Urteil des VG Berlin vom 14.02.2011

VG Berlin: aufschiebende wirkung, behandlung, bestrafung, folter, wahrscheinlichkeit, emrk, algerien, gefahr, ausländer, wohnung

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Gericht:
VG Berlin 34.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
34 L 34.11 A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 80 Abs 5 VwGO, § 60 Abs 2
AufenthG, § 60 Abs 5 AufenthG,
§ 60 Abs 7 AufenthG
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 14. Februar 2011 wird
zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Der sinngemäße Antrag des algerischen Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage VG 34 K 35.11 A gegen die
Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge vom 3. Februar 2011 anzuordnen, soweit in dem Bescheid
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG abgelehnt wurden,
ist zulässig, aber unbegründet.
Das Vorliegen der - hier allein geltend gemachten - Abschiebungsverbote nach § 60 Abs.
2 bis 7 AufenthG ist auch nicht ansatzweise erkennbar.
Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG auch nicht
ansatzweise vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht in einen Staat
abgeschoben werden, wenn für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter
oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu
werden. Eine konkrete, d.h. einzelfallbezogene beachtlich wahrscheinliche Gefahr in dem
genannten Sinne ist nicht gegeben.
Der Antragsteller trägt vor, er habe seit fünf Jahren eine Freundin gehabt, deren Vater,
ein Armee-Offizier, mit dieser Beziehung nicht einverstanden gewesen sei. Als er - der
Antragsteller - mit seiner Freundin nach Algier gegangen sei, habe der Vater ihn
beschuldigt, seine Tochter entführt zu haben, und dafür gesorgt, dass er ins Gefängnis
gekommen sei. Und zwar sei er zunächst zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten
verurteilt worden; er habe aber durch das Tätigwerden von Anwälten erreicht, dass das
Strafmaß auf vier Monate Gefängnis vermindert worden sei. Am 10. Juli 2008 sei er ins
Gefängnis gekommen. Nach seiner Freilassung sei er wieder mit seiner Freundin nach
Algier in ein Hotel gegangen. Sie hätten heiraten wollen und hätten dies auch vor dem
Imam getan. Der Vater habe Leute geschickt, die seine Freundin mitgenommen und ihn
- den Antragsteller - mit dem Tode bedroht hätten. Und zwar hätten ihm diese Leute
gesagt, sie würden ihn umbringen, wenn sie ihn noch einmal mit seiner Freundin sähen.
Während seines Aufenthalts in Algier sei seine Wohnung in Annaba verwüstet worden;
das hätten ihm Freunde gesagt; er selbst sei nicht nach Annaba zurückgekehrt.
Daraufhin habe er ein Visum für die Türkei, gültig für Juni 2009, beantragt und erhalten.
Er sei in demselben Monat aus Algerien ausgereist. Und zwar sei er zunächst mit dem
Bus nach Tunesien gefahren. Dann habe er sich vier Monate in der Türkei, zwei Monate
in Griechenland, nur kurz in Belgien und zuletzt zwei bis drei Monate in Paris und einen
Monat in Straßburg aufgehalten, von wo aus er mit dem LKW nach Berlin gefahren sei,
wo er am 17. Mai 2010 eingetroffen sei. Auf Frage des Bundesamtes, was er - der seine
Freundin durch seine Ausreise ja auch verlassen habe - befürchte, wenn er jetzt nach
Algerien zurückkehren und seine Freundin einfach nicht mehr treffen würde, wie es ja
auch jetzt der Fall sei, gab der Antragsteller an: Der Vater seiner Freundin habe ihm
schon damals gesagt, als er ins Gefängnis gekommen sei, wenn er ihn noch einmal mit
seiner Tochter sehe, bringe er ihn um; er werde ihn umbringen, wenn er ihn nur sehe.
Auf weitere Frage des Bundesamtes, warum der Antragsteller - wie von ihm geschildert -
auch mit seiner eigenen Familie Probleme gehabt habe, gab er an: Auch diese Probleme
habe er wegen seiner Freundin gehabt; sie hätten gesagt, er solle die Beziehung
abbrechen; das sei sehr schwer für Araber, wegen der Ehre, man schäme sich dann vor
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abbrechen; das sei sehr schwer für Araber, wegen der Ehre, man schäme sich dann vor
anderen Leuten.
Danach ist auch nicht ansatzweise erkennbar, dass dem Antragsteller mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Folter und/oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Bestrafung nach einer Rückkehr nach Algerien droht.
Hierbei kann offenbleiben, ob § 60 Abs. 2 AufenthG - in seiner 2. Alternative im Vergleich
zu § 53 Abs. 2 AuslG eine Neuregelung – nicht zur Voraussetzung hat, dass das Handeln
dem Verfolgerstaat zurechenbar sein muss, m.a.W., ob die in § 60 Abs. 2 AufenthG
vorausgesetzte staatliche Verantwortlichkeit nicht von der staatlichen Eigenschaft oder
Funktion der im Zielstaat handelnden Personen abhängt (so Renner, AuslR, 9. Aufl.
2011, Bearb. Bergmann, § 60 AufenthG Rz. 36 unter Bezugnahme auf die ständige
Rechtsprechung des EGMR und die Qualifikationsrichtlinie) oder ob eine solche
Zurechenbarkeit vorauszusetzen ist (so die bei Renner, a.a.O.; angeführte frühere
Rechtsprechung des BVerwG zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK, insbesondere
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - VerwG 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331; a.A. noch
Urteil vom 18. Januar 1994 – BVerwG 9 C 48.92 – BVerwGE 95,42: Schutz vor Folter „von
wem auch immer“).
Denn dem Antragsteller drohen jedenfalls in der Gegenwart (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG)
Folter und/oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung auch
nicht ansatzweise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit; er war diesen Maßnahmen auch
in der Vergangenheit nicht ausgesetzt.
Soweit die Inhaftierung des Antragstellers in Rede steht, macht der Antragsteller selbst
nicht geltend, er sei gefoltert worden (vgl. hierzu Renner, a.a.O., Rz. 35). Von einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung in der Vergangenheit
kann ebenfalls keine Rede sein. Insbesondere ist nicht substantiiert dargetan, dass die
am 10. Juli 2008 angetretene Strafhaft rechtsstaatswidrig, insbesondere „grundlos“ war -
so das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten im vorliegenden gerichtlichen
Verfahren. Vielmehr wurde dem Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen die
Entführung seiner Freundin angelastet, und er wurde deswegen offenbar von einem
(ordentlichen) algerischen Strafgericht wegen der Erfüllung des Tatbestands der
Entführung (nach algerischem Recht) verurteilt. Dies ist vorliegend auch dann nicht als
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung zu bewerten, wenn der
Antragsteller zu Unrecht verurteilt worden sein sollte; denn zu einem Justizirrtum kann
es - bedauerlicherweise - in jeder Rechtsordnung kommen. Dass das gegen den
Antragsteller geführte Strafverfahren jedenfalls nicht grob rechtsstaatswidrig ablief, lässt
sich aus dem vom Antragsteller vorgetragenen Umstand ableiten, dass er durch den
Einsatz von Rechtsanwälten eine Verminderung des Strafmaßes von 18 auf vier Monaten
erreichte.
Hieraus ergibt sich, dass dem Antragsteller auch nach seiner Rückkehr nach Algerien
nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein grob rechtsstaatswidriges, in der
Ausdrucksweise des Antragstellers „grundloses“ Strafverfahren droht. Hinzu kommt,
dass der Vater seiner Freundin trotz seiner - vom Antragsteller behaupteten -
Offiziersstellung ersichtlich keinen durchgreifenden Einfluss auf die Strafjustiz ausübt;
denn andernfalls wäre es nicht zu der erheblichen Strafmaßverminderung gekommen.
Soweit der Antragsteller vorträgt, sowohl der Vater seiner Freundin als auch die von
diesem geschickten Leute, die seine Freundin mitgenommen hätten, hätten ihn - den
Antragsteller - mit dem Tode bedroht, ergibt sich daraus ebenfalls keine mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Bestrafung im Falle seiner Rückkehr. Zum einen erscheint es sehr fraglich, ob der Vater
bzw. die im Dienst des Vaters stehenden Leute den Antragsteller auch im Falle seiner
Rückkehr immer noch oder erneut bedrohen werden. Dagegen spricht, dass die
Drohungen nach dem Vortrag des Antragstellers bei der Bundesamtsanhörung daran
geknüpft waren, dass sie wahrgemacht würden, wenn sie den Antragsteller zusammen
mit seiner Freundin sähen. Der Antragsteller hat aber nicht dargetan, dass er seit seiner
Ausreise (Juni 2009) überhaupt noch einmal Kontakt mit seiner lediglich religiös
geehelichten Freundin aufgenommen hat, so dass zweifelhaft erscheint, ob er die
Beziehung mit seiner Freundin überhaupt fortzusetzen gedenkt. Im Übrigen ist es dem
Antragsteller zuzumuten, sich wegen etwaiger rechtswidriger Drohungen an die
algerischen Behörden zu wenden. Nichts anderes gilt für die vom Antragsteller
behauptete Verwüstung seiner Wohnung in Annaba. Zum einen erscheint zweifelhaft, ob
die Wohnung tatsächlich zerstört wurde, da hiervon der Antragsteller lediglich durch
ungenannte Freunde erfahren haben will. Zum Anderen ist der Antragsteller gehalten,
sich wegen der - etwaigen - Sachbeschädigung an die algerischen
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sich wegen der - etwaigen - Sachbeschädigung an die algerischen
Strafverfolgungsbehörden zu wenden; dass diese untätig bleiben werden, ist nicht
ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Nach dieser
Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung
der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig
ist. Vorliegend kommt in Betracht ein Abschiebungsverbot wegen Verstoßes gegen Art.
3 EMRK, nach welcher Norm - inhaltsgleich mit dem bereits diskutierten § 60 Abs. 2
AufenthG - niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder
Behandlung unterworfen werden darf. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerwG
zur Vorgängervorschrift § 53 Abs. 4 AuslG (vgl. insbesondere BVerwG, Urteil vom 17.
Oktober 1995 - BVerwG 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331; kritisch unter Verweis auf die
Qualifikationsrichtlinie und die Rechtsprechung des EGMR Renner, 9. Aufl. 2011; Bearb.
Bergmann, § 60 Rz. 45) setzt die Norm voraus, dass das Handeln dem Verfolgerstaat
zuzurechnen ist. Ob dies auch jetzt noch gilt, kann vorliegend offen gelassen werden.
Jedenfalls reicht der inhaltliche Schutz nach § 60 Abs 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht
weiter als der Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG. Insoweit kann auf die obigen
Erwägungen Bezug genommen werden.
Auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen auch nicht
ansatzweise vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in
einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete
Gefahr für Gesundheit, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche erhebliche, beachtlich
wahrscheinliche Gefahr besteht nach den obigen Ausführungen nicht.
Die Abschiebungsandrohung entspricht im Übrigen den gesetzlichen Voraussetzungen
(§ 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG).
Die Kostentragungspflicht ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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