Urteil des VG Freiburg vom 16.04.2008

VG Freiburg (behandlung minderjähriger, leitende tätigkeit, kläger, tätigkeit, behandlung, minderjähriger, approbation, gefahr im verzug, beschränkung, arzt)

VG Freiburg Urteil vom 16.4.2008, 1 K 2521/07
Faktisches Berufverbot bei Beschränkung der Bewährungserlaubnis auf die Ausübung einer
unselbständigen Tätigkeit eines Arztes
Leitsätze
Die Bewährungserlaubnis nach § 8 BÄO darf nicht ausschließlich auf die Ausübung einer unselbständigen
Tätigkeit beschränkt werden, wenn dies wegen Besonderheiten des Einzelfalls sonst zu einem faktischen
Berufsverbot führen würde.
Tenor
Die Erlaubnis des RP Stuttgart vom 22.10.2007 wird aufgehoben, soweit sie eine Beschränkung auf eine
nichtselbstständige Tätigkeit enthält. Das beklagte Land - RP Stuttgart - wird verpflichtet, den Kläger erneut zu
bescheiden und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und das beklagte Land jeweils die Hälfte.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Ausgestaltung einer vorläufigen Berufserlaubnis.
2
Der am ... 1953 in .../... geborene Kläger studierte in den Jahren 1972 bis 1979 in Belgien Humanmedizin. Am
24.7.1980 erteilte ihm das Bayerische Staatsministerium des Innern die deutsche Approbation als Arzt. In den
Folgejahren arbeitete der Kläger als Krankenhausarzt und als Forscher in Deutschland, von 1984 bis 1995 war
er in Belgien und Deutschland als niedergelassener Arzt tätig. Aus Anlass gegen ihn geführter
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen verlegte er seine im Januar 1996 in .../... eröffnete naturheilkundliche
Praxis nach ....
3
Der Kläger wurde durch Urteil des Jugendschöffengerichts Leer vom 31.8.1999, abgeändert durch
Berufungsurteil des Landgerichts Aurich vom 7.2.2000, wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 7
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Eine Revision zum OLG
Oldenburg blieb erfolglos, so dass Rechtskraft der Verurteilung am 31.8.2000 eintrat. Die Strafgerichte waren
zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger im Zeitraum Oktober 1996 bis Anfang Januar 1997 das Recht
des am 11.12.1983 geborenen F. G. auf sexuelle Selbstbestimmung in sieben Fällen missachtet hatte. Das
Spektrum der ihm zur Last gelegten Taten reichte dabei von sexuell geprägten Berührungen F.`s bis zu
Manipulationen an den Geschlechtsteilen. Tatorte waren eine Sauna, in die der Kläger nach seinen Angaben
sein Opfer aus medizinischen Gründen („zur Abhärtung“) mitnahm, und der Pkw des Klägers. Die am 22.5.1980
geborene Halbschwester des F. G., Y. M., sah sich während einer einjährigen Tätigkeit als Arzthelferin in der
Praxis des Klägers ebenfalls sexuellen Aufdringlichkeiten ausgesetzt, ohne dass diese Vorfälle jedoch
strafrechtlich relevant wurden.
4
Das RP Stuttgart widerrief wegen der vorgenannten Vorfälle mit Bescheid vom 28.6.2001 die Approbation
wegen Unwürdigkeit. Die hiergegen vom Kläger erhobene Klage blieb erfolglos und wurde durch das VG
Freiburg mit Urteil vom 25.9.2002 (1 K 1246/01 - rechtskräftig seit 12.12.2002) als unbegründet abgewiesen.
Nachdem der Kläger am 28.4.2006 erfolglos die Wiedererteilung der Approbation beantragt hatte, erhob er am
14.9.2006 gegen die ablehnende Entscheidung des RP Stuttgart vom 10.8.2006 erneut Klage zum VG
Freiburg. Mit Urteil vom 22.5.2007 (1 K 1634/06 - rechtskräftig seit 26.7.2007) hob die Kammer den Bescheid
des RP Stuttgart vom 10.8.2006 auf und verpflichtete auf den Hilfsantrag die Behörde, über die Erteilung einer
Berufserlaubnis gemäß § 8 BÄO erneut zu entscheiden und hierbei die Rechtsauffassung des Gerichts zu
beachten. Hinsichtlich der vom Kläger hauptsächlich beantragten Wiedererteilung der Approbation wurde die
Klage hingegen abgewiesen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kammer das
Unwürdigkeitsverdikt noch fortbestehe.
5
Der Kläger teilte dem RP Stuttgart bereits unter dem 23.7.2007 mit, er werde das VG-Urteil akzeptieren und
wolle möglichst rasch mit einer Berufserlaubnis arbeiten, und zwar selbstständig. Mit Schreiben vom 30.7.2007
entgegnete die Behörde, im Rahmen ihres Ermessens komme derzeit eine Berufserlaubnis für eine
selbstständige ärztliche Tätigkeit noch nicht in Betracht. Eine solche Berufserlaubnis würde sonst, auch wenn
damit eine Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung nicht möglich wäre, und wenn die Behandlung,
Beschäftigung und Ausbildung von Minderjährigen ausdrücklich ausgeschlossen würde, der Erteilung einer
Approbation sehr nahekommen. In einen selbstständig arbeitenden Arzt werde jedoch seitens des gesamten
Gesundheitssystems ein hohes Maß an Vertrauen investiert, weshalb sich der Arzt als würdig erweisen
müsse. Man beabsichtige deshalb, dem Kläger eine Berufserlaubnis für eine ärztliche Tätigkeit in abhängiger
Stellung in einer Arztpraxis oder in einem Krankenhaus in Baden-Württemberg für die Dauer von zwei Jahren
zu erteilen und die Behandlung von Minderjährigen auszuschließen.
6
Unter dem 11.10.2007 erwiderte der Kläger, die Versagung einer selbstständigen Tätigkeit sei schwerlich mit
seinen beruflichen Vorstellungen in Einklang zu bringen. Auf verschiedene Nachfragen vormaliger Patienten
wolle er eine Praxis in ... eröffnen. Eine Tätigkeit in abhängiger Stellung scheide faktisch aus, da sich im
Gesundheitswesen kaum ein Arbeitgeber denken lasse, der sich auf die Ausnahme der Behandlung
Minderjähriger einrichten wolle. Zu bedenken gelte es, dass 12- bis allenfalls 15-jährige von Kinderärzten und
danach von allgemein praktizierenden Ärzten behandelt würden. Das Problem stelle sich gleichermaßen bei der
Übernahme von Praxisvertretungen oder gar in Notfällen mit Gefahr im Verzug. Im Interesse seiner beruflichen
und wirtschaftlichen Existenz müsse er nunmehr mit dem Wiederaufbau beginnen und könne sich deshalb
nicht mit den angedachten Nebenbestimmungen einverstanden erklären, was namentlich für den kumulativen
Ausschluss von selbstständiger Tätigkeit und Behandlung Minderjähriger gelte.
7
Mit Bescheid vom 22.10.2007 erteilte das RP Stuttgart dem Kläger die widerrufliche Erlaubnis zur
vorübergehenden Ausübung des ärztlichen Berufs, beschränkt auf eine nicht selbstständige und nicht leitende
Tätigkeit in einem Krankenhaus oder in einer Arztpraxis in Baden-Württemberg für die Dauer von zwei Jahren,
beginnend ab Arbeitsaufnahme, längstens bis 31.12.2009. Die Behandlung von Minderjährigen wurde
ausgeschlossen. Die Erlaubnis umfasst auch die vorübergehende Vertretung des Praxisinhabers bis zu je
einem Monat. Auf ein beigefügtes Schreiben vom selben Tag wurde verwiesen. Darin wurde ausgeführt, auch
unter Berücksichtigung der Einwendungen des Klägers habe es bei den bereits unter dem 30.7.2007
angekündigten Einschränkungen der Berufserlaubnis bleiben müssen. Die Unwürdigkeit des Klägers dauere an.
Dem Vertrauen der Allgemeinheit in eine integre Ärzteschaft könne nur durch die genannten Bedingungen und
Auflagen Rechnung getragen werden. Im Fall eines freiwillig und auf seine Kosten erstellten sowie positiven
psychiatrischen Gutachtens werde man jedoch auf die Beschränkung verzichten. Für die Tätigkeit als
angestellter Arzt in einem Krankenhaus oder in einer Praxis bestehe auf dem Arbeitsmarkt in Baden-
Württemberg Bedarf. Zwar würden Erschwernisse bei der Stellensuche nicht verkannt, ursächlich hierfür sei
jedoch die begangene schwere Straftat und nicht die eingeschränkte Berufserlaubnis.
8
Der Kläger hat am 22.11.2007 Klage erhoben und trägt vor: Die kumulative Verknüpfung der
Nebenbestimmungen führe faktisch zu einem Berufsverbot und sei unverhältnismäßig. Er müsse sich bei
jedem auf die Aufnahme einer nicht selbstständigen Tätigkeit gerichteten Bewerbungsgespräch dahin
offenbaren, dass ihm die Behandlung Minderjähriger versagt sei. Gehe er auf die sich dann aufdrängende Frage
nach dem Grund nicht ein, werde es kaum zur Anstellung kommen, selbst wenn er in arbeitsrechtlicher
Hinsicht seine strafrechtliche Verurteilung nicht zwingend offenlegen müsse.
9
Der Kläger beantragt sinngemäß,
10
das beklagte Land - RP Stuttgart - zu verpflichten, die Erlaubnis zur vorübergehenden Ausübung des
ärztlichen Berufs auch auf eine selbstständige und leitende Tätigkeit sowie die Behandlung
Minderjähriger zu erstrecken und die Erlaubnis vom 22.10.2007 aufzuheben, soweit sie dieser
Verpflichtung entgegensteht.
11 Das beklagte Land beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13 Es entgegnet: Im Urteil vom 22.5.2007 habe die Kammer ausgeführt, das RP Stuttgart habe sein Ermessen
dahin auszuüben, mit welcher Frist und bezogen auf welche Tätigkeiten und Beschäftigungsstellen die
Berufserlaubnis erteilt werde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern verurteilt worden sei. Die tatsächlich verfügten Beschränkungen seien vor diesem Hintergrund nicht
ermessensfehlerhaft, weil sie das geeignete Mittel darstellten, weiterhin nicht ausgeschlossenen, bekannten
Gefahren in verhältnismäßiger Weise vorzubeugen. Der Kläger könne durch Vorlage eines für ihn günstigen
Gutachtens zur Aufhebung des Ausschlusses der Behandlung Minderjähriger beitragen.
14 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den
Akteninhalt (ein Sammelordner des RP Stuttgart, 4 Hefte Gerichtsakten der abgeschlossenen Eil- und
Klageverfahren) Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen
Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
15 Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als Verpflichtungsklage statthaft. Der Kläger begehrt die vorläufige
Berufserlaubnis ohne Beschränkung auf eine nicht selbstständige und nicht leitende Tätigkeit sowie ohne den
Ausschluss der Behandlung Minderjähriger. Bei diesen ausdrücklich in der Erlaubnis vom 22.10.2007
vermerkten Beschränkungen handelt es sich, wie sich aus § 8 Abs. 2 Satz 1, zweiter Halbsatz BÄO bzw. § 10
Abs. 2 Satz 1 BÄO erschließt („… kann auf bestimmte Tätigkeiten beschränkt werden…“), nicht um echte
Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 Abs. 2 LVwVfG, sondern inhaltliche Ausgestaltungen des
Berechtigungsgehalts der Erlaubnis. Statthafte Klageart im Fall solcher „modifizierenden Auflagen“ bzw.
„modifizierenden Gewährungen“ ist die Leistungsklage in der Form der Verpflichtungsklage (Pietzcker, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO 15. Ergänzungslieferung 2007, Rnr. 137; Hufen/Bickenbach, JuS
2004, 867, 871; Labrenz, NVwZ 2007, 161, 164). Im übrigen kann der Bescheid vom 22.10.2007 hingegen
bestehen bleiben, so dass es keiner Erteilung einer vollständig neuen Erlaubnis bedarf. Aus § 8 Abs. 2 Satz 1,
erster Halbsatz BÄO und § 10 Abs. 2 Satz 2 BÄO ergibt sich nämlich für die Berufserlaubnis - in Abgrenzung
zur uneingeschränkten und dauerhaften Approbation - nur als rechtlich zwingende Voraussetzung, dass sie
widerruflich und befristet sein muss. Die der Erlaubnis vom 22.10.2007 beigefügten Nebenbestimmungen des
Widerrufsvorbehalts und der Befristung sollen auch nach dem Willen des Klägers unangetastet bleiben;
Entsprechendes gilt für die Gestattung einer unselbstständigen Tätigkeit, weil diese ohnehin die
Mindestvoraussetzung für eine Berufsausübung des Kläger ist.
16 Auch hinsichtlich weiterer Sachentscheidungsvoraussetzungen bestehen keine Zulässigkeitsbedenken. Vor
fristgemäßer Erhebung der Klage bedurfte es keiner Durchführung eines Vorverfahrens (§ 6a AGVwGO). Eine
mögliche Rechtsverletzung des Klägers (§ 42 Abs. 2 VwGO) ergibt sich mit Blick auf die begehrten
Inhaltsbestimmungen aus der Behauptung, er habe hierauf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit bzw. zur
Vermeidung eines faktischen Berufsverbots einen Anspruch. Auch ein Rechtsschutzbedürfnis kann schließlich
nicht verneint werden. Insbesondere stand dem Kläger als einfacheres Mittel nicht etwa das
Vollstreckungsverfahren (§ 172 VwGO) zur Verfügung (zum Verhältnis von Klage und Vollstreckungsantrag bei
der Durchsetzung eines Bescheidungsanspruchs vgl. Bay. VGH, Urt. v. 26.1.2007 - 1 BV 02.2147 - NVwZ-RR
2007, 736). Das rechtskräftige Urteil der Kammer vom 22.5.2007 gab dem RP Stuttgart nur die Erfüllung eines
Erlaubnisanspruchs „dem Grunde nach“ auf, ohne im übrigen, d.h. in seinem eigentlichen
Bescheidungsausspruch - von der grundsätzlichen Berücksichtungsrelevanz der Straftat des Klägers
abgesehen - für die inhaltliche Erlaubnisausgestaltung konkrete Vorgaben zu machen, gegen die mit dem
Bescheid vom 22.10.2007 „urteilswidrig“ verstoßen worden wäre.
17 Die Klage ist teilweise begründet, weil das RP Stuttgart die Berufserlaubnis zu weitgehend beschränkt hat. Der
Ausschluss der Behandlung Minderjähriger sowie einer leitenden Tätigkeit ist rechtlich allerdings nicht zu
beanstanden (dazu 1.). Hingegen ist der Ausschluss einer selbstständigen Tätigkeit unverhältnismäßig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten; allerdings bedarf es insoweit - wegen Ermessensspielraums der
Behörde und folglich fehlender Spruchreife - einer Neubescheidung, die als „Minus“ im Verpflichtungsantrag
enthalten ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO - dazu 2.).
18
1.)
Abs. 2 Satz 1, zweiter Halbsatz BÄO (i. V. m. § 10 Abs. 2 Satz 1 BÄO) und ist ermessensfehlerfrei. Vor dem
Hintergrund einer weiterhin bestehenden Unwürdigkeit ist es mit dem Zweck der Berufserlaubnis zu
vereinbaren, dass die spezifische Straftat des Klägers (sexueller Missbrauch von Minderjährigen) noch einen
fortwährenden bzw. beschränkenden Einfluss auf die Berufsausübung hat. Insoweit kann die Kammer auf das
Urteil vom 22.5.2007 (1 K 1634/06) Bezug nehmen, wo ausgeführt ist (vgl. EA.-Seite 8 ff.):
19
„(…) Der Schutz der Gesundheitsversorgung geht gerade wegen der besonders vertrauensgeprägten
Beziehung zwischen Arzt und Patient über den eigentlich medizinisch-fachlichen Bereich deutlich hinaus.
Denn die Grundlagen des spezifischen Vertrauensverhältnisses zu Ärzten finden sich auch jenseits der
bloßen Erfüllung der Berufspflichten, nämlich in ihrer charakterlichen Integrität. Von einem Arzt, der in
einem der Kernbereiche des Gesundheitswesens tätig ist, erwartet man dabei entsprechend dem weit
gesteckten Schutzziel wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses, das zwischen ihm und vor allem
den Patienten vorhanden sein muss, nicht nur eine sorgfältige und ordnungsgemäße und in jeder Hinsicht
integere Berufsausübung. Unwürdigkeit ist vielmehr immer auch dann zu bejahen, wenn der Arzt
vorsätzlich eine schwere, gemeingefährliche oder gemeinschädliche oder gegen die Person gerichtete, von
der Allgemeinheit besonders missbilligte, ehrenrührige Straftat begangen hat, die ein die
Durchschnittsstraftat übersteigendes Unwerturteil enthält und zu einer tiefgreifenden Abwertung seiner
Persönlichkeit führt. Hierbei müssen die Straftaten nicht unmittelbar im Verhältnis Arzt-Patient angesiedelt
sein. Erfasst werden vielmehr darüber hinaus alle berufsbezogenen, d.h. mit der eigentlichen Tätigkeit in
nahem Zusammenhang stehenden Handlungen und ferner, abhängig von der Schwere des Delikts, auch
Straftaten außerhalb des beruflichen Wirkungskreises (…).
20
Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass er eine Läuterung schwerlich aktiv - mithin anders als durch bloßes
(passives) Wohlverhalten - darlegen kann. Dieses Dilemma liegt jedoch in der Natur der
Unwürdigkeitsverdikts begründet. Für die Wiedererteilung der Approbation bedeutet dies, dass ein längerer
innerer Reifeprozess zwecks Kompensation der manifest gewordenen charakterlichen Mängel zu fordern
ist. (…) Entscheidend ist schließlich bei wertender Betrachtung, dass die Öffentlichkeit auch im heutigen
Entscheidungszeitpunkt (noch) kein Verständnis dafür haben kann, wenn der Kläger, der eine eindeutige
Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung von (jungen) Menschen gezeigt hat, wieder mit voller
beruflicher Qualifikation tätig sein dürfte. Zu sehr ist übrigens auch in jüngster Vergangenheit in einem
breiten gesellschaftlichen Rahmen das Thema sexuellen Missbrauchs diskutiert und geächtet worden, als
dass sich schon heute ein Verständnis für eine einschränkungslose bzw. vollwertige Berufstätigkeit des
Klägers erreichen ließe. (…)“
21 Zu sensibel ist das betroffene Schutzgut und zu hoch vor allem die Erwartung bzw. der Vertrauensanspruch
der Allgemeinheit in die Integrität eines Arztes, als dass der Kläger jetzt schon - d. h. vor Ablauf einer weiteren
Bewährungszeit - auch Minderjährige behandeln darf. Es ist ferner nicht zu beanstanden, dass das RP
Stuttgart keine altersbezogene Differenzierung innerhalb der minderjährigen Patienten vorgenommen hat.
Zumindest 16- und 17-jährige Patienten aufgrund eines erhöhten Selbstbewusstseins bzw. einer höheren
Selbstbehauptungsfähigkeit vom Behandlungsausschluss auszunehmen, musste sich der Behörde mit Blick
auf die Vielgestaltigkeit der Einzelfälle und der Persönlichkeiten minderjähriger Patienten sowie angesichts der
grundsätzlich in der Rechtsordnung für eine hinreichende Eigenständigkeit junger Menschen gesetzten Grenze
erst bei Erreichen des vollendeten 18. Lebensjahres nicht aufdrängen bzw. wäre sogar unzulässig gewesen.
22 Die vorstehenden Ausführungen müssen sinngemäß für den Ausschluss einer leitenden Tätigkeit gelten. Auch
wenn diese typischerweise nur im Rahmen einer unselbstständigen (als Mindestmaß einer sinnvollen
Berufsausübung gebotenen) Tätigkeit stattfinden kann, so setzt sie im Zusammenhang mit der ärztliche
Berufsausübung und der Vorbild- bzw. Vorgesetztenfunktion gleichwohl eine besondere Integrität und
Vertrauenswürdigkeit voraus, die der Kläger erst noch durch Ableistung der berufsrechtlichen Bewährungszeit
wiedererlangen soll.
23
2.)
Das RP Stuttgart hat insoweit angeführt, das hohe Maß an Vertrauen und die fortbestehende Unwürdigkeit des
Klägers hinderten die Zulassung einer selbstständigen Tätigkeit, weil diese einer Approbation sehr nahe
komme. Das verkennt jedoch, dass sich auch eine hinsichtlich der Tätigkeit unbeschränkte Berufserlaubnis
immer noch deutlich von der Approbation unterscheidet. Aus § 8 Abs. 2 Satz 1, erster Halbsatz BÄO sowie §
10 Abs. 2 Satz 2 BÄO ergibt sich klar, dass der die Erlaubnis gegenüber der Approbation kennzeichnende
(Wesens-)Unterschied allein in der Widerruflichkeit sowie der Befristung liegt. Nicht umsonst formulieren die
genannten Vorschriften die Beifügung der letztgenannten Nebenbestimmungen als zwingend, während sie die
Beschränkung auf bestimmte Tätigkeiten und Beschäftigungsstellen in das Ermessen der Behörde stellen.
24 Ferner ist der Ausschluss einer selbstständigen Tätigkeit aber auch mit Blick auf die Bedeutung des
Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG und das hieraus resultierende Erfordernis einer - effektiven - beruflichen
Integration des Klägers unzumutbar und stellt eine fehlerhafte Gewichtung der beteiligten Interessen dar. Auch
insoweit ist zunächst noch einmal auf die relevanten Ausführungen im Kammerurteil vom 22.5.2007 (a.a.O.,
EA-Seite 10 ff.) zu verweisen:
25
„(…) Der Kläger hat einen Anspruch auf die genannte Erlaubnis. (…) Das folgt aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dem gerade im Kontext des vorangegangenen Widerrufs einer Approbation wegen des
Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG (Stufe der subjektiven Berufszulassungsschranke)
besondere Bedeutung zukommt. (…) Auch wenn er sich nach dem oben Dargelegten noch in einer
ordnungsrechtlichen Bewährungszeit befindet, so muss zugunsten des Klägers doch bedacht werden, dass
er seit sofort vollziehbarer Anordnung des Ruhens seiner Approbation (…) nunmehr seit über sieben Jahren
in der Berufsausübung gehindert ist. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Zeitraum der erzwungenen
Untätigkeit die (spätere) Wiederaufnahme des Arztberufs mit Blick auf erforderliche Kenntnisse des jeweils
aktuellen Standes von Wissenschaft, Praxis und Forschung nicht unerheblich erschwert. Zu Gunsten des
Klägers spricht ferner, dass der bei ihm zu fordernde innere Persönlichkeitswandel (Wiedererlangung der
Würdigkeit) nicht völlig beziehungslos zu Art und Umfang eines sozial und beruflich normalen Rahmens
steht. Das heißt, dass der Kläger sich gerade auch anlässlich einer Berufsausübung des in den
rechtskräftigen Urteilen zur Last gelegten Fehlverhaltens bewusst werden kann. Auch hierdurch kann
parallel und in einem gewissen Sinne aktiv die Läuterung der Persönlichkeit erzielt bzw. vorangetrieben
werden. (…)“
26 Die eine selbstständige Tätigkeit von vornherein ausklammernde Auffassung des RP Stuttgart ist zu streng.
Sie verkennt zum einen, dass der Kläger während eines langen Zeitraums - von 1984 bis 2000 - als
niedergelassener (d.h. selbstständiger) Arzt tätig war, so dass schon diese „Prägung“ in Verbindung mit dem
Alter des Klägers heute (54 Jahre) eine nicht unerhebliche Hürde für ihn darstellt, wird er ausschließlich auf
eine abhängige Beschäftigung verwiesen. Der Ausschluss der Behandlung Minderjähriger, die auch einen nicht
unbeträchtlichen Patientenanteil eines Allgemeinmediziners ausmachen können, sowie die Beschränkung auf
eine nicht leitende Tätigkeit stellen eine gebotene aber zugleich auch genügende Reaktion auf die (noch)
bestehende Unwürdigkeit dar. Die Wirkung einer Beschränkung auf ausschließlich unselbstständige Tätigkeiten
verschärft sich nämlich hin zur Unverhältnismäßigkeit, betrachtet man sie zusammen mit der Beschränkung
der Erlaubnis auf die Behandlung Erwachsener.
27 Schon deshalb, weil er nach aller Lebenserfahrung eine entsprechend beschränkte Berufserlaubnis seinen
Bewerbungsunterlagen beifügen müsste, dürfte der Kläger potenzielle Arbeitgeber zu Nachfragen veranlassen,
warum er keine Minderjährigen behandeln darf. Aber selbst wenn er nicht danach gefragt würde, müsste er von
sich aus bereits im Zusammenhang mit der Einstellung offenbaren, dass ihm dies - auch in Notfall- bzw.
Vertretungssituationen - berufsrechtlich verwehrt ist. Eine Offenbarungspflicht ergäbe sich - entsprechend den
Grundsätzen zur arbeitsrechtlichen Zulässigkeit von Fragen des Arbeitgebers bei der Einstellung (vgl. dazu
BAG, Urt. v. 28.5.1998 - 2 AZR 549/97 - Juris; ferner LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 13.10.2006 - 5 Sa 25/06
- Juris) - aus der vom Kläger (als künftigem Arbeitnehmer) vertraglich geschuldeten Leistung bzw. dem mit der
Darlegungspflicht verfolgten Zweck, diese Leistung vollwertig erbringen zu können. Ein Schweigen stellte
folglich eine den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages berechtigende Arglist dar. Selbst eine
pflichtgemäße Offenbarung würde den Kläger schließlich nach aller Lebenserfahrung nicht verlässlich
problemfrei stellen. Selbst wenn sie nämlich nur dahin lautete, keine Minderjährigen behandeln „zu wollen“ -
zöge sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Rückfragen des Arbeitgebers nach sich und brächte den Kläger dadurch
in erheblichen Erklärungszwang bzw. -notstand mit der ebenso hohen Gefahr der Nichteinstellung.
28 Der vom RP Stuttgart behauptete Bedarf am Arbeitsmarkt nach unselbstständig tätigen Ärzten würde dem
Kläger nach den vorigen Ausführungen gerade nicht weiterhelfen. Dem gegenüber würde jedoch die Zulassung
auch einer selbstständigen Tätigkeit bei weiterhin vorhandenem Ausschluss der Behandlung Minderjähriger
dieses Problem, welches tatsächlich auf ein faktisches Berufsverbot hinauslaufen kann, wirksam umgehen. Es
ist nicht ersichtlich und vom RP Stuttgart nicht dargetan, dass die Beschränkung auf die Behandlung
Erwachsener bei Zulassung auch einer selbstständigen Tätigkeit nicht praktikabel bzw. nicht kontrollierbar
wäre.
29 Allerdings bedarf es im Rahmen der somit erforderlichen Nachbesserung der Erlaubnis vom 22.10.2007
in
Verbindung mit der Zulassung auch einer selbstständigen Tätigkeit weiterer Ermessenserwägungen
die anzustellen dem Gericht mit der Folge der Verpflichtung (nur) zur Neubescheidung verwehrt ist. Insoweit
muss nämlich beachtet werden, dass eine selbstständige Tätigkeit des Klägers zwar nicht mit der Behandlung
Minderjähriger, möglicherweise aber mit der - bislang durch die Beschränkung auf eine ausschließlich
unselbstständige und nicht leitende Tätigkeit ausgeschlossenen - Beschäftigung bzw. Ausbildung
minderjähriger Personen einhergehen kann (vgl. einen entsprechenden Hinweis im Schreiben des RP Stuttgart
vom 30.7.2007, VAS. 133), wie sie wohl im Bereich der Heilhilfsberufe denkbar ist. Deshalb muss das RP
Stuttgart noch eine Entscheidung dazu treffen, ob dem Kläger anlässlich der selbstständigen Tätigkeit die
Beschäftigung bzw. Ausbildung Minderjähriger ganz versagt bleibt oder zumindest unter der Bedingung der
gleichzeitigen Beschäftigung/Ausbildung einer erwachsenen Person gestattet wird. Im Rahmen dieser
Entscheidung wird die Behörde schließlich auch sicherzustellen haben, dass die Einhaltung aller
Beschränkungen - auch derjenigen des Behandlungsausschlusses Minderjähriger - kontrollierbar bzw.
nachprüfbar zu machen ist.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; das Gericht hat keinen Anlass, sie für
vorläufig vollstreckbar zu erklären (§ 167 Abs. 2 VwGO). Gründe für eine Zulassung der Berufung liegen nicht
vor, weshalb hinsichtlich der Anfechtbarkeit dieses Urteils folgendes gilt