Urteil des VG Darmstadt vom 31.07.2008

VG Darmstadt: magistrat, wahlvorschlag, fraktion, stadtrat, öffentliche aufgabe, gemeindeordnung, hessen, wähler, zusammensetzung, kandidat

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Gericht:
VG Darmstadt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 178/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 55 HGO, § 62 HGO, § 65
HGO, § 10 KomWG HE
Kommunalrechtliche Wahlprüfungsklage
Leitsatz
Aus dem Demokratieprinzip folgt nicht, dass die Besetzung des ehrenamtlichen
Magistrats das Stärkeverhältnis der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung
widerspiegeln muss. Aus dem Fehlen einer der Vorschrift des § 62 Abs. 2 Satz HGO,
nach der die Stadtverordnetenversammlung beschließen kann, dass sich alle oder
einzelne Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammensetzen,
entsprechenden Regelung für den Magistrat ist zu schließen, dass der Gesetzgeber
bewusst die Entscheidung getroffen hat, dass der Magistrat nicht zwingend nach dem
Grundsatz der Spiegelbildlichkeit zu besetzen ist.
§ 66 HGO regelt die Aufgaben des Gemeindevorstands ohne Differenzierung zwischen
ehrenamtlichen und hauptamtlichen Beigeordneten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Feststellung, dass die am 08.06.2006 von
der Beklagten vollzogene Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte
ungültig war.
Die Beklagte hat 37 Mitglieder. Davon entfallen 15 Mitglieder auf die Fraktion der
CDU, 11 Mitglieder auf die Fraktion der SPD, 5 Mitglieder auf die Fraktion der
GRÜNEN, 2 Mitglieder auf die Fraktion der FDP, 3 Mitglieder auf die Kläger als
Fraktion der FWB und ein Mitglied auf den Wahlvorschlag der Bürger für
Babenhausen (Bürger). Dabei kooperieren die Fraktionen von CDU und den
GRÜNEN. Die übrigen Fraktionen bilden die Opposition.
Die Beklagte befasste sich am 08.06.2006 unter Tagesordnungspunkt 7 mit der
Wahl der sieben ehrenamtlichen Stadträtinnen bzw. Stadträte. Hierzu lagen
Wahlvorschläge jeweils der Fraktionen von CDU, SPD, GRÜNEN und FWB vor. Die
Fraktionen der FDP und der Bürger hatten keine eigenen Wahlvorschläge
eingereicht. Auf der Wahlvorschlagsliste der CDU befand sich an der dritten
Position der bisherige Stadtrat der GRÜNEN, L.. Auf der Liste der SPD stand an der
dritten Position der Kandidat der FDP, R.. Die Liste der FWB wurde von dem Kläger
zu 2) als stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden der FWB angeführt.
Der Aufstellung des Wahlvorschlags der SPD lagen Absprachen zwischen der SPD-
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Der Aufstellung des Wahlvorschlags der SPD lagen Absprachen zwischen der SPD-
Fraktion, der FDP-Fraktion und der Stadtverordneten der Bürger zu Grunde.
Danach sollte ein FDP-Kandidat auf die SPD-Liste genommen werden, um durch
Stimmabgabe auch der Stadtverordneten der FDP und der Stadtverordneten der
Bürger zu Gunsten der SPD-Liste dem FDP-Kandidaten zu einer Stadtratsstelle zu
verhelfen.
Von den in geheimer Wahl abgegebenen 37 Stimmen entfielen bei der Wahl auf
den Wahlvorschlag der CDU 15 Stimmen, auf den Wahlvorschlag der SPD 14
Stimmen, auf den Wahlvorschlag der GRÜNEN 5 Stimmen und auf den
Wahlvorschlag der FWB 3 Stimmen. Damit waren von dem Wahlvorschlag der CDU
die ersten drei Bewerber und somit auch der Kandidat der GRÜNEN zu
ehrenamtlichen Stadträten gewählt. Auf den Wahlvorschlag der elfköpfigen SPD-
Fraktion entfielen 14 Stimmen. Damit waren von diesem Wahlvorschlag ebenfalls
die ersten drei Bewerber in den Magistrat gewählt und somit auch der Kandidat der
FDP-Fraktion. Auf den Wahlvorschlag der GRÜNEN entfielen 5 Stimmen. Ihr
Kandidat erhielt somit die siebte Stadtratsstelle. Auf den Wahlvorschlag der FWB
entfielen 3 Stimmen, das heißt, sie blieb ohne Magistratssitz.
Bei einer Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte auf der Grundlage
jeweils eigener Wahlvorschläge aller Fraktionen bzw. fraktionslosen Mitgliedern der
Beklagten hätte sich die Sitzverteilung bei 37 gültigen Stimmen und Stimmabgabe
auf den eigenen Wahlvorschlag aus folgender Rechnung ergeben:
CDU
= 15 x 7 : 37 = 2,83 → 3 Sitze
SPD
= 11 x 7 : 37 = 2,08 → 2 Sitze
GRÜNE = 5 x 7 : 37 = 0,94 → 1 Sitz
FWB
= 3 x 7 : 37 = 0,56 → 1 Sitz
FDP
= 2 x 7 : 37 = 0,37 → 0 Sitze
Bürger = 1 x 7 : 37 = 0,18 → 0 Sitze.
Bei der vorstehenden Konstellation wären auf den Wahlvorschlag der CDU drei
Sitze, auf den der SPD zwei Sitze, auf den der GRÜNEN ein Sitz, auf den der FWB
ein Sitz und auf die Wahlvorschläge der FDP und der Stadtverordneten der Bürger
kein Sitz im ehrenamtlichen Magistrat entfallen.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Kläger legte am 08.07.2006 bei dem
Stadtverordnetenvorsteher der Beklagten gemäß § 55 Abs. 6 HGO Widerspruch
gegen die von der Beklagten am 08.06.2006 vollzogene Wahl der ehrenamtlichen
Stadträte ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Wahl der ehrenamtlichen
Magistratsmitglieder ungültig gewesen sei, weil sie das Recht verletzt habe, denn
die Verteilung der Stellen der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte
spiegele nicht die Stärkeverhältnisse der Fraktionen in der Beklagten wider. Sie
stelle vielmehr das Ergebnis einer Absprache dar mit dem Ziel einer Manipulation
der Sitzverteilung zu Gunsten der FDP und zum Nachteil der FWB. Hätten die
Fraktionen auf ihren Wahlvorschlägen nur Bewerber der eigenen Partei und nicht
auch solche aus den Reihen anderer politischer Parteien aufgestellt und die FDP
sowie die Stadtverordnete der Bürger ebenfalls einen eigenen Wahlvorschlag
vorgelegt, dann hätte die Verteilung der Stellen der ehrenamtlichen Stadträte die
Stärkeverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung zutreffend
widergespiegelt. Dabei wäre die siebte Stelle der FWB zugefallen. Lediglich dann,
wenn die Stadtverordnete der Bürger für den Wahlvorschlag der FDP gestimmt
hätte, hätte die siebte Stadtratsstelle zwischen FDP und FWB ausgelost werden
müssen. Aber auch dann hätte der Wahlvorschlag der FWB immer noch
wenigstens die Chance gehabt, den Losentscheid zu gewinnen. Das Wahlverfahren
sei verfassungswidrig, denn es widerspreche dem Demokratieprinzip des
Grundgesetzes. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits mit Grundsatzurteil
vom 10.12.2003 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts die Bildung von Zählgemeinschaften zum Zwecke der
Gewinnung zusätzlicher Sitze für rechtwidrig und für mit dem Demokratieprinzip
des Grundgesetzes unvereinbar erklärt. Nach Ansicht der Kläger gelte dies
ebenfalls für die Wahl der ehrenamtlichen Stadträte in Hessen, denn auch für
diese gelten die Grundsätze des Demokratieprinzips und des
Minderheitenschutzes uneingeschränkt. § 55 Abs. 1 HGO verlange, dass mit dem
Verhältniswahlverfahren die Stärkeverhältnisse der Stadtverordnetenversammlung
ebenfalls in den ehrenamtlichen Magistrat transportiert werden, wie das für
Ausschüsse und Kommissionen auch im alternativ anwendbaren
Benennungsverfahren des § 62 Abs. 2 HGO bzw. § 72 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2
HGO – bezogen auf das Stärkeverhältnis der Fraktionen – geregelt sei. Die
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HGO – bezogen auf das Stärkeverhältnis der Fraktionen – geregelt sei. Die
Beklagte habe die allein zur Verschaffung einer Stadtratsstelle für die FDP
aufgestellte verdeckte gemeinsame Liste von SPD-Fraktion und FDP-Fraktion
zugelassen, obwohl hinter dem Wahlvorschlag offensichtlich eine rechtlich nicht
zulässige Zählgemeinschaft zwischen SPD-Fraktion, FDP-Fraktion und der Bürger
für Babenhausen gestanden habe, der Wahlvorschlag unter falscher und
irreführender Bezeichnung allein der SPD eingereicht worden sei und die
„verdeckte gemeinsame Liste“ lediglich ein kurzfristiges ad-hoc Zweckbündnis
dargestellt habe, um der FDP-Fraktion zu einem ihr rechtmäßig nicht zustehenden
Magistratssitz zu verhelfen und den Einzug des Klägers zu 2) in den Magistrat zu
verhindern. Die Beklagte habe damit rechtswidrig die FWB-Fraktion um ihren
Anspruch auf die Stelle eines ehrenamtlichen Stadtrates gebracht.
Entsprechendes gelte für den Wahlvorschlag der CDU-Fraktion, der ebenfalls eine
„verdeckte Liste“ gewesen sei und welcher der Fraktion der GRÜNEN zu einem
zweiten Magistratssitz verholfen habe, der dieser nach der Zahl ihrer Mandate
nicht zugestanden habe.
Die Beklagte wies den Widerspruch in ihrer Sitzung vom 05.10.2006 zurück und
erklärte die Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte für gültig.
Hierüber beschied der Stadtverordnetenvorsteher die Kläger mit
Widerspruchsbescheid vom 02.01.2007, welcher dem Klägervertreter am selben
Tag per Telefax zuging. In der Begründung führte er aus, dass in der Hessischen
Gemeindeordnung keine Vorschrift existiere, nach der Fraktionen ein
Magistratsplatz sicher sei. Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 HGO sei es einerseits
erforderlich, andererseits aber auch ausreichend, wenn schriftlich und geheim
aufgrund von Wahlvorschlägen aus der Mitte der Gemeindevertretung gewählt
werde. Dies sei hier geschehen. Darüber hinaus sei ein Verstoß gegen die
Grundsätze des Demokratieprinzips und des Minderheitenschutzes nicht
erkennbar.
Die Kläger haben am 31.01.2007 Klage erhoben. Sie tragen ergänzend vor, dass
ein so wichtiges Gemeindeorgan wie der Magistrat, der in weitem Umfang an der
Ausübung der Gewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG beteiligt sei, einer
demokratischen Legitimation bedürfe. Diese müsse sich über demokratische
Wahlen auf die Gesamtheit der Bürger der Gemeinde, als dem Volk, von dem die
Gewalt ausgehe, zurückführen lassen. Diese Anforderungen der Verfassung seien
aber nur dann erfüllt, wenn die Stärkeverhältnisse der Fraktionen in der
Stadtverordnetenversammlung per Verhältniswahl unverfälscht in den
ehrenamtlichen Magistrat transportiert werden. Dass die ihr Stärkeverhältnis in der
Stadtverordnetenversammlung widerspiegelnde Beteiligung der politischen
Parteien und Gruppen im Magistratskollegium dem Gesetzgeber ein
herausragendes Anliegen gewesen sei, zeigten auch die Ausführungen des
früheren Innenministers Zinnkann vor dem Hessischen Landtag bei der ersten
Lesung des Gesetzesentwurfs der Landesregierung für eine Hessische
Gemeindeordnung in der Plenarsitzung am 06.09.1950, in denen dieser die
Nachteile der Bürgermeisterverfassung einerseits und die Vorteile der unechten
Magistratsverfassung andererseits gegenübergestellt habe.
Die Kläger beantragen
festzustellen, dass die am 08. Juni 2006 von der
Stadtverordnetenversammlung der Stadt Babenhausen vollzogene Wahl der
ehrenamtlichen Stadträtinnen und Stadträte ungültig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt ergänzend vor, dass das Vorschlagsrecht zur Wahl der ehrenamtlichen
Stadträtinnen und Stadträte nicht den einzelnen politischen Gruppen zustehe,
sondern vielmehr den einzelnen Stadtverordneten. Nach § 55 Abs. 3 Satz 1 HGO
kämen die Wahlvorschläge in Hessen aus der Mitte der Gemeindevertretung.
Vorschlagsberechtigt seien also die einzelnen Stadtverordneten oder Gruppen von
Stadtverordneten. Auch bei mittelbaren Wahlen wie hier sei eine demokratische
Legitimation dadurch gegeben, dass sie sich mittelbar auf das Volk als Träger der
Staatsgewalt zurückführen lasse. Dem Wesen einer freiheitlich-demokratischen
Wahl sei es immanent, dass es den Wahlberechtigten freigestellt sei, ob sie einem
vorgeschlagenen Kandidaten ihre Stimme geben oder nicht. Insbesondere gelte
der Grundsatz des freien Mandats, der jede Bindung der Amtsausübung an
Anweisungen oder Aufträge der Wähler oder anderer Personen oder Gremien
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Anweisungen oder Aufträge der Wähler oder anderer Personen oder Gremien
ausschließe. Es sei deshalb nicht ersichtlich, weshalb sich Vorschläge lediglich auf
Personen aus den eigenen politischen Reihen beziehen sollten. Nur im Einzelfall
und unter besonderen Umständen könne eine solche Abstimmung fehlerhaft sein,
wenn ein Stadtverordneter bei der Abstimmung in einer Drucksituation gestanden
habe. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen.
Die Fraktion der Freien Wählergemeinschaft A-Stadt e.V. hatte im Rahmen eines
vorläufigen Rechtsschutzverfahrens (Az.: 3 G 1145/06) am 08.06.2006 einen
Antrag auf einstweilige Anordnung bezüglich der Unterlassung der Wahlen gestellt.
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Darmstadt hat den Antrag mit Beschluss
vom 08.06.2006 abgelehnt. Der Inhalt der Akte 3 G 1145/06 war Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten
Akte (1 Heftstreifen).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klage ist als kommunalrechtliche Wahlprüfungsklage gemäß § 55 Abs. 6 Satz 3
HGO zulässig. Die Kläger haben form- und fristgerecht gemäß § 55 Abs. 6 HGO
Widerspruch gegen die Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen bzw. Stadträte
erhoben.
Einer besonderen Klagebefugnis bedarf es nicht. Auf die mögliche Verletzung
subjektiver Rechte der Kläger kommt es nicht an, weil § 55 Abs. 6 HGO den
Mitgliedern der Vertretungskörperschaft ein objektives Beanstandungsrecht
zubilligt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 09.12.1993 - 6 UE 1720/92 -, NVwZ-RR 1994,
605).
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Wahl der ehrenamtlichen Stadträtinnen und
Stadträte in der Sitzung der Beklagten vom 08.06.2006 war gültig.
Die Hessische Gemeindeordnung räumt den in der Stadtverordnetenversammlung
vertretenen Fraktionen keinen Anspruch auf Berücksichtigung bei der Besetzung
der Stellen der ehrenamtlichen Beigeordneten ein. Ein solcher lässt sich zum
einen nicht aus § 55 HGO herleiten. Anders als in § 62 Abs. 2 HGO, der für
Ausschüsse unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, dass diese sich nach
dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammensetzen, ist dies gerade in § 55
HGO für die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder vom Gesetzgeber nicht geregelt
worden.
§ 55 Abs. 1 HGO sieht vor, dass die Besetzung der Stellen nach den Grundsätzen
der Verhältniswahl vorzunehmen ist. Daraus ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen,
dass die Stärkeverhältnisse der Stadtverordnetenversammlung in den
ehrenamtlichen Magistrat transportiert werden müssen. § 55 Abs. 1 HGO regelt
lediglich die Modalität der Wahl, er regelt jedoch inhaltlich nicht, inwieweit sich die
Stärkeverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung im ehrenamtlichen
Magistrat widerspiegeln müssen.
Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 HGO ist es einerseits erforderlich, andererseits aber
auch ausreichend, wenn schriftlich und geheim aufgrund von Wahlvorschlägen aus
der Mitte der Stadtverordnetenversammlung gewählt wird. Dies ist hier
geschehen. Aus der Mitte der Stadtverordnetenversammlung kommt auch ein
Wahlvorschlag, den mehrere Fraktionen oder eine Reihe von Stadtverordneten aus
verschiedenen Fraktionen vorlegen. Wenn § 55 Abs. 3 HGO bestimmt, dass
aufgrund von Wahlvorschlägen aus der Mitte der Stadtverordnetenversammlung
gewählt wird, stellt dies nur klar, dass Außenstehende zur Vorlage von
Wahlvorschlägen an die Stadtverordnetenversammlung nicht befugt sind. Dies
schließt jedoch gemeinsame Wahlvorschläge der in der
Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen nicht aus.
Regelungsgegenstand und Regelungszweck des § 55 Abs. 3 HGO ist weder die
Zulassung noch die Nichtzulassung gemeinsamer Wahlvorschläge bei mittelbaren
Wahlen durch die Stadtverordnetenversammlung.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des § 55 Abs. 3
HGO. Die Worte „aufgrund von Wahlvorschlägen aus der Mitte der
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HGO. Die Worte „aufgrund von Wahlvorschlägen aus der Mitte der
Gemeindevertretung“ wurden in § 55 Abs. 2 a. F. HGO durch Artikel 1 Nr. 20 des
Gesetzes zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften in Hessen vom
03.06.1960 eingefügt (GVBl. I. S.47). Grundlage hierfür war ein Abänderungsantrag
der Fraktion der SPD zu dem Gesetzesentwurf in der Fassung des
Ausschussberichts. Als Begründung für den Abänderungsantrag führt der zweite
Bericht des kommunalpolitischen Ausschusses zu dem Gesetzesentwurf aus:
„Man will erreichen, dass die Gemeindevertreter genau wissen, wer zur Wahl steht“
(vgl. Landtagsdrucksache II Nr.144).
Auch durch die gemeinsamen Wahlvorschläge wussten die Stadtverordneten, wer
zur Wahl steht. Wie die Wahl dann letztendlich ausgeht, konnten und durften sie
aufgrund des in § 55 Abs. 3 HGO verankerten Grundsatzes der geheimen Wahl
nicht wissen.
Auch aus der Entstehungsgeschichte der Hessischen Gemeindeordnung lässt sich
nichts anderes herleiten. Die von den Klägern zitierten Äußerungen des damaligen
Innenministers im Verlauf der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs der
Landesregierung für eine Hessische Gemeindeordnung in der Plenarsitzung am
06.09.1950 vor dem Hessischen Landtag bezogen sich auf den allgemeinen
Vergleich von Bürgermeisterverfassung und unechter Magistratsverfassung (vgl.
Stenografische Protokolle des Hessischen Landtages, I. Wahlperiode, S. 2952,
2954). Mit dem hier streitigen Fall stehen die Äußerungen jedoch in keinem
Zusammenhang.
Da § 55 Abs. 3 HGO als abschließende spezielle Regelung über Wahlvorschläge für
mittelbare Wahlen durch die Stadtverordneten anzusehen ist, bezieht sich die für
Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl geltende Verweisung in § 55
Abs. 4 HGO auf eine entsprechende Anwendung des direkt nur für unmittelbare
Wahlen geltenden Kommunalwahlgesetzes jedenfalls nicht auf die Regelung des
Wahlvorschlagsrechts gemäß § 10 KWG, so dass auch das Verbot gemeinsamer
Wahllisten mehrerer Parteien bzw. gemeinsamer Wahlvorschläge mehrerer
Fraktionen nach § 10 Abs. 2 KWG bei mittelbaren Wahlen schon
gesetzessystematisch nicht anwendbar ist (vgl. VGH Kassel, Urteil vom
06.05.2008 - 8 UE 1187/07 -). Darüber hinaus bestehen zwischen einer
Listenverbindung im Sinne des § 10 Abs. 4 KWG und einem gemeinsamen
Wahlvorschlag erhebliche inhaltliche Unterschiede. Normzweck und
Interessenslage sind nicht vergleichbar. Bei einem gemeinsamen Wahlvorschlag
wählen die Wähler unmittelbar den Kandidaten. Die Reihenfolge, in der die
Wahlkandidaten je nach der Zahl der für den Wahlvorschlag abgegebenen
Stimmen gewählt sind, wird durch den Wahlvorschlag von vornherein festgelegt.
Die Wähler wissen, welchem Kandidaten sie in welcher Reihenfolge ihre Stimme
geben. Die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Klarheit der Wahl werden daher
gewahrt. Demgegenüber ist bei der Listenverbindung für den Wähler während des
Wahlvorgangs nicht ohne weiteres erkennbar, welchem Bewerber welcher Liste die
Stimme letztlich zugute kommt und wer die Chance auf ein Mandat hat, da hier
getrennte Wahlvorschläge durch zwei oder mehr Parteien bzw. Wählergruppen
aufgestellt oder eingereicht werden, die der Wahlleitung gegenüber für die Wahl
mit der Maßgabe als verbunden erklärt werden, dass bei der Stimmauszählung die
verbundenen Wahlvorschläge wie ein Vorschlag behandelt werden. Die Aufteilung
des Mandats erfolgt bei den Listenverbindungen dann in einem weiteren
Aufteilungsverfahren zwischen den beteiligten Parteien.
Im Übrigen geht das Gesetz in § 55 Abs. 2 HGO selbst von der grundsätzlichen
Zulässigkeit von gemeinsamen Wahlvorschlägen aus, wobei der Unterschied zu
einem Wahlvorschlag im Sinne des vorliegenden Falles darin besteht, dass sich bei
der Einheitsliste alle Stadtverordneten und nicht nur ein Bündnis von bestimmten
Fraktionen auf eine Liste einigen (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 17.10.1991 - 6 UE
2422/90 -, NVwZ-RR 1992, 371).
Es liegt auch kein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vor. Aus dem
Demokratieprinzip folgt nicht, dass die Besetzung des ehrenamtlichen Magistrats
das Stärkeverhältnis der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung
widerspiegeln muss. Dementsprechend kann ein Anspruch einzelner Fraktionen
auf Berücksichtigung bei der Sitzverteilung nach Maßgabe ihrer jeweiligen
Mitgliederzahl nicht aus dem Demokratieprinzip hergeleitet werden.
Nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG muss das Volk in den Ländern, Kreisen und
Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien,
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Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien,
gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Diese Bestimmung überträgt
die in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 70 und 71 Hessische Verfassung
getroffene Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der
Volkssouveränität und der Demokratie auf die Ebene der Gemeinden. Daraus
folgt, dass die Gemeindevertretung, auch wenn sie kein Parlament, sondern ein
Organ der Selbstverwaltungskörperschaft ist, die Gemeindebürger repräsentiert
(vgl. BVerwG, Urteil vom 10.12.2003 - BVerwG 8 C 18/03 -, BVerwGE 119, 305).
Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG die
Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und nach § 1 des
Parteiengesetzes als verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit ihrer freien, dauernden
Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem
Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe erfüllen. Dazu
beteiligen sie sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund,
Ländern und Gemeinden und nehmen auf die politische Entwicklung in Parlament
und Regierung Einfluss (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 06.05.2008, a.a.O.). Diese
Vorgaben sind in Hessen im Kommunalwahlgesetz dadurch umgesetzt, dass nach
§ 1 Abs. 1 KWG Gemeindevertreter, Ortsbeiratsmitglieder und
Kreistagsabgeordnete von den Wahlberechtigten in freier, allgemeiner, geheimer,
gleicher und unmittelbarer Wahl nach den Grundsätzen einer mit einer
Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt werden. Die Wahlvorschläge
können entsprechend ihrer Aufgabe der politischen Willensbildung und
Einflussnahme gemäß § 10 Abs. 2 KWG (nur) von Parteien im Sinne des Art. 21
des Grundgesetzes und von Wählergruppen eingereicht werden (vgl. VGH Kassel,
Urteil vom 06.05.2008, a.a.O.). Daraus ergibt sich zunächst, dass auf dieser ersten
Stufe der unmittelbaren Wahl der Stadtverordnetenversammlung durch die Bürger
eine gemeinsame Wahlliste mehrerer Parteien nicht zulässig ist. Die Wähler sollen
in die Lage versetzt werden, frei zwischen den durch einzelne Parteien (im
kommunalen Bereich auch einzelne Wählergruppen) vertretenen politischen
Zielsetzungen wählen zu können, was bei einer gemeinsamen Wahlliste mehrerer
Parteien nicht möglich ist, weil diese mehrere unterschiedliche politische
Zielsetzungen verbindet (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 06.05.2008, a.a.O.).
Auf der zweiten Stufe werden im Wege mittelbarer Wahlen weitere Gremien wie
Ausschüsse, Magistrat usw. gebildet. Dabei steht hessischen Gemeindevertretern
gemäß § 35 Abs. 1 HGO ein sog. freies Mandat zu, d. h. sie sind als Vertreter des
ganzen Volkes bzw. der Gemeindebürger an Aufträge und Weisungen nicht
gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen bzw. üben ihre Tätigkeit nach ihrer
freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung aus.
Aus dem Demokratieprinzip folgt jedoch nicht, dass die Besetzung des
ehrenamtlichen Magistrats das Stärkeverhältnis der Fraktionen in der
Stadtverordnetenversammlung widerspiegeln muss. Das von dem
Bundesverfassungsgericht entwickelte sog. Spiegelbildlichkeitsprinzip findet im
Verhältnis der Stadtverordnetenversammlung zu dem ehrenamtlichen Magistrat
keine Anwendung. Nach diesem Prinzip sollen die Ausschüsse als
Untergliederungen des Parlaments und als verkleinertes Abbild des Plenums
grundsätzlich dessen parteipolitische, dem Stärkeverhältnis der Fraktionen
entsprechende Zusammensetzung spiegelbildlich abbilden, um allen
Abgeordneten den gleichen Anteil an der Repräsentanz des Volkes und gleiche
Mitwirkungsbefugnisse auch in verkleinerten Gremien zu verschaffen, die
wesentliche Teile der dem Parlament zustehenden Informations-, Kontroll- und
Untersuchungsaufgaben wahrnehmen (vgl. u.a. BVerfG, Urteil vom 13.06.1989 - 2
BvE 1/88 -, BVerfGE 80, 188; Urteil vom 08.12.2004 - 2 BvE 3/02 -, BVerfGE 112,
118). Das die grundsätzlich gleichen Mitwirkungsrechte aller Volksvertreter
sichernde Spiegelbildlichkeitsprinzip dient damit insbesondere auch dem
Minderheitenschutz. Dieses Spiegelbildlichkeitsprinzip hat das
Bundesverwaltungsgericht mit Grundsatzurteil vom 10. Dezember 2003 auf die
Ebene der Gemeinden übertragen. In seinem Urteil führt das
Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Gemeindevertretung die Gemeindebürger
repräsentiere, auch wenn sie kein Parlament, sondern Organ einer
Selbstverwaltungskörperschaft sei. Diese Repräsentation vollziehe sich nicht nur
im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen der Gemeindevertretung. Aus dem
Prinzip der demokratischen Repräsentation und der Einbeziehung der
Gemeindevertreter in dieses Prinzip folge, dass Ausschüsse nicht unabhängig von
dem Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden dürften, über das die
Gemeindebürger bei der Wahl der Gemeindevertreter mit entschieden hätten. Als
verkleinerte Abbilder des Plenums müssten die Ausschüsse in ihrer
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verkleinerte Abbilder des Plenums müssten die Ausschüsse in ihrer
Zusammensetzung das im Plenum wirksame politische Meinungs- und
Kräftespektrum widerspiegeln, so dass die einzelnen Fraktionen Anspruch auf
Berücksichtigung bei der Ausschussbesetzung nach Maßgabe ihrer jeweiligen
Mitgliederzahl hätten. Diese für die Besetzung der Ausschüsse der
Gemeindevertretung geltenden bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben
beschränkten das freie Mandat der jeweiligen Gemeindevertreter in zulässiger
Weise zur Durchsetzung der angeführten verfassungsrechtlichen Prinzipien und
damit auch zur Sicherung des Rechts der Minderheit auf eine ihrem Gewicht
entsprechende Repräsentation in den Ausschüssen (vgl. BVerwG, Urteil vom
10.12.2003 – BVerwG 8 C 18.03 -, BVerwGE 119, 305).
Dieses Spiegelbildlichkeitsprinzip kann nicht auf den Magistrat als
Verwaltungsbehörde übertragen werden. Zunächst gibt es grundlegende
Unterschiede zwischen den Ausschüssen, für die das Prinzip der Spiegelbildlichkeit
entwickelt wurde, und dem Magistrat. Die Stadtverordnetenversammlung kann
gemäß § 62 Abs. 1 HGO zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse Ausschüsse aus ihrer
Mitte bilden und Aufgaben, Mitgliederzahl und Besetzung der Ausschüsse
bestimmen. Darüber hinaus kann die Stadtverordnetenversammlung unbeschadet
des § 51 HGO bestimmte Angelegenheiten oder bestimmte Arten von
Angelegenheiten den Ausschüssen widerruflich zur endgültigen Beschlussfassung
übertragen. Die Ausschüsse haben über ihre Tätigkeit in der
Stadtverordnetenversammlung Bericht zu erstatten. Die
Stadtverordnetenversammlung kann jederzeit Ausschüsse auflösen und neu
bilden. Sie bildet die Ausschüsse ausschließlich „aus ihrer Mitte“, das heißt einem
Ausschuss können nur Stadtverordnete angehören.
Die Hauptaufgabe der Ausschüsse als Hilfsorgane der
Stadtverordnetenversammlung besteht darin, dass sie die künftigen Beschlüsse
der Stadtverordnetenversammlung vorberaten und auf Grund ihrer Erörterungen
eine Empfehlung für die Stadtverordnetenversammlung erarbeiten. Ein eigenes
Initiativrecht, etwa derart, dass in einem Ausschuss ohne Zuweisung durch die
Stadtverordnetenversammlung eine Angelegenheit behandelt wird, steht dem
Ausschuss nicht zu. Neben der beratenden Funktion eines Ausschuss tritt die
beschließende Funktion, da die Stadtverordnetenversammlung bestimmte
Angelegenheiten den Ausschüssen widerruflich zur endgültigen Beschlussfassung
übertragen kann.
Dagegen besteht der Magistrat gemäß § 65 Abs. 1 HGO aus dem Bürgermeister,
dem Ersten Beigeordneten und weiteren Beigeordneten. Dabei bestimmt § 65
Abs. 2 HGO ausdrücklich, dass die Mitglieder des Magistrats grundsätzlich nicht
gleichzeitig Stadtverordnete sein dürfen.
Anders als die Ausschüsse, die die Stadtverordnetenversammlung aus ihrer Mitte
heraus bildet, deren Aufgaben sie bestimmt und die sie jederzeit auflösen und neu
bilden kann, ist der Magistrat kein Hilfsorgan der Stadtverordnetenversammlung.
Er besorgt vielmehr nach §§ 9 Abs. 2, 66 HGO als Verwaltungsbehörde der Stadt
deren laufende Verwaltung und ist damit ein eigenständiges Organ mit einer
Vielzahl eigener Aufgaben. Als ausführendes Organ unterliegt der Magistrat – im
Unterschied zu der Stadtverordnetenversammlung und deren Ausschüssen, in die
die Stadtverordnetenversammlung einen Teil ihrer Aufgaben vorverlagert hat –
nicht dem Grundsatz der Repräsentation, so dass seine parteipolitische
Zusammensetzung nicht deckungsgleich mit der der
Stadtverordnetenversammlung sein muss (vgl. VG Kassel, Urteil vom 08.02.2007 -
3 E 1313/06 -).
Die Beigeordneten werden zwar von der Stadtverordnetenversammlung gewählt
und befinden sich insofern – zumindest für den Fall, dass der Wunsch nach einer
Wiederwahl besteht – in einer gewissen Abhängigkeit. Dies ändert jedoch nichts
daran, dass sie als Ehrenbeamte auf Zeit zu einer unparteiischen Amtsführung
verpflichtet sind und damit auch eine Neutralität gegenüber der
Stadtverordnetenversammlung zu wahren haben. Auch aus diesem Grund ist eine
Deckungsgleichheit zwischen dem Magistrat und der
Stadtverordnetenversammlung nicht erforderlich (vgl. VG Kassel, Urteil vom
08.02.2007, a.a.O.).
Im Übrigen sieht § 62 Abs. 2 Satz 1 HGO für die Ausschüsse vor, dass die
Stadtverordnetenversammlung beschließen kann, dass sich alle oder einzelne
Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammensetzen. Es ist
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Ausschüsse nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen zusammensetzen. Es ist
hier also für Ausschüsse unter bestimmten Voraussetzungen gesetzlich
vorgesehen, dass sie dem Stärkeverhältnis der Fraktionen entsprechend
zusammenzusetzen sind. Eine entsprechende Regelung für den Magistrat fehlt.
Daraus ist zu schließen, dass der Gesetzgeber bewusst die Entscheidung getroffen
hat, dass der Magistrat nicht zwingend nach dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit
zu besetzen ist.
Hinzu kommt, dass jeder, dem das passive Wahlrecht zusteht, als ehrenamtlicher
Beigeordneter in den Magistrat gewählt werden kann, §§ 39 a Abs. 2, 32 Abs. 1
HGO. Damit können auch Personen, die nicht Mitglieder der
Stadtverordnetenversammlung sind, in den ehrenamtlichen Magistrat gewählt
werden, so dass schon aus diesem Grund eine Spiegelbildlichkeit nicht gegeben ist
(vgl. VG Kassel, Urteil vom 08.02.2007, a.a.O.).
Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Dezember 1974 führt zu
keiner anderen Betrachtungsweise (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.12.1994 - 2 BvK
1/73 -, BVerfGE 38, 258). Das Urteil ist auf den hier vorliegenden Fall nicht
übertragbar. Es setzt sich in dieser schleswig-holsteinisches Kommunalrecht
betreffenden Entscheidung mit der Zulässigkeit der Benennung der
hauptamtlichen Magistratsmitglieder durch die Fraktionen nach Maßgabe ihrer
Größe auseinander und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung
über die personelle Besetzung des Magistrats aufgrund seiner Bedeutung einer
demokratischen Legitimation bedürfe und daher von dem Plenum in seiner
Gesamtheit zu treffen sei und nicht in eine der Fraktionen verlagert werden dürfe.
Der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt ist mit dem
streitgegenständlichen Sachverhalt nicht zu vergleichen. Denn bei dem der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde liegenden und schleswig-
holsteinisches Kommunalrecht betreffenden Sachverhalt wurde das jeweils zu
bestellende hauptamtliche Magistratsmitglied nicht durch das
Repräsentationsorgan Stadtvertretung ausgewählt, sondern jeweils von den
Fraktionen nach Maßgabe ihrer Größe und unter Anrechnung früherer Vorschläge.
Ein Teil der Mitglieder der schleswig-holsteinischen Stadtvertretung wurde daran
überhaupt nicht beteiligt. Dagegen werden in Hessen die Beigeordneten gemäß §
39 a Abs. 1 Satz 1 HGO von der gesamten Stadtverordnetenversammlung
gewählt. Die dabei für die Bestellung der ehrenamtlichen Magistratsmitglieder
vorgesehene Verhältniswahl wurde dabei von dem Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt. Dass der Grundsatz der
Repräsentation auch auf den Magistrat zu übertragen ist, ist dieser Entscheidung
nicht zu entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich erklärt, dass es
keinen Verfassungssatz gebe, der es ausschließe, ein Kollegialorgan, das zur
Ausübung von öffentlicher Gewalt in der Gemeinde berufen sei, entsprechend oder
annähernd der Stärke der politischen Gruppierungen in der Gemeindevertretung
zu besetzen. Es hat jedoch nicht erklärt, dass dies verfassungsrechtlich gerade
geboten ist (vgl. auch VG Kassel, Urteil vom 08.02.2007, a.a.O.).
Bei der Frage der Übertragbarkeit des Prinzips der Spiegelbildlichkeit ist auch keine
Differenzierung zwischen dem ehrenamtlichen und hauptamtlichen Teil des
Magistrats vorzunehmen. Eine derartige Unterscheidung widerspricht dem
kommunalrechtlichen System. Ehrenamtliche und hauptamtliche Beigeordnete
sind gleichberechtigte Teile des Verwaltungsorgans Magistrat. Sie werden beide
von der Gemeindevertretung gewählt (§ 39 a HGO), wenn auch die Amtszeit der
hauptamtlichen Beigeordneten sechs Jahre beträgt und die ehrenamtlichen für die
Wahlzeit der Stadtverordnetenversammlung gewählt werden. Dass die Wahl der
hauptamtlichen Beigeordneten durch personenbezogene Mehrheitswahl erfolgt
und demgegenüber die ehrenamtlichen Magistratsmitglieder gemäß § 39 a Abs. 1
Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 HGO in einem Wahlgang
nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden, führt nicht dazu, eine
derartige Differenzierung der ehrenamtlichen und hauptamtlichen Beigeordneten
vorzunehmen. Weiterhin ist auch nicht aus der Koppelung der Amtszeit der
ehrenamtlichen Beigeordneten an die Wahlzeit der Stadtverordnetenversammlung
auf die Anwendung des Spiegelbildlichkeitsprinzips im Verhältnis der
Stadtverordnetenversammlung zu dem ehrenamtlichen Magistrat zu schließen.
Dagegen spricht, dass gemäß § 65 Abs. 2 HGO die Mitglieder des Magistrats nicht
gleichzeitig Stadtverordnete sein dürfen. Hinzu kommt, dass die ehrenamtlichen
Beigeordneten – wie oben bereits dargestellt – nicht Mitglieder der
Stadtverordnetenversammlung sein müssen, sondern von dieser lediglich gewählt
werden.
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Ehrenamtliche Beigeordnete beteiligen sich ebenso an der Verwaltungstätigkeit,
wie dies die hauptamtlichen tun. Sie wirken nicht nur an den
Magistratsbeschlüssen mit und nehmen Repräsentationsaufgaben wahr, sondern
sind in die Alltagsgeschäfte der jeweiligen Gemeinde bzw. Stadt eingebunden. Sie
können ebenso als Dezernenten in die Verwaltung eingebunden und damit Teil der
“Exekutive“ sein, der für die laufende Verwaltung verantwortlich ist. So war
beispielsweise Daniel Cohn-Bendit als ehrenamtlicher Stadtrat der Stadt Frankfurt
am Main zuständiger Dezernent des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten.
Weiterhin war Dr. Albrecht Magen als ehrenamtlicher Stadtrat der Stadt Frankfurt
am Main nach Daniel Cohn-Bendit ebenfalls zuständiger Dezernent des Amtes für
multikulturelle Angelegenheiten. Derzeit ist der ehrenamtliche Stadtrat Mensinger
stellvertretender Brandschutzdezernent der Stadt Frankfurt am Main. Der
ehrenamtliche Kreisbeigeordnete des Wetteraukreises Bardo Bayer leitet das
Dezernat Abfallwirtschaftsbetrieb. Ihm untersteht neben den Fachdiensten
Landwirtschaft und Bodenschutz der Eigenbetrieb Abfallwirtschaft. Zudem vertritt
Bayer den Landrat des Wetteraukreises bei dessen Abwesenheit. Johann-Ludwig
Seibert leitete in Wiesbaden als ehrenamtlicher Stadtrat das Baudezernat. Helmut
von Scheidt war als ehrenamtlicher Stadtrat der Landeshauptstadt Wiesbaden
zuständiger Schuldezernent. Wolfgang Herber leitete als ehrenamtlicher Stadtrat
der Landeshauptstadt Wiesbaden das Kulturdezernat. Dr. Kaufmann ist
ehrenamtlicher Stadtrat in Gießen und als solcher Dezernent für Kultur und
Städtepartnerschaft.
Darüber hinaus ist es gerade in kleineren Städten oder Gemeinden möglich, dass
es überhaupt keine hauptamtlichen Beigeordneten gibt. So verhält es sich auch
hier in der Stadt Babenhausen. Es gibt den hauptamtlichen Bürgermeister
Rupprecht und daneben die ehrenamtlichen Beigeordneten. Diesen sind wichtige
Aufgaben übertragen. So wird der Bürgermeister Rupprecht bei
Ortsbeiratssitzungen entsprechend des von dem Magistrat gefassten Beschlusses
vom 25.03.2008 grundsätzlich von den ehrenamtlichen Stadträten vertreten. Bei
Ausschusssitzungen lässt er sich mit Ausnahme des Finanzausschusses von den
ehrenamtlichen Stadträten vertreten. So nimmt entsprechend des
Magistratsbeschlusses vom 25.03.2008 der ehrenamtliche Stadtrat R. an den
Sitzungen des Bau-, Verkehrs- und Umweltausschusses teil. Der ehrenamtliche
Stadtrat T. vertritt den Magistrat in den Sitzungen des Sozial- und
Kulturausschusses. In den Sitzungen des Ausländerbeirates wird der Magistrat
durch die ehrenamtliche Stadträtin N. vertreten. Darüber hinaus gibt es auch
spezielle Weisungen an die ehrenamtlichen Stadträte, den Bürgermeister auch bei
öffentlichen Veranstaltungen zu vertreten und dort die Auffassung des Magistrats
kundzutun. Dem ehrenamtliche Stadtrat J. obliegt der Vorsitz in der
Betriebskommission des Eigenbetriebes.
Im Übrigen gibt es in der Hessischen Gemeindeordnung keinerlei Anhaltspunkte
dafür, die für eine Differenzierung zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen
Beigeordneten sprechen. So regelt § 66 HGO die Aufgaben des
Gemeindevorstands, ohne hierfür zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen
Beigeordneten zu unterscheiden. Dagegen gibt es eine eigenständige Regelung
für die Aufgaben des Bürgermeisters (§ 70 HGO). Auch im Rahmen der
Beschlussfassung haben die ehrenamtlichen Beigeordneten gleiches Stimmrecht.
Würde man zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Beigeordneten
unterscheiden, käme dies einer Abwertung der Funktion der ehrenamtlichen
Beigeordneter gleich.
Die Übertragung des Spiegelbildlichkeitsprinzips im Verhältnis der
Stadtverordnetenversammlung zu dem Magistrat scheitert auch an der
tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeit. Gerade in kleineren Gemeinden oder
Städten, in denen es nur wenige Beigeordnete gibt, lässt sich der Grundsatz der
Spiegelbildlichkeit und die Berücksichtigung sämtlicher in der Gemeindevertretung
bzw. Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen nicht realisieren. Eine
proporzgenaue Repräsentation der politischen Kräfte ist kaum praktikabel, zumal
der Zugang zur Stadtverordnetenversammlung durch die Abschaffung der Fünf-
Prozent-Hürde vereinfacht wurde. Hinzu kommt das Problem, dass sich im Laufe
der Wahlzeit das ursprüngliche Stärkeverhältnis der Fraktionen in der
Stadtverordnetenversammlung durch Austritte, Übertritte oder Neubildungen
ändern kann. Insofern hat die Berücksichtigung nachträglicher Änderungen des
Stärkeverhältnisses der Fraktionen, die sich auf die Zusammensetzung eines im
"Benennungsverfahren" gebildeten Ausschusses auswirken (§ 62 Abs. 2 Satz 5
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"Benennungsverfahren" gebildeten Ausschusses auswirken (§ 62 Abs. 2 Satz 5
HGO), in der Weise zu erfolgen, dass sämtliche Ausschüsse, deren Soll-
Zusammensetzung durch die Änderung betroffen ist, an das geänderte
Stärkeverhältnis anzupassen sind (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 07.07.2003 - 8 UE
3075/02 -, HSGZ 2003, 308). Dies hätte zur Folge, dass auch eine entsprechende
Anpassung im (ehrenamtlichen) Magistrat erfolgen müsste. Dies sieht jedoch die
Hessische Gemeindeordnung nicht vor.
Da das Spiegelbildlichkeitsprinzip im Verhältnis der Stadtverordnetenversammlung
zum Magistrat bereits keine Anwendung findet, kommt es auch nicht mehr darauf
an, ob den Wahlvorschlägen kurzfristige ad-hoc Zweckbündnisse zu Grunde
gelegen haben.
Im Übrigen ist es dem Wesen einer freiheitlich-demokratischen Wahl immanent,
dass es den Wahlberechtigten freigestellt ist, ob sie einem vorgeschlagenen
Kandidaten ihre Stimme geben oder nicht. Insbesondere gilt für Stadtverordnete
gemäß § 35 Abs. 1 HGO der Grundsatz des freien Mandats, der jede Bindung der
Amtsausübung an Anweisungen oder Aufträge der Wähler oder anderer Personen
oder Gremien ausschließt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb sich Vorschläge
lediglich auf Personen aus den eigenen politischen Reihen beziehen sollten. Nur im
Einzelfall und unter besonderen Umständen kann eine solche Abstimmung
fehlerhaft sein, wenn ein Stadtverordneter bei der Abstimmung in einer
Drucksituation gestanden hat. Das ist vorliegend nicht der Fall gewesen. Dies
ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägern vorgelegten Zeitungsartikel.
Ungeachtet der Tatsache, dass Zeitungen häufig politisch Stellung beziehen und
ebenfalls ungeachtet der Tatsache, dass Zeitungsberichte einseitig und überspitzt
sein können, ergibt sich aus diesem Artikel nicht, dass eine rechtlich fehlerhafte
Wahl durchgeführt worden ist. Auch die Kooperationsvereinbarung ist nicht zu
beanstanden. Eine Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen zur Erfüllung ihrer
Aufgaben und Ziele ist gängige Praxis. Eine besondere Drucksituation für den
einzelnen Stadtverordneten im Hinblick auf einen öffentlich-politischen oder
politisch-moralischen Druck ergibt sich daraus weder im Besonderen noch im
Allgemeinen. Auch aus der Erklärung von Herrn ... und der Mail von Herrn ...
ergeben sich keine Anhaltpunkte für eine solche besondere Drucksituation.
Schließlich können die Kläger auch aus dem Gesichtspunkt des
Minderheitenschutzes nichts in Bezug auf die Fehlerhaftigkeit des festgestellten
Wahlergebnisses herleiten, da es keinen Anspruch einer Fraktion in der
Stadtverordnetenversammlung auf Repräsentanz in einem anderen Organ der
Gemeinde gibt (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 17.10.1991, a.a.O). Durch das
Nichtvertretensein der Fraktion FWB im ehrenamtlichen Magistrat wird die Fraktion
auch nicht von Informationen abgeschnitten, da die Fraktion sämtliche Protokolle
von den Sitzungen des Magistrats erhält. Zudem hat die Betriebskommission, die
nicht öffentlich tagt, beschlossen, dass den Fraktionen die Protokolle über ihre
Sitzungen zugänglich gemacht werden.
Als Unterlegene haben die Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs.
1 VwGO. Dabei waren ihnen auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen. Dies entspricht der Billigkeit, da die
Beigeladenen
erfolgreich Anträge gestellt haben und sie mit der Antragstellung auch das Risiko
eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VWGO übernommen haben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.