Urteil des VG Berlin vom 07.09.2010

VG Berlin: geldstrafe, wiederholungsgefahr, disziplinarrecht, beamtenverhältnis, disziplinarverfahren, persönlichkeit, quelle, unwürdigkeit, berufsausübung, abschreckung

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Gericht:
VG Berlin
Berufsgericht für
Heilberufe
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
90 K 6.10 T
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 DiszG BE, § 17 KaG BE
Frage des berufsgerichtlichen Verfahrens nach Kriminalstrafe in
der gleichen Sache
Tenor
Die Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt das Land Berlin (§ 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 DiszG, §
77 Abs. 1 BDG und § 24 Berliner Kammergesetz).
Gründe
Die Ärztekammer Berlin hat mit Anschuldigungsschrift vom 28. Juni 2010 die Eröffnung
eines berufsgerichtlichen Verfahrens gegen den Arzt beantragt. Dem Arzt wird
vorgeworfen, sich in der Zeit zwischen dem 8. Mai 2005 und dem 16. November 2007
pornographische Schriften, die den Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben,
verschafft zu haben sowie diese besessen zu haben, und dadurch seine Berufspflichten
als Arzt verletzt zu haben. Wegen desselben Sachverhalts ist der Arzt durch Strafbefehl
des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. Mai 2008, rechtskräftig seit 14. Juni 2008, zu einer
Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen (zu je 50 €) verurteilt worden – 2... –.
Das berufsgerichtliche Verfahren kann nicht durchgeführt werden, weil einer
berufsgerichtlichen Maßnahme i.S.v. § 17 Abs. 1 Kammergesetz das Maßnahmeverbot
des gemäß § 24 Kammergesetz entsprechend anzuwendenden § 14 DiszG
entgegensteht. Nach dieser Vorschrift dürfen nach einer strafgerichtlichen Verurteilung
wegen desselben Sachverhalts im Disziplinarverfahren gegen Landesbeamte
1. ein Verweis, eine Geldbuße oder eine Kürzung des Ruhegehalts nicht
ausgesprochen werden,
2. eine Kürzung der Dienstbezüge oder eine Zurückstufung nur ausgesprochen
werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um eine Beamtin oder einen Beamten zur
Pflichterfüllung anzuhalten.
Danach ist im Disziplinarverfahren lediglich die Maßnahme der Entfernung aus dem
Beamtenverhältnis ohne gesetzliche Einschränkung zulässig.
Die entsprechende Anwendung dieser für Landesbeamte geltenden Regelungen auf das
Berufsrecht begegnet der Schwierigkeit, dass die Maßnahmen des § 17 Abs. 1
Kammergesetz den Arten der Disziplinarmaßnahmen nach § 5 DiszG nicht entsprechen.
Dies gilt namentlich für die Maßnahme der Geldbuße, die nach § 7 DiszG durch die Höhe
der monatlichen Dienstbezüge eines Beamten begrenzt ist, während nach § 17 Abs. 1
Nr. 3 Kammergesetz bis zu 50.000 € verhängt werden können. Eine Gehaltskürzung und
eine Zurückstufung als nächst schwerere Maßnahmen gegen Landesbeamte kennt das
Berufsrecht verständlicherweise nicht. Dafür sieht das Berufsrecht die Aberkennung des
aktiven und des passiven Kammerwahlrechts sowie die Kumulation dieser Maßnahmen
mit einer Geldbuße vor (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Kammergesetz), wofür es im
Disziplinarrecht für Landesbeamte keine Entsprechung gibt.
Die berufsrechtliche Maßnahme der Feststellung, dass der Beschuldigte unwürdig ist,
seinen Beruf auszuüben, mag entsprechend der Entfernung eines Beamten aus dem
Beamtenverhältnis gewertet und deshalb als gesetzlich uneingeschränkt zulässig
angesehen werden. Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch nicht. Die
Ärztekammer selbst geht erkennbar davon aus, dass hier allenfalls eine Geldbuße und
eine Entziehung des Kammerwahlrechts ausgesprochen werden soll. Auch die
Gesundheitsverwaltung geht nicht von einer Unwürdigkeit aus und hat wegen desselben
Sachverhalts eine förmliche Missbilligung ausgesprochen (Bescheid des Landesamts für
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Sachverhalts eine förmliche Missbilligung ausgesprochen (Bescheid des Landesamts für
Gesundheit und Soziales vom 19. August 2008).
Sollte eine Geldbuße nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 Kammergesetz auszusprechen sein, würde §
14 Abs. 1 Nr. 1 DiszG dieser Maßnahme entgegen stehen, jedenfalls, wenn die Höhe der
Geldbuße den Betrag eines Monatseinkommens des Angeschuldigten nicht überstiege.
Auf berufsgerichtliche Maßnahmen, die schwerer wiegen als eine Geldbuße i.S.v. § 7
DiszG, aber einer Entfernung nicht gleichstehen, wäre § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG
entsprechend anzuwenden, wonach eine berufsgerichtliche Maßnahme nur zulässig ist,
wenn diese Maßnahme neben der verhängten Geldstrafe zusätzlich erforderlich ist, um
den Angeschuldigten zur Erfüllung seiner Berufspflichten anzuhalten.
Welche konkrete Disziplinarmaßnahme im vorliegenden Fall angemessen ist, hängt
davon ab, ob das außerberufliche Fehlverhalten (nur) das Ansehen des Arztberufs
beeinträchtigt oder einen konkreten Bezug zur ärztlichen Berufsausübung aufweist. Im
ersten Fall ist die Schwere des Dienstvergehens mangels anderer rechtlicher Maßstäbe
nach der gesetzlichen Strafandrohung zu bewerten. Für den Besitz
kinderpornographischer Dateien sieht das zur Tatzeit geltende Strafrecht Freiheitsstrafe
bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe vor. Dem entspricht im Disziplinarrecht der
Landesbeamten ein Bewertungsrahmen, der regelmäßig nur unter besonderen
Umständen über eine Gehaltskürzung hinausgeht (vgl. Bundesverwaltungsgericht,
Urteile vom 19. August 2010 – 2 C 5.10 und 13.10 –). Einen konkreten Bezug zur
ärztlichen Berufsausübung des Angeschuldigten weist das angeschuldigte Fehlverhalten
nicht auf. Hier kommt danach eine über eine Geldbuße i.V.m. einer Maßnahme nach §
17 Abs. 1 Nr. 4 Kammergesetz hinausgehende Maßnahme nicht in Betracht (vgl. zur
angemessenen Maßnahme in einem Fall wie dem vorliegenden Berufsgericht für
Heilberufe am Verwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 17. November 2004 – 16 K
258/04.T – bei Juris Rdn. 13).
Einer zusätzlichen berufsgerichtlichen Maßnahme bedarf es vorliegend nicht. Wann eine
zusätzliche Pflichtenmahnung i.S.v. § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG erforderlich ist, hängt von
einer Bewertung der Gesamtpersönlichkeit des Angeschuldigten ab (vgl. auch die
ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 14 BDO: BVerwG, Urteil
vom 9. Dezember 1982 - 1 D 42/82 -, BVerwG 76, 43 m.w.N). Dabei ist – bei
Landesbeamten – davon auszugehen, dass eine Disziplinarmaßnahme neben der
sachgleichen Kriminalstrafe eine eng begrenzte Ausnahme darstellt. Sie setzt die Gefahr
voraus, dass sich die durch das Fehlverhalten zutage getretenen Eigenarten des
Beamten trotz der strafgerichtlichen Sanktion auch in Zukunft in für den Dienst
bedeutsamer Weise auswirken können. Diese Gefahr lässt sich nicht aus allgemeinen
Erwägungen ableiten, sie muss aus konkreten Umständen des Einzelfalles hergeleitet
werden. Die Disziplinarmaßnahme dient nicht der Vergeltung für begangenes Unrecht.
Soweit ihr kein reinigender Charakter zukommt, wird sie nach Grund und Umfang
ausschließlich mit dem Ziel der Erziehung des Täters zu künftigem pflichtgemäßem
Verhalten oder der Mahnung und Abschreckung anderer Beamter in vergleichbaren
Situationen verhängt. Erziehungscharakter kann aber eine Maßnahme nur haben, wenn
sie in einem bestimmten Verhältnis zur Erziehungsbedürftigkeit des Täters und damit
seiner Persönlichkeit steht. Das schließt die alleinige Berücksichtigung allgemeiner,
objektiver und sich in der Person des Täters nicht widerspiegelnder Umstände für die
Feststellung des Erziehungsbedürfnisses und folgerichtig die Bestimmung der
gebotenen Erziehungsmaßnahme aus. Diese Gesichtspunkte können zwar für sich allein
oder auch in ihrer Gesamtheit von indizieller Bedeutung für die Erziehungsbedürftigkeit
des Täters und damit für Art und Umfang der gegen ihn zu verhängenden
Disziplinarmaßnahme sein. Sie müssen aber, was aus den konkreten Umständen des
Einzelfalles zu schließen wäre, in der Persönlichkeit des Täters in irgendeiner Weise ihre
Entsprechung finden (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982 - BVerwG 1 D 42/82 -,
a.a.O). Eine zusätzliche Maßnahme ist mithin nur nach individueller Prüfung des
Einzelfalles beim Vorliegen konkreter Umstände für eine Wiederholungsgefahr zulässig,
wenn also konkrete Befürchtungen ersichtlich sind, der Beamte werde sich trotz der ihm
wegen desselben Sachverhalts bereits auferlegten Kriminalstrafe erneut einer
Dienstpflichtverletzung schuldig machen. Die Bemessung der Bestrafung ist unerheblich
(vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2005, – 1 D 13/04 – bei Juris Rdn. 22 m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze können bei dem Angeschuldigten die Voraussetzungen
des Erfordernisses einer zusätzlichen Pflichtenermahnung nicht festgestellt werden. Die
Anschuldigungsschrift legt keine Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr
dar. Dazu genügt nicht die Annahme nicht auszuschließender pädophiler Orientierung.
Denn ein zusätzliches Pflichtenmahnungsbedürfnis ergibt sich aus diesem Umstand
nicht. Zu einer möglicherweise gebotenen Therapie kann der Angeschuldigte
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nicht. Zu einer möglicherweise gebotenen Therapie kann der Angeschuldigte
berufsgerichtlich nicht verpflichtet werden. Die Tatsache, dass der Angeschuldigte sich
nicht für behandlungsbedürftig hält, vermag eine konkrete Wiederholungsgefahr allein
nicht zu begründen. Gegen eine Wiederholungsgefahr trotz strafgerichtlicher
Verurteilung spricht, dass er seit seiner strafgerichtlichen Verurteilung im Jahr 2008 –
soweit bekannt – nicht erneut in ähnlicher Weise in Erscheinung getreten ist. Außerdem
ist das Fehlverhalten des Angeschuldigten bereits zusätzlich durch die
Gesundheitsverwaltung förmlich missbilligt und mit der Androhung weiterer
berufsrechtlicher Maßnahmen für den Fall der Wiederholung verbunden worden.
Die Einwendungen der Ärztekammer im Schriftsatz vom 31. August 2010 geben zu
keiner anderen Einschätzung Anlass. Bei einer Maßnahme unterhalb der Entfernung aus
dem Beamtenverhältnis – hier entsprechend der Feststellung der Unwürdigkeit – handelt
es sich begrifflich nicht um eine „reinigende“ Maßnahme im Sinn der
Disziplinarrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Die zitierten Entscheidungen
des Wehrdisziplinarsenats des Bundesverwaltungsgericht vom 6. Juli 2000 (2 WD 9/00)
und vom 28. April 2005 (2 WD 25/04) geben für die vorliegende Rechtsfrage nichts her.
Denn beiden Entscheidungen liegen Zurückstufungen zu Grunde, für die im
Wehrdisziplinarrecht – anders als im Disziplinarrecht der Berliner Landesbeamten – keine
Maßnahmesperre gilt. § 16 Abs. 1 Nr. 2 Wehrdisziplinarordnung erfordert nur bei
Disziplinararrest, Kürzung der Dienstbezüge oder Kürzung des Ruhegehalts ein
zusätzliches Pflichtenmahnungsbedürfnis. Außerdem ermöglicht diese Vorschrift eine
zusätzliche Disziplinarmaßnahme, wenn durch das Fehlverhalten das Ansehen der
Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt wurde. Darauf stützt sich entsprechend die
Ärztekammer (Seite 3 der o.g. Stellungnahme). Eine entsprechende Regelung enthält
das Disziplinarrecht für Landesbeamte in Berlin jedoch nicht. Auch der Beschluss des
Verwaltungsgerichts Münster (a.a.O.) steht der hier getroffenen Entscheidung nicht
entgegen; eine § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG entsprechende Vorschrift enthält das
Heilberufegesetz NRW nicht und auf Vorschriften des Disziplinarrechts gegen
Landesbeamte wird dort nicht verwiesen. Schließlich führt auch die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1969 – 2 BvR 545/68 – zur Frage des
Doppelbestrafungsverbots nicht weiter; in dieser Entscheidung hat das
Bundesverfassungsgericht zwar ausgeführt, dass Art 103 Abs 3 GG einer
berufsgerichtlichen Verurteilung zu einer Geldbuße trotz einer vorausgegangenen
strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Geldstrafe nicht entgegensteht. Auch in jenem
Fall war jedoch eine § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG entsprechende Vorschrift nicht zu
diskutieren. Einschränkungen werden dort demgemäß nur unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismäßigkeit geprüft.
Die Heilberufekammer konnte das Verfahren nicht einstellen, weil das seit dem 1.
August 2004 für Landesbeamte geltende Disziplinarverfahren, auf das § 24
Kammergesetz für das berufsgerichtliche Verfahren verweist, dafür keine
Rechtsgrundlage mehr enthält.
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