Urteil des VG Düsseldorf vom 25.03.2008

VG Düsseldorf: politische verfolgung, treu und glauben, trennung von staat und kirche, gemeinde, eltern, bundesamt für migration, christentum, drohende gefahr, nationale sicherheit

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 2 K 1706/07.A
Datum:
25.03.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 1706/07.A
Schlagworte:
Konversion Christentum Kinder Folgeverfahren
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 1 AsylVfG § 28 Abs. 2 AsylVfG § 28 Abs. 1a
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge vom 13. Dezember 2006 verpflichtet
festzustellen, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 60 Abs.
1 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich des Irans vorliegen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
der beizutreibenden Kosten abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die am 0.0.1996 ebenfalls in S geborene Klägerin zu 1. und die am 0.0.2003 in W
geborene Klägerin zu 2. sind Schwestern und iranische Staatsangehörige. Sie
begehren in einem dritten Verfahren unter Berufung auf den Übertritt zum christlichen
Glauben die Feststellung eines Abschiebungsverbotes.
2
Die Mutter der Klägerinnen, die am 00.00.1971 in S/Iran geborene T, reiste nach
eigenen Angaben mit der Klägerin zu 1. am 4. Januar 2001 in Deutschland ein. Der
Vater der Klägerinnen, der am 00.0.1967 in U geborene E, folgte ihnen am 12. Februar
2001. In einem ersten Asylverfahren beriefen sich die Eltern im Wesentlichen darauf, für
die Volksmudjahedin aktiv gewesen zu sein. Mit den am 16. Mai 2001, 8. November
2001 und 8. Mai 2003 erhobenen Klagen gegen die ablehnenden Bescheide des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge, nachfolgend: Bundesamt) vom 4. Mai 2001 (Mutter und
Klägerin zu 1.), 29. Oktober 2001 (Vater) und 30. April 2003 (Klägerin zu 2.) machten die
Klägerinnen und ihre Eltern zusätzlich exilpolitische Aktivitäten geltend. Das
Verwaltungsgericht Düsseldorf verband sie unter dem Aktenzeichen 2 K 2742/01.A zu
gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung miteinander und wies sie mit Urteil vom
15. Oktober 2003 ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg
3
(Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG
NRW – vom 2. Dezember 2003 5 A 4397/03.A ).
Unter dem 18. Dezember 2003 stellten die Klägerinnen und ihre Eltern einen ersten
Folgeantrag, mit dem sie sich auf neue Beweismittel zu dem bis dahin vorgebrachten
Verfolgungsschicksal beriefen. Das Bundesamt lehnte es mit Bescheid vom 12. Januar
2004 ab, neue Asylverfahren durchzuführen und die Bescheide vom 4. Mai 2001, 29.
Oktober 2001 und 30. April 2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG abzuändern.
Mit der hiergegen am 21. Januar 2004 erhobenen Klage (2 K 483/04.A) bzw. mit am
selben Tag (2 L 189/04.A) und am 3. Februar 2004 (2 L 335/04.A) gestellten Eilanträgen
machten die Klägerinnen und ihre Eltern unter anderem geltend, der Vater sei
zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert. Er habe bereits im Iran versucht, den
christlichen Glauben anzunehmen, doch sei ihm dies verwehrt worden. In Deutschland
habe er Zugang zur Freien evangelischen Gemeinde in F-L gefunden, die iranisch-
sprachig sei. Er besuche zusammen mit seiner Frau und den Klägerinnen regelmäßig
die Gottesdienste der Freien evangelischen Gemeinde für Iraner. Am 22. Juni 2003 sei
er nach einem mehrmonatigen Bibelgrund- und Taufkurs mit bestandener Prüfung
getauft worden. Im Umkreis seiner Kirche habe er sieben Landsleute als
Gemeindemitglieder gewinnen können. Im Rahmen seiner missionarischen Tätigkeit
besuche er Landsleute in Y zu Glaubensgesprächen, habe dort einen evangelischen
Treff organisiert, an dem eine Gruppe interessierter Iraner teilgenommen habe, lade
Personen zu den Iranergottesdiensten ein und nehme sie dorthin mit. Hierzu gehöre
etwa Frau L1, die ebenfalls am 22. Juni 2003 getauft worden sei. Die Mutter, die
ebenfalls einen Bibelgrund- und Taufkurs durchlaufen und die abschließende Prüfung
bestanden habe, habe an den missionarischen Aktivitäten teilgenommen.
4
Die Ablichtung einer den Vater betreffenden Taufbescheinigung und weitere
Bescheinigungen der Freien evangelischen Gemeinde F-L vom 14. Februar 2004 fügten
die Eltern bei.
5
Mit Beschluss vom 21. Januar 2004 lehnte das Gericht den Eilantrag im Verfahren 2 L
189/04.A und mit Beschluss vom 11. Februar 2004 den Eilantrag im Verfahren 2 L
335/04.A ab. Dort führte es unter anderem aus:
6
Die Sach- und Rechtslage hat sich nicht im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG
nachträglich zu Gunsten der Antragsteller geändert. Das Vorbringen, der Antragsteller
zu 1. sei am 22. Juni 2003 christlich getauft worden, ist gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG
nicht zu berücksichtigen. Es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, weshalb sie
von der Taufe nicht bereits im vorangegangenen Asylverfahren, das erst mit Urteil des
erkennenden Gerichts vom 15. Oktober 2003 (2 K 2742/01.A) bzw. Beschluss des OVG
NRW vom 2. Dezember 2003 abgeschlossen wurde, berichtet haben.
7
Mit Urteil vom 18. Januar 2005 wies das Verwaltungsgericht Düsseldorf die am 21.
Januar 2004 erhobene Klage 2 K 483/04.A ab und begründete dies unter anderem wie
folgt:
8
Soweit sich die Kläger auf einen Übertritt zum Christentum berufen, scheitert ihr
Begehren bereits an § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, u.a. deshalb, weil sie dieses
Vorbringen bereits im ersten Asylverfahren geltend machen konnten. Auf den Beschluss
des Gerichts vom 11. Februar 2004 im Verfahren 2 L 335/04.A wird insoweit Bezug
genommen.
9
Unabhängig hiervon wäre eine politische Verfolgung der Kläger wegen ihres Übertritts
zum christlichen Glauben auch nicht hinreichend wahrscheinlich. Nach ständiger
Rechtsprechung der Kammer
10
vgl. etwa Urteile vom 22. Juli 2003 2 K 1409/01.A und vom 20. Januar 2004 2 K
3885/01.A sowie Beschluss vom 10. Dezember 2003 2 L 4281/03.A
11
hat ein Iraner wegen des Übertritts vom Islam zum christlichen Glauben (Konversion)
nur dann politische Verfolgung zu befürchten, wenn er über den verfassungsrechtlich
geschützten Bereich des religiösen Existenzminimums hinaus missionarische Tätigkeit
in herausgehobener Position entfaltet hat, die nach außen erkennbar und nachhaltig mit
Erfolg ausgeübt worden ist.
12
So auch die ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW, vgl.
Beschlüsse vom 3. August 1998 9 A 1496/98.A , vom 29. Mai 1996 9 A 4428/95.A und
vom 22. August 1997 9 A 3289/97.A ; ferner Hamburgisches Oberverwaltungsgericht,
Urteil vom 29. August 2003 1 Bf 11/98.A ; Bayerischer VHG, Beschluss vom 5. März
1999 19 ZB 99.30678 ; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 2. Juni 2003,
S. 17.
13
Die Taufe allein begründet hiernach keine Verfolgungsgefahr. Das religiöse
Existenzminimum im Iran umfasst die religiöse Überzeugung und die
Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit
anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf,
nicht aber Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missionierung,
14
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2004 – 1 C 9/03 –, BVerwGE 120, 16 ff.
15
Dieses religiöse Existenzminimum ist im Iran gewährleistet. Nach jüngsten Auskünften,
16
vgl. Orient-Institut vom 6. Dezember 2004 585 i/br und Auswärtiges Amt vom 15.
Dezember 2004 508516.80/40463 jeweils an das Sächsische Oberverwaltungsgericht,
17
ist die christliche Religionsausübung im Iran, soweit sie abseits der Öffentlichkeit in
gleichsam privatem Rahmen stattfindet, möglich.
18
Zwar besagen die von den Klägern zu 1. und 2. vorgelegten Bescheinigungen der
Freien evangelischen Gemeinde F-L vom 14. Februar 2004, dass der Kläger zu 1.,
unterstützt von der Klägerin zu 2., auch missionarisch aktiv sei, indem er Besuche von
Landsleuten zwecks Glaubensgesprächen in Y durchgeführt und dort einen
evangelischen Treff organisiert habe, an dem eine Gruppe interessierter Iraner
teilgenommen habe. Auch habe er Personen zu Iranergottesdiensten eingeladen und
mitgenommen, z.B. die ebenfalls am 22. Juni 2003 getaufte Frau L1. Dies führt nach
dem Vorstehenden jedoch ebenfalls nicht zur Annahme politischer Verfolgung. Den
Klägern wird nämlich keine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position
bescheinigt, zumal sie zum Zeitpunkt des "Zuführens" der Frau L1 selbst nicht einmal
getauft waren. Auch war ihr Missionierungsbeitrag weder nach außen erkennbar noch
haben sie sich nachhaltig, das heißt regelmäßig und wiederholt, missionarisch betätigt.
...
19
Den Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG NRW mit Beschluss vom 23.
Februar 2005 (5 A 637/05.A) zurück.
20
Mit Schriftsatz vom 3. November 2006, beim Bundesamt eingegangen am 27. November
2006, stellten die Eltern der Klägerinnen einen zweiten Folgeantrag, der mit ihrer
Konversion zum Christentum – auch die Mutter war mittlerweile getauft – begründet
wurde, aber auch die Klägerinnen betraf. So hieß es, sie die Klägerin zu 1. werde in der
Schule nach christlichem Glauben unterrichtet und nehme regelmäßig an christlichen
Schulveranstaltungen teil. Im Religionsunterricht habe sie Erfolg. Die Klägerin zu 2.
besuche einen katholischen Kindergarten und werde ebenfalls in christlichem Glauben
erzogen. Eine Rückkehr in den Iran sei für sie daher mit Lebensgefahr verbunden.
21
Dem Antrag waren mehrere Anlagen beigefügt, u.a.:
22
- Zwei Bescheinigungen des D.e.V. aus H vom 18. Oktober 2006, wonach die Kläger zu
1. und 2. seit dem 6. August 2006 regelmäßig mit ihren Kindern die Gottesdienste
besuchen,
23
- Betreuungsvertrag über die Aufnahme der Klägerin zu 1. im katholischen Kindergarten
in T1 zum 1. März 2001,
24
- Schulvertrag über die Aufnahme der Klägerin zu 1. an der katholischen
Mädchenrealschule in Y zum 9. August 2006,
25
- Betreuungsvertrag über die Aufnahme der Klägerin zu 2. im katholischen Kindergarten
in T1 zum 1. August 2006.
26
Das Bundesamt lehnte mit
Bescheid vom 13. Dezember 2006
Dezember 2006, der die Eltern und die Klägerinnen umfasste, die Anträge auf
Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, desgleichen die Anträge auf
Abänderung der nach altem Recht ergangenen Bescheide vom 29. Oktober 2001
(hinsichtlich des Vaters), vom 4. Mai 2001 (hinsichtlich der Klägerin zu 1. und der Mutter)
und vom 30. April 2003 (hinsichtlich der Klägerin zu 2.). Die Voraussetzungen nach § 51
Abs. 1 bis 3 VwVfG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Auf
das Urteil vom 18. Januar 2005 – 2 K 483/04.A – werde verwiesen. Auch lägen keine
Eingriffe im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004
vor. Christen seien im Iran integriert und grundsätzlich keiner politischen Verfolgung
ausgesetzt, solange sie den absoluten Machtanspruch der Muslime respektierten und
keine Missionierung unter ihnen betrieben. Zwar gäbe es Benachteiligungen und
Diskriminierungen, doch bestehe kein Verbot für Christen, an öffentlichen oder
offiziellen Gottesdiensten teilzunehmen. Apostaten sei die Teilnahme zwar nicht
gestattet, doch sei dies in der Praxis dennoch möglich. Über Personenkontrollen
potentieller Gottesdienstbesucher werde seit mehreren Jahren weder in den Medien
noch seitens kirchlicher Würdenträger berichtet. Für einen in Deutschland zum
Christentum Konvertierten sei eine konkrete Gefährdung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit nur anzunehmen, wenn eine missionarische Tätigkeit in
herausgehobener Position entfaltet und nach außen erkennbar und nachhaltig mit Erfolg
ausgeübt werde oder wenn jemand als Kirchenführer oder in der Öffentlichkeit
besonders aktiv sei. Außerdem seien die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Verbindung mit Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des
Rates vom 29. April 2004 nicht gegeben. Die Anforderungen des § 51 VwVfG für ein
27
Wiederaufgreifen seien nicht erfüllt. Gründe, die unabhängig hiervon im Rahmen einer
Ermessensentscheidung gemäß § 49 VwVfG eine Abänderung der bisherigen
Entscheidung zu § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG rechtfertigten, lägen ebenfalls nicht vor.
Die Klägerinnen und ihre Eltern haben
am 2. Januar 2007 Klage
mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen. In einem nur die Eltern betreffenden Urteil vom
24. April 2007 hat das Gericht die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bei ihnen die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich des Irans vorliegen.
Das Urteil stützt sich auf die Konversion der Eltern zum Christentum und die Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung
und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als
Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu
gewährenden Schutzes (ABl. EG Nr. L 304/12 vom 30. September 2004; im folgenden:
Richtlinie). Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Urteil Bezug genommen.
28
Das Verfahren betreffend die Klägerinnen hat das Gericht mit Beschluss vom 24. April
2007 in Erwartung von Familienasyl gemäß § 26 AsylVfG abgetrennt (
2 K 1706/07.A
da bis dahin das Bundesamt gegen die jüngeren Entscheidungen der Kammer zur
Konversion keine Rechtsmittel eingelegt hatte.
29
Die Mutter der Klägerinnen hat in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2007 im
Verfahren 2 K 4/07.A vorgetragen, ihre Töchter seien zwar nicht getauft, doch sei dies
für Kinder ihres Alters in ihrer evangelischen Gemeinde so üblich. Sie würden erst dann
getauft, wenn sie alt genug seien, die Tragweite der Taufe auch zu erkennen. Beide
Töchter seien aber im katholischen Kindergarten gewesen; die ältere Tochter, die
Klägerin zu 1., besuche mittlerweile eine katholische Schule, wo sie evangelischen
Religionsunterricht erhalte.
30
Die Kläger beantragen sinngemäß,
31
die Beklagte unter Aufhebung des sie betreffenden Teils des Bescheides des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Dezember 2006 zu
verpflichten festzustellen, dass bei ihnen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs.
1 AufenthG – hilfsweise gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG – hinsichtlich des Iran
vorliegen.
32
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
33
die Klage abzuweisen.
34
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angegriffene Entscheidung.
35
Die Kammer hat mit Beschluss vom 23. Januar 2007 den Rechtsstreit dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Beteiligten haben
sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
36
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des
vorliegenden Verfahrens, insbesondere der Sitzungsniederschrift, ferner der Verfahren 2
K 2742/01.A, 2 L 189/04.A, 2 L 335/04.A und 2 L 1226/04.A sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde ergänzend Bezug
37
genommen.
Entscheidungsgründe:
38
Die Entscheidung konnte im Einvernehmen mit den Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung ergehen, vgl. § 101 Abs. 2 VwGO.
39
Die zulässige Klage ist begründet.
40
Soweit der angegriffene Bescheid des Bundesamtes die beiden Klägerinnen betrifft, ist
er rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO).
Sie haben im maßgebenden Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz
1 Halbsatz 2 AsylVfG) einen Anspruch darauf, dass die Beklagte auf ihren Folgeantrag
vom 3. November 2006 hin bei ihnen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs.
1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) hinsichtlich des Iran feststellt, weil ihnen im Falle
der Rückkehr in den Iran wegen ihres christlichen Glaubens mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
41
Entgegen der Ansicht der Beklagten liegen zunächst die Voraussetzungen des § 71
Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens vor. Die Möglichkeit einer die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG feststellenden Entscheidung ergibt sich durch eine Änderung der Rechtslage
im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Nach Abschluss des vorangegangenen
Asylverfahrens wurde es notwendig, die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April
2004 über die Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes (ABl. EG Nr. L 304 S. 12 vom 30. September 2004; im folgenden: Richtlinie) in
Deutschland anzuwenden. Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der seit dem 28. August
2007 geltenden Fassung (vgl. Art. 6 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl. I S.
1970) sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4
sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Bei Zugrundelegung
des Religionsbegriffs des Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie, die somit bei der Auslegung
des § 60 Abs. 1 AufenthG Berücksichtigung finden muss, droht den Klägerinnen
politische Verfolgung, weil ihr religiöses Existenzminimum im Iran nicht gewährleistet
ist. Insbesondere müssen sie bei Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich
Verfolgung befürchten. Insoweit wird auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen.
42
Bejaht das Gericht, anders als das Bundesamt, die Voraussetzungen für ein
Wiederaufgreifen des Asylverfahrens, kann es die Sache nicht an das Bundesamt zur
Durchführung eines weiteren Asylverfahrens "zurückverweisen", sondern muss über die
geltend gemachten Ansprüche selbst entscheiden. Diese Entscheidung geht vorliegend
zu Gunsten der Klägerinnen aus. Sie haben einen Anspruch auf Feststellung der
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, weil im Falle ihrer Rückkehr in den Iran die
Praktizierung ihres christlichen Glaubens in dem geschützten Kernbereich mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gewährleistet wäre. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1
AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein
Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen
Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sind im
43
Wesentlichen deckungsgleich mit denjenigen des Asylanspruchs aus Art. 16 a Abs. 1
GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen
Charakter der Verfolgung betrifft.
Vgl. zur Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 1 AuslG: Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG), Urteil vom 18. Februar 1992 – 9 C 59.91 , DVBl. 1992, 843.
44
Hiernach ist eine politische Verfolgung dann anzunehmen, wenn dem Einzelnen in
Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale in der Regel durch den Staat gezielt
Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der
übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Dem liegt die von
der Achtung der Unverletzlichkeit der Menschenwürde bestimmte Überzeugung
zugrunde, dass kein Staat das Recht hat, Leib, Leben oder die persönliche Freiheit des
Einzelnen aus Gründen zu gefährden oder gar zu verletzen, die allein in dessen
politischer Überzeugung, seiner religiösen Grundentscheidung oder in Merkmalen
liegen, die für ihn unverfügbar sind und die sein Anderssein prägen (insbesondere
Rasse, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe).
45
BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, a.a.O. S. 344; BVerwG, Urteile vom 15. Mai 1990
– 9 C 17.89 , BverwGE 85, 139 (140 f.), und vom 20. November 1990 – 9 C 74.90 ,
InfAuslR 1991, 145 (146).
46
Das Asylgrundrecht setzt grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen
Verfolgung, Flucht und Asyl voraus. Es ist darauf gerichtet, nur dem in einer für ihn
ausweglosen Lage vor politischer Verfolgung Flüchtenden Zuflucht und Schutz zu
gewähren. Dabei steht der eingetretenen Verfolgung die unmittelbar drohende Gefahr
der Verfolgung gleich.
47
BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989, a.a.O. S. 344, und vom 23. Januar 1991 2 BvR
902/85 u.a. , DVBl. 1991, 531.
48
Bei Tatbeständen, die erst nach dem Verlassen des Heimatstaates entstehen und eine
Verfolgungsgefahr begründen (sog. Nachfluchttatbestände), kann die nach der
humanitären Intention des Art. 16 a Abs. 1 GG auf Gewährung von Zuflucht und Schutz
bei Flucht aus auswegloser Lage gerichtete Asylverbürgung nur in Frage kommen,
wenn sie nach dem Sinn und Zweck der Asylverbürgung gefordert ist.
49
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. November 1986 2 BvR 1058/85 , BVerfGE 74, 51 (64
f.).
50
Insbesondere kann bei subjektiven Nachfluchttatbeständen, die der Asylbewerber nach
Verlassen des Heimatstaates aus eigenem Entschluss geschaffen hat, eine
Anerkennung als Asylberechtigter nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen in
Betracht kommen (vgl. § 28 AsylVfG).
51
Ist der Asylbewerber unverfolgt ausgereist – wovon bei der Klägerin zu 1. ausweislich
des rechtskräftigen Urteils vom 18. Januar 2005 (2 K 483/04.A) auszugehen ist (die
Klägerin zu 2. ist bereits in Deutschland geboren) –, hat er einen Anspruch auf Schutz
nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
52
BVerfG, Beschlüsse vom 26. November 1986 – 2 BvR 1985/85 , BverfGE 74, 51, und
vom 10. Juli 1989 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 – 9 C 118.90 ,
BverwGE 89, 162 (163).
53
Dazu reicht es nicht aus, wenn eine Verfolgung nur im Bereich des Möglichen liegt.
Vielmehr müssen bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten
Sachverhalts die für eine landesweite politische Verfolgung bei Rückkehr sprechenden
Umstände ein größeres Gewicht als die dagegen sprechenden Tatsachen besitzen.
Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftigen Menschen in der
Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände die Rückkehr in
den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dabei ist die Schwere des befürchteten
Eingriffs in die Betrachtung einzubeziehen.
54
BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 – 1 BvR 147/80 u.a. , BverfGE 54, 341; BVerwG,
Urteil vom 5. November 1991, a.a.O. S. 169 f.
55
Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht der geltend gemachte
Feststellungsanspruch nach § 60 Abs. 1 AuslG, weil das Gericht die notwendige
Überzeugung gewinnen konnte, dass den Klägerinnen im Falle der Einreise in ihr
Heimatland wegen ihres Abfalls vom Islam zum Christentum mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht.
56
Zunächst ist festzustellen, dass das Gericht keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des
Übertritts der Klägerinnen zum christlichen Glauben hat. Im Hinblick auf die Frage, ob
ein iranischer Asylbewerber tatsächlich aufgrund religiöser Überzeugung den
christlichen Glauben angenommen hat, ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach der
Auskunftslage der Glaubenswechsel häufig auch aus asyltaktischen Erwägungen
vollzogen wird.
57
Vgl. Deutsches Orient-Institut (DOI), Auskunft vom 27. Februar 2003 an das VG Münster
(454); Bundesamt, Der Einzelentscheider-Brief 2005 Heft 3, S. 5.
58
Hiervon ist im Falle der Klägerinnen aber nicht auszugehen. Ihr Übertritt zum
Christentum ist vielmehr ernsthaft und dauerhaft. Ihr Vater hat sich in der Freien
evangelischen Gemeinde F-L, ihre Mutter im D in H taufen lassen. Beide haben das
Gericht in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2007 davon überzeugt, ihrerseits
ernsthaft und dauerhaft den christlichen Glauben zu leben. Sie erziehen auch ihre
derzeit 12 und 5 Jahre alten Töchter, die Klägerinnen, in diesem Sinne. Das ergibt sich
schon daraus, dass diese ihre Eltern zu den Gottesdiensten begleiten (vgl.
Bescheinigungen der Freien evangelischen Gemeinde F-L vom 14. Februar 2004 und
des D vom 18. Oktober 2006). Beide besuchten bzw. besuchen zudem einen
christlichen Kindergarten. Die Klägerin zu 1. wurde zum 1. März 2001 in den
Katholischen Kindergarten N in T1 aufgenommen, die Klägerin zu 2. zum 1. August
2006. Außerdem besucht die Klägerin zu 1. nach Durchlaufen der Grundschule, in der
sie evangelischen Religionsunterricht erhielt, seit dem 9. August 2006 eine kirchliche
Privatschule (N1schule in Y). Damit ist hinreichend dargetan, dass die Klägerinnen –
ihrem Alter entsprechend – nach christlichen Grundsätzen erzogen werden und
aufwachsen. Dass sie noch nicht christlich getauft sind, steht dem nicht entgegen,
sondern bekräftigt vielmehr die Ernsthaftigkeit, mit der die Klägerinnen und ihre Familie
den religiösen Regeln ihrer Gemeinde entsprechend leben. Wie die Mutter nämlich
überzeugend vorgetragen hat, wird die Taufe in ihrer Gemeinde so ernst genommen,
59
dass sie erst in einem Alter vollzogen wird, in dem die Täuflinge die Tragweite auch
erkennen können.
Haben sich die Klägerinnen damit ernsthaft vom Islam abgewandt und sind sie zur
christlichen Religion übergetreten, droht bei Rückkehr in den Iran politische Verfolgung,
weil sie dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatlichen Zwangsmaßnahmen
ausgesetzt wären, wenn sie ihren christlichen Glauben nach außen erkennbar, etwa
durch eine regelmäßige Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten, praktizierten. Dabei
geht das erkennende Gericht davon aus, dass asyl- bzw. abschiebungsrelevante
Eingriffe wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion nicht erst dann
vorliegen, wenn die Religionsausübung auch im privaten Bereich, also abseits der
Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man
sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf, verfolgt wird.
60
Vgl. zu diesem Verständnis des religiösen Existenzminimums etwa BVerfG, Beschluss
vom 1. Juli 1987 – 2 BvR 478, 962/86 , BverfGE 76, 143 (158 ff.), und BVerwG, Urteil
vom 20. Januar 2004 – 1 C 9.03 –, BverwGE 120, 16.
61
Asylrelevante Eingriffe sind vielmehr auch dann anzunehmen, wenn die Teilnahme an
religiösen Riten im öffentlichen Bereich in Gemeinschaft mit anderen mit einer Gefahr für
Leben oder Freiheit verbunden ist. Das ergibt sich aus einer Auslegung von § 60 Abs. 1
AufenthG im Lichte von Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie. Nach dieser Bestimmung haben
die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe zu berücksichtigen, dass
der Begriff "Religion" insbesondere umfasst "die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an
religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit
anderen, sonstige religiöse Betätigungen und Meinungsäußerungen und
Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf die religiöse
Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind." Dieses Verständnis des
Begriffs "Religion" bei der Prüfung von Verfolgungsgründen ergibt sich aus der
Richtlinie, die nach der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des § 60 Abs. 1
Satz 5 AufenthG ergänzend anzuwenden ist.
62
Das Gericht hält im Hinblick auf Art. 10 Abs. 1 b) der Richtlinie an der von der
Rechtsprechung bislang vorgenommenen einschränkenden Auslegung des
asylrechtlich geschützten Bereichs der Religion nicht mehr fest. Denn diese
Bestimmung bezeichnet ausdrücklich die Teilnahme an religiösen Riten im öffentlichen
Bereich und in Gemeinschaft mit anderen als integralen Bestandteil von Religion im
Sinne des Asylrechts.
63
Nähmen die den Geboten ihrer christlichen Konfession verpflichteten Kläger nach einer
Rückkehr in den Iran an öffentlichen christlichen Gottesdiensten teil, drohten ihnen mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante bzw. abschiebungsrelevante staatliche
Zwangsmaßnahmen. Die Kammer bewertet die einschlägigen Erkenntnisse
sachverständiger Stellen dahin gehend, dass konvertierte Muslime seit über zwei
Jahren öffentliche christliche Gottesdienste nicht mehr besuchen können, ohne sich der
Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen
zu Haftstrafen verurteilt zu werden. Zum Hintergrund dieser Entwicklung ist zunächst
festhalten, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben und die christliche
Missionstätigkeit im Iran nicht deshalb verfolgt werden, weil die Ausübung der
persönlichen Gewissensfreiheit und die rein persönliche, geistig-religiöse Entscheidung
für einen anderen Glauben bekämpft werden soll. Bekämpft werden soll die Apostasie
64
vielmehr, soweit sie als Angriff auf den Bestand der Islamischen Republik Iran gewertet
werden kann. Der politische Machtanspruch der im Iran herrschenden Mullahs ist
absolut. Dieser Machtanspruch ist religiös fundiert, d.h. die iranischen Machthaber
verstehen die Ausübung der politischen Macht als gleichsam natürliche Konsequenz
ihrer Religion. Deshalb ist – weil dies den Gesetzen des Islam entspricht – religiöse
Toleranz der jüdischen und christlichen Religionsgemeinschaften nur solange
vorgesehen, wie deren Angehörige sich dem unbedingten religiösen und politischen
Herrschaftsanspruch unterwerfen. Ein Ausbreiten dieser (Buch-
)Religionsgemeinschaften in das "muslimische Staatsvolk" hinein kann demgegenüber
den im Iran bestehenden Führungsanspruch der Mullahs in Frage stellen. Letztere
differenzieren nämlich nicht zwischen Politik und Religion und übertragen diese
Gleichsetzung auf andere Religionsgemeinschaften, denen sie unterstellen, ebenfalls
Politik im religiösen Gewande zu betreiben.
DOI, Auskünfte vom 6. Dezember 2004 an das Sächs. OVG (585), vom 22. November
2004 an das VG Kassel (550), vom 11. Dezember 2003 an das VG Wiesbaden (494)
und vom 20. Dezember 1996 an das VG Leipzig (181).
65
Während die traditionellen, ethnisch geprägten christlichen Glaubensgemeinschaften,
die armenisch-orthodoxe, armenisch-evangelische, die römisch-katholische und die
assyrisch-chaldäische Kirche unbehelligt im Iran ihren Glauben praktizieren können,
stellt sich die Situation der demgegenüber auch für muslimische Konvertiten offenen
Gemeinden im Iran, zu denen die Kläger als Apostaten allein Zugang hätten, anders
dar. Nach dem von dem Bundesamt im Januar 2005 erstellten "Sonderbericht über die
Situation christlicher Religionsgemeinschaften im Iran" (Sonderbericht) hatte sich die
Situation der christlichen Gemeinden im Iran, insbesondere auch der "Assembly of
God", nach der Ermordung von fünf Priestern zwischen 1990 und 1996 zwar zunächst
unter der Präsidentschaft Khatamis deutlich entspannt. Im Sommer 2004 wurden jedoch
bei einem Treffen von Referenten und Priestern in L2 86 Personen festgenommen und
inhaftiert. 76 Personen wurden nach kurzer Befragung am gleichen Tag entlassen, die
restlichen zehn Personen wurden über 72 Stunden zu Zusammensetzung, Kreis der
Angehörigen und Arbeitsweise der Gemeinde befragt. Unter den Inhaftierten war auch
der Priester Q, der weiter inhaftiert blieb. Seit diesem Ereignis werden keine Taufen von
Muslimen vorgenommen und ehemalige Muslime besuchen keine Gottesdienste mehr.
Hinzu kommt, dass im Mai 2004 die Familie des Pastors Z in D1 anlässlich eines
privaten Treffens mit zwölf Gläubigen verhaftet worden ist. Die Familie ist zwar nach
zehn Tagen wieder entlassen worden, der christliche Hauskreis wurde aber aufgelöst,
und Herr Z musste seine Tätigkeit als Priester einstellen.
66
Vgl. Sonderbericht des Bundesamtes, S. 13 ff. (17); vgl. hierzu auch Auswärtiges Amt
(AA), Lagebericht vom 29. August 2005, S. 19; AA, Auskunft vom 15. Dezember 2004 an
das Sächs. OVG (40463).
67
Diese Erkenntnisse werden durch die Angaben im Themenpapier der Schweizerischen
Flüchtlingshilfe (SFH) "Christen und Christinnen im Iran" vom 18. Oktober 2005
(Themenpapier) bestätigt. Aus diesem Papier ergibt sich darüber hinaus, dass die
Mitglieder evangelikaler Gemeinden gezwungen werden, Ausweise bei sich zu tragen.
Zusammenkünfte sind nur sonntags erlaubt und teilweise werden die Anwesenden von
Sicherheitskräften überprüft. Die Kirchenführer sollen vor jeder Aufnahme von
Gläubigen das Informationsministerium und die islamische Führung benachrichtigen.
Kirchenoffizielle müssen ferner Erklärungen unterschreiben, dass ihre Kirchen weder
68
Muslime bekehren noch diesen Zugang in die Gottesdienste gewähren. Konvertiten
müssen, sobald der Übertritt Behörden bekannt wird, zum Informationsministerium, wo
sie scharf verwarnt werden. Durch diese Maßnahmen soll muslimischen Iranern der
Zugang zu den evangelikalen Gruppierungen versperrt werden. Sollten Konvertiten
jedoch weiter in der Öffentlichkeit auffallen, beispielsweise durch Besuche von
Gottesdiensten, Missionsaktivitäten oder Ähnlichem, können sie mit Hilfe konstruierter
Vorwürfe wie Spionage, Aktivitäten illegaler Gruppen oder anderen Gründen vor Gericht
gestellt werden. Als Beispiel solcher staatlicher Willkür wird der Fall des bereits 1980
konvertierten Moslems Q angeführt. Er wurde, wie oben ausgeführt, anlässlich der
Zusammenkunft in L2 im Sommer 2004 verhaftet und später wegen Handlungen gegen
die nationale Sicherheit und wegen Verschleierung der Religionszugehörigkeit
angeklagt. Trotz entlastender Beweise wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt.
Verschiedene Gerichtsangestellte äußerten im Februar 2005, dass Q Angehöriger einer
Untergrundkirche sei. Der Sprecher der iranischen Justiz gab demgegenüber im Mai
2005 an, Q werde wegen Mitgliedschaft in politischer Gruppierung während seiner
Armeezeit bestraft. Dem Themenpapier zufolge werden darüber hinaus in neuerer Zeit
mehrfach protestantisch-freikirchliche Treffen aufgelöst mit der Begründung, es handle
sich um politisch illegale Gruppierungen. Konvertiten sind ferner wegen der Vermutung
einer regimekritischen Haltung in erhöhtem Maße gefährdet.
Auch in jüngerer Zeit sind weitere Verfolgungen von Konvertiten bekannt geworden. So
weist das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 24. März 2006 (S. 19) darauf hin,
dass am 22. November 2005 H1, ein Konvertit, der als Pastor einer Hausgemeinde in
H2 tätig war, von Unbekannten ermordet worden ist. Nach dem vom Kläger vorgelegten
Bericht "Was bedeuten die Vorschriften der Scharia für Christen" der Internationalen
Gesellschaft für Menschenrechte - Deutsche Sektion wurden am 2. Mai 2006 das als
Jugendlicher zum Christentum übergetretene Mitglied einer Pfingstler-Gemeinde in H3
(Provinz H4) und am 24. April 2006 der Konvertit T2 festgenommen. Nach dem
aktualisierten "Welt-Verfolgungs-Index" des christlichen Hilfswerks "Open Doors", auf
den das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 24. März 2006 hinweist, steht der
Iran für das Jahr 2006 unter 50 Ländern an dritter Stelle der Verfolger-Staaten, nachdem
er in den beiden Jahren zuvor noch auf Rang 5 notiert worden war. Nach diesem Bericht
hat es nach der Wahl Ahmedinejads zum Präsidenten im Juni 2005 eine Welle der
Christenverfolgung gegeben. Die Behörden seien angewiesen worden, gegen
christlichen Hausgemeineden hart vorzugehen. Am 10. Dezember 2006 wurden nach
dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Juli 2007 (S. 17) 14 Christen, bei
denen es sich um Konvertierte handeln soll, in Teheran, Karaj und Rasht ohne
ersichtlichen Grund verhaftet.
69
In dem Positionspapier des Arbeitskreises "Ausländer, Aussiedler und Asylsuchende"
der Evangelischen Kirche von L3-X aus Dezember 2006 (mit Schreiben vom 16. Januar
2007 an den VGH Baden-Württemberg übersandt) ist ausgeführt, dass Konvertiten dort,
wo der Islam Staatsreligion und tragende Säule der staatlichen Ordnung und
Gesellschaft ist (z.B. Iran), nicht am sonntäglichen Gottesdienst einer christlichen
Gemeinde teilnehmen und nicht offen mündlich oder schriftlich Zeugnis von ihrem
Glauben ablegen könnten. Diese Beschränkungen beträfen sogar den familiären und
nachbarschaftlichen Bereich (S. 7). Das traditionelle islamische Recht und die islamisch
geprägten Gesellschaften duldeten Konvertiten faktisch nur dann, wenn diese als
"Scheinmuslime" lebten (S. 9).
70
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die vorliegenden Auskünfte und Berichte die
71
Verfolgungssituation der genannten protestantischen Gemeinden im Iran
möglicherweise nur unvollständig wiedergeben. Einer Auskunft von amnesty
international an das Sächsische OVG vom 21. Juli 2004 zufolge stehen die christlichen
Gemeinden unter starkem Druck und geben keine genaue Auskunft über ihre Situation,
um jede öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden. Für ein solches
Informationsverhalten sprechen auch die Vorgänge, die der Ermordung protestantischer
Geistlicher 1994 vorausgegangen waren. Ende 1993 hatte nämlich der armenisch-
protestantische Bischof N2 öffentlich über intensive Verfolgungen protestantischer Iraner
und Iranerinnen berichtet. Daraufhin forderten die Behörden alle Vertreter christlicher
Glaubensgemeinschaften auf, schriftlich zu bestätigen, dass sie keinen Repressionen
ausgesetzt seien. Diese Bestätigungen wurden an Menschenrechtsgruppierungen
gesandt. Bischof N2 und andere Vertreter evangelikaler Gruppierungen verweigerten
die Bestätigung. Bischof N2 und sein Nachfolger verschwanden und wurden wenig
später tot aufgefunden (vgl. SFH, Themenpapier vom 18. Oktober 2005).
Hinzu kommt, dass sich die Situation aktuell weiter verschärft. So berichtete die
Frankfurter Allgemeine Zeitung am 28. Februar 2008 über einen dem Parlament in
Teheran vorliegenden Gesetzesentwurf, der Apostasie, Ketzerei und Zauberei unter die
Hadd-Strafen des islamischen Rechts stellt, die dem Richter im Falle der "Schuld"
praktisch keinen Spielraum mehr lassen. Damit könnte der Glaubensabfall erstmalig seit
Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahre 1979 legal mit der Todesstrafe
"geahndet" werden.
72
Unabhängig davon, ob die Situation zum Christentum konvertierter Moslems tatsächlich
noch angespannter ist, als sich aus den oben genannten Quellen ergibt, ist bereits auf
der Grundlage der vorstehend aufgeführten Erkenntnisse beachtlich wahrscheinlich,
dass die Klägerinnen bei einer Rückkehr in den Iran nicht regelmäßig an religiösen
Riten, wie zum Beispiel öffentlichen Gottesdiensten, teilnehmen könnten, ohne dass
ihnen Festnahme und Inhaftierung drohten.
73
So die Einschätzung der 2. Kammer des VG Düsseldorf seit dem Urteil vom 15. August
2006 2 K 2682/06.A ; ebenso VG Düsseldorf, Urteil vom 15. August 2006 – 22 K
350/05.A , JURIS-Dokumentation, und VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Oktober 2006 – A 6
K 10335/04 , JURIS-Dokumentation; ähnlich VG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.10.2006 –
7 E 3612/04.A (1) – und VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 22. Mai 2006 – 3 K 22/06.NW ;
a.A. VG Düsseldorf, Urteile vom 16. Oktober 2006 – 5 K 4336/06.A und 8. Februar 2007
– 9 K 2279/06.A .
74
Dem steht die Minderjährigkeit der Klägerinnen nicht entgegen. Bei einer Rückkehr in
den Iran würden sie existenziellen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die eine
Rückkehr unzumutbar machen. Diese Annahme liegt darin begründet, dass die
Klägerinnen verpflichtet wären, sich in ein islamisch-fundamentalistisches Schulsystem
einzugliedern und an dem streng religiös geprägten Unterricht teilzunehmen. Eine
Möglichkeit, sich den Schulgebeten und dem Koranunterricht zu entziehen, besteht für
konvertierte Muslime in einem Staat, der eine Trennung von Staat und Kirche - im Sinne
von Religion - nicht kennt, dem der Grundsatz der Säkularität fremd ist, nicht. Die
obligatorische Teilnahme am staatlichen, islamisch geprägten Unterricht mit seinen
religiösen Riten widerspräche jedoch dem Kernbereich der von Art. 4 Abs. 1 GG
umfassten negativen Religionsfreiheit, d. h. der Freiheit, eine religiöse Überzeugung
auch ablehnen zu können. Von Kindern im Alter der Klägerinnen kann auch nicht
erwartet werden, dass sie sich in der Schule den religiösen Vorgaben anpassen und
75
sich "verstellen". Die ethisch-religiösen Widersprüche, die sich aus einer christlichen
Erziehung im Elternhaus und den Anforderungen an die religiöse Betätigung in der
Schule ergäben, könnten von den Klägerinnen auch nicht geheim gehalten werden. Da
aber ein Religionswechsel von den Machthabern im Iran als Tätigkeit in einer
verbotenen politischen Partei verstanden wird, wären die Klägerinnen im Falle einer
Rückkehr in den Iran einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt.
Zur Religionsfreiheit bei schulpflichtigen Kindern im Iran: VG Darmstadt, Urteil vom 12.
Januar 2006 – 5 E 1549/03.A -, juris.
76
Der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG wegen der infolge der
Konversion drohenden politischen Verfolgung steht in Einklang mit der Bestimmung des
§ 28 AsylVfG (i.d.F. von Art. 3 Nr. 21 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S.
1970, nachfolgend: n.F.). Zwar kann nach § 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. in einem
Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn
der Ausländer – wie hier die Klägerinnen – nach Rücknahme oder unanfechtbarer
Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände
stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren
Asylantrags selbst geschaffen hat. Jedoch ergibt sich aus § 28 Abs. 1a AsylVfG n.F., der
durch das Umsetzungsgesetz vom 19. August 2007 in § 28 AsylVfG n.F. eingefügt
wurde, eine differenzierende Sichtweise. Danach kann eine Bedrohung nach § 60 Abs.
1 AufenthG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das
Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers,
das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden
Überzeugung oder Ausrichtung ist. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber Art. 5
Abs. 1 der Richtlinie umsetzen und klarstellen, dass die Verfolgungsgefahr auch auf
Ereignissen und Aktivitäten beruhen kann, die nach Ausreise aus dem Herkunftsland
entstanden sind bzw. durchgeführt wurden.
77
Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien
der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065 S. 216 f.
78
Mit dem Zusatz "insbesondere" hat der Gesetzgeber erkennbar die zu § 28 Abs. 2
AsylVfG a.F. ergangene Rechtsprechung aufgegriffen, nach der eine Ausnahme vom
Ausschlussgrund des § 28 Abs. 2 AsylVfG dann anerkannt wurde, wenn der Entschluss
einer festen, bereits im Herkunftsland "erkennbar betätigten Überzeugung" entsprach.
79
Zur Rspr. zum § 28 Abs. 2 AsylVfG a.F. vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 5.
September 2007 – 14 B 05.31261 -, m.w.N., juris; Nds. OVG, Beschluss vom 18. Juli
2006, 11 LB 75/06, juris; OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 2005 – 8 A 780/04.A -, ZAR
2005, 422.
80
Kann das Nachfluchtverhalten in dieser Weise an das Vorfluchtgeschehen angeknüpft
werden, liegt ein "Regelfall" im Sinne des § 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. eben nicht vor. In
dieser Konstellation können selbst in einem Folgeverfahren die Voraussetzungen des §
60 Abs. 1 AufenthG bei subjektiven Nachfluchtgründen festgestellt werden.
81
Zu dieser Auslegung des § 28 Abs. 1a AsylVfG n.F. auch VG Hannover, Urteil vom 7.
Januar 2008 – 11 A 7850/06 -, juris;
82
Bei den Klägerinnen liegt der Ausschlussgrund des § 28 Abs. 2 AsylVfG n.F. nicht vor.
Zwar kann bei ihnen nicht festgestellt werden, dass sie sich bereits im Iran dem
Christentum zugewandt haben. Indes stellt sich bei ihnen die Frage nach einer
persönlichkeits- und identitätsbildenden Lebenshaltung vor der Ausreise von
vorneherein nicht, weil sie hierfür zu jung waren bzw. nie dort gelebt haben. Eine
entsprechende Wertung lässt sich § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG n.F. entnehmen und geht
letztlich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück,
83
vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Dezember 1989 – 2 BvR 749/89 – zur
Asylerheblichkeit subjektiver Nachfluchtgründe.
84
Die Klägerin zu 1. ist bereits im Alter von fünf Jahren in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist, während die Klägerin zu 2. überhaupt erst nach der Einreise ihrer Eltern in
Deutschland geboren wurde. Eine Anknüpfung an ihr Vorfluchtverhalten kann deshalb
bei ihnen nicht verlangt werden.
85
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
86