Urteil des VG Berlin vom 17.03.2010

VG Berlin: öffentliche sicherheit, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, aufzug, veranstaltung, auflage, kreuzung, aufschiebende wirkung, kundgebung

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 L 112.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 GG, § 15 Abs 1
VersammlG, § 80 Abs 4 VwGO, §
99 Abs 1 VwGO, § 99 Abs 2
VwGO
Vorläufiger Rechtsschutz gegen versammlungsrechtliche
Auflage
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und
Jungsozialisten in der SPD (Jusos) Berlin und wendet sich gegen einen
versammlungsrechtlichen Auflagenbescheid.
Am 17. März 2010 meldete der Antragsteller eine Versammlung für Samstag, den 01.
Mai 2010 in der Zeit von 9.00 Uhr bis 24.00 Uhr auf der Kreuzung Wisbyer
Straße/Ostsee-straße/Prenzlauer Allee unter dem Motto „Kein Naziaufmarsch am 1.
Mai“ mit erwarteten 500 Teilnehmern an.
Am 12. August 2009 hatte ein Herr S. einen Aufzug für den 1. Mai 2010 in der Zeit von
11.00 bis 24.00 Uhr mit dem Ort der Auftaktkundgebung Bahnhof Bornholmer Straße
und einem Zug durch Pankow nördlich des S-Bahnrings unter dem Motto „Unserem Volk
eine Zukunft – Den bestehenden Verhältnissen den Kampf ansagen – Nationaler
Sozialismus jetzt“ angemeldet. Nach einem Kooperationsgespräch am 13. April 2010
hatte der Polizeipräsident in Berlin die Anmeldung der Versammlung mit Bescheid vom
27. April 2010 ohne Wegstreckenauflage bestätigt.
In einem Veranstaltergespräch am 21. und 26. April 2010 mit zehn Veranstaltern von
Gegendemonstrationen am 1. Mai in Pankow fragte die Versammlungsbehörde nach, ob
Interesse an einer gemeinsamen Gegenveranstaltung in Hör- und Sehweite des
rechtsextremistischen Aufzugs bestehe. Sodann wurde den Veranstaltern mitgeteilt,
dass alle Versammlungen grundsätzlich südlich der S-Bahn-Strecke ermöglicht werden
könnten. Der Antragsteller wandte sich gegen die vorgeschlagene Verlagerung, wenn
nur dadurch ein Aufzug von Rechtsextremisten ermöglicht werde.
Mit Bescheid vom 27. April 2010 machte der Polizeipräsident in Berlin die Veranstaltung
u.a. von der Einhaltung folgender, für sofort vollziehbar erklärter Auflage abhängig:
„1. Eine Durchführung der Kundgebung an der angemeldeten Örtlichkeit
Kreuzung Wisbyer Straße/Ostseestraße/Prenzlauer Allee wird untersagt. Stattdessen
kann die Kundgebung Prenzlauer Allee, südlich des S-Bahnrings in Höhe Zeiss-
Planetarium durchgeführt werden. Der ungehinderte Zu- und Abgang zu / vom S-Bhf.
Prenzlauer Allee ist zu gewährleisten.“
Zur Begründung führte die Behörde aus, die Auflage sei erforderlich, da die öffentliche
Sicherheit bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Die
Kundgebung richte sich gegen eine rechtsgerichtete Versammlung, die am 1. Mai 2010
in Pankow stattfinden solle. Hiergegen habe sich ein breites Bündnis unter dem Namen
„1. Mai Nazifrei“ gebildet. Dieses Bündnis könne mehrere Tauschend Teilnehmer
mobilisieren und habe bislang 13 Gegenkundgebungen angemeldet. Erklärtes Ziel sei:
„Nazis blockieren“. Offenbar seien Massenblockaden beabsichtigt, wie sich aus
Blockadeplänen auf der Internetseite „1. Mai Nazifrei“ ergebe. Darüber hinaus gebe es
massierte Aufrufe verschiedener Antifa-Gruppen, in denen teilweise offen zur Gewalt
gegen „Nazis“ aufgerufen werde. Die dazu gehörigen Gruppen „Antifaschistische Linke
8
9
10
11
12
13
gegen „Nazis“ aufgerufen werde. Die dazu gehörigen Gruppen „Antifaschistische Linke
Berlin“ (ALB) und „Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin“ (ARAB) gehörten zum
„1. Mai Nazifrei“-Bündnis. Bei rechtsgerichteten Demonstrationen sei es in der
Vergangenheit u.a. am 1. Mai 2004 und am 6. Dezember 2008 in Berlin zu
Blockadeaktionen von Gegendemonstranten mit erheblichem Gewaltpotential
gekommen. Das „1. Mai Nazifrei“-Bündnis beziehe sich ausdrücklich auf den „Erfolg“
von „Dresden Nazifrei“, wo am 13. Februar 2010 mit Hilfe von Massenblockaden und
gezielten Einzelangriffen ein Aufzug Rechtsextremer verhindert worden sei. Die Vielzahl
der angemeldeten Gegendemonstrationen im Nahbereich der rechten Veranstaltung
biete gewaltbereiten Personen einen Aktions- und Rückzugsraum. Die Kundgebung sei
von der Gefahrenprognose her als störanfällig einzustufen. Die angemeldete Örtlichkeit
befinde sich in der Nähe einer zeitlich früher angemeldeten Veranstaltung politisch
rechter Personen. Eigentlicher Zweck der Veranstaltung sei eine
„Verhinderungsversammlung“. Diese Vorgehensweise sei zwar noch vom Zweck der
Versammlungsfreiheit gedeckt, müsse sich aber dem Prioritätsgrundsatz unterordnen.
Die rechte Veranstaltung werde in einem Bericht stattfinden, der westlich durch die
Bornholmer Brücke, östlich durch die Landsberger Allee, südlich durch die S-Bahntrasse
der Ringbahn und nördlich von einer Linie etwa einen Kilometer oberhalb der
Ringbahntrasse begrenzt sei. Diese Fläche sei notwendig, um die Versammlungsfreiheit
der Teilnehmer der rechten Veranstaltung zu ermöglichen. Sie biete gleichzeitig den
Aktionsraum, den die Polizei zum Schutz aller angemeldeten Versammlungen benötige.
Die erheblichen Ausschreitungen bei vergleichbaren Versammlungslagen in den letzten
Jahren seien auch darauf zurückzuführen gewesen, dass die Routenführung der rechten
Versammlung im Vorfeld bekannt gewesen sei. Wegen der Gefahrenprognose könne nur
der für polizeiliche Maßnahmen notwendige Raum, nicht aber die genaue Wegstrecke
bezeichnet werden. Bei den Kooperationsgesprächen habe der Antragsgegner die
Durchführung von zwei oder drei Versammlungen angeboten, die in garantierter Sicht-
oder Hörweite der rechten Veranstaltung hätten liegen sollen. Um die drohenden
Gefahren abzuwehren, sei eine strikte räumliche Trennung von Personen beider Lager zu
gewährleisten. Darüber hinaus dürften die Teilnehmer der rechten Veranstaltung und die
Polizei nicht vollständig von Gegenveranstaltungen eingeschlossen werden.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit dem unter dem 28. April 2010 eingelegten
Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Mit dem am selben Tag
eingegangenen Eilantrag begehrt sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs hinsichtlich der ersten Auflage des Bescheides. Er trägt im
Wesentlichen vor, Zweifel an der Gefahr der örtlichen Überschneidung der von ihm
angemeldeten Versammlung und dem in diesem Raum stattfindenden
„neofaschistischen Versammlung“ zu haben, da ihm der Verlauf dieser nicht bekannt
sei. Von der Wichertstraße/Grellstraße sei der zugewiesene Kundgebungsort ca. 400m
entfernt und der dazwischen liegende S-Bahnhof Prenzlauer Allee befinde sich auf einer
leichten Anhöhe. Ein kommunikativer, insbesondere ein akustischer und visueller,
Kontakt mit der rechtsextremen Versammlung sei so nicht möglich. Die Bahngleise und
die Umgebungsbebauung würden dem ebenfalls entgegenstehen. Der Vortrag des
Antragsgegners, der Bereich nördlich des S-Bahnrings sei als polizeilicher Aktionsraum
erforderlich, sei zu unsubstantiiert. Es handele sich bei seiner Veranstaltung nicht um
eine „Verhinderungsversammlung“, da ihm zum Zeitpunkt der Anmeldung nicht
bekannt gewesen sei, ob oder wo die rechtsextremistische Versammlung stattfinden
würde. Die Gefahr einer Einschließung der rechtsextremen Versammlung und der Polizei
sei durch die beabsichtigte stationäre Kundgebung nicht gegeben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des
Polizeipräsidenten in Berlin vom 27. April 2010 hinsichtlich der ersten Auflage
wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner nimmt Bezug auf seine Gefahrenprognose im angegriffenen
Bescheid. Zur Verhinderung eines rechtsextremistischen Aufzugs mittels Sitzblockaden
sei es auch am 1. Mai 2005 gekommen. Regelmäßig würden Sitzblockaden von
gewaltsamen Aktionen durchmischt. Dies werde nunmehr als „erfolgreiches Konzept“
gepriesen. Die Polizei sei Garant der Versammlungsfreiheit auch bezüglich eines
rechtsextremistischen Aufzugs. Damit sei es im vorliegenden Fall unvereinbar, die
Aufzugsstrecke bekannt zu geben. Deshalb habe die Route auf der Anmeldung des
rechtsextremen Aufzugs und auf der Anmeldebestätigung geschwärzt werden müssen.
14
15
16
17
18
19
rechtsextremen Aufzugs und auf der Anmeldebestätigung geschwärzt werden müssen.
Es werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Ausschreitungen kommen,
wenn sich dem Störerpotential auch nur die geringste Möglichkeit eröffne. Deshalb sei
die Verlegung der Versammlung der Antragstellerin in den Bereich südlich der S-
Bahntrasse nicht zu beanstanden. Demgegenüber seien die Interessen der
Antragstellerin nachrangig. Sie müsse sich die im Vorfeld propagierten
Verhinderungsabsichten zurechnen lassen. Die Durchführung der Versammlung in
angemeldeten Bereich würde von gewaltbereiten und zu illegalen Angriffen
entschlossenen Personen missbraucht werden. Dass eine Gegenveranstaltung in Sicht-
und Hörweite ermöglicht werden solle, gelte nur nach Maßgabe dessen, was unter den
konkreten Umständen des Einzelfalls leistbar sei. Aufgrund der Gefahrenlage und der
örtlichen Straßenverhältnisse, könne der Antragsteller seine Versammlung nur südlich
der S-Bahntrasse abhalten. Der zugewiesene Veranstaltungsort liege nur wenige Meter
südlich der S-Bahntrasse entfernt. Nur so sei der ungehinderte Zu- und Abgang zu bzw.
vom S-Bahnhof Prenzlauer Allee gewährleistet. Zwar sei der zugewiesene
Veranstaltungsort ca. 200m von der Kreuzung Prenzlauer
Allee/Wichertstraße/Grellstraße entfernt, jedoch sei Sicht- und Hörweite zur
rechtsradikalen Versammlung so vorhanden und aufgrund der dortigen
Straßenverhältnisse nicht besser zu gewährleisten. In Erwiderung auf den Vortrag der
Antragstellerin hat der Antragsgegner telefonisch zugesichert, die Versammlung des
Antragstellers bis auf den Scheitelpunkt der über die S-Bahngleise führenden Brücke auf
der Prenzlauer Allee vorzulassen.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet. Es besteht ein überwiegendes öffentliches
Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides, da die Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Auflage Nr. 1 keinen ernstlichen Zweifeln unterliegt (vgl. § 80 Abs. 4 Satz
3 VwGO).
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen
Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach
den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche
Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit
(Art. 8 GG) für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz
gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit begrenzt werden (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR
233/81 und 341/81, BVerfGE 69, 315, 348 f. - Brokdorf). Die Versammlungsfreiheit hat
nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung des
Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter
notwendig ist (BVerfG, a. a. O., S. 353). Dabei ist grundsätzlich das Recht der
Veranstalter zu berücksichtigen, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres
Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Mittel sie zur Erregung der
öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen.
Die von dem Antragsteller angemeldete Kundgebung fällt, wie auch der Antragsgegner
fraglos anerkennt, unter den Schutzbereich des Art. 8 GG. Dass sie in ausgesprochenem
Gegensatz zur Versammlung des Anmelders S. steht, ändert daran zunächst nichts.
Solange eine Gegendemonstration friedlich und mit kommunikativen Mitteln tatsächlich
durchgeführt werden soll (und nicht zum Schein angemeldet wurde), hat die zuständige
Versammlungsbehörde den möglichen Konflikt mit dem Grundrecht der
Versammlungsfreiheit der Teilnehmer der von den Gegendemonstranten abgelehnten
Versammlung im Wege der praktischen Konkordanz zu lösen, wobei die zeitliche Priorität
der Anmeldungen eine wichtige, aber nicht allein ausschlaggebende Rolle spielt. Im
Rahmen dieses Interessenausgleichs kann auch berücksichtigt werden, dass eine
größere Zahl von Gegendemonstrationen an strategischen Orten auch mit dem Ziel
angemeldet worden ist, den Streckenverlauf eines bekämpften Aufzuges zu
durchkreuzen (Urteil der Kammer vom 23. Februar 2005, - VG 1 A 188.02 -, S. 8 des
Urteilsabdrucks).
Ausgehend hiervon hatte die Versammlungsbehörde zunächst zu beurteilen, ob die
gleichzeitige Abhaltung der Gegenkundgebung des Antragstellers im Nahbereich der
Aufzugsroute des Anmelders S. mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit i.S. von § 15
Abs. 1 VersG verbunden ist, die ein versammlungsbehördliches Einschreiten erforderlich
macht. Dies ist nach Auffassung der Kammer zu bejahen.
Bei Durchführung des rechtsextremen Aufzugs in Pankow ist mit gewalttätigen
19
20
21
Bei Durchführung des rechtsextremen Aufzugs in Pankow ist mit gewalttätigen
Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten Gegnern des Aufzugs und dessen
Teilnehmern zu rechnen. Dies belegen die vom Antragsgegner zitierten Internetaufrufe
einschließlich des Internetauftritts des Bündnisses „1. Mai Nazifrei“, dem der
Antragsteller zugehört. In den Jahren 2004, 2005 und 2008 ist es zu massiven
Zusammenstößen und Blockaden anlässlich vergleichbarer rechter Aufmärsche
gekommen, wobei sich schnell bewegliche gewaltbereite Störergruppen häufig unter
friedliche Demonstranten gemischt haben. Dass dieses Vorgehen aus der Sicht der
Blockierer erfolgversprechend ist, betont auch das Bündnis „1. Mai Nazifrei“ unter Bezug
auf die Ausschreitungen am 13. Februar 2010 in Dresden.
Die Kundgebung des Antragstellers an der Kreuzung Wisbyer Straße /Ostseestraße/
Prenzlauer Allee befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Aufzugstrecke des gleichzeitig
stattfindenden rechtsextremen Aufzugs. Zwar ist auch der Kammer die Route des
rechten Aufmarsches nicht in Einzelheiten bekannt. Denn der Antragsgegner hat die
entsprechenden Passagen des Anmeldeformulars und der Anmeldebestätigung unter
Berufung auf die Erfahrungen in der Vergangenheit und seine Schutzpflicht für die
rechtsextreme Versammlung geschwärzt. Die Kammer hat keine Möglichkeit, die
Vorlage dieser Information in einem Eilverfahren so kurzfristig durch Beweisbeschluss zu
erzwingen und im Fall der Abgabe einer Sperrerklärung von Seiten der Behörde ein In-
Camera-Verfahren durchzuführen (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VwGO). Im
vorliegenden Fall hat der Antragsgegner aber sinngemäß mitgeteilt, dass der
rechtsextreme Aufzug die Kreuzung Prenzlauer Allee/Wichertstraße/Grellstraße
passieren und damit dicht an dem vom Antragsteller angemeldeten Standort
vorbeiführen wird. Bereits dies könnte von gewaltbereiten Teilnehmern für eine direkte
Konfrontation mit dem rechten Aufzug oder für eine Blockade genutzt werden. Diese
Gefahr ließe sich nördlich des S-Bahnrings auch durch entsprechende Absperrungen und
einen räumliche Trennung der beiden Gruppen nicht mit vertretbarem Aufwand
beherrschen. Nördlich des S-Bahnrings ist kein Massentransportmittel zur Anreise der
Teilnehmer, vergleichbar der S-Bahn, vorhanden. Da die Teilnehmer der Versammlung
des Antragstellers den von ihm gewünschten Ort erst aufsuchen müssen, ist eine klare
Trennung der Teilnehmer beider Versammlungen durch die Polizei nicht möglich.
Infolgedessen kommt auch eine von dem Antragsteller vorgeschlagene Verlegung der
Versammlung auf den Caligariplatz nicht in Betracht.
Bei dieser Sachlage ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Versammlungsbehörde
mit einer versammlungsrechtlichen Auflage gegen den Antragsteller und nicht gegen
den Versammlungsveranstalter S. vorgegangen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat
Grundsätze dazu entwickelt, wie bei konkurrierenden Anmeldungen im Konflikt zwischen
(zuerst angemeldeter) Demonstration und einer Gegendemonstration, von der Gewalt
droht, vorzugehen ist. Drohen Gewalttaten als Gegenreaktion auf Versammlungen, so
besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die behördlichen Maßnahmen müssen
sich primär gegen den Störer richten. Grundsätzlich kann der Erstanmelder, der im
Regelfall bei kollidierenden Versammlungen Vorrang genießt, nicht als Zweckveranlasser
und Störer, sondern nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes
in Anspruch genommen werden. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen
Ordnung berufenen Versammlungsbehörde, in unparteilicher Weise auf die
Verwirklichung des Versammlungsrechts des Erstanmelders hinzuwirken (BVerfG,
Beschluss vom 1. September 2000 – 1 BvQ 24/00 –, NVwZ 2000, 1406). Für diese
Verpflichtung ist es nicht entscheidend, ob Störungen des Versammlungsablaufs nur
durch gewaltbereite Personen zu erwarten sind oder zusätzlich durch weitgehend
gewaltfreie Protestformen wie Sitzblockaden; letztere sind zwar nicht als strafbare
Nötigung zu werten, dürfen aber als Mittel zur Hinderung Dritter an der Abhaltung einer
angemeldeten und bestätigten Versammlung auch unter Berufung auf das
Versammlungsgrundrecht nicht eingesetzt werden (OVG Berlin, Urteil vom 20.
November 2008 – OVG 1 B 5.06 - S. 20 ff., 21 des Urteilsabdrucks). Auch zu erwartende
Formen des gewaltfreien Protests gegen eine Versammlung können deshalb den
maßvollen Einsatz präventiver Maßnahmen wie z.B. Absperrungen und Kontrollen
rechtfertigen, auch wenn sie die Bewegungsfreiheit unbeteiligter Personen im
öffentlichen Raum beschränken; dies gilt insbesondere dann, wenn gewaltbereite von
friedlichen Veranstaltungsgegnern nicht oder nur schwer zu trennen sind und eine
Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass Unbeteiligte und friedliche Veranstaltungsgegner
als Schutzschirm für die Ausübung von Gewalt missbraucht werden sollen (OVG Berlin,
a.a.O. S. 22). Ergreift die Versammlungsbehörde die danach erforderlichen präventiven
Maßnahmen nicht und führt dies dazu, dass der angemeldete und bestätigte Aufzug
tatsächlich wegen nicht anders zu bewältigender, von Gegendemonstranten
ausgehender Gefahren abgebrochen werden muss, kann sich die
Versammlungsbehörde auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstandes nicht berufen;
dies führt zur Rechtswidrigkeit der von ihr gegen die bestätigte Versammlung
22
23
24
25
26
dies führt zur Rechtswidrigkeit der von ihr gegen die bestätigte Versammlung
getroffenen Maßnahmen.
Ausgehend hiervon hat die Versammlungsbehörde zu Recht den Antragsteller zur
Vermeidung der drohenden Gefahr herangezogen und gegen ihn eine
versammlungsrechtliche Auflage erlassen.
Der Veranstalter S. hat seinen Aufzug zeitlich deutlich vor dem Antragsteller
angemeldet. Schon deshalb waren versammlungsbehördliche Maßnahmen gegen den
Antragsteller zu richten. Denn besondere Gründe, die es vertretbar erscheinen ließen,
abweichend vom Prioritätsgrundsatz auf die Versammlungsanmeldung des
Antragstellers hin zur Abwehr der mit ihr verbundenen Gefahr eine (Wegstrecken-
)Auflage gegen den Veranstalter S. zu erlassen, kann das Gericht nicht erkennen.
Angesichts der dargelegten Verpflichtung der Versammlungsbehörde, eine von ihr
bestätigte Versammlung zu schützen und ihre Durchführung aktiv zu ermöglichen,
einerseits und der dargelegten Gefahren gewalttätiger Auseinandersetzungen
andererseits ist es nicht zu beanstanden, dass der Antragsteller hinsichtlich der Wahl
seines Veranstaltungsortes zurückstehen muss.
Angesichts der mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden massiven Blockaden und
gewalttätigen Angriffe auf den rechtsextremen Aufzug ist es nicht zu beanstanden, dass
die Polizei eine räumliche Trennung zwischen beiden Gruppen diesseits und jenseits der
S-Bahntrasse vornimmt. Im Rahmen des Möglichen wird dem Antragsteller dabei noch
ein Agieren in Seh- und Hörweite der rechtextremen Demonstration ermöglicht. Der ihm
zugewiesene Versammlungsort auf dem Scheitelpunkt der Brücke am S-Bahnhof
Prenzlauer Allee befindet sich nur ca. 150m (Entfernungsmessung nach ) von der
Kreuzung Prenzlauer Alle/Wichertstraße entfernt. Die Hörweite zu dem Aufzug des S. ist
hier ohne Behinderung gegeben. Eine Sichtachse vom Scheitelpunkt der Brücke zur
Kreuzung Prenzlauer Allee/ Wichertstraße/Grellstraße ist ebenfalls vorhanden. Die vom
Antragsteller gewünschte akustische und visuelle Kommunikation ist somit problemlos
möglich. Der Antragsteller befindet sich nunmehr sogar deutlich näher an dem Aufzug
des S., als dies bei dem von ihm angemeldeten Kundgebungsort an der Kreuzung
Wisbyer Straße/Ostseestraße/Prenzlauer Allee der Fall gewesen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Wertfestsetzung auf den §§
39 ff., 52 f. GKG. Es wurde gemäß ständiger Spruchpraxis der Kammer und des 1.
Senats des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg der volle Auffangstreitwert
angesetzt, da es inhaltlich um eine Vorwegnahme der Hauptsache geht.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum