Urteil des VG Berlin vom 26.06.2010

VG Berlin: schule, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, gestaltung, schüler, vollziehung, rechtsschutz, daten, elternrecht, verweigerung

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Gericht:
VG Berlin 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 248.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 2 GG, Art 7 Abs 1 GG,
§ 52 Abs 2 SchulG BE, § 55a Abs
5 SchulG BE
Verpflichtung der Eltern zur schulärztlichen
Eingangsuntersuchung
Tenor
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
Das mit Schriftsatz vom 26. Juni 2010 geltend gemachte - auslegungsbedürftige -
Begehren der Antragsteller ist offenbar dahin zu verstehen, dass sie vorläufigen
Rechtsschutz gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Bezirksamtes
Mitte von Berlin vom 18. Juni 2010 begehren, mit dem sie unter Androhung
unmittelbaren Zwangs aufgefordert wurden, ihren am 6. März 2004 geborenen und zu
Beginn des Schuljahres 2010/2011 schulpflichtig werdenden Sohn J... D... zur
schulärztlichen Untersuchung vorzustellen.
Dahinstehen kann, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den hier allein gemäß § 80
Abs. 5 VwGO in Betracht kommenden vorläufigen Rechtsschutz auch insoweit vorliegen,
als die Antragsteller bereits Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Juni 2010
eingelegt haben, dessen aufschiebende Wirkung sie im vorliegenden Verfahren
wiederherzustellen begehren könnten. Selbst wenn das Schreiben der Antragsteller vom
26. Juni 2010, das u.a. den Bescheid vom 18. Juni 2010 erwähnt, als ein auf die
Aufhebung dieses Bescheides gerichteter Widerspruch anzusehen wäre, hätte das
Rechtsschutzbegehren keinen Erfolg; denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür
vorgetragen oder sonst ersichtlich, die das öffentliche Interesse an der Vollziehung des
Bescheides gegenüber dem Suspendierungsinteresse der Antragsteller zurücktreten
lassen könnten.
Der Antragsgegner hat in Einklang mit § 80 Abs. 3 VwGO mit tragfähiger Begründung die
sofortige Vollziehung der Anordnung, den Sohn der Antragsteller einer schulärztlichen
Untersuchung vorzustellen, angeordnet. Im Hinblick auf die zum 1. August 2010
beginnende Schulpflicht und die nach Beendigung der bis zum 21. August 2010
dauernden Sommerferien bevorstehende Einschulung des Sohnes der Antragsteller liegt
das öffentliche Interesse daran, zuvor dessen schulärztliche Untersuchung
sicherzustellen, auf der Hand.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 18. Juni 2010, die seine
Suspendierung rechtfertigen könnten, bestehen nicht. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 des
Schulgesetzes für das Land Berlin - SchulG - vom 26. Januar 2004 (GVBl. S. 26) in der
Fassung des Gesetzes vom 25. Januar 2010 (GVBl. S. 14 und S. 22) sind Kinder,
Schülerinnen und Schüler verpflichtet, sich untersuchen zu lassen, soweit nach dem
Schulgesetz oder einer anderen Rechtsvorschrift schulärztliche Untersuchungen
vorgesehen sind. Gemäß § 55 a Abs. 5 SchulG sind die Erziehungsberechtigten
verpflichtet, ihre Kinder vor Aufnahme in die Schule schulärztlich untersuchen zu lassen.
Die Verordnung über den Bildungsgang der Grundschule (Grundschulverordnung - GsVO
-) vom 19. Januar 2005 (GVBl. S. 16 und S. 140) konkretisiert diese Untersuchungspflicht
dahin, dass die zuständige Schule spätestens eine Woche nach dem letzten Tag des
Anmeldezeitraums alle schulpflichtig werdenden Kinder dem Gesundheitsamt meldet
und dass die Schule (nach der Einschulung) die schulärztliche Stellungnahme und die
Empfehlungen für die Gestaltung des Schulbesuchs, soweit sie durch den schulärztlich
festgestellten gesundheitlichen Zustand des Kindes begründet sind, berücksichtigt. Die
durch Bescheid vom 18. Juni 2010 getroffene Anordnung setzt die gesetzlich begründete
Verpflichtung der Antragsteller, ihren schulpflichtig werdenden Sohn schulärztlich
untersuchen zu lassen, beanstandungsfrei um. Rechtliche Bedenken, vor allem
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untersuchen zu lassen, beanstandungsfrei um. Rechtliche Bedenken, vor allem
verfassungsrechtliche Bedenken sind weder in Bezug auf diesen Bescheid noch in Bezug
auf dessen rechtliche Grundlagen erkennbar.
Nachdem die Einschulung entgegen früherer Rechtslage nicht mehr von der positiven
Feststellung der Schulreife abhängig ist, dient die schulärztliche Eingangsuntersuchung
nicht mehr dieser Feststellung, sondern stellt eine ärztliche Momentaufnahme mit einer
Diagnose dar, die auch den Lehrern helfen soll, eventuelle gesundheitliche
Besonderheiten des Kindes bei der schulischen Arbeit zu berücksichtigen. Die
schulärztliche Untersuchung kann dazu führen, dass eine Aufnahme in die Grundschule
nicht zu vertreten ist, so dass die zuständige Schulbehörde zu prüfen hat, ob eine
sonderpädagogische Förderung des betreffenden Kindes in Betracht kommt.
Unabhängig davon können sich aus der schulärztlichen Untersuchung Empfehlungen für
die Gestaltung des Schulbesuchs ergeben, die durch den gesundheitlichen Zustand des
Kindes begründet sind und die die Schule zu berücksichtigen hat. Die medizinische
Einschätzung des Gesundheitsamtes soll die Schule in die Lage versetzen, dies bei der
Unterrichts- und Erziehungsarbeit zu beachten (vgl. Krzyweck/Duveneck/Lampe, Das
Schulrecht in Berlin, 38. Lieferung, Rnr. 23-26 zu § 5 GsVO). Außerdem vermittelt die
schulärztliche Eingangsuntersuchung den Erziehungsberechtigten wichtige
Informationen über die Gesundheitszustand ihres Kindes, die Anlass sein können, in
elterlicher Verantwortung weitere Klärungen durchzuführen (a.a.O.). Mit diesen Regelung
verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes öffentliches Interesse, da er nur so dem in Art. 7
Abs. 1 GG niedergelegten Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule gerecht werden
kann; denn hiernach trägt jede Schule die Verantwortung dafür, dass Schülerinnen und
Schüler, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen und Anlagen an ihrer
Schule das Ziel der jeweiligen Schulart oder des jeweiligen Bildungsgangs erreichen. Die
Schule muss ihre Unterrichts- und Erziehungsarbeit so gestalten, dass eventuelle
gesundheitlich bedingte Benachteiligungen einzelner Schülerinnen und Schüler
ausgeglichen und Chancengleichheit hergestellt werden kann (vgl. § 4 Abs. 2 SchulG).
Diese Grundsätze sind u.a. in § 7 Abs. 2, § 14 Abs. 1 und § 15 Abs. 1 und Abs. 3 GsVO
konkretisiert. Dem so verstandenen Bildungs- und Erziehungsauftrag kann sich die
Schule nicht entziehen, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - Eltern eines
schulpflichtigen Kindes die schulärztliche Untersuchung für verzichtbar halten bzw. an
deren Stelle eine Untersuchung durch einen Arzt ihrer Wahl durchführen lassen wollen.
Zwar haben die Vorstellungen der Erziehungsberechtigten eines Schülers im Hinblick auf
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gerade auch im schulischen Bereich ein großes Gewicht. Mit den
dargestellten Regelungen hat der Gesetzgeber jedoch einen Ausgleich zwischen dem
Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule und dem Elternrecht in der Weise getroffen,
dass die Erziehungsberechtigten nicht über die Schuleingangsuntersuchung disponieren
können. Aus den dargestellten Gründen ist diese Regelung sachgerecht, verhältnismäßig
und daher auch von den Antragstellern hinzunehmen.
Gewichtige Gründe, die für eine Stattgabe des Rechtsschutzantrags sprechen könnten,
sind nicht ersichtlich. Soweit die Antragsteller geltend machen, bereits vor zwei Jahren
habe ein Arzt in der Reinickendorfer Straße 60 b vertrauliche Daten an Dritte
weitergegeben, ist - unterstellt, der Vorwurf trifft zu - nichts ersichtlich, was für eine
Wiederholungsgefahr spricht, zumal nicht dargelegt worden ist, ob sich der Vorwurf auf
einen Amtsträger bezieht, der nunmehr auch für die schulärztliche Untersuchung des
Sohnes der Antragsteller in Betracht kommt. Hinzu kommt, dass die Antragsteller nicht
gehindert sind, gegen eine aus ihrer Sicht nicht vertretbare Weitergabe gesundheitlicher
Daten vorzugehen. Jedenfalls aber rechtfertigen entsprechende Befürchtungen nicht die
Verweigerung der hier in Rede stehenden Schuleingangsuntersuchung. Soweit die
Antragsteller darauf hinweisen, dass sie gegebenenfalls bereit wären, ihren Sohn durch
einen Arzt ihres Vertrauens untersuchen zu lassen, lässt dies die Notwendigkeit der
angeordneten schulärztlichen Untersuchung durch den Kinder- und
Jugendgesundheitsdienst des Bezirksamtes Mitte nicht entfallen; denn es kann nicht
davon ausgegangen werden, dass ein von den Antragstellern herangezogener
niedergelassener Arzt ihrer Wahl mit Ziel und Gegenstand des Untersuchungsauftrags
vertraut ist, der der schulärztlichen Eingangsuntersuchung zugrunde liegt und sich daher
auch aus von ihm getroffenen Feststellungen zuverlässige Empfehlungen für die
Gestaltung des Schulbesuchs ergeben.
Aus den Hinweisen der Antragsteller auf das nach ihrer Auffassung nicht beachtete
Zitiergebot gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG ergeben sich
keinerlei durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 18.
Juni 2010. Die Berechtigung des Antragsgegners, die sofortige Vollziehung dieses
Bescheides anzuordnen, ergibt sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 VwGO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Wertes des
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Wertes des
Verfahrensgegenstandes auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.
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