Urteil des VG Braunschweig vom 27.08.2013

VG Braunschweig: ermessen, mitteilungspflicht, eltern, öffentlich, widerklage, verwaltungsakt, ersatzforderung, unterlassen, billigkeit, anfechtungsklage

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Verwaltungsaktsbefugnis für Ersatzanspruch nach §
47a BAföG
§ 47a BAföG beinhaltet eine Verwaltungsaktsbefugnis
VG Braunschweig 3. Kammer, Beschluss vom 27.08.2013, 3 A 249/10
§ 47a BAföG
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 65 % und
die Beklagte zu 35 %.
Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Gründe
Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das
Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO
einzustellen und nach §§ 161 Abs. 2, 188 S. 2 VwGO über die Verfahrenskosten
unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem
Ermessen zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall entspricht die in der Beschlussformel getroffene
Entscheidung billigem Ermessen.
Die ursprünglich mit Bescheid vom 22.09.2010 geforderten 3.629,00 Euro hat
die Beklagte mit Bescheid vom 10.05.2011 zunächst um 720,00 Euro auf
2.909,00 Euro und mit weiterem Bescheid vom 29.03.2012 um 1.285,00 Euro
auf nur noch 1.624,00 Euro reduziert.
Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes sind die
außergerichtlichen Kosten des Verfahrens, die anteilig auf die zuletzt noch
angegriffene Ersatzforderung in Höhe von 1.624,00 Euro entfallen, dem Kläger
aufzuerlegen. Seiner Klage wäre insoweit abgewiesen worden, da die Beklagte
die Ersatzforderung in dieser Höhe zu Recht nach § 47 a S. 1 BAföG erhoben
hat. Denn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 47 a S. 1 BAföG waren
erfüllt. Der Kläger hatte es zumindest fahrlässig unterlassen, seiner ihm durch §
47 Abs. 2 BAföG auferlegten Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 des SGB I
zu genügen, sodass überhöhte Leistungen an die Auszubildende geflossen
waren. Die Unterlassung war fahrlässig, da der Kläger in dem auch von ihm
unterzeichneten Aktualisierungsantrag ausdrücklich auf die Verpflichtung zur
Mitteilung von Änderungen des Einkommens hingewiesen worden war. Die
Möglichkeit, dass nach den vorgenommenen Umstrukturierungen ab Januar
2007 nicht sicher war, ob das Geschäftsführergehalt in voller Höhe das ganze
Jahr über gezahlt werden würde, stellt ein allgemeines Lebensrisiko dar, das
nicht dazu führen kann, dass rechtlich verbindliche vertragliche Ansprüche nicht
mitgeteilt werden.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Hannover (Urteil vom
02.03.2012 - 3 A 74/09 -, juris) durfte die Beklagte den Ersatzanspruch auch
durch Verwaltungsakt regeln. Hinsichtlich der Ersatzpflicht nach § 47 a BAföG
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besteht eine Verwaltungsaktsbefugnis, die aus dem allgemeinen öffentlich-
rechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis folgt (vgl. BVerwG, Urteil vom
11.10.2012 - 5 C 20/11 -, juris, zu § 5 UVG, der ebenfalls eine Ersatzpflicht beim
Unterlassen einer Anzeige von Änderungen in Höhe der hierdurch gewährten
Zahlungen regelt). Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand eine durch
die Mitteilungspflicht nach § 47 Abs. 4 BAföG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I
begründete Subordinationsbeziehung. Die Mitteilungspflicht der Eltern ist
öffentlich-rechtlich ausgestaltet und lässt den Schluss zu, dass der
Ersatzanspruch des § 47 a BAföG daran anknüpfen und einer Verletzung der
Mitteilungspflicht mit Mitteln des öffentlichen Rechts begegnen will. Auch der
Sinn und Zweck des § 47 a BAföG bekräftigt die Annahme einer an ein
Subordinationsverhältnis anknüpfenden Verwaltungsaktsbefugnis. Denn die
Eltern des bzw. der Auszubildenden stehen in einer besonderen, auch ihr
Verhältnis zu der zuständigen Stelle prägenden Nähebeziehung (vgl. BVerwG a.
a. O.). Dies folgt aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht, die dazu führt, dass
Eltern ihren Kindern eine ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung
finanzieren müssen bzw. - bei einer Finanzierung des Studiums durch
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - wahrheitsgemäße
Auskünfte erteilen und auch Änderungen mitteilen müssen. Dass der
Gesetzgeber davon abgesehen hat, das Bundesausbildungsförderungsgesetz
um eine dem § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X („Die zu erstattende Leistung ist durch
schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen“) entsprechende Vorschrift zu
ergänzen, erlaubt keinen verlässlichen Rückschluss auf ein „beredtes
Schweigen“. Insbesondere lässt sich aus der unterbliebenen Anpassung des §
47 a BAföG nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers schließen, eine
Verwaltungsaktsbefugnis insoweit „gerade nicht“ vorzusehen. Ausweislich der
Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 8/2034 S. 36) zur Vorschrift des § 50
Abs. 3 S. 1 SGB X wollte der Gesetzgeber dieses Erfordernis (lediglich) aus
Gründen der Rechtssicherheit schaffen, ohne zugleich (systematische)
Vorgaben für das Verständnis anderer Vorschriften zu machen. Könnte der
Ersatzanspruch nach § 47 a BAföG nicht durch Leistungsbescheid geltend
gemacht werden, hätte der Kläger schließlich nichts gewonnen, da die hilfsweise
erhobene Widerklage im gleichen Umfang erfolgreich gewesen wäre. Es ist
anerkannt, dass eine Widerklage jedenfalls in den Fällen einer
Anfechtungsklage zulässig ist, in denen die Verwaltungsaktsbefugnis umstritten
und der dem entgegenstehende Wortlaut des § 89 Abs. 2 VwGO teleologisch zu
reduzieren ist (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 89 Rn. 2 m. w. Nw.).
Soweit die Beklagte ihre ursprüngliche Forderung mit Bescheid vom 10.05.2011
um 720,00 Euro reduziert hat, entspricht es billigem Ermessen, den
entsprechenden Kostenanteil dem Kläger aufzuerlegen. Er hat erst am
25.03.2011 durch Übersendung des Schreibens der
Steuerberatungsgesellschaft D. sowie der Personalstammblätter nachgewiesen,
dass er nicht mehr sozialversicherungspflichtig war und deshalb pauschalierte
Abzüge beim anzurechnenden Einkommen beanspruchen konnte.
Demgegenüber entspricht es der Billigkeit, der Beklagten die außergerichtlichen
Kosten aufzuerlegen, soweit sie den ursprünglichen Forderungsbetrag um
1.285,00 Euro reduziert hat. Den von § 47 a S. 1 BAföG vorausgesetzten
Ursachenzusammenhang zwischen Nicht-Mitteilung und Leistung hat sie
erstmals mit dem Änderungsbescheid vom 29.03.2012 hinreichend
berücksichtigt. Sie hat selbst angegeben, dass dem Kläger eine Mitteilung der
Änderung seiner Einkommensverhältnisse aufgrund der im Dezember 2006
durchgeführten Umstrukturierungen erst im Januar 2007 möglich gewesen wäre,
sodass ihr die verwaltungsmäßige Umsetzung erstmals für März 2007 möglich
gewesen wäre.
Nach alledem entspricht es billigem Ermessen, wenn der Kläger 65 % und die
Beklagte 35 % der außergerichtlichen Kosten trägt. Die Gerichtskostenfreiheit
folgt aus § 188 S. 2 VwGO.