Urteil des VG Berlin vom 26.04.2006

VG Berlin: entlastung, minderung, vertretung, verwaltungsverfahren, belastung, bad, gebühr, begriff, aufrechnung, vorverfahren

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Gericht:
VG Berlin 35.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
35 KE 38.07, 26 A
335.05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 RVG, § 2 Anl 1 Nr 3100
RVG, § 2 Anl 1 Nr 2301 RVG, § 2
Anl 1 Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 S 1
RVG, § 11 RVG
Rechtsanwaltsvergütung: Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr
auf die Verfahrensgebühr bei Erstattungspflicht der Gegenseite
lediglich bezüglich der Verfahrensgebühr
Leitsatz
Keine Erstattung der Geschäftsgebühr, d.h. auch keine Minderung
der Verfahrensgebühr
Tenor
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. April 2006 wird dahingehend geändert, dass
der Erinnerungsgegner dem Erinnerungsführer 392,66 Euro zu erstatten hat. Dieser
Betrag ist ab dem 7. März 2006 mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu
verzinsen.
Der Erinnerungsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 71,05 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung, §§ 165, 151 VwGO) hat Erfolg.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat in dem angegriffenen
Kostenfestsetzungsbeschluss vom 26. April 2006 die mit dem Kostenfestsetzungsantrag
des Erinnerungsführers vom 6. März 2006 geltend gemachten Gebühren nach § 11 des
Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
(Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG) zu niedrig festgesetzt.
1.
Vergütungsverzeichnisses RVG (Anlage 1 zu § 2 RVG – im Folgenden: VV) wurde zu
Unrecht durch den Urkundsbeamten der Geschäftstelle um die Hälfte einer 0,5-fachen
Geschäftsgebühr gekürzt. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers und
Erinnerungsführers diesen im Vorverfahren vertreten, so dass im Verhältnis zwischen
Rechtsanwalt und Mandant eine Gebühr nach Nr. 2301 VV entstanden ist.
Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine
Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entstanden ist, diese Gebühr zur
Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr
des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Daraus folgt jedoch nicht, dass die von der
Gegenseite zu erstattende Verfahrensgebühr zu kürzen ist, wenn – wie hier – nicht auch
die Geschäftsgebühr von der Gegenseite zu tragen ist.
In dieser Konstellation erfolgt nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV grundsätzliche keine
so auch:
Beschlüsse vom 10. Juli 2006 – 4 C 06.1129 –, NJW 2007, 170ff., vom 14. Mai 2007 – 25 C
07.754 –, zitiert nach juris, und vom 9. Oktober 2007 – 3 C 07.1903 –, zitiert nach juris;
OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2006 – 7 E 410.06 –, NJW 2006, 1991f.; NdsOVG,
Beschluss vom 8. Oktober 2007 – 10 OA 73.07 –, zitiert nach juris; VG Sigmaringen,
Beschluss vom 12. Juni 2006 – A 1 K 10321.05 –, zitiert nach juris; VG Frankfurt,
Beschluss vom 13. März 2006 – 2 J 662.06 (1) –, JurBüro 2006, 314f.; VG Freiburg,
Beschluss vom 10. August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris; VG Lüneburg,
Beschluss vom 9. März 2006 – 5 A 42.05 -, JurBüro 2006, 314; VG Köln, Beschluss vom
16. März 2006 – 18 K 6475.04.A –, zitiert nach juris; KG Berlin, Beschlüsse vom 20. Juli
2005 – 1 W 285.06 –, JurBüro 2006, 202, und vom 17. Juli 2007 – 1 W 256.07 –, JurBüro
2007, 582; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 23 W 45.05 –, JurBüro 2006, 202;
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2007, 582; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 23 W 45.05 –, JurBüro 2006, 202;
OLG Rostock, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 10 WF 184/07 –, zitiert nach juris; AG
Bad Iburg, Beschluss vom 4. Januar 2008 – 5 F 382/07, 5 F 382/07 UEUK –, zitiert nach
juris; ebenso Enders, JurBüro 2006, 78; Madert, in: Gerold/Schmidt/v.
Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, Vorb. 3 VV Rn. 139 i.V.m. Nr. 2300,
2301 Rn. 41 m.w.N. in Fn. 86; so wohl auch Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl. 2006, Nr.
a.A.:
BayVGH, Beschluss vom 6. März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW 2006, 1990f.; BayVGH,
Beschluss vom 3. November 2005 – 10 C 05.1131 –, JurBüro 2006, 77f.; VG Minden,
Beschlüsse vom 10. Januar 2007 – 7 L 679.06 –, zitiert nach juris; vom 2. Februar 2007 –
7 K 2057/06 –, zitiert nach juris; vom 6. September 2007 – 10 K 657/05.A –, zitiert nach
juris; sowie vom 20. November 2007 – 10 L 394.07 –, zitiert nach juris; VG Oldenburg,
Beschluss vom 5. Dezember 2006 – 11 A 436.06 –, zitiert nach juris; VG Düsseldorf,
Beschluss vom 15. August 2006 – 3 K 4568.05 –, zitiert nach juris; VG Regensburg,
Beschluss vom 20. Dezember 2005 – RO 11 S 04.1945 –, zitiert nach juris; VG Schleswig,
Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 7 A 47.05 –, zitiert nach juris; VG Göttingen,
Beschluss vom 21. März 2005 – 2 A 82.05 –, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Beschluss
vom 14. November 2007 – 18 W 283/07 –, zitiert nach juris; AG Hohenschönhausen,
Beschluss vom 25. Oktober 2007 – 14 C 16/06 –, zitiert nach juris).
Dafür sind folgende Gesichtspunkte maßgeblich:
a.
Minderung der Verfahrensgebühr. Zwar heißt es in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV, dass die
Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erfolge (und nicht
umgekehrt; dazu BGH, Urteil vom 7. März 2007 – VIII ZR 86.06 –, NJW 2007, 2049;
BayVGH, Beschluss vom 3. November 2005 – 10 C 05.1131 –, JurBüro 2006, 77 [77]
m.w.N.; VG Minden, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 7 L 679.06 –, zitiert nach juris, Rn.
59; VG Oldenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2006 – 11 A 436.06 –, zitiert nach juris,
Rn. 6; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. August 2006 – 3 K 4568.05 –, zitiert nach juris,
Rn. 21). Es wird jedoch gerade nicht vorgeschrieben, dass eine „Kürzung“ der
Verfahrensgebühr erfolgen solle, sondern es wird der Begriff der „Anrechnung“
verwendet. In Anlehnung an den Begriff der „Aufrechnung“ dürfte der Begriff der
„Anrechnung“ voraussetzen, dass eine Person einer anderen zwei gleichartige
Leistungen schuldet (vgl. § 387 BGB zur „Aufrechnung“ einer gleichartigen Forderung
zwischen zwei Personen, die einander Leistungen schulden). Eine Anrechnung der
Geschäftsgebühr auf die von der Gegenseite zu erstattende Verfahrensgebühr kommt
daher schon vom Wortlaut her nur dann in Betracht, wenn auch die Gegenseite zur
Erstattung der Geschäftsgebühr verpflichtet ist (dazu VG Berlin, Beschluss vom heutigen
Tag – VG 35 KE 48.07 –). Auf diese Fälle ist die Anrechnung beschränkt (VG Freiburg,
Beschluss vom 10. August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris).
Vorliegend jedoch ist der Erinnerungsgegner dem Erinnerungsführer nicht zur Erstattung
der Geschäftsgebühr verpflichtet. Daher war die von ihm zu erstattende
Verfahrensgebühr ungemindert festzusetzen.
b.
3 Abs. 4 VV mit den Gebühren nach Nr. 2301 VV und Nr. 3103 VV bestätigt.
Anders als Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV sieht Nr. 3103 VV für die Fälle der vorherigen
Vertretung im Verwaltungsverfahren vor einem sozial gerichtlichen Verfahren eine in
Bezug auf Nr. 3102 VV geringere Verfahrensgebühr vor (20-320 Euro statt 40-460 Euro).
In diesen Fällen wird also unabhängig von (der Erstattungsfähigkeit) der
Geschäftsgebühr die Verfahrensgebühr gemindert. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV nimmt
jedoch ausdrücklich Bezug auf die Geschäftsgebühr.
Eine ausdrückliche Gebührenminderung infolge einer vorherigen Tätigkeit sieht auch Nr.
2301 VV in Bezug auf Nr. 2300 VV vor, wenn dem Betreiben des Geschäfts eine
vorherige Vertretung im Verwaltungsverfahren vorausging. Für den Fall der
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV – mit der gleichen Interessenlage –, dass der Vertretung im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Vertretung im Verwaltungsverfahren
vorausging, sieht das Gesetz aber gerade keine solche Minderung der Verfahrensgebühr
vor (VG Sigmaringen, Beschluss vom 12. Juni 2006 – A 1 10321.05 –, zitiert nach juris,
Rn. 12).
c.
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV, dass keine Minderung der von der Gegenseite zu
erstattenden Verfahrensgebühr stattfindet, wenn diese nicht auch die Geschäftsgebühr
zu erstatten hat.
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Eine generelle Minderung der von der Gegenseite zu erstattenden Verfahrensgebühr
würde zu einer unbilligen Entlastung der Gegenseite führen, die eine geringere
Verfahrensgebühr zu erstatten hat, wenn der Erstattungsberechtigte im Vorverfahren
bereits von demselben Anwalt vertreten wurde. Eine solche Entlastung entspricht aber
nicht der Intention des Gesetzgebers. Das mit Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV bezweckte
Ziel war die Vermeidung einer „doppelten Honorierung“ des Rechtsanwalts und die
Förderung der außergerichtlichen Erledigung (BT-Drs. 15/1971, S. 209), nicht aber die
Entlastung des unterliegenden Prozessgegners (Enders, JurBüro 2006, 78; VG Freiburg,
Beschluss vom 10. August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris; BayVGH,
Beschluss vom 10. Juli 2006 – 4 C 06.1129 –, NJW 2007, 170 [171f.]; OVG NRW,
Beschluss vom 25. April 2006 – 7 E 410.06 –, NJW 2006, 1991 [1992]; NdsOVG,
Beschluss vom 8. Oktober 2007 – 10 OA 73.07 –, zitiert nach juris; VG Sigmaringen,
Beschluss vom 12. Juni 2006 – A 1 10321.05 –, zitiert nach juris, Rn. 14; VG Lüneburg,
Beschluss vom 9. März 2006 – 5 A 42.05 –, JurBüro 2006, 314; KG Berlin, Beschluss vom
17. Juli 2007 – 1 W 256.07 –, JurBüro 2007, 582).
Der unbilligen Entlastung der Gegenseite entspräche eine unbillige Belastung der
obsiegenden Partei, die lediglich eine geminderte Verfahrensgebühr erhielte (vgl.
Enders, JurBüro 2006, 78; KG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2005 – 1 W 285.06 –, JurBüro
2006, 202; BayVGH, Beschluss vom 10. Juli 2006 – 4 C 06.1129 –, NJW 2007, 170 [171f.];
OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2006 – 7 E 410.06 –, NJW 2006, 1991 [1992]; siehe
auch AG Bad Iburg, Beschluss vom 4. Januar 2008 – 5 F 382/07, 5 F 382/07 UEUK –,
zitiert nach juris). In den Fällen, in denen nicht im Kostenerstattungsverfahren die
Geschäftsgebühr festgesetzt wird, ist die Geschäftsgebühr gesondert einzuklagen.
Der Einwand, dass nicht die Minderung zur unbilligen Entlastung der Gegenseite und
Belastung der obsiegenden Partei führe, sondern vielmehr die ungeminderte
Festsetzung zur ungerechtfertigten Belastung der Gegenseite und Entlastung der
obsiegenden Partei, geht fehl. Durch die ungeminderte Festsetzung der
Verfahrensgebühr wird nicht die Geschäftsgebühr durch die Gegenseite übernommen
(so aber BayVGH, Beschluss vom 6. März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW 2006, 1990 [1991]),
es erfolgt keine „indirekte“ Festsetzung der Kosten für die Vertretung im behördlichen
Verfahren. Auch durch die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV wird die
Verfahrensgebühr nicht zu einem Teil eine Geschäftsgebühr. Es bleibt vielmehr bei zwei
Gebühren, bei deren Addition jedoch eine Anrechnung erfolgt, so dass das Ergebnis
geringer ist als der Wert der Summe aus beiden Gebühren.
Damit verstößt diese Auslegung auch nicht gegen den Grundsatz des Kostenrechts,
dass die Reichweite der Erstattungspflicht sich nach dem Anspruch des Rechtsanwalts
gegen seinen Mandanten richtet (so aber BayVGH, Beschluss vom 6. März 2006 – 19 C
06.268 –, NJW 2006, 1990; VG Oldenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2006 – 11 A
436.06 –, zitiert nach juris, Rn. 8; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. August 2006 – 3 K
4568.05 –, zitiert nach juris, Rn. 22; VG Minden, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 7 L
679.06 –, zitiert nach juris, Rn. 61). Es fällt gerade auch im Verhältnis des Rechtsanwalts
zu seinem Mandanten die ungekürzte Verfahrensgebühr an. Allerdings ist auf die
ungekürzte Verfahrensgebühr die entstandene Geschäftsgebühr anteilig anzurechnen,
so dass nicht beide Gebühren in voller Höhe erstattungsfähig sind. Dabei muss der
Rechtsanwalt sich auch anrechnen lassen, dass er die ungekürzte Verfahrensgebühr von
der Gegenseite erhalten hat.
d.
dass das Kostenfestsetzungsverfahren nicht mit der Prüfung belastet werden soll, in
welcher Höhe eine Geschäftsgebühr entstanden ist (VG Freiburg, Beschluss vom 10.
August 2006 – A 3 K 11018/05 –, zitiert nach juris; in diese Richtung auch AG Bad Iburg,
Beschluss vom 4. Januar 2008 – 5 F 382/07, 5 F 382/07 UEUK –, zitiert nach juris; diese
Problematik erkennt auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. November 2007 – 18 W
283/07 –, zitiert nach juris; AG Hohenschönhausen, Beschluss vom 25. Oktober 2007 –
14 C 16/06 –, zitiert nach juris). Der Einwand, gerade deswegen sehe die
Anrechnungsvorschrift eine pauschalierte Anrechung vor (vgl. BayVGH, Beschluss vom
6. März 2006 – 19 C 06.268 –, NJW 2006, 1990), geht fehl, da Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV
keine pauschalierte Betrachtung ermöglicht, sondern eine Berechnung erfordern würde,
in welcher Höhe die zur Hälfte anzurechnende Geschäftsgebühr im Rahmen der Nr. 2300
VV von 0,5 bis 2,5 entstanden ist.
Dazu bedürfte es ggfl. erst besonderer Ermittlungen. Vorliegend beispielsweise ist nicht
erkennbar, weshalb der Urkundsbeamte die Hälfte gerade einer 0,5-Gebühr in Abzug
gebracht hat.
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