Urteil des VG Düsseldorf vom 21.10.2010

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 1675/10
Datum:
21.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 1675/10
Schlagworte:
Bürgerbegehren; Bürgerentscheid; Beigeordneter; Dezernent;
Sperrwirkung
Normen:
==§ 123 VwGO; § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW; § 26 Abs. 5 Nr. 3 GO NRW;
§ 26 Abs. 6 Satz 4 GO NRW; § 26 Abs. 8 GO NRW
Leitsätze:
Die Einrichtung einer Dezernentenstelle im Stellenplan wird von einem
Bürgerbegehren, das sich gegen die Wahl eines Beigeordneten richtet,
nicht umfasst.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamt-
schuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Der am 12. Oktober 2010 gestellte Antrag,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die
Einstellung einer Dezernentin/eines Dezernenten gemäß dem Beschluss des
Rates der Stadt E vom 8. Juli 2010 zu Tagesordnungspunkt x.x x/xxxx
"Änderung Stellenplan 2010 – Einrichtung einer Dezernentenstelle" bis zur
Entscheidung in der Hauptsache zu unterlassen,
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hat keinen Erfolg.
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Ob die Antragsteller ihr Interesse an einer Offenhaltung der Hauptsacheentscheidung
überhaupt mit einem gegen den Bürgermeister der Stadt E gerichteten Antrag verfolgen
können, da sie in der Hauptsache einen gegen den Rat der Stadt E zu richtenden
Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit des Ratsbeschlusses vom 8. Juli 2010
verfolgen dürften, kann dahinstehen. Denn der Antrag ist in jedem Fall unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf
Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des
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bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine
einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen
Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt in beiden
Fällen voraus, dass der zu Grunde liegende materielle Anspruch, der
Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der
Anordnungsgrund, glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§
294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragsteller haben einen
Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Ratsbeschluss vom 8. Juli 2010, mit
dem der Rat die Einrichtung einer Stelle nach Besoldungsgruppe A 16
Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) im Stellenplan 2010 der Stadt E beschlossen hat,
erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig. Der Rat war an einer entsprechenden
Beschlussfassung nicht durch den Ratsbeschluss vom 4. Februar 2010 gehindert, mit
dem er dem von den Antragstellern vertretenen Bürgerbegehren zu der Frage, ob der
Rat der Stadt E es unterlassen soll, einen weiteren Beigeordneten zu wählen,
entsprochen hat.
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Hierbei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Rat einen dem Bürgerbegehren
entsprechenden Ratsbeschluss später wieder aufheben oder abändern kann und –
wenn dies zu bejahen wäre – in entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 8 Satz 2
Gemeindeordnung für das Land Nordrhein Westfalen (GO NRW) in diesem Fall das
Bürgerbegehren wieder aufleben würde und ein Bürgerentscheid durchzuführen wäre,
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in diesem Sinne Wansleben, in: Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht NRW,
Bd. I, Losebl., Stand: Juni 2010, § 26 GO Anm. 5.4; ders., in: Held/Winkel, GO NRW,
2008, § 26 Anm. 5; s. auch Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, GO NRW, Bd. I,
Losebl., Stand: Nov. 2009, § 26 Anm. VII 2.
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Der Ratsbeschluss vom 8. Juli 2010 lässt den dem Bürgerbegehren entsprechenden
Ratsbeschluss vom 4. Februar 2010 unberührt. Die Einrichtung einer Dezernentenstelle
nach Besoldungsgruppe A 16 BBesG im Stellenplan wird von dem Antragsgegenstand
des Bürgerbegehrens nicht umfasst.
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Hierfür spricht – unabhängig von Wortlaut und Begründung des Bürgerbegehrens, die
sich bereits nur auf die Wahl eines Beigeordneten beziehen bzw. Personal- und
Sachkosten für eine Stelle nach Besoldungsgruppe B2/B3 BBesG angeben – die
unterschiedliche Stellung von Dezernent und Beigeordnetem innerhalb der
Gemeindeverfassung.
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Die Beigeordneten haben, anders als die Dezernenten, die Laufbahnbeamte sind, die
Stellung eines kommunalen Wahlbeamten (§ 71 Abs. 1 Satz 2 GO NRW). Sie sind an
der Führung der Gemeinde unmittelbar teilnehmende "Spitzenbeamte" bzw.
"Spitzenkräfte",
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vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, GO NRW, Bd. I, Losebl., Stand: Nov. 2009,
§ 70 Anm. I 1; Collisi, in: Articus/Schneider, GO NRW, 3. Aufl. 2009, § 70 Anm. 1;
Plückhahn, in: Held/Winkel, GO NRW, 2008, § 70 Anm. 3.
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Gemeindeverfassungsrechtlich nehmen sie eine herausgehobene Stellung ein, welche
in den Vorschriften der §§ 68 bis 71 GO NRW über die Vertretung des Bürgermeisters
im Amt, die Teilnahme an Sitzungen, die Mitwirkung im Verwaltungsvorstand und ihre
Wahl zum Ausdruck kommt. Hervorzuheben ist insbesondere ihre Vertretungsbefugnis.
Die Beigeordneten sind ständige Vertreter des Bürgermeisters in ihrem Arbeitsgebiet (§
68 Abs. 2 GO NRW) und allgemeine Vertreter nach § 68 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 GO NRW.
Sie vertreten damit den Bürgermeister nicht nur, wenn er an der Wahrnehmung seiner
Aufgaben gehindert ist, sondern ständig. Die allgemeine Vertretung erstreckt sich nicht
nur auf die Geschäfte innerhalb der Gemeindeverwaltung, sondern umfasst auch die
Vertretung der Gemeinde nach außen (vgl. § 63 GO NRW). Die Befugnis ist damit zwar
eine vom Bürgermeister abgeleitete, aber durch die Gemeindeordnung unentziehbar
vorgegebene,
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vgl. zur Stellung des Beigeordneten auch VG Münster, Urteil vom 6. März 2009 – 1 K
2121/08 –, juris.
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Der Dezernent hingegen ist kein Bestandteil der kommunalverfassungsrechtlichen
Struktur der Gemeindeverwaltung, sondern als Bediensteter der Gemeinde im Sinne
des § 74 GO NRW Teil der nachgeordneten Verwaltung. Ihm kommen, im Gegensatz
zum Beigeordneten, keine kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen zu. Die
unterschiedliche kommunalverfassungsrechtliche Stellung von Dezernent und
Beigeordneten wird durch den in den Stellenanzeigen nahezu identisch beschriebenen
Aufgabenbereich nicht relativiert. Dass durch die Einrichtung und Besetzung der
Dezernentenstelle – wenn auch in einem geringeren Umfang – Folgekosten entstehen,
auf deren Vermeidung das Bürgerbegehren gerichtet war, führt ebenfalls zu keiner
anderen Bewertung.
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Die Einrichtung einer Dezernentenstelle im Stellenplan ist damit ein aliud zu dem
Antragsgegenstand des Bürgerbegehrens.
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Es kann daher offen bleiben, ob die Wahl eines (weiteren) Beigeordneten – anders als
die Festlegung der Anzahl der Beigeordneten –,
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vgl. hierzu HessVGH, Beschluss vom 30. September 2003 – 8 TG 2479/03 –, juris; VG
Gießen, Beschluss vom 26. März 2004 – 8 G 539/04 –, juris; VG Münster, Urteil vom 6.
März 2009 – 1 K 2121/08 –, juris,
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und/oder die Einrichtung einer Dezernentenstelle im Stellenplan die innere Organisation
der Gemeindeverwaltung betreffen und damit nach § 26 Abs. 5 Nr. 1 GO NRW von
vornherein nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids sein
können. Dies gilt, da der Stellenplan gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 GO NRW Anlage des
zur Haushaltssatzung gehörenden Haushaltsplans ist, ebenso im Hinblick auf einen
möglichen Ausschluss nach § 26 Abs. 5 Nr. 3 GO NRW.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz (GKG). Das Gericht geht hierbei von einem Hauptsachenstreitwert
in Höhe des Auffangwerts aus. Dieser Wert war nicht entsprechend der Anzahl der
Antragsteller zu erhöhen, da sich die Antragsteller als Vertreter des Bürgerbegehrens in
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Rechtsgemeinschaft gegen den Ratsbeschluss vom 8. Juli 2010 wenden (vgl. Nr. 1.1.3
des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 7./8. Juli
2004). Das von den Antragstellern im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
verfolgte Interesse an der vorläufigen Nichtbesetzung der Dezernentenstelle bemisst
das Gericht mit der Hälfte des Hauptsachenstreitwerts.