Urteil des VG Frankfurt (Main) vom 05.06.2008

VG Frankfurt: rückbau, auszahlung, verordnung, wohnraum, entlastung, begriff, verminderung, bauwerk, landschaft, vermieter

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Gericht:
VG Frankfurt 1.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 E 2647/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 AHGV, § 4 Abs 2 AHGV
Antrag auf zusätzliche Entlastung von Verbindlichkeiten für
die Verminderung von Wohnraum durch Abriss bzw
Rückbau von entsprechenden Gebäuden
Leitsatz
Altschuldenhilfe, Entlastung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Wohnungsbaugesellschaft in Thüringen. Auf der Grundlage des
Gesetzes über Altschuldenhilfe für kommunale Wohnungsunternehmen,
Wohnungsgenossenschaften und private Vermieter (Altschuldenhilfe-Gesetz, -
AHG-) hatte sie 1994 einen Antrag auf Teilentlastung gestellt und dies gewährt
bekommen.
Im Februar 2002 beantragte die Klägerin eine zusätzliche Entlastung von
Verbindlichkeiten für die Verminderung von Wohnraum durch Abriss bzw Rückbau
von entsprechenden Gebäuden (§ 1 der Verordnung zum Altschuldenhilfegesetz, -
AHGV-). Gemäß ihrem Sanierungskonzept sollten bis zum Jahr 2010 insgesamt
338 Wohneinheiten mit 19.415 qm Wohnfläche abgerissen werden.
Mit Bescheid der Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 12.5.2003 wurde hierfür ein
Entlastungsbetrag in Höhe von 1.489.079,57 € zugesagt. Als Voraussetzung für
die Auszahlung des Betrages wurde die Vorlage des vollständigen und
ordnungsgemäß ausgefüllten Abrufformulares für die bis zum 31.12.2010
abgerissenen bzw rückgebauten Wohnflächen genannt.
In der Folgezeit kam es zur Auszahlung von Teilbeträgen. Hinsichtlich des
Gebäudeteils
im U in M kam es zu einem gesonderten Schriftverkehr zwischen allen Beteiligten.
Im Juli 2007 beantragte die Klägerin die Auszahlung von 68.847,24 € für „die
physische Vernichtung von 18 Wohnungen in der baulichen Hülle des U in M“.
Dieser Gebäudeteil ist jedoch bis heute nicht abgerissen worden.
Ausweislich eines Schreibens des Thüringer Landesverwaltungsamtes vom
15.11.2005 war es in diesem Wohnblock bereits seit 1993 zur Ansiedlung von
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15.11.2005 war es in diesem Wohnblock bereits seit 1993 zur Ansiedlung von
Fledermäusen der Art Großes Mausohr gekommen, die nach nationalem und
europäischem Recht zu einer streng geschützten Art gehören. In umfangreichen
Untersuchungen habe man herausgefunden, dass die Kernpopulation etwa 600 -
700 Weibchen umfasse und eine Umsiedlung in ein Ausweichquartier nicht möglich
sei. Nach anhaltender Befassung aller zuständigen Behörden mit der
Angelegenheit erfolgte die Entscheidung, dass der Abriss des betroffenen
Gebäudeteils nicht erlaubt sei und das Fledermausquartier im Drempelgeschoss
erhalten werden müsse. Aus dem Gebäudeteil wurden daraufhin alle Badzellen,
Küchen sowie Ver- und Entsorgungsschächte entfernt. Die ehemaligen
Fensteröffnungen wurden durch eine Verkleidung verschlossen. Einzig die
Treppenanlagen seien verblieben, so heißt es in einem Schreiben des
Bürgermeisters der Stadt M, „um die Fledermauskolonie versorgen zu können“. In
dem Schreiben heißt es weiter, der „Turm“ - und in der öffentlichen Debatte setzte
sich schließlich die Bezeichnung „Fledermausturm von M“ durch - solle begrünt
sein und der Natur zurückgegeben werden. Bis das Wachstum von Grünpflanzen
die Außenwände einhülle, sollten Holzlatten die Fassadenfläche kaschieren. Im
Stadtentwicklungsplan und Flächennutzungsplan der Stadt M wurden die Flächen
als Wald ausgewiesen.
Mit Bescheid vom 30.8.2007 lehnte die KfW die Auszahlung des
Entlastungsbetrages von 68.847,24 € für das Objekt U ab. Der Nachweis des
Vollzuges des Abrisses bzw. Rückbaus sei gemäß § 4 Satz 2 AHGV zwingende
Voraussetzung der Leistungsgewährung, aber bisher nicht erbracht worden.
Am 13.9.2007 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung heißt es, die
Voraussetzungen für die Auszahlung des Entlastungsbetrages für das Objekt W
lägen vor. Es sei ein Rückbau der Wohnflächen dahingehend erfolgt, dass eine
wohnungsmäßige Nutzung nicht mehr möglich sei. Der entstandene
Fledermausturm sei zur Wohnnutzung dauerhaft nicht geeignet. Der ursprünglich
vorgesehene Abriss sei jedoch unmöglich geworden, weil nationales und
europäisches Naturschutzrecht den Schutz des Lebensraums der in dem Gebäude
heimisch gewordenen Fledermausart Großes Mausohr vorschreibe. Dem Willen des
Gesetz- und Verordnungsgebers entspreche es, Entlastungsbeträge zu gewähren,
wenn Wohnfläche tatsächlich vernichtet werde. Dabei müsse ein Rückbau nicht
zwingend in der Form eines Abrisses erfolgen. Hier sei eine totale Entkernung der
verbliebenen Gebäudeteile vorgenommen worden und eine
wohnungswirtschaftliche Nutzung gegenwärtig und zukünftig nicht mehr möglich.
Letztlich verstoße die Beklagte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. weil sie
bei Gebäuden in Arnstadt bei einer Umnutzung als Bodenräume bzw Lager
anstelle einer ursprünglichen Wohnnutzung Entlastungsbeträge gewährt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 30.8.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
einen Entlastungsbetrag in Höhe von 68.847,24 € (zuzüglich Zinsen) zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Auffassung der Beklagten habe die Klägerin keinen Anspruch auf Auszahlung
des angeforderten Entlastungsbetrages für das Objekt U. Voraussetzung für die
Leistungsgewährung sei nach § 4 AHGV der Vollzug des Abrisses oder Rückbaus
des Gebäudes. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Anders als die Objekte mit
den Hausnummern 3, 5, 7 und 9 sei das Objekt mit der Hausnummer 1 nicht
abgerissen worden. Dabei sei es unerheblich, ob dies von der Klägerin zu vertreten
sei oder ob sie ursprünglich geplant habe, einen Abriss vorzunehmen. Es liege
auch kein Rückbau vor, indem das Gebäude einer Wohnnutzung entzogen worden
sei. Der Begriff des Rückbaus beschreibe letztlich einen kontrollierten Abbruch.
Nicht ausreichend sei die bloße Unbenutzbarmachung von Wohnraum. Eine
etwaige Härtefallregelung sei nicht vorgesehen. Im Übrigen seien in den von der
Klägerin angesprochenen Fällen in Arnstadt inzwischen die Bescheide
zurückgenommen und die ausgezahlten Leistungen erstattet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin begehrt im Wege der
Verpflichtungsklage die Gewährung eines Entlastungsbetrages auf der Grundlage
der Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz. Die Beklagte hat die Auszahlung des
Entlastungsbetrages in Höhe von 68.847,24 € für das Objekt W in M jedoch zu
Recht abgelehnt.
Die Klägerin stützt ihr Begehren auf § 6a des Gesetzes über Altschuldenhilfe für
Kommunale Wohnungsunternehmen, Wohnungsgenossenschaften und private
Vermieter (AHG) in Verbindung mit der Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz
(AHGV). Nach diesen Regelungen kann Wohnungsunternehmen ein zusätzlicher
Entlastungsbetrag gewährt werden, der sich nach dem Umfang einer
Wohnraumverminderung auf der Grundlage eines tragfähigen
Sanierungskonzeptes richtet.
Insoweit war der Klägerin mit Bescheid der Beklagten vom 12.5.2003 zunächst ein
zusätzlicher Entlastungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.489.079,57 € zugesagt
worden. Gemäß § 4 Satz 2 AHGV ist Voraussetzung für die Leistungsgewährung
selbst unter anderem der Vollzug des Abrisses oder Rückbaus des jeweiligen
Gebäudes. Diese Voraussetzung ist in Bezug auf das Objekt W in M aber nicht
erfüllt.
Das Gebäude ist nicht abgerissen worden, es befindet sich noch immer an seinem
Standort. In und an dem Gebäude sind Maßnahmen durchgeführt worden, die eine
Nutzung als Wohnraum für Menschen ausschließen. Badzellen, Küchen sowie Ver-
und Entsorgungsschächte sind entfernt worden und die Fensteröffnungen wurden
durch eine Verkleidung verschlossen. Die Fassadenfläche wurde im Übrigen mit
Holzlatten bedeckt und es wurde ein Bewuchs mit Grünpflanzen angestrebt. Das
Gebäude soll als Quartier für Fledermäuse erhalten bleiben.
Dass ein Abriß, also ein Abbruch und eine vollständige Beseitigung des gesamten
Gebäudes nicht erfolgt ist und nicht erfolgen soll, ist zwischen den Beteiligten nicht
umstritten. Die Klägerin vertritt jedoch die Auffassung, die durchgeführten
Maßnahmen seien als „Rückbau“ zu bewerten und erfüllten damit die
Anforderungen des § 4 Satz 2 AHGV. Das Gericht teilt diese Auffassung nicht.
Während unter dem Begriff „Abriß“ bzw „Abbruch“ eines Gebäudes nach
allgemeinem Sprachgebrauch in der Regel dessen vollständige Beseitigung zu
verstehen ist, beschreibt der Begriff des „Rückbaus“ eine zum Beispiel unter
besonderer Berücksichtigung der Gebäudestatik zielgerichtet geplante und
möglicherweise nur teilweise Beseitigung eines Bauwerks. So können etwa
bestimmte Stockwerke eines Gebäudes abgetragen werden oder es kann zB eine
Straße von einer Autobahn zu einer Landstraße zurückgebaut werden. Nach
diesem Verständnis kann ein „Rückbau“ nur dann vorliegen, wenn eine
Veränderung des äußeren Baukörpers bewirkt wird, und zwar wohl immer im Sinne
einer Verringerung oder Verkleinerung, es müßte also eine (zumindest teilweise)
„Rückkehr“ zu dem Zustand vor der Errichtung der baulichen Maßnahme deutlich
werden.
Im vorliegenden Fall ist aus einem Wohngebäude ein mit Holzlatten verkleidetes
Bauwerk ohne Fenster als Quartier für Fledermäuse im oberen Drempelgeschoss
geworden. Im Innern und an der Fassade wurden Maßnahmen umgesetzt, die die
Ungeeignetheit für menschliches Wohnen unter Beweis stellen sollen, der äußere
Baukörper ist aber in seiner Substanz und in seinem gesamten Ausmaß erhalten
geblieben. Zwar wurde der Baukörper innen ganz wesentlich und in Bezug auf die
Fassade teilweise verändert bzw umgestaltet, aber von einem „Rückbau“ des
weiterhin in der Landschaft befindlichen Baukörpers im Sinne einer „Rückkehr“ in
Richtung zu dem Zustand vor der Errichtung der baulichen Maßnahme kann nicht
die Rede sein.
Die Argumentation der Klägerin, schon die Vernichtung von Wohnraum im Innern
des Bauwerks erfülle das Kriterium eines „Rückbaus“ im Sinne der Verordnung
zum Altschuldenhilfe-Gesetz, vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Das
anzuwendende Regelwerk mag durchaus die Verringerung von (nicht mehr
benötigtem) Wohnraum im Blick haben und die Befreiung von
Wohnungsunternehmen von damit verbundenen Altverbindlichkeiten anstreben.
Aus dem Verständnis der Verordnung ergibt sich aber ganz deutlich, dass die
Auszahlung von Entlastungsbeträgen an eine Beseitigung von Gebäuden geknüpft
sein soll. Es sind überhaupt keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine
Subventionierung mit öffentlichen Mitteln erfolgen soll, wenn in einem
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Subventionierung mit öffentlichen Mitteln erfolgen soll, wenn in einem
Gebäudeinnern Wohnflächen - aus welchen Gründen auch immer - demontiert
werden aber anschließend das Bauwerk dann - in anderen Fällen möglicherweise
als Bauruine - dauerhaft in der Landschaft bestehen bleibt. Und wenn man die
Subventionierung in der Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz auch als Anreiz
verstehen wollte, dass sich Wohnungsbauunternehmen durch die Beseitigung von
Gebäuden von damit verbundenen finanziellen Belastungen befreien sollten, so
kann auch eine solche Vorgabe nicht erfüllt werden, solange ein Bauwerk weiterhin
existiert und weiter unterhalten werden muß.
Schließlich berücksichtigt die Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz auch nicht
die individuellen Hintergründe eines besonderen Falles. So ist hier die Klägerin
nach dem Einzug der Fledermäuse wohl aufgrund naturschutzrechtlicher Vorgaben
an einem Abriß des Gebäudes gehindert, auch wenn es ihrer ursprünglichen
Intention entsprochen hätte, eine Beseitigung durchzuführen. Die Verordnung zum
Altschuldenhilfe-Gesetz stellt aber nicht auf ein zu erwägendes subjektives Wollen,
sondern allein auf objektive Tatsachen ab.
Da die Klägerin unterlegen ist, hat sie die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs 1
VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §
167 VwGO iVm §§ 708 Nr 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.