Urteil des VG Düsseldorf vom 19.02.2008

VG Düsseldorf: tatsächliche sachherrschaft, juristische person, fahrzeug, geschäftsführer, zivilrechtliche ansprüche, parkplatz, firma, besitzer, eigentümer, zustandsstörer

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 17 K 2039/07
Datum:
19.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 2039/07
Tenor:
Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 19. Oktober 2006 in Ges-talt
des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises X1 vom 23.
April 2007 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung in entsprechender Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
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Am 10. Mai 2006 wurde im Auftrag der Beklagten ein auf öffentlicher Verkehrsfläche
abgestelltes Kraftfahrzeug des Typs Toyota Supra ohne gültige amtliche Kennzeichen
abgeschleppt, nachdem das Fahrzeug trotz einer entsprechenden, an der Heckscheibe
angebrachten Aufforderung vom 6. April 2006 nicht entfernt worden war.
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Halter des Fahrzeugs war die Firma W. Laut Betriebekartei-Auszug war u.a. der Kläger
"letzter Gewerbetreibender" der Gesellschaft.
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Mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie das
näher bezeichnete Kraftfahrzeug, welches auf dem Parkplatz Qstraße/Tstraße in X1
abgestellt worden war, im Wege der Ersatzvornahme durch eine Autoverwertungsfirma
habe abschleppen und einlagern lassen. Da er letzter Gewerbetreibender der Firma W
gewesen sei, gelte er als letzter Eigentümer.
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Mit dem unter dem 8. November 2006 eingelegten Widerspruch machte der Kläger
geltend: Er sei Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter der W GmbH, aber
niemals Halter des Fahrzeugs gewesen. Neuer Geschäftsführer sei seit dem 3. März
2004 Herr H. Danach sei die Gesellschaft in die C GmbH umgewandelt und der Sitz des
Unternehmens am 4. Juni 2004 nach N verlegt worden. Das Fahrzeug sei
sicherungsübereignet und der Fahrzeugbrief als Sicherheit hinterlegt worden.
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Herr H teilte auf Anfrage der Beklagten am 13. November 2006 mit, dass er das
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Fahrzeug nie in Besitz genommen habe bzw. nie Eigentümer geworden sei. Das
Fahrzeug sei die ganze Zeit im Besitz des Klägers und auf dessen Hof abgestellt
gewesen. Herr H überreichte ferner ein an den Kläger gerichtetes Schreiben vom 8. Juni
2006, mit dem er Autoschlüssel und TÜV- sowie G-KAT- und AU-Nachweise an diesen
zurücksandte und darauf verwies, dass die angekündigte Zusendung des KFZ-Briefs
nicht erfolgt sei.
Den Widerspruch lehnte der Landrat des Kreises X1 durch Widerspruchsbescheid vom
23. April 2007 mit der Begründung ab, der Kläger sei zum Zeitpunkt der Sicherstellung
Eigentümer des PKW gewesen.
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Der Kläger hat am 16. Mai 2007 Klage erhoben, mit der er geltend macht: Das Eigentum
am Fahrzeug folge nicht aus dem Besitz des Fahrzeugbriefs. Die Abfalleigenschaft nicht
mehr zugelassener Fahrzeuge, die im öffentlichen Verkehrsraum abgestellt worden
seien, sei nur bei Fahrzeugen gegeben, die ganz offensichtlich umfangreiche Mängel
aufwiesen und auch mit vertretbaren Kosten nicht mehr instand gesetzt werden könnten.
Besitzerin des PKW sei die C GmbH gewesen, da sie aufgrund der PKW-Schlüssel die
Sachherrschaft habe ausüben können.
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Der Kläger beantragt,
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die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 19. Oktober 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises X1 vom 23. April 2007
aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Das Fahrzeug sei im Zuge des Übergangs der W GmbH in die C GmbH
nicht in deren Besitz übergegangen. Zeugen könnten bestätigen, dass das
streitgegenständliche Fahrzeug bis Anfang April 2006 auf dem Hinterhof des
Hausgrundstücks L Straße 11 in X1-C1 abgestellt gewesen sei, wo der Kläger bis März
2006 gewohnt habe. Das Auto sei 2-3 Wochen nach dem Auszug des Klägers
verschwunden, nachdem er mehrmals aufgefordert worden sei, das Fahrzeug vom
Hinterhof zu entfernen. Der Parkplatz Tstraße/Qstraße befinde sich in nur etwa 60 m
Entfernung vom jetzigen Wohnort des Klägers. Die Fahrzeugschlüssel hätten erst den
Besitz gewechselt, als das Fahrzeug bereits abgeschleppt worden sei.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Widerspruchsvorgangs des
Landrats des Kreises X1 ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat Erfolg.
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Der Bescheid vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. April 2007, mit dem gegenüber dem Kläger schriftlich die Entfernung des Fahrzeugs
aus dem öffentlichen Straßenraum bestätigt wurde, ist rechtswidrig und verletzt den
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Kläger in seinen Rechten.
Die Beklagte durfte zwar nach § 55 Abs. 2 VwVG NRW im Wege der Ersatzvornahme
bzw. nach §§ 43 Nr. 1, 44 Abs. 1 PolG das Abschleppen und die Einlagerung des
Fahrzeugs anordnen. Die nach dieser Regelung erforderlichen Voraussetzungen für ein
Einschreiten der Beklagten lagen vor.
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Die Beklagte hat auch innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt. Nach den in den
angefochtenen Bescheiden gegebenen Gründen war das Fahrzeug als Abfall
anzusehen, der gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG zum Zwecke der Beseitigung nur
in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen gelagert oder abgelagert
werden darf. Für die Qualifizierung des Fahrzeugs als Abfall kommt es nicht darauf an,
ob es umfangreiche Mängel aufweist und nur noch mit unvertretbarem Kostenaufwand
instand gesetzt werden kann. Abfall ist das auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellte
Fahrzeug vielmehr deshalb, weil seine ursprüngliche Zweckbestimmung entfallen ist
(oder aufgegeben wurde), nachdem es keine gültigen amtlichen Kennzeichen mehr hat
und deswegen im öffentlichen Verkehrsraum nicht mehr bewegt werden darf. Dann wird
der Wille des Besitzers zur Entledigung fingiert (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrW-/AbfG).
Mithin wäre die Beklagte nach § 21 KrW-/AbfG befugt gewesen, die für das Fahrzeug
verantwortliche Person zur Beseitigung des Fahrzeugs aus dem Straßenraum
aufzufordern.
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Das Vorgehen der Beklagten ohne vorausgehenden Verwaltungsakt war auch zur
Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr – dem fortdauernden Verstoß gegen § 27 Abs. 1
Satz 1 KrW/AbfG – notwendig, da der am 6. April 2006 an der Windschutzscheibe
angebrachte Hinweis auf die Notwendigkeit der Beseitigung des Fahrzeugs bis zum
Zeitpunkt des Einschreitens der Behörde nicht beachtet worden war.
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Die Inanspruchnahme des Klägers ist gleichwohl rechtswidrig. Dabei kann dahinstehen,
ob der Kläger überhaupt als Handlungs- oder Zustandsstörer zur Beseitigung des
Fahrzeugs verpflichtet war. Jedenfalls hat die Beklagte zu Unrecht nicht auch die C
GmbH als Pflichtige angesehen und damit eine ermessensfehlerhafte
Auswahlentscheidung getroffen.
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Zur Beseitigung verpflichtet sind nach § 11 Abs. 1 KrW-/AbfG Abfallerzeuger und
Abfallbesitzer. Abfallerzeuger ist nach § 3 Abs. 5 KrW-/AbfG unter anderem diejenige
natürliche oder juristische Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind
(Handlungsstörer). Abfallbesitzer ist gemäß § 3 Abs. 6 KrW-/AbfG jede natürliche oder
juristische Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über Abfälle hat (Zustandsstörer).
Es ist zweifelhaft, ob der Kläger Handlungs- oder Zustandsstörer ist.
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Wer das Fahrzeug auf dem öffentlichen Parkplatz abgestellt hat, ist nicht geklärt. Es mag
zwar sein, dass der Kläger, der nach eigenen Angaben der C GmbH erst am
10. April 2006 die Schlüssel zugesandt hat, also nachdem das Fahrzeug auf dem
Parkplatz Qstraße/Tstraße abgestellt worden war, als Handlungsstörer in Frage kommt.
Er hat jedoch bestritten, das Fahrzeug dort abgestellt zu haben. Diese Einlassung ist
nicht widerlegt. Keiner der von der Beklagten benannten Zeugen hat gesehen, wie das
Fahrzeug vom Hinterhof des Hauses L Straße 11 weggekommen ist. Dass nur der
Kläger Zugang zu dem Hinterhof gehabt hat, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Da
auch ein abgeschlossener PKW ohne Schlüssel abgeschleppt und an eine andere
Stelle gebracht werden kann, kommt grundsätzlich jeder als Abfallerzeuger in Betracht.
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Auch die Besitzereigenschaft des Klägers ist fraglich. Bei dem abgeschleppten
Fahrzeug handelt es sich um ein Firmenfahrzeug. Die W GmbH ist Halterin des Toyota
Supra. Sie hat das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch und besitzt die
Verfügungsgewalt über das KFZ, d.h. die GmbH nutzt das Fahrzeug und bestreitet die
Kosten hierfür. Damit hat sie die tatsächliche Sachherrschaft über den Wagen. Dass der
Kläger in seiner Zeit als Geschäftsführer der W GmbH bis zur Stilllegung mit dem
Fahrzeug gefahren ist, macht ihn persönlich nicht zum Besitzer. Als Geschäftsführer der
GmbH übt er vielmehr die tatsächliche Sachherrschaft lediglich für die juristische Person
aus, während ausschließlich diese Besitzerin ist. Das ist für den bürgerlich-rechtlichen
Besitzbegriff anerkannt. Zwar unterscheiden sich der abfallrechtliche und der bürgerlich-
rechtliche Besitzbegriff im Hinblick auf ihre jeweils unterschiedliche Funktion. Während
der Besitzbegriff im Zivilrecht vorrangig dem Schutz des Besitzers gegen
Besitzstörungen dient, kommt ihm im Abfallrecht die Funktion zu, die Verantwortlichkeit
für den Abfall zu bestimmen. Auch und gerade unter dem Gesichtspunkt der
Verantwortlichkeit für den Abfall und damit für dessen regelmäßig mit entsprechendem
Kostenaufwand verbundene Beseitigung erscheint es jedoch geboten, im Abfallrecht
ebenfalls die juristische Person als Besitzerin anzusehen, deren tatsächliche
Sachherrschaft durch ihre Organe lediglich ausgeübt wird.
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Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September 2005 – 11 S 4.05 -,
juris.
25
Der für die GmbH handelnde Geschäftsführer kann daher nicht zugleich Besitzer sein.
Das gilt auch, wenn der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter der GmbH ist.
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Vgl. OVG für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. März 1995 – 4 L 90/94 -,
juris.
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Mit dem Ausscheiden des Klägers als Geschäftsführer und Eintritt von Herrn H als
neuem Geschäftsführer ab 3. März 2004 änderte sich daher an der Besitzereigenschaft
der GmbH nichts, ebenso wenig durch die Umbenennung der Firma in C GmbH. Der
Annahme des Besitzes am Fahrzeug steht nicht entgegen, dass der Fahrzeugbrief als
Sicherheit hinterlegt war und die GmbH deshalb nicht mehr im Besitz des Briefs war.
Die tatsächliche Sachherrschaft bedeutet (nur) die tatsächliche Gewalt über die Sache.
Ohne Brief und erneute Anmeldung des stillgelegten PKW konnte lediglich nicht mehr
mit dem Auto gefahren werden.
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Durch die Sicherungsübereignung ändert sich an den Besitzverhältnissen ebenfalls
nichts. Der Sicherungsgeber bleibt unmittelbarer Besitzer. Auf das Eigentum am
Fahrzeug kommt es nicht an.
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Eine Inanspruchnahme des Klägers kommt damit nur in Betracht, wenn er zum Zeitpunkt
des Einschreitens der Beklagten persönlich Abfallbesitzer gewesen wäre. Im Hinblick
auf seine frühere Tätigkeit als Geschäftsführer vermag indessen nicht allein die
tatsächliche Sachherrschaft die Stellung des Klägers als Abfallbesitzer begründen.
Vielmehr muss ein nachträglicher persönlicher Herrschaftswille des Klägers
hinzukommen und äußerlich erkennbar werden.
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Vgl. OVG für das Land Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. März 1995 – 4 L 90/94 -,
a.a.O.
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Daran fehlt es. Die Tatsache, dass der Kläger bis Anfang April 2006 im Besitz der
Fahrzeugschlüssel war, sagt ebenso wenig aus wie der vormalige Standort des
Fahrzeugs auf dem Hinterhof des Hauses L Straße 11. Die C GmbH hat weder die
Herausgabe der Schlüssel verlangt noch hat der Kläger ihre Herausgabe verweigert.
Das bloße Behalten der Autoschlüssel lässt nicht auf ein Eigeninteresse des Klägers an
dem Wagen schließen. Im Gegenteil zeigt das Schreiben der Firma C GmbH an den
Kläger vom 8. Juni 2006, dass sich die Beteiligten die Verantwortung für das Fahrzeug
gegenseitig zugeschoben haben, die GmbH allerdings in der (unzutreffenden)
Annahme, den Besitz am Fahrzeug erst mit Übergabe des Fahrzeugsbriefs zu erlangen.
Auch der Standort des Fahrzeugs auf dem Hinterhof der L Straße 11 lässt nicht auf den
persönlichen Besitz des Klägers schließen. Das zeigt nur, dass die C GmbH es
unterlassen hat den Firmenwagen bei Verlegung des Firmensitzes von der L Straße in
X1 nach N mitzunehmen. Etwaige zivilrechtliche Ansprüche der C GmbH gegen den
Kläger als früherem Geschäftsführer ändern daran nichts.
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Es kann letztlich aber dahinstehen, ob der Kläger nach seinem Ausscheiden als
Geschäftsführer persönlich den Besitz an dem Fahrzeug erlangt hat. Denn jedenfalls
war die C GmbH zum Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten zumindest auch
Abfallbesitzerin. Darüber hinaus hat der Kläger unstreitig mit Schreiben vom 10. April
2006 der C GmbH die Autoschlüssel übersandt. Diese hat die Schlüssel knapp zwei
Monate später an den Kläger zurückgeschickt. Die Behauptung der Beklagten, der Brief
des Klägers sei erst Ende Mai 2006 bei der C GmbH angekommen, ist durch nichts
belegt. Der befragte Geschäftsführer H der C GmbH hat lediglich bestätigt, die
zugesandten Wagenschlüssel "zeitnah" zurückgesandt zu haben. Vom Zeitpunkt des
Eingangs der Schlüssel bei der GmbH ist an keiner Stelle die Rede. Dass die C GmbH
den Besitz an dem Fahrzeug nicht haben wollte, weil die Zusendung des
Fahrzeugsbriefs unterblieben war, ist unerheblich. Im Gegensatz zum Besitz im Sinne
des BGB muss für den Abfallbesitz kein nach außen erkennbarer
"Besitzbegründungswille" hinzutreten.
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Vgl. Kunig/Paetow/Versteyl, Krw-/AbfG, 2. Aufl., § 3 Rz. 57 m.w.N..
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Die Beklagte hatte daher bei der Störerauswahl ihr Auswahlermessen zu betätigen.
Weder Erst- noch Widerspruchsbescheid enthalten dazu Ausführungen. Im Gegenteil
wurde die C GmbH im Widerspruchsbescheid ausdrücklich nichts als Zustandsstörerin
angesehen. Ungeachtet dessen, dass ein Nachholen der Begründung im
Gerichtsverfahren bei vollständigem Ermessensausfall nicht möglich ist, da § 114 Satz 2
VwGO keine erstmalige Begründung ermöglichen soll, hat die Beklagte entsprechende
Erwägungen trotz gerichtlichen Hinweises auch nicht angestellt.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11,
709 Satz 2, 711 ZPO.
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