Urteil des VG Berlin vom 09.02.2011

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Gericht:
VG Berlin
Disziplinarkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
80 K 53.10 OL
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 6 Abs 2 DiszG BE, § 32 Abs 1
DiszG BE
Tenor
Die Einstellungsverfügung der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg vom 31. August 2010
wird insoweit aufgehoben, als darin ein Dienstvergehen festgestellt wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen der Beklagte zu 2/3, die Klägerin zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Feststellung eines Dienstvergehens in einer
Einstellungsverfügung sowie die damit zusammenhängende Missbilligung.
Der Beklagte ernannte die im M ... 19 ... in ... geborene Klägerin, die zuvor – seit 19 ... –
in der Strafvollzugsanstalt und – seit 19 ... – als Angestellte im Justizvollzugsdienst
beschäftigt war, im Jahr 19 ... zur Justizvollzugssekretärin z.A. und setzte sie zunächst in
der JVA , ab 19 ... in der JVA ein. 19 ... ernannte sie der Beklagte in ihrem jetzigen Amt
einer Justizvollzugshauptsekretärin zur Beamtin auf Lebenszeit.
Die letzte dienstliche Beurteilung der Klägerin von 19 ... lautete auf „fast gut“. Die
Klägerin ist ledig und hat zwei 19 ... und 19 ... geborene Kinder.
Am 18./19. Juni 2008 gab die Klägerin zum Dienstschluss den ihr zugeordneten
Anstaltsschlüssel Nr. entgegen der ihr bekannten Weisungslage versehentlich nicht ab,
sondern nahm ihn mit nach Hause. Nach einer zunächst ergebnislosen Suche in der
Anstalt nach dem Schlüssel klärte sich dessen Verbleib am Morgen des 19. Juni 2008,
nachdem der Leiter der Pforte die telefonisch nicht erreichbar gewesene Klägerin zu
Hause aufgesucht hatte. Die Klägerin gab an, dass sie wohl aufgrund eines im Dienst
erlittenen Migräneanfalls die Abgabe des Schlüssels versäumt habe.
Am 25. Juni leitete der Leiter der JVA wegen des Vorfalls ein Disziplinarverfahren gegen
die Klägerin ein und verhängte zunächst mit Disziplinarverfügung vom 26. April 2010
gegen sie einen Verweis. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit der Klage zum
Aktenzeichen VG 80 K 23.10 OL. Nach einem entsprechenden gerichtlichen Hinweis,
dass aufgrund fehlender disziplinarrechtlicher Vorbelastetheit der Klägerin eine
Missbilligung ausreichen könne, hob der Beklagte die Disziplinarverfügung zunächst auf,
so dass der o.g. Disziplinarrechtsstreit von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt
erklärt werden konnte.
Mit Einstellungsverfügung vom 31. August 2010 stellte der Leiter der JVA das
Disziplinarverfahren gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 DiszG sodann ein und sprach gemäß § 6
Abs. 2 DiszG eine Missbilligung des Verhaltens der Klägerin vom 19. Juni 2008 aus. Die
Klägerin habe ein Dienstvergehen begangen, als sie an diesem Tag den ihr
zugeordneten Anstaltsschlüssel nicht abgegeben, sondern mit nach Hause genommen
habe. Darin liege ein Verstoß gegen die Nr. 15 DSVollz und die Hausverfügung Nr. 6/98
Ziff. 3.4.3. Im Hinblick auf die bisherigen zufriedenstellenden Leistungen und die
disziplinarrechtliche Unbelastetheit werde von einer Disziplinarmaßnahme abgesehen.
Mit der Klage erstrebt die Klägerin die Aufhebung der Einstellungsverfügung mit der
Begründung, es liege lediglich eine Bagatellverfehlung vor, der es an einer hinreichenden
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Begründung, es liege lediglich eine Bagatellverfehlung vor, der es an einer hinreichenden
Erheblichkeit für einen disziplinarrechtlichen Pflichtenverstoß fehle.
Die Klägerin beantragt,
die Einstellungsverfügung des Leiters der JVA vom 31. August 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der in der Einstellungsverfügung gegebenen Begründung fest. Das fahrlässige
Fehlverhalten der Klägerin betreffe die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt und damit den
Kernbereich ihrer dienstlichen Tätigkeit.
Der behördliche Disziplinarvorgang und die Personalakte der Klägerin wurden
beigezogen.
Durch Beschluss der Kammer vom 8. Februar 2011 ist der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1
VwGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten
hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Zu Unrecht hat der Beklagte das Disziplinarverfahren auf der Grundlage des § 32 Abs. 1
Nr. 2 DiszG, also unter Feststellung eines Dienstvergehens, eingestellt. Er hätte das
Disziplinarverfahren stattdessen gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 1 DiszG einstellen müssen, weil
ein Dienstvergehen nicht erwiesen ist.
Zwar hat die Klägerin, was sie nicht abstreitet, durch die versehentliche Mitnahme des
ihr zugeordneten Anstaltsschlüssels am 19. Juni 2008 gegen die vom Beklagten zitierte
und der Klägerin bekannte Vorschriftenlage verstoßen, wonach Bedienstete die Anstalt
keinesfalls mit Anstaltsschlüsseln verlassen dürfen. Nicht jeder Fehler eines Beamten im
Rahmen seiner Amtsführung stellt jedoch bereits ein Dienstvergehen dar. Dies ist erst
der Fall, wenn die disziplinarrechtliche Erheblichkeitsschwelle erreicht oder überschritten
wurde. Diese Schwelle dürfte zwar, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, bei
einem den Kernbereich der Dienstpflichten tangierenden Fehlverhalten eher erreicht sein
als bei der Verletzung von weniger bedeutsamen Nebenpflichten. Gleichwohl muss auch
hier differenziert werden: Die einmalige versehentliche Mitnahme des Anstaltsschlüssels
– zumal unter den von der Klägerin angegebenen Umständen (Migräneanfall) – ist auch
unter Betrachtung von Sicherheitsaspekten nicht als so schwerwiegend einzuschätzen,
dass bereits die disziplinarrechtliche Erheblichkeitsgrenze erreicht wäre; anders läge der
Fall möglicherweise dann, wenn die Klägerin den Schlüssel nicht sicher (in ihrer Tasche)
verwahrt, sondern unterwegs verloren hätte. Eine konkrete Sicherheitsgefährdung
bestand im vorliegenden Fall jedoch nicht.
Unbegründet ist die Klage dagegen, soweit sie sich auch gegen die in der Verfügung
enthaltene Missbilligung richtet (die Klage ist insofern unbeschränkt erhoben). Die
Missbilligung stellt keine Disziplinarmaßnahme, sondern eine darunter liegende
beamtenrechtliche Beanstandung des Fehlverhaltens der Klägerin dar. Hiergegen ist
rechtlich nichts zu erinnern. Es lag eine Dienstpflichtverletzung (wenngleich kein
Dienstvergehen, s.o.) der Klägerin vor, die immerhin so gewichtig war und nur knapp
unterhalb der disziplinarrechtlichen Erheblichkeitsschwelle lag, so dass der Beklagte eine
derartige schriftliche Missbilligung aussprechen durfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG i. V. m. § 77 Abs. 1 BDG, § 155 Abs. 1
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 DiszG i. V. m.
§ 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.
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