweifachen Höhe der Anlage gerade überschreite. Nicht
richtig sei auch, dass sein Interesse, bei Arbeiten im Freien nicht der optisch bedrängenden Wirkung der
Anlage ausgesetzt zu sein, gleichsam von vornherein hinter die Privilegierung von Windenergieanlagen im
Außenbereich zurücktreten müsse. Dabei werde nicht berücksichtigt, dass er (und seine Ehefrau) sich
täglich mehrere Stunden auf den Freiflächen rund um den Hof aufhielten und sie sich dabei der optisch
bedrängenden Wirkung der Anlage nicht entziehen könnten. Zu Unrecht würden auch Terrassen- und
weitere Aufenthaltsflächen außer Betracht gelassen, bei denen teilweise der Abstand zur Anlage weniger
als 400 m betrage. Zudem habe das Landratsamt die Belange der Beigeladenen zu hoch gewichtet.
Insbesondere bestünden erhebliche Zweifel an einer ausreichenden Windhöffigkeit. Auch unterliege der
Betrieb erheblichen Einschränkungen durch Abschaltzeiten, so dass insgesamt die Wirtschaftlichkeit der
Anlage geringer sei als angenommen.
8 Neben der optisch bedrängenden Wirkung des Vorhabens sei auch erheblich, dass er sich wegen des
mangelhaften Brandschutzes ängstigen müsse; wenn die Anlage in Brand gerate, bestehe die Gefahr, dass
Teile der Anlage den Hang hinabrollten bzw. die Wiesen um sein Anwesen herum in Brand setzten.
Entgegen der Empfehlung des Kreisbrandmeisters sei keine automatische Löschanlage vorgeschrieben
worden.
9 Es bestünden erhebliche Zweifel, dass der maßgebliche Immissionsrichtwert für die Nacht von 45 dB(A)
eingehalten würde. Das von der Beigeladenen vorgelegte Schallgutachten gehe von einem um 4,83 m (409
m statt 404,17 m) zu großen Abstand der Anlage von seinem Anwesen aus. Unzureichend sei die der
Genehmigung beigefügte Anlage über die zur Vermeidung verschleißbedingter Lärmzunahme erforderliche
regelmäßige Wartung der Windkraftanlage, da keine bestimmten Wartungsintervalle vorgeschrieben seien
und auch nicht festgelegt werde, wann Verschleißteile auszutauschen seien. Der Beigeladenen würden auch
keine Nachweise zur künftigen Einhaltung der Richtwerte aufgegeben. Er habe lange an Migräne gelitten
und seine Maschinenbaufirma aufgegeben, um auf dem „...“ Ruhe zu finden. Im Jahr 2015 habe er wieder
eine schwere Migräne-Attacke gehabt. Wegen des Lärms und des von dem Windpark ausgehenden
Infraschalls sei zu befürchten, dass sich die Krankheit verschlimmere.
10 Er befürchte, dass der vom Windpark ausgehende Lärm zu Verhaltensstörungen bei den von ihm gehaltenen
Tiere führe. Das Vorhaben führe zu einer erheblichen Wertminderung des Anwesens.
11 Die Auflagen zum Schutz der Vogelart Rotmilan seien unzureichend, so dass die Genehmigung gegen das
artenschutzrechtliche Tötungsverbot verstoße. Unter Umständen begründe das Vorkommen von Nestern der
Art ein Dichtezentrum. Dies müsse noch einmal überprüft werden.
12 Der Antragsteller beantragt,
13 die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt Lörrach am
23.11.2016 erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung wiederherzustellen.
14 Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
15 den Antrag abzulehnen.
16 Der Antragsgegner trägt vor:
17 Insbesondere von der Windenergieanlage 1 gehe keine optisch bedrängende Wirkung für das Anwesen des
Antragstellers aus. Der Abstand betrage nach den Angaben im von der Beigeladenen vorgelegten
Schallgutachten 409 m und nicht nur 404,17 m. Aber auch wenn der niedrigere Wert zuträfe, ändere dies
an der Beurteilung nichts, dass der Abstand das Zweifache der Höhe der Windkraftanlage überschreite und
es deshalb auf eine Einzelfallprüfung ankomme. Zu der Höhe der Windkraftanlage sei der topographische
Höhenunterschied der Standorte von Windkraftanlage und Wohnhaus des Antragstellers nicht
hinzuzurechnen. Der topographische Höhenunterschied sei vielmehr ein Umstand, der erst bei der
Einzelfallprüfung zu berücksichtigen sei. Dass die Windkraftanlage auf einer Anhöhe stehe, trage nicht zur
Erhöhung der Bedrängung bei. Eher werde insoweit die Einwirkung auf das Anwesen des Antragstellers
verringert, da der sich bewegende Rotor nur durch einen Blick nach oben wahrzunehmen sei. Der untere
Teil des Mastes sei zudem von Wald verdeckt. Auch die weiteren Einwände des Antragstellers insoweit seien
nicht begründet.
18 Das Schallgutachten sei fehlerfrei. Ein etwa geringfügig kleinerer Abstand zwischen Windenergieanlage 1
und Wohnhaus des Antragstellers hätte auf das Ergebnis keinen Einfluss. Weitergehender Auflagen zum
Schallschutz habe es nicht bedurft. Es bestehe eine ausreichende Windhöffigkeit. Ob dies auch bei der
Windkraftanlage 5 der Fall sei, könne dahin stehen; denn die Beigeladene habe sich entschlossen, diese - aus
aktuellen Investitionsüberlegungen - vorerst nicht zu bauen. Auf Belange des Artenschutzes könne sich der
Antragsteller nicht berufen. Seine Behauptung, der Abstand zwischen Anlage und Wohnhaus sei
unzutreffend, ändere an dem Inhalt der Genehmigung nichts; denn die Koordinaten des Standorts der
Windkraftanlage seien darin festgelegt.
19 Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen Antragsgegners an und trägt ergänzend vor: Auch wenn der
Abstand von Windkraftanlage und Wohnhaus des Antragstellers unter 400 m läge, ließen die besonderen
Gegebenheiten des Einzelfalls das Vorhaben nicht als rücksichtslos erscheinen. Einwände gegen die
Windhöffigkeit des Standorts könnten vom Antragsteller nicht geltend gemacht werden; sie beträfen
lediglich die Wirtschaftlichkeit der Anlage.
II.
20 Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen
erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landratsamt Lörrach vom 23.11.2016 insgesamt, also
hinsichtlich aller fünf genehmigten Anlagen, wiederherzustellen, ist statthaft und jedenfalls hinsichtlich der
dem Anwesen des Antragstellers nächstgelegenen Windenergieanlagen 1 und 2 auch sonst zulässig.
21 Ob letzteres auch hinsichtlich der deutlich weiter entfernten Windkraftanlagen 3 bis 5 gilt, kann
dahinstehen, da der Antrag insoweit eindeutig unbegründet ist. Insbesondere muss das Gericht deshalb
nicht der Frage nachgehen, ob der Umstand, dass die Beigeladene von der Errichtung der Windkraftanlage 5
vorerst Abstand genommen hat, insoweit das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers am Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes beseitigt.
22 Der Antrag ist teilweise, hinsichtlich der Genehmigung der Windkraftanlage 1, begründet.
23 Dies folgt allerdings noch nicht daraus, dass die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auf S.
59 der Genehmigung unzureichend wäre; denn sie entspricht mit ihren Hinweisen auf die sonst der
Beigeladenen entstehenden Schäden und auf das öffentliche Interesse an einem raschen Ausbau der durch
erneuerbare Energien erzeugten Strommenge ersichtlich den Anforderungen von § 80 Abs. 3 VwGO.
24 Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO von der Kammer vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden privaten
Interessen der Beteiligten und des öffentlichen Interesses ergibt, dass das Interesse der Beigeladenen und
auch das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der erteilten Genehmigung das Interesse des
Antragstellers an einem Aufschub des Baus der Windkraftanlage 1 nicht überwiegen. Denn insoweit kommt
ernstlich in Betracht, dass sein Widerspruch Erfolg hat. Hinsichtlich der weiteren Windkraftanlagen 2 bis 5
ist dies nicht der Fall.
25 Es spricht Einiges dafür, dass die gemäß § 6 Abs. 1 und 2 BImSchG erteilte Genehmigung hinsichtlich der
Windenergieanlage 1 rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt, weil sie gegen das -
sich hier aus § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergebende - bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme
verstößt.
26 Dieses Gebot schützt bei Windenergieanlagen u.a. auch davor, dass von diesen eine optisch bedrängende
Wirkung auf benachbarte Grundstücke ausgeht. Davon gehen die Beteiligten im Grundsatz auch
übereinstimmend aus. Dafür sind folgende Überlegungen maßgeblich, welche in der Genehmigung
zusammenfassend und zutreffend wiedergegeben werden (vgl. OVG NW, Urteil vom 09.08.2006 - 8 A
3726/05 - DVBl 2006, 1532):
27 „Für die Frage, ob eine Windkraftanlage im Einzelfall unzumutbar bedrängend wirkt, sind allerdings weitere
und andere Kriterien maßgebend. Die Baukörperwirkung einer Windkraftanlage unterscheidet sich von
derjenigen klassischer Bauwerke, wie etwa Gebäuden, die durch ihre Baukörpermasse eine erdrückende
Wirkung auf die Umgebung ausüben können. Eine Windkraftanlage vermittelt in der Regel nicht, wie ein
Gebäude mit großer Höhe und Breite, das Gefühl des Eingemauertseins. Der Baukörper einer
Windkraftanlage wirkt weniger durch die Baumasse des Turms der Anlage als vielmehr durch die Höhe der
Anlage insgesamt und die Rotorbewegung. Der in der Höhe wahrzunehmenden Drehbewegung des Rotors
kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu.
28 Zum einen lenkt der Rotor durch die Bewegung den Blick auf sich und schafft eine Art "Unruheelement".
Ein bewegtes Objekt erregt die Aufmerksamkeit in höherem Maße als ein statisches; eine Bewegung wird
selbst dann noch registriert, wenn sie sich nicht direkt in der Blickrichtung des Betroffenen, sondern
seitwärts von dieser befindet. Eine nur durch Phasen relativer Windstille unterbrochene ständige, nach
Windstärke in der Umdrehungsgeschwindigkeit differierende Bewegung im Blickfeld oder am Rande des
Blickfeldes kann schon nach kurzer Zeit, erst recht auf Dauer unerträglich werden. Ein sich bewegendes
Objekt zieht den Blick nahezu zwangsläufig auf sich. Es kann Irritationen hervorrufen und die
Konzentration auf andere Tätigkeiten wegen der steten, kaum vermeidbaren Ablenkung erschweren.
29 Zum anderen vergrößert die Drehbewegung des Rotors die Windkraftanlage in ihren optischen
Dimensionen deutlich und bestimmt sie. Die Fläche, die der Rotor bestreicht, hat in der Regel
gebäudegleiche Abmessungen. Die optischen Auswirkungen einer Windkraftanlage sind um so größer, je
höher die Anlage ist und je höher deshalb der Rotor angebracht ist.
30 Die Einzelfallabwägung, ob eine solche Anlage bedrängend auf die Umgebung wirkt, hat sich daher in
einem ersten Schritt an der Höhe der Anlage zu orientieren. Eine starre - nach Metern bemessene -
Abstandsregelung kann dem allerdings nicht hinreichend Rechnung tragen, da die Gesamthöhe moderner
Windkraftanlagen sehr unterschiedlich ist. Von sehr hohen Anlagen geht naturgemäß eine andere optische
Einwirkung aus als von Anlagen, die eine deutlich geringere Höhe aufweisen. Eine starre Abstandsregelung
würde überdies der nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB gebotenen Berücksichtigung aller Einzelfallumstände
nicht gerecht.
31 Bei der Einzelfallbewertung ist deshalb ferner auf den Rotordurchmesser abzustellen. Je größer der
Rotordurchmesser und damit auch die durch die Drehbewegung der Rotorblätter abgedeckte Fläche ist,
desto größer ist auch die von der Anlage ausgehende optische Einwirkung.
32 Darüber hinaus sind die örtlichen Verhältnisse in die Einzelfallbewertung einzustellen. So ist u.a. die Lage
bestimmter Räumlichkeiten und deren Fenster sowie von Terrassen u.ä. zur Windkraftanlage von
Bedeutung.
33 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch zu berücksichtigen, ob von dem Wohngrundstück aus eine
hinreichende Abschirmung zur Anlage besteht oder in zumutbarer Weise hergestellt werden kann.
34 Relevant ist im Weiteren der Blickwinkel auf die Anlage, da es für die Erheblichkeit der optischen
Beeinträchtigung einen Unterschied macht, ob die Anlage in der Hauptblickrichtung eines Wohnhauses liegt
oder sich seitwärts von dieser befindet.
35 Auch die Hauptwindrichtung kann von Bedeutung sein. Denn von der mit der Windrichtung wechselnden
Stellung des Rotors hängt es ab, wie häufig in welcher Größe die vom Rotor bestrichene Fläche von einem
Wohnhaus aus wahrgenommen wird.
36 Von Belang kann im Weiteren die topographische Situation sein. So kann etwa von einer auf einem Hügel
gelegenen Windkraftanlage eine andere Wirkung als von einer auf tiefer liegendem Gelände errichteten
Anlage ausgehen. Auch können Waldgebiete oder Gebäude einen zumindest partiellen Sichtschutz bieten.
37 Einfluss auf das Maß der optischen Beeinträchtigung können auch schon vorhandene Windkraftanlagen
haben. Denn einer Einzelanlage kann in diesem Zusammenhang je nach der Situation im Einzelfall ein
stärkeres Gewicht zukommen als einer Anlage, die sich in eine schon vorhandene (optische) Vorbelastung
einfügt und deshalb keine besondere zusätzliche Belastung für die Wohnnutzung darstellt. Je nach
Fallkonstellation kann aber auch erst die hinzutretende Anlage in der Zusammenschau mit den bereits
vorhandenen Anlagen zu einer unzumutbaren optisch bedrängenden Wirkung führen.
38 Auch die planungsrechtliche Lage des Wohnhauses ist zu berücksichtigen. Wer im Außenbereich wohnt,
muss grundsätzlich mit der Errichtung von in diesem Bereich privilegierten Windkraftanlagen - auch
mehrerer - und ihren optischen Auswirkungen rechnen.
39 Der Schutzanspruch entfällt zwar nicht im Außenbereich, jedoch vermindert er sich dahin, dass dem
Betroffenen eher Maßnahmen zumutbar sind, durch die er den Wirkungen der Windkraftanlage ausweicht
oder sich vor ihnen schützt.
40 Unter Berücksichtigung insbesondere der vorstehenden Kriterien lassen sich für die Ergebnisse der
Einzelfallprüfungen grobe Anhaltswerte prognostizieren: Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus
und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe (Nabenhöhe + ø Rotordurchmesser)
der geplanten Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass von dieser
Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht. Bei einem solchen
Abstand treten die Baukörperwirkung und die Rotorbewegung der Anlage so weit in den Hintergrund, dass
ihr in der Regel keine beherrschende Dominanz und keine optisch bedrängende Wirkung gegenüber der
Wohnbebauung zukommt.
41 Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung
überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen. Ein Wohnhaus
wird bei einem solchen Abstand in der Regel optisch von der Anlage überlagert und vereinnahmt. Auch tritt
die Anlage in einem solchen Fall durch den verkürzten Abstand und den damit vergrößerten
Betrachtungswinkel derart unausweichlich in das Sichtfeld, dass die Wohnnutzung überwiegend in
unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird.
42 Beträgt der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der Windkraftanlage das Zwei- bis Dreifache der
Gesamthöhe der Anlage, bedarf es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls.
43 Diese Anhaltswerte dienen lediglich der ungefähren Orientierung bei der Abwägung der gegenseitigen
Interessen, entbinden aber nicht von einer Einzelfallwürdigung bei Abständen, die unterhalb der
zweifachen und oberhalb der dreifachen Anlagenhöhe liegen.“
44 Dieser Rechtsprechung, welche mit den zuletzt angeführten Vermutungsregeln (im Sinne grober
Anhaltswerte) die im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme erforderliche Abwägung der Umstände des
Einzelfalls strukturiert, sind zahlreiche Oberverwaltungsgerichte gefolgt. Auch der Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg ist in seiner neueren Rechtsprechung von ihr ausgegangen (VGH-Bad.-Württ.,
Beschluss vom 05.04.2016 - 3 S 373/16 - juris, Rdnr. 19 ff.; ebenso schon die erkennende Kammer in ihrem
Beschluss vom 05.02.2016 - 4 K 2679/15 - juris; vgl. zuvor noch VGH-Bad.-Württ., Beschluss vom
03.04.2006 - 5 S 2620/05 - VBlBW 2007, 313). Das Bundesverwaltungsgericht hat die vom
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 09.08.2006 vorgenommene
Einzelfallwürdigung - auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur
störenden Wirkung insbesondere der Drehbewegung des Rotors einer Windkraftanlage - nicht beanstandet
(BVerwG, Beschluss vom 11.12.2006 - 4 B 72.06 - NVwZ 2007, 336). In einer weiteren Entscheidung hat es
die Bedeutung der Vermutungsregeln eher abgeschwächt und vornehmlich auf die Notwendigkeit einer
Einzelfallwürdigung abgestellt (BVerwG, Beschluss vom 23.12.2010 - 4 B 36.10 - juris).
45 Die Kammer hält die genannten Vermutungsregeln jedenfalls für eine erste, summarische Beurteilung
weiterhin - im Sinne eines groben Anhalts - für brauchbar. Sie bedürfen jedoch der Überprüfung, soweit es
um die neue Generation von Windenergieanlagen geht, welche - wie hier - eine Gesamthöhe von 200 m
erreichen oder gar überschreiten. Dass diese Überprüfung bislang nicht erfolgt ist, lässt sie nicht entbehrlich
erscheinen. Denn die bereits vorliegenden Entscheidungen zur optischen Bedrängnis durch
Windenergieanlagen mit einer Höhe von 200 m oder mehr befassten sich mit Fällen, bei denen der Abstand
zwischen Windenergienanlage und Wohngebäuden weitaus größer war als die zweifache Höhe (vgl. etwa
VGH-Bad.-Württ., Beschluss vom 05.04.2016 a.a.O.).
46 In der Entscheidung aus dem Jahr 2006 hatte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen noch
Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von 70,5 m, einem Rotordurchmesser von 58 m und somit einer
Gesamthöhe von 128,5 m zu beurteilen. Das Oberverwaltungsgericht hatte maßgeblich darauf abgestellt,
dass der Rotor der Anlage, welche nur knapp mehr als die zweifache Höhe von dem Wohnhaus des dortigen
Klägers entfernt war, eine Fläche von „immerhin“ 2.640 qm bestreichen würde (Rdnr. 98) und war zum
Ergebnis gekommen, dass dies aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls dem Eigentümer des
knapp 210 m entfernten Wohnhauses nicht zuzumuten sei.
47 Bei der hier im Streit stehenden Windkraftanlage 1 überstreicht der Rotor mit einem Durchmesser von 126
m jedoch eine sehr viel größere Kreisfläche von ca. 12.500 qm. Während die Gesamthöhe linear zunimmt,
wächst die eigentliche Störquelle, die vom Rotor bestrichene Fläche, im Quadrat (des Radius). Dies spricht
dafür, für Windenergieanlagen der neuen Generation die Vermutung einer regelhaften Unzumutbarkeit
schon bei einem Abstand von deutlich mehr als der zweifachen Höhe der Anlage eingreifen zu lassen.
48 Spricht danach Einiges dafür, dass die Schwelle für die Einzelfallprüfung hier höher liegen muss und von dem
Vorhaben unterschritten wird, schließt dies allerdings nicht aus, dass nach den Umständen des Einzelfalls
von der Anlage doch keine rücksichtslose optische Bedrängnis des Anwesens des Antragstellers ausgeht.
49 Gemindert ist die Schutzwürdigkeit des Anwesens des Antragstellers sicherlich deshalb, weil sein Anwesen
im Wesentlichen nach Süden ausgerichtet ist, während die Windkraftanlage im Norden stünde. Erheblich ist
auch, dass wegen der Hauptwindrichtung West die vom Anwesen aus sichtbare, vom Rotor überstrichene
Fläche vergleichsweise selten voll sichtbar sein dürfte. Auch erscheint in einem gewissen Umfang
architektonische Hilfe möglich und zumutbar.
50 Ob allerdings der Umstand, dass das Anwesen des Antragstellers im Außenbereich liegt, seine
Schutzwürdigkeit erheblich mindert, erscheint der Kammer der Überprüfung bedürftig. Dieser Umstand wird
zwar in zahlreichen einschlägigen gerichtlichen Entscheidungen regelmäßig betont. Allzu große Bedeutung
dürfte ihm aber nicht zukommen. Denn wegen der im Außenbereich ebenfalls privilegierten Wohnnutzung
muss auch diese einen qualifizierten Schutz - auch vor optisch bedrängender Wirkung - haben, wenn auch
nicht ganz in dem Umfang, wie er (reinen oder allgemeinen) Wohngebieten zu Gute kommt (ähnlich wie dies
immissionsschutzrechtlich der Fall ist).
51 Zweifelhaft ist auch, ob das Landratsamt dem Umstand, dass die Anlage topographisch bedingt fast 100 m
höher steht, zu Recht die Wirkung beigemessen hat, dass dies die von der Anlage ausgehende optische
Bedrängnis sogar mindere (vgl. demgegenüber, allerdings für einen Fall, bei dem die Abstände von
Windenergieanlagen zur Wohnnutzung ohnehin vergleichsweise groß waren, VGH-Bad.-Württ., Beschluss
05.04.2016 - a.a.O., Rdnr. 22).
52 Unabhängig hiervon wird es zur Einschätzung der von der Anlage ausgehenden optischen Bedrängnis auch
einer besseren Visualisierung bedürfen. Die vom Vorhabenträger vorgelegte Visualisierung (VA Band VII, S.
91) zeigt nicht das volle Ausmaß der optischen Bedrängnis, weil die beiden vom Anwesen des Antragstellers
aus sichtbaren Anlagen 1 und 2 nur von der Seite gezeigt werden. Die vom Vorhabenträger in das Internet
eingestellten Visualisierungen des „Windparks Hasel“
(https://www.enbw.com/unternehmen/konzern/energieerzeugung/erneuerbare-energien/windkraft-an-
land/windpark-hasel/) helfen insoweit nicht weiter.
53 Nicht zuletzt der Umstand, dass in der veröffentlichten Rechtsprechung noch kein Fall entschieden worden
ist, bei dem der Abstand einer Windkraftanlage der neuen Generation ganz nah an der zweifachen
Gesamthöhe der Windkraftanlage lag, spricht dafür, diese Beurteilung - wie die Beurteilung der weiteren
vom Antragsteller aufgeworfenen Fragen - dem Hauptsacheverfahren zu überlassen.
54 Für die Windkraftanlagen 2 bis 5 gilt dies nicht. Insoweit ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die
immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Widerspruchsverfahren Bestand haben wird. Soweit diese
Anlagen überhaupt vom Anwesen des Antragstellers aus sichtbar sind, kann von ihnen weder eine optische
Bedrängnis noch ein die maßgeblichen Richtwerte überschreitender Lärm ausgehen. Auch die weiteren
Einwände sind insoweit ersichtlich unbegründet. Auf die behauptete Unwirtschaftlichkeit der Anlagen (nicht
ausreichende Windhöffigkeit, artenschutzrechtlich bedingte Abschaltzeiten) und auf Verstöße gegen das
Artenschutzrecht kann sich der Antragsteller ohnehin nicht berufen, weil insoweit eigene Rechte nicht
betroffen sind.
55 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, § 155 Abs. 1 Satz 1 und § 161 Abs. 3 VwGO.
56 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.