Urteil des VG Berlin vom 17.12.2010

VG Berlin: ohne aussicht auf erfolg, wissenschaft und forschung, körperliche integrität, schule, schüler, eltern, veranstaltung, einwilligung, unterricht, anhörung

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Gericht:
VG Berlin 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 500.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 62 Abs 2 SchulG BE, § 63 Abs
2 Nr 1 SchulG BE, § 63 Abs 4
SchulG BE, § 63 Abs 5 SchulG
BE, § 81 Abs 2 SchulG BE
Rechtsschutz gegen schulische Ordnungsmaßnahme
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag der 15-jährigen Klägerin, ihr für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu
bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, mit dem sie sich gegen eine ihr
gegenüber ergangene Ordnungsmaßnahme wendet, war abzulehnen, weil die Klage
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 ZPO).
Die Klage richtet sich gegen den durch Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für
Bildung, Wissenschaft und Forschung vom 29. Juli 2010 bestätigten Bescheid der O.-
Schule (Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe) vom 20. Mai 2010, mit dem der
Klägerin wegen verschiedener Regelverstöße während einer vom 24. April bis 8. Mai 2010
durchgeführten Schülerfahrt in die Türkei ein schriftlicher Verweis erteilt und ihr das
Halten eines Referats sowie die Ableistung einer sozialen Arbeit in der Schule
aufgegeben wurden. Diese Maßnahmen hatte der Jahrgangsausschuss der O.-Schule in
einer Konferenz vom 18. Mai 2010 nach Anhörung der Klägerin und ihrer Mutter
beschlossen. Im Wesentlichen lag dieser Entscheidung der – von der Klägerin nicht
bestrittene – Vorwurf zugrunde, sie habe die an einem Tag der Schülerreise bis 20.00
Uhr gewährte Freizeit um zwei Stunden überzogen und sich in einem Nachbarort
tätowieren lassen.
Nach der im vorliegenden Verfahren nur gebotenen und möglichen summarischen
Prüfung bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die mit der Klage angegriffene
Maßnahme. Bei dem Verweis handelt es sich um eine Ordnungsmaßnahme nach § 63
Abs. 2 Nr. 1 SchulG, die verhängt werden kann, soweit Erziehungsmaßnahmen nach § 62
SchulG nicht zu einer Konfliktlösung geführt haben oder keine Aussicht auf Erfolg
versprechen. Die weiteren Maßnahmen sind Erziehungsmaßnahmen gemäß § 62 Abs. 2
SchulG, die dort nicht abschließend aufgeführt sind.
Entgegen der Ansicht der Klägerin war der hier unter Vorsitz der Schulleiterin, Frau H.,
tagende Jahrgangsausschuss zuständig; denn bei der von der Klägerin besuchten Schule
handelt es sich um eine Gesamtschule, bei der die Aufgaben der Klassenkonferenz (zu
denen gemäß § 63 Abs. 5 Satz 1 auch die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme der
hier vorliegenden Art gehört) durch die Jahrgangskonferenz oder die Semesterkonferenz
wahrgenommen werden, die jeweils Ausschüsse bilden können, wobei der Schulleiter den
Vorsitz führt (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SchulG). Schüler- und die Elternvertretung waren
gemäß § 82 Abs. 5 Satz 2, 1. Halbsatz SchulG nicht zu beteiligen. Da sich die
Wahrnehmung des Vorsitzes aus § 81 Abs. 2 SchulG ergibt und keine Wahl voraussetzt,
geht der Einwand der Klägerin, die Wahl des Vorsitzes sei nicht ordnungsgemäß
durchgeführt worden, ins Leere.
Die nach § 63 Abs. 4 SchulG erforderliche Anhörung der Klägerin und ihrer
Erziehungsberechtigten wurde gewährleistet. Dazu reicht es aus, dass den Betroffenen
Gelegenheit zur Äußerung zu der in Betracht gezogenen Maßnahme und deren
entscheidungserheblichen Grundlagen gegeben wird. Zu der Konferenz vom 18. Mai
2010 wurden die Eltern der Klägerin mit einem an „Fam. Voigt“ adressierten Schreiben
geladen. Als Anlass wurde darin genannt: „Gehäufte Regelverstöße auf der Türkeifahrt“
sowie „Tätowieren während der Fahrt“. Anwesend waren auf der Konferenz die Klägerin,
ihre Mutter sowie deren Lebensgefährte. Abgesehen davon, dass eine schriftliche
Einladung nicht geboten war, zeigt die Klägerin einen relevanten Anhörungsmangel nicht
dadurch auf, dass sie den Zugang des Einladungsschreibens bestreitet; denn sie und
ihre Mutter wurden offensichtlich zuverlässig über die bevorstehende Konferenz und die
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ihre Mutter wurden offensichtlich zuverlässig über die bevorstehende Konferenz und die
dabei gewünschte Anwesenheit unterrichtet. An einer Entscheidung war der
Jahrgangsausschuss auch nicht dadurch gehindert, dass der leibliche Vater der Klägerin
der Einladung nicht gefolgt war; denn es konnte davon ausgegangen werden, dass er
ebenso wie deren Mutter entsprechend unterrichtet war, von der Möglichkeit der
Teilnahme jedoch keinen Gebrauch machen wollte. Dafür spricht, dass nach einem
Vermerk der Kerngruppenleiterin vom 24. Juni 2010 eine Zusammenarbeit mit den
Eltern der Klägerin in der Vergangenheit stets unproblematisch war, weil diese
gegenüber der Schule immer wieder versichert hatten, sich untereinander zu
verständigen und über die schulischen Belange der Klägerin zu unterrichten. Anspruch
auf Teilnahme eines Rechtsbeistandes an der Konferenz hatte die Klägerin nicht. Dies
ergibt sich daraus, dass § 14 VwVfG, der es einem Beteiligten erlaubt, zu Verhandlungen
und Besprechungen mit einem Beistand zu erscheinen (Abs. 4), gemäß § 2 Abs. 2
VwVfG Bln für den Bildungsbereich nicht gilt, der gemäß § 2 Abs. 1 VwVfG Bln auch den
Bereich des Schulwesens umfasst (vgl. hierzu bereits Beschluss der Kammer vom 11.
März 2004 – VG 3 A 155.04 -).
Nicht durchzudringen vermag die Klägerin mit dem Einwand, sie sei mit den gegen sie
erhobenen Vorwürfen vor Erlass der Maßnahme nicht näher konfrontiert worden. Bereits
das Einladungsschreiben zu der Konferenz kündigte an, dass neben dem Vorfall des
Tätowierens weitere gehäufte Regelverstöße Gegenstand der Ausschusssitzung sein
würden. Allein mit dem unsubstantiierten Bestreiten des Zugangs dieses Schreibens
kann die Klägerin nicht belegen, insoweit im Unklaren gelassen worden zu sein. Auch in
dem Protokoll der Konferenz wurde festgehalten, dass neben dem Vorfall des
Tätowierens weitere Regelverstöße, wie (Un-)Pünktlichkeit und Rauchen sowie massives
Zuspätkommen Beratungsgegenstand waren. Erforderlich ist nicht, dass diese Vorfälle
noch detaillierter in dem Protokoll hätten festgehalten werden müssen, zumal die
Klägerin sie auch der Sache nach nicht bestritten hat. Selbst wenn diese Vorwürfe
erstmals im Widerspruchsbescheid hinsichtlich Tag und Uhrzeit präzisiert und hinsichtlich
eines Vorfalls ergänzt wurden, bei dem die Klägerin zu einer Wanderung während der
Türkeifahrt verspätet und ohne ausreichenden Wasservorrat erschienen sei, ändert dies
nichts daran, dass die angefochtenen Maßnahmen sich maßgeblich darauf stützen, dass
die Klägerin eigenmächtig länger als ihr erlaubt worden war der Gruppe fern blieb und,
ohne eine Einwilligung ihrer Eltern vorweisen zu können, sich tätowieren ließ.
Der der Klägerin erteilte Verweis und die in diesem Zusammenhang gegen sie
verhängten Erziehungsmaßnahmen erscheinen hierdurch gerechtfertigt, insbesondere
kann von einer Unverhältnismäßigkeit nicht die Rede sein. Ausweislich des
Schülerbogens war die Klägerin bereits seit dem Jahre 2007 durch wiederholte
Disziplinverstöße aufgefallen und entsprechend abgemahnt worden. Dies betraf
Verstöße gegen das Rauchverbot, unentschuldigtes Fehlen, zahlreiche Verspätungen,
unzureichende Vorbereitung auf den Unterricht, nicht mitgebrachte Arbeitsmaterialien,
verweigerte Mitarbeit und gezielte Störung im Unterricht, Verstoß gegen das Verbot der
Benutzung eines Handys. Allein hierin zeigt sich, dass die Einschätzung des
Jahresgangsausschusses, dass bloße weitere Erziehungsmaßnahmen zu keiner
Verhaltensänderung führen würden, nicht zu beanstanden ist. Damit hat der
Jahrgangsausschuss erkennbar der Tatsache Rechnung getragen, dass Regelverstöße
von Schülern während einer schulischen Veranstaltung wie einer Klassenfahrt schwerer
wiegen und konsequenter zu ahnden sind; denn es liegt auf der Hand, dass es bei einer
solchen schulischen Veranstaltung in ganz besonderem Maße darauf ankommt, dass die
hier – zumal im Ausland erhöhten Aufsichtspflichten und nur begrenzten – weil schwerer
als im normalen Schulbetrieb durchsetzbaren – Einwirkungsmöglichkeiten der die
Schüler begleitenden Lehrpersonen nicht durch undiszipliniertes und die Autorität dieser
Lehrpersonen missachtendes Verhalten einzelner Schüler konterkariert werden und
damit der Erfolg der Klassenreise gefährdet wird. Ausweislich eines Vermerks der
Schulleiterin war es zu Überlegungen der die Schüler begleitenden Lehrkräfte
gekommen, wegen des erwähnten Vorfalls die Fahrt abzubrechen.
Insbesondere der gegen die Klägerin erhobene Vorwurf, die Situation der Klassenfahrt
ausgenutzt zu haben, um sich eigenmächtig tätowieren zu lassen, ließ eine
Ordnungsmaßnahme notwendig erscheinen. Die Klägerin war während der Klassenfahrt
der Obhut der die Schüler begleitenden Lehrkräfte anvertraut und daher in besonderem
Maße verpflichtet, es nicht zu Konflikten kommen zu lassen, die den Vorwurf einer
Verletzung der Aufsichtspflicht nahelegen könnten. Dadurch, dass sich die Klägerin
während der Klassenreise tätowieren ließ und sich damit ohne Einwilligung ihrer Eltern
einem Eingriff in ihre körperliche Integrität unterzog, der durchaus mit nicht
unerheblichen Risiken behaftet war (Gefahr von Infektion und Narbenbildung)
beschädigte sie das für den Erfolg der Reise unverzichtbare Vertrauensverhältnis
zwischen Schülern und Lehrern derart, dass es angemessen erscheint, es nicht zuletzt
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zwischen Schülern und Lehrern derart, dass es angemessen erscheint, es nicht zuletzt
auch aus generalpräventiven Erwägungen nicht bei einer Erziehungsmaßnahme
bewenden zu lassen.
Der Beklagte hat darüber hinaus zutreffend dargelegt, dass die vorgesehene Aufnahme
des Verweises in das Zeugnis zulässig und nicht unverhältnismäßig ist, zumal es sich
nicht um ein Abgangs- oder Abschlusszeugnis handelt.
Soweit sich die Klägerin gegen die ihr auferlegte Pflicht, ein Referat über die mögliche
gesundheitliche Gefährdung beim Tätowieren zu halten und nach Absprache mit der
Kerngruppenleitung eine soziale Arbeit in der Schule zu verrichten, begehrt sie ohne
Aussicht auf Erfolg feststellen zu lassen, dass sie dazu nicht habe verpflichtet werden
dürfen. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Vorgehen der Schule auch insoweit
nicht rechtswidrig, etwa weil es – so die Klägerin – an einer ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung fehle. Um Ordnungsmaßnahmen im Sinne des § 63 SchulG handelt es sich
insoweit nicht. Die in § 62 SchulG für Erziehungsmaßnahmen vorgesehene
Rechtsgrundlage ist insoweit ausreichend.
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