Urteil des VG Berlin vom 14.10.2010

VG Berlin: besondere härte, vorzeitige entlassung, zivildienst, hauptsache, zdg, bundesamt, aufnehmen, ausbildung, wartezeit, wahrscheinlichkeit

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Gericht:
VG Berlin 23.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
23 L 328.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 123 Abs 1 S 2 VwGO, § 43 Abs
2 Nr 1 ErsDiG
Vorzeitige Entlassung aus dem Zivildienst wegen
Studienaufnahme
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vom 14. Oktober 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die vorzeitige Entlassung aus dem Zivildienst, um ein
Hochschulstudium aufnehmen zu können.
Nachdem er 25. Juni 2010 die Allgemeine Hochschulreife erreicht hatte, berief das
Bundesamt für den Zivildienst (im Folgenden Bundesamt) den Antragsteller mit
Bescheid vom 7. Juli 2010 zum Zivildienst im Zeitraum vom 1. August 2010 bis zum 30.
April 2011 bei den D. ein. Seinen Dienst trat er wie angeordnet an. Mit Bescheid vom 24.
September 2010 ließ die Humboldt-Universität zu Berlin den Antragsteller im
Nachrückverfahren zum Wintersemester 2010/11 zum Studiengang „Bachelor of Arts –
Regionalstudien Asien/Afrika“ zu. Seinen Antrag auf vorzeitige Entlassung lehnte das
Bundesamt mit Bescheid vom 4. Oktober 2010 und mit Widerspruchsbescheid vom 13.
Oktober 2010 ab. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 setzte das Bundesamt aufgrund
des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2010 die Dienstzeit auf den Zeitraum vom 1. August
2010 bis zum 31. Januar 2011 fest.
II.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den
Antragsteller sofort aus dem Zivildienst zu entlassen,
hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Nach
§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn
diese Regelung nötig ist. Die vom Antragsteller begehrte sofortige Entlassung aus dem
Zivildienst geht über eine einstweilige Regelung hinaus und führte zu einer
Vorwegnahme der Hauptsache. Dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen
Anordnung entsprechend kann das Gericht grundsätzlich aber nur vorläufige Regelungen
treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er in
einem Hauptsacheverfahren erreichen könnten. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist
zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) nur
ausnahmsweise möglich, wenn ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass
der Antragsteller in der Hauptsache obsiegt (Anordnungsanspruch), und ihm durch die
Verweisung auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren ein unzumutbarer schwerer
Nachteil entsteht (Anordnungsgrund). Das ist hier nicht der Fall.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht für die mit der Vorwegnahme der
Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Nach der – im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen – summarischen Prüfung hat die
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vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen – summarischen Prüfung hat die
Hauptsache keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil die Versagung der vorzeitigen
Entlassung aus dem Zivildienst rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen
Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); er hat keinen Anspruch nach § 43 Abs. 2
Nr. 1 des Zivildienstgesetzes (ZDG). Nach dieser Vorschrift kann ein Dienstleistender
auf seinen Antrag entlassen werden, wenn das Verbleiben im Zivildienst für ihn wegen
persönlicher, insbesondere häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe, die nach
dem für den Dienstantritt festgesetzten Zeitpunkt entstanden sind, eine besondere
Härte bedeuten würde. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Bei dem Tatbestandsmerkmal der besonderen Härte handelt es sich um einen
unbestimmten, gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriff, welcher mit demselben in
der Zurückstellungsvorschrift des § 11 Abs. 4 ZDG enthaltenen Begriff inhaltlich
übereinstimmt. Er konkretisiert den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine besondere Härte verursachen nur solche
Gründe, welche die Ableistung des Zivildienstes in dem durch den
Heranziehungsbescheid bestimmten Zeitraum zu einer unverhältnismäßig hohen
Belastung werden lassen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. August 2010 – 11 L
1192/10 -, juris). Eine besondere Härte liegt mithin nur dann vor, wenn die Fortsetzung
des Zivildienstes den Zivildienstleistenden schwerer trifft als andere Zivildienstleistende
in gleicher Lage. Das bedeutet zugleich, dass der Zivildienstleistende die mit der
Ableistung des Zivildienstes typischerweise verbundenen Nachteile hinnehmen muss. So
stellt der bloße Zeitverlust, den der Zivildienst bewirkt, als solches keine besondere
Härte im Sinne von § 43 Abs. 2 Nr. 1 ZDG dar. Darüber hinaus mutet der Gesetzgeber
den Zivildienstleistenden auch etwaige zivildiensttypische Nachteile bei der Ausbildung
und im beruflichen Fortkommen zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. November 2006 –
BVerwG 6 C 22.05 – juris, zu § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG). Von § 42 Abs. 2 Nr. 1 ZDG sind
daher – neben außergewöhnlichen Belastungen des Zivildienstleistenden aus sonstigen
persönlichen Gründen – nur atypische berufsbezogene Fallgestaltungen erfasst (vgl.
BVerwG, a.a.O; Beschluss vom 9. Oktober 2001 – BVerwG 6 B 57.01 –, juris).
Der Umstand, dass der Antragsteller zwischen dem regulären Ende seines Zivildienstes
am 31. Januar 2011 und dem Beginn der Vorlesungen am 17. Oktober 2011 acht Monate
und 16 Tage auf die Aufnahme seines Studiums zu warten hat, begründet nach diesem
Maßstab keine besondere Härte. Vielmehr handelt es sich bei der mehrmonatigen
Wartezeit auf den Beginn des Studiums lediglich um eine allgemeine Härte. Es fehlt an
einer atypischen Situation, in der die Dienstverpflichtung den Antragsteller ungleich
härter trifft als andere Zivildienstleistende, zumal er den Verlust einer einmaligen
Studienchance nicht einmal selbst geltend macht. Aufgrund der verkürzten
Zivildienstzeit auf sechs Monate und dem Umstand, dass zahlreiche Studiengänge
zwischenzeitlich auf einen Jahresrhythmus umgestellt worden sind (vgl. hierzu VG
Düsseldorf, a.a.O.), muss nunmehr eine Vielzahl von Zivildienstleistenden mehr als
sechs Monate zwischen dem Ende ihres Zivildienstes und der Aufnahme einer
Ausbildung oder eines Studiums warten. Insbesondere haben inzwischen nahezu alle
Zivildienstleistende mit Studienabsicht, deren angestrebtes Studienfach – wie das des
Antragstellers – nur zum Wintersemester beginnt, mindestens sechs Monate auf den
Beginn ihrer universitären Ausbildung zu warten. Da zwischen Erwerb des Abiturs und
Beginn des Wintersemesters üblicherweise weniger als sechs Monate liegen, haben
Zivildienstleistende mit Studienabsicht regelmäßig nach ihrem Abitur bis zum
Studienbeginn im Wintersemester ihren Zivildienst nicht voll abgeleistet. Daher können
sie ihr Studium stets erst ein Jahr nach ihrem Schulabschluss aufnehmen. Zutreffend
hat das Bundesamt in seiner Antragserwiderung darauf hingewiesen, dass sich jährlich
eine große Anzahl Zivildienstleistender in einer ähnlichen Situation wie der Antragsteller
befindet. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass die Fortsetzung des
Zivildienstes den Antragsteller anders trifft als Zivildienstleistende mit Studienabsicht im
Allgemeinen. Vielmehr realisiert sich beim Antragsteller eine Folge, die der Gesetzgeber
mit der Verkürzung der Wehr- und Zivildienstzeit offenbar bewusst in Kauf genommen
hat.
Ohnehin überschreitet ein durch den Zivildienst insgesamt eintretender Zeitverlust von
einem Jahr regelmäßig nicht das Maß, das einem Zivildienstleistenden zugemutet
werden kann. Der Zeitverlust, der dem Antragsteller durch den Zivildienst insgesamt
entsteht, beträgt lediglich ein Jahr, da er sein Studium aufgrund des Zivildienstes nicht
zum Wintersemester 2010/11, sondern erst zum Wintersemester 2011/12 aufnehmen
kann. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht entscheidend darauf an, nach welcher
Methode die nach Ende des Zivildienstes verbleibende, dem Zivildienst zurechenbare
Wartezeit zu ermitteln ist. Insbesondere ist ohne Bedeutung, ob diese Wartezeit ins
Verhältnis mit der verbleibenden Zivildienstzeit (so der Antragsteller mit Verweis auf VG
Koblenz, Beschluss vom 30. August 2010 – 7 L 1010/10.KO –; vgl. VG Oldenburg,
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Koblenz, Beschluss vom 30. August 2010 – 7 L 1010/10.KO –; vgl. VG Oldenburg,
Beschluss vom 1. September 2010 – 7 B 2151/10 – juris, m.w.N.) oder mit der gesamten
Zivildienstzeit (so die Antragsgegnerin mit Verweis auf VG Düsseldorf, Beschluss vom
11. August 2010 – 11 L 1192/10 –) zu setzen ist.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob es dem Antragsteller nicht
ohnehin verwehrt wäre, sich auf das Vorliegen einer besonderen Härte zu berufen, weil in
der Bewerbung um den Studienplatz zu einem Zeitpunkt, zu dem die Einberufung zum
Zivildienst unmittelbar bevorstand, ein pflichtwidriges Verhalten und damit eine
missbräuchliche Rechtsausübung liegen könnte (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 20.
April 2009, – BVerwG 6 B 107/08 und 6 B 107/08 (6 PKH 30/08) –, juris).
Ebenso wenig kommt es darauf an, ob im Einzelfall eine die vorzeitige Entlassung
rechtfertigende besondere Härte vorliegt, wenn ein studieninteressierter
Zivildienstleistender – anders als der Antragsteller – im Zeitpunkt des geplanten
Studienbeginns bereits den weit überwiegenden Teil seines Zivildienstes abgeleistet hat,
also etwa nur noch wenige Wochen Zivildienst zu einem Zeitverlust von einem Jahr
führen würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des
Verfahrenswertes folgt aus §§ 39 ff., 52 f. GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 75 Satz 1 ZDG).
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