Urteil des VG Berlin vom 05.03.2010

VG Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, aufschiebende wirkung, berechtigung, fax, verwaltungsakt, ewr, fahrschule, polnisch, eog, daten

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Gericht:
VG Berlin 20.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 L 121.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 28 Abs 4 FeV, § 7 Abs 1 S 2
FeV, EWGRL 439/91
Berechtigung des Inhabers einer im Ausland erworbenen
Fahrererlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs
Leitsatz
Zu den Anforderungen an einen Nachweis des Wohnsitzes im Inland bei der Feststellung der
fehlenden Berechtigung des Inhabers einer in Polen erworbener Fahrerlaubnis zum Führen
von Kraftfahrzeugen in Deutschland
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid
des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 5. März 2010 wird
wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des
Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 5. März 2010
wiederherzustellen,
ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig. Nachdem der Fax-Sendebericht vorgelegt wurde,
spricht vieles dafür, dass der Widerspruch rechtzeitig per Fax beim Landesamt für
Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eingegangen ist, auch wenn das Fax nicht zum
Verwaltungsvorgang gelangt ist, oder jedenfalls gemäß § 32 VwVfG Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand in Betracht kommt, weil der verspätete Eingang des Widerspruchs im
Original nicht auf einem Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten beruht.
Der Antrag ist auch begründet. Das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs überwiegt das Interesse des Antragsgegners an der
sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts. Nach der im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten
des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren erweist sich nämlich der Verwaltungsakt als
rechtswidrig.
Rechtsgrundlage für die Feststellung, dass die am 6. September 2005 in Polen
erworbene Fahrerlaubnis der Klasse B die Antragstellerin nicht berechtigt, auf dem
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge im öffentlichen
Straßenverkehr zu führen, ist § 28 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der
Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) in der seit dem 19. Januar 2009 geltenden Fassung.
Danach gilt die Berechtigung nach Absatz 1 (Kraftfahrzeuge im Inland zu führen) nicht
für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder
vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum
Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten; die Behörde kann
einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Ein
ordentlicher Wohnsitz in Deutschland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen,
wenn der Bewerber wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden
beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen
dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt
während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt (vgl. auch Artikel 9 Abs. 1 der
Richtlinie 91/439/EWG). Mit § 28 FeV wird die Richtlinie 91/439/EWG umgesetzt, nach
deren Artikel 1 Abs. 2 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine
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deren Artikel 1 Abs. 2 die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine
gegenseitig anerkannt werden. Die anderen Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nicht
befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen
nachzuprüfen. Ein Mitgliedstaat kann es aber dann ablehnen, die Fahrberechtigung
anzuerkennen, wenn sich auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder
anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen
feststellen lässt, dass die in Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 91/439/EWG
aufgestellte Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses
Führerscheins nicht erfüllt war (vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 – Rs. C-334/06 bis C-
336/06, Zerche u.a. –, Rdnr. 69f. und – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. –,
Rdnr. 72f.; Beschluss vom 9. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer –, Rdnr. 51, 59).
Die Voraussetzungen für die Feststellung der fehlenden Berechtigung zum Führen von
Kraftfahrzeugen im Inland liegen nicht vor. Denn weder aus dem polnischen Führerschein
noch aus den vorliegenden vom Ausstellungsmitgliedstaat Polen herrührenden
Bescheinigungen ergibt sich, dass die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Erteilung der
Fahrerlaubnis ihren ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hatte. In dem am 19.
September 2005 in Polen ausgestellten Führerschein ist vielmehr unter Nummer 8., in
der der Wohnort einzutragen ist, „7…“ angegeben. Auch aus den weiteren aus Polen
stammenden Informationen geht nicht hervor, dass die Antragstellerin ihren
ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hatte und der polnische Führerschein unter
Missachtung der von der Richtlinie 91/439/EWG aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung
ausgestellt worden ist. Nach der vom Kraftfahrt-Bundesamt eingeholten amtlichen
Auskunft aus Szczecin vom 23. Oktober 2008 war die Antragstellerin vom 18. Januar
2005 bis zum 17. April 2005 in der ul. S. in Szczecin gemeldet. Dies besagt nicht, dass
sie zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B ihren ordentlichen
Wohnsitz im Inland, d. h. in Deutschland hatte.
Aus den von der Antragstellerin vorgelegten polnischen Bescheinigungen geht dies
ebenfalls nicht hervor. Nach diesen Bescheinigungen, die jeweils mit „potwierdzenie
zameldowania cudzoziemca na pobyt czasowy“ („Bescheinigung der Anmeldung für
einen vorübergehenden Aufenthalt eines Ausländers“ – nach Google Übersetzer
polnisch-deutsch, translate.google.de) überschrieben sind, war die Antragstellerin im
Zeitraum vom 18. Januar 2005 bis 17. April 2005, 12. April 2005 bis 30. Juni 2005, 27.
März 2006 bis 27. Juni 2006, 1. Oktober 2006 bis 31. Dezember 2006 und 5. Januar 2007
bis 5. April 2007 in Polen gemeldet. Die Daten geben jeweils die beabsichtigte
Aufenthaltsdauer („Zamierzony czas trwania pobytu“ – nach Google Übersetzer) an.
Allein aus dem Umstand, dass für den Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis keine
Meldebescheinigung vorliegt, ergibt sich keine unbestreitbare Information, dass die
Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt nicht – wie im Führerschein angegeben – in Szczecin
(Stettin) in Polen gewohnt hat. Daraus folgt erst recht nicht, dass sie ihren Wohnsitz in
Deutschland hatte. Die Antragstellerin selbst hat vielmehr vorgetragen, dass sie
durchgehend vom 18. Januar 2005 bis 5. April 2007 in Polen gemeldet gewesen sei und
dort ihren Wohnsitz gehabt habe. Denn sie sei von der Fahrschule informiert worden,
dass sie einen Wohnsitz sechs Monate vor Ablegung der Prüfung in Polen haben müsse
und dieser Wohnsitz darüber hinaus mindestens zwei Jahre bestehen müsse.
Entsprechende Unterlagen seien jedoch nicht vollständig vorhanden.
Dagegen spricht der von der Antragstellerin vorgelegte von ihr so bezeichnete
„Inlandsausweis“, der mit „Karta pobytu obywatela Unii Europejskiej/EOG“
(„Aufenthaltskarte eines Bürgers der Europäischen Union/EWR“ – Google Übersetzer)
überschrieben ist und bei dem es sich um eine Aufenthaltserlaubnis für Unionsbürger
handelt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. November 2009 – OVG 1 N 86.09 –
unter Hinweis auf einen Vermerk der Bundespolizeiinspektion Lörrach) sogar für einen
längeren Aufenthalt in Polen. Dieser „Ausweis“, der eine Gültigkeitsdauer vom 11.
Februar 2005 bis 2. Februar 2006 angibt, belegt zwar, worauf der Antragsgegner insoweit
zutreffend hingewiesen hat, nicht die tatsächlichen Meldeverhältnisse. Aus ihm ergibt
sich aber auch nicht, dass die Antragstellerin ihren ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt
des Erwerbs der Fahrerlaubnis in Deutschland hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt
sich aus §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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