Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 16.05.1995

VerfG Nordrhein-Westfalen (kürzung, mitarbeiter, antragsteller, pauschale, einleitung des verfahrens, höhe, verfügung, verhältnis zu, entschädigung, büro)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 20/93
Datum:
16.05.1995
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 20/93
Normen:
Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 1 bis 3, 30 Abs. 2, 50 Satz 1 LV,
§ 43 VerfGHG NW, § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW
Leitsätze:
1. Der Ältestenrat des Landtags Nordrhein-Westfalen ist aufgrund der
geschäftsordnungsrechtlichen Zuweisung von
Wahrnehmungszuständigkeiten im Organstreitverfahren vor dem
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen parteifähig.
2. Die Pauschale zur Entschädigung des Sachaufwandes der
Wahlkreisarbeit eines Abgeordneten ist ein wesentlicher Teil seiner
finanziellen Ausstattung. Diese Pauschale einschließlich etwaiger
Abstufungen ist deshalb durch Parlamentsgesetz festzusetzen.
Tenor:
Es wird festgestellt, daß der Ältestenrat des Landtags Nordrhein-
Westfalen durch den Erlaß der Ausführungsbestimmungen vom 17. März
1993 zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 des Abgeordnetengesetzes Nordrhein-
Westfalen das Recht der Antragsteller auf Abgeordnetenentschädigung
aus Art. 50 Satz 1 der Landesverfassung verletzt hat.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Antragsteller wenden sich dagegen, daß die ihnen als Abgeordnete zustehende
monatliche Pauschale für allgemeine Kosten im Fall der Beschäftigung von
Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern in einem Landtagsbüro gekürzt wird.
3
I.
4
§ 6 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags Nordrhein-
Westfalen (Abgeordnetengesetz - AbgG NW -) vom 24. April 1979 (GV NW S. 238),
zuletzt geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
vom 21. Dezember 1994 (GV NW S. 1117) regelt die Aufwandsentschädigung der
Abgeordneten. Nach Abs. 1 erhält ein Abgeordneter zur Abgeltung der durch das
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Abgeordneten. Nach Abs. 1 erhält ein Abgeordneter zur Abgeltung der durch das
Mandat veranlaßten Aufwendungen eine Amtsausstattung, die Geld- und
Sachleistungen umfaßt. Abs. 2 enthält Bestimmungen über die monatlichen
Kostenpauschalen, zu denen die in Nr. 1 geregelte Pauschale für allgemeine Kosten
gehört.
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW hat durch das Sechste Gesetz zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes vom 9. Oktober 1990 (GV NW S. 572) folgende Fassung
erhalten:
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"Abgeordnete erhalten monatliche Kostenpauschalen für
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1. allgemeine Kosten, insbesondere für die Betreuung der Wahlkreise, Bürokosten,
Porto und Telefon sowie sonstige Auslagen, die sich aus der Ausübung des
Mandats ergeben, in Höhe von 2.081 DM; diese Pauschale wird nach
entsprechenden Ausführungsbestimmungen des Ältestenrats bis zu einem Betrag
von 500 DM gekürzt, wenn Abgeordnete Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter gemäß
Absatz 6 im Landtag ganz oder teilweise beschäftigen."
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Die letzte Anhebung der genannten Pauschale ist durch das Achte Gesetz zur
Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 24. November 1992 (GV NW S. 449) erfolgt;
die Pauschale beträgt danach gegenwärtig 2.191,-- DM. Nach § 6 Abs. 6 AbgG NW
werden Aufwendungen für die Beschäftigung von Mitarbeitern von Abgeordneten nach
Maßgabe des Haushaltsgesetzes ersetzt. Derzeit ist die Erstattung von Aufwendungen
für einen vollzeitbeschäftigten Mitarbeiter vorgesehen.
9
Nach den vom Antragsgegner Ende 1990 beschlossenen Ausführungsbestimmungen
zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW trat eine Kürzung der allgemeinen Kostenpauschale in
Höhe von 500,-- DM ein, wenn in dem vom Landtag zur Verfügung gestellten Büro ganz
oder überwiegend auch Wahlkreisaufgaben erledigt wurden; eine Kürzung in Höhe von
250,-- DM war vorgesehen, wenn Wahlkreisaufgaben dort zur Hälfte erledigt wurden.
10
Der Antragsgegner faßte die Ausführungsbestimmungen zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG durch
Beschluß vom 17. März 1993 wie folgt neu:
11
"§ 1
12
(1) Eine Kürzung der allgemeinen Kostenpauschale nach
13
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW tritt in der Höhe von 500 DM
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ein, wenn Abgeordnete ihre Mitarbeiterin oder ihren
15
Mitarbeiter ganz in ihrem vom Landtag zur Verfügung
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gestellten Büro beschäftigen.
17
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(2) Eine Kürzung in Höhe von 250 DM erfolgt, wenn Abgeordnete ihre
Mitarbeiterin oder ihren Mitarbeiter teilweise in ihrem vom Landtag zur
Verfügung gestellten Büro beschäftigen; eine teilweise Beschäftigung ist dann
gegeben, wenn sie unterhalb der tarifvertraglich vereinbarten Vollarbeitszeit
liegt.
19
§ 2
20
(1) Die Abgeordneten sind verpflichtet, der Landtags-
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präsidentin die entsprechenden Angaben nach dem
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beiliegenden Vordruck zu machen.
23
(2) Erfolgen die entsprechenden Angaben nicht,
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so wird eine Kürzung in Höhe von 500 DM vorgenommen.
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(3) Veränderungsmitteilungen müssen bis zum 15. des
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laufenden Monats bei der Präsidentin eingegangen sein, damit sie für den Folgemonat
noch berücksich-
27
tigt werden können.
28
§ 3
29
Diese Richtlinien treten am 1.4.1993 in Kraft.
30
Die erstmaligen Mitteilungen sind der Präsidentin
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bis zum 01.04.1993 zuzuleiten."
32
Die Präsidentin des Landtags teilte die Neufassung der Ausführungsbestimmungen zu §
6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW durch Schreiben vom 24. März 1993 mit, das den
Abgeordneten durch Hauspost am 25. März 1993 übermittelt wurde. In diesem
Schreiben heißt es, die Kürzungsregelung gehe von der Überlegung aus, daß
Abgeordnete, die Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ganz oder teilweise in vom Landtag
zur Verfügung gestellten Räumen beschäftigten, die normalerweise zusätzlich
anfallenden Aufwendungen, wie z. B. Anmietung eines Büros, Porto und Telefon,
ersparten. In einem dem Schreiben beigefügten Vordruck "Mitteilung gemäß der
Richtlinien zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW" sind folgende Antwortmöglichkeiten
vorgegeben:
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"Meine Mitarbeiterin/meinen Mitarbeiter beschäftige ich
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ganz in einem vom Landtag zur Verfügung gestellten Büro
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(Kürzung um 500,-- DM)
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teilweise, d. h. unterhalb der tarifvertraglich vereinbarten Vollarbeitszeit in einem
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vom Landtag zur Verfügung gestellten Büro
(Kürzung um 250,-- DM)
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nicht in einem vom Landtag zur Verfügung gestellten Büro
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(keine Kürzung)".
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Die Antragsteller zu 1., 3. - 5. gaben an, eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter
teilweise im Sinne der Richtlinien zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW zu beschäftigen. Der
Antragsteller zu 2. wies, ohne den Vordruck auszufüllen, die Präsidentin des Landtags
darauf hin, daß neben der in seinem Landtagsbüro beschäftigten Mitarbeiterin unter
anderem ein weiterer Mitarbeiter für ihn tätig sei, der nicht in einem vom Landtag zur
Verfügung gestellten Büro arbeite. Allen Antragstellern wird seit dem 1. April 1993 - dem
Antragsteller zu 2. bis zu seinem Ausscheiden im Dezember 1994 - die monatliche
Pauschale für allgemeine Kosten um 250,-- DM gekürzt.
41
II.
42
Die Antragsteller haben am 17. September 1993 das vorliegende Verfahren eingeleitet
und in der mündlichen Verhandlung klargestellt, daß sie ihr Begehren gegen den
Ältestenrat des Landtags Nordrhein-Westfalen richten.
43
Sie beantragen,
44
festzustellen, daß der Antragsgegner durch den Erlaß der
Ausführungsbestimmungen vom 17. März 1993 zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW ihr
Recht auf Abgeordnetenentschädigung aus Art. 50 Satz 1 LV verletzt hat.
45
Zur Begründung machen sie im wesentlichen geltend:
46
Die Ausführungsbestimmungen vom 17. März 1993 seien bereits deshalb nichtig, weil
der Landtag die Konkretisierung der in § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW geregelten
Kürzungstatbestände mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot nicht auf den Antragsgegner
habe delegieren dürfen. An die Bestimmtheit seien besonders dann strenge
Anforderungen zu stellen, wenn - wie vorliegend - ein Gremium die
Ausführungsbestimmungen zu erlassen habe, das mangels Öffentlichkeit bei seinen
Sitzungen nur eingeschränkter demokratischer Kontrolle unterliege. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 40, 296 [327]) verlange das
demokratische und rechtsstaatliche Prinzip gerade dann, wenn es um die Festsetzung
der Höhe und die nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen
finanziellen Regelungen gehe, daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger
durchschaubar sei und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen
werde.
47
Die Kürzung der Pauschale für die allgemeinen Kosten greife in statusverletzender
Intensität in die freie Gestaltung ihrer parlamentarischen Tätigkeit ein. Die
verfassungsrechtlich geforderte Unabhängigkeit des Abgeordneten umfasse das Recht,
das Mandat nach eigener Konzeption auszuüben. Nicht nur die alimentierende
Entschädigung, sondern auch die daneben gewährte Amtsausstattung in Form von
Finanz- und Sachmitteln müsse darauf ausgerichtet sein, ein Höchstmaß an
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individueller Gestaltungsfreiheit in politisch-inhaltlicher wie organisatorisch-
administrativer Hinsicht zu ermöglichen und dauerhaft zu gewährleisten. Dazu gehöre
auch die Bestimmung des Arbeitsorts der Mitarbeiter. Als Mitglieder einer kleineren
Fraktion hätten sie den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit notwendigerweise im Parlament.
Dort müsse auch sinnvollerweise die notwendige Zuarbeit durch die Mitarbeiter
erfolgen.
Ferner verstoße die Kürzung gegen den formalisierten Gleichheitssatz. Die Regelung
differenziere nicht hinreichend. Sie, die Antragsteller, seien wegen der Wahrnehmung
einer Vielzahl parlamentarischer Aufgaben deutlich stärker belastet als die Mitglieder
einer großen Fraktion. Außerdem werde nicht berücksichtigt, daß etliche Abgeordnete,
so auch sie, mehrere Mitarbeiter beschäftigten. Ein vollzeitig im Landtag beschäftigter
Abgeordnetenmitarbeiter bringe keine Kostenentlastung, wenn gleichzeitig ein weiterer
Mitarbeiter im Wahlkreis vollständig mit der Wahlkreisarbeit betraut sei. Zudem sei zu
berücksichtigen, daß die Mitglieder der kleineren Fraktionen nicht nur einen Wahlkreis
betreuten, sondern als Folge der Entsendung über die Reserveliste ihrer Partei
landesweite Tätigkeit entfalteten. Ein Abgeordneter, dessen Wahlkreis sich in Nähe des
Landtags befinde, könne unter Ausnutzung moderner
Telekommunikationseinrichtungen die Kürzung der Kostenpauschale umgehen, indem
er seinen Mitarbeiter oder seine Mitarbeiterin überwiegend im Wahlkreis einsetze.
Schließlich werde ein Abgeordneter, der durch Wahlkreisarbeit vorrangig seine
Wiederwahl verfolge, nach der aktuellen Regelung bessergestellt als derjenige, der sich
schwerpunktmäßig der parlamentarischen Arbeit widme. Es bestehe damit die Gefahr,
daß über die Kostenpauschale verdeckte Parteienfinanzierung erfolge; Wahlkreisarbeit
und parteipolitische Betätigung lägen außerordentlich dicht beieinander.
49
Der Antragsgegner beantragt,
50
den Antrag zurückzuweisen.
51
Eine weitere Stellungnahme hat er nicht abgegeben.
52
Die Landesregierung ist dem Verfahren nicht beigetreten.
53
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verfahrensakte verwiesen.
54
B.
55
Der Antrag ist zulässig.
56
I.
57
Er ist im Organstreitverfahren gemäß Art. 75 Nr. 2 LV, § 12 Nr. 5, § 43 VerfGHG NW
statthaft. Der zur verfassungsgerichtlichen Entscheidung gestellte Streit betrifft das
verfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Beteiligten zueinander. Denn das Recht auf
Aufwandsentschädigung gehört zum materiellen Parlamentsrecht (BVerfGE 4, 144 [150
f.], 40, 296 [311]); es ist Bestandteil des verfassungsrechtlichen Status des
Abgeordneten (BVerfGE 64, 301 [313]).
58
II.
59
1. Antragsteller in einem Organstreitverfahren können auch einzelne
Parlamentsabgeordnete sein (BVerfGE 10, 4 [10 f.]; VerfGH NW, NWVBl. 1994,
10). Die Niederlegung des Mandats durch den Antragsteller zu 2. hat seine
Parteifähigkeit nicht berührt. Für sie genügt es, daß er bei Einleitung des
Organstreitverfahrens dem Landtag angehörte (vgl. BVerfGE 4, 144 [152]).
60
1. Auch der Antragsgegner ist im vorliegenden Verfahren parteifähig. Beteiligte eines
Organstreitverfahrens können gemäß Art. 75 Nr. 2 LV, § 43 VerfGHG NW nur die
in der Verfassung oder in einer Geschäftsordnung mit eigenen Rechten
ausgestatteten Organe oder Teile dieser Organe sein. Bei einer Zuweisung
eigener Rechte - dazu gehören auch Wahrnehmungszuständigkeiten - ist der
Organteil für das Organstreitverfahren allgemein parteifähig (vgl. Stern in: Bonner
Kommentar zum Grundgesetz, Art. 93 Rdnr. 107 und 109).
61
Dem Antragsgegner sind durch die Geschäftsordnung des Landtags Nordrhein-
Westfalen alter wie neuer Fassung (GOLT a.F. bzw. n.F.)
Wahrnehmungszuständigkeiten zugewiesen worden, die seine Parteifähigkeit im
Organstreitverfahren begründen (vgl. etwa § 23 Abs. 1 GOLT n.F. [§ 24 Abs. 2 Satz 1
GOLT a.F.], § 27 Abs. 3 GOLT n.F. [§ 28 Abs. 3 GOLT a.F.], § 37 Satz 1 GOLT n.F. [§ 38
Abs. 1 Satz 1 GOLT a.F.], § 37 Satz 2 GOLT n.F. [§ 38 Abs. 1 Satz 2 GOLT a.F.]; im
gleichen Sinne zur Stellung des Ältestenrates des Deutschen Bundestags: Stern, a.a.O.
Rdnr. 120; ferner Niedersächsischer StGH OVGE 17, 508 [511] für den Ältestenrat des
niedersächsischen Landtages).
62
III.
63
Der Antragsgegner ist auch passiv prozeßführungsbefugt. Nur ihm gegenüber darf zur
Sache erkannt werden. Gemäß § 44 Abs. 1 VerfGHG NW ist der Antrag im
Organstreitverfahren gegen das Organ oder den Organteil zu richten, durch dessen
Maßnahme oder Unterlassung die geltend gemachte Rechtsverletzung verursacht
worden ist. Danach kann ein Organ nicht wegen des Verhaltens eines eigene Rechte
wahrnehmenden Organteils verklagt werden (Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 3.
Aufl. 1991, S. 116). Der Beschluß über die Ausführungsbestimmungen ist allein dem
Antragsgegner zuzurechnen. Aufgrund der Übertragung durch § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG
NW übt er die Aufgabe, Ausführungsbestimmungen zur gesetzlichen Anordnung einer
Kürzung der allgemeinen Kostenpauschale zu erlassen, kraft eigener Verantwortung
und unabhängig aus (vgl. zur Übertragung der Ordnungsgewalt des Parlaments auf den
Bundestagspräsidenten: BVerfGE 60, 374 [379]). Der Landtag hat sich dieser Aufgabe
vorbehaltlos und uneingeschränkt durch Delegation begeben. Er könnte sie nur durch
eine Gesetzesänderung ganz oder teilweise zurückholen.
64
IV.
65
Die Antragsteller haben mit der Einleitung des Verfahrens am 17. September 1993 die
66
Antragsfrist des § 44 Abs. 3 VerfGHG NW gewahrt. Von vornherein haben sie geltend
gemacht, durch den Erlaß der Ausführungsbestimmungen zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW
seien sie in ihren Abgeordnetenrechten verletzt worden. Daß sie zunächst den Landtag
als Antragsgegner benannt haben, ist unschädlich. Der Benennung des Ältestenrates
als Antragsgegner kommt lediglich klarstellende Funktion zu.
C.
67
Der Antrag ist auch begründet. Der Antragsgegner hat die Antragsteller durch den Erlaß
der Ausführungsbestimmungen vom 17. März 1993 zu § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW in
ihrem Recht auf Abgeordnetenentschädigung aus Art. 50 Satz 1 LV verletzt.
68
I.
69
Nach Art. 50 Satz 1 LV erhalten die Mitglieder des Landtags Entschädigung nach
Maßgabe eines Gesetzes. Diese Verfassungsbestimmung gewährleistet die materielle
Sicherung der freien Ausübung des Mandats und ist damit ein wesentlicher Bestandteil
des verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten, wie er allgemein durch Art. 30
Abs. 2 LV garantiert wird (vgl. dazu VerfGH NW, NWVBl. 1994, 10). Die Entschädigung
iSd Art. 50 Satz 1 LV ist die Gesamtheit der statussichernden finanziellen Ansprüche
des Abgeordneten. Dazu gehört neben dem Anspruch auf ein "Entgelt für die
Inanspruchnahme des Abgeordneten durch sein zur Hauptbeschäftigung gewordenes
Mandat" (BVerfGE 40, 296 [314]) das Recht auf Ausgleich des tatsächlich entstandenen,
sachlich angemessenen, mit dem Mandat verbundenen besonderen Aufwands
(BVerfGE 4, 144 [153]). Art. 50 Satz 1 LV überläßt die nähere Ausformung der
verfassungsmäßigen Entschädigung einschließlich der Aufwandsentschädigung
seinem Grundsatzcharakter entsprechend der (einfach-) gesetzlichen Regelung. Die
unterverfassungsrechtliche Konkretisierung des Art. 50 Satz 1 LV wahrt nur dann das
Recht auf Abgeordnetenentschädigung, wenn sie die aus dieser Vorschrift in
Verbindung mit dem demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzip (Art. 1 - 3 LV iVm Art.
20 Abs. 1, 28 Abs 1 Satz 1 GG) hervorgehenden Vorgaben einhält.
70
II.
71
Diesen Anforderungen genügen die Ausführungsbestimmungen vom 17. März 1993
schon deshalb nicht, weil die Ermächtigung zu ihrem Erlaß in § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW
mit Art. 50 Satz 1 LV nicht im Einklang steht.
72
1.
Antragsgegner die Befugnis zum Erlaß von Ausführungsbestimmungen eingeräumt wird
- Gegenstand der Prüfung in diesem Verfahren. Einer solchen Inzidentprüfung steht
nicht entgegen, daß die Antragsteller eine Verletzung ihrer Rechte durch den Erlaß der
im November 1990 verkündeten Neufassung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW nicht
innerhalb der sechsmonatigen Antragsfrist des § 44 Abs. 3 VerfGHG NW im
Organstreitverfahren geltend gemacht haben. Denn erst durch den zu einer Kürzung der
Aufwandsentschädigung der Antragsteller führenden Erlaß der
Ausführungsbestimmungen vom 17. März 1993 auf der Grundlage der
verfassungswidrigen Ermächtigung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW ist das Recht der
Antragsteller auf Abgeordnetenentschädigung verletzt worden.
73
2.
Ausführungsbestimmungen auf den Antragsgegner verstößt gegen den für den
übertragenen Regelungsbereich geltenden Vorbehalt des Parlamentsgesetzes gemäß
Art. 50 Satz 1 LV in Verbindung mit dem demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzip.
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Der in Art. 50 Satz 1 LV verwendete Begriff des Gesetzes ist mangels erläuternder
Zusätze in dieser Bestimmung nach den Besonderheiten des Regelungsbereichs der
Abgeordnetenentschädigung in Verbindung mit den allgemein für die Abgrenzung der
staatlichen Funktions- und Organbereiche geltenden Prinzipien auszulegen. Dabei sind
an die Konkretisierung des Art. 50 Satz 1 LV wegen ihres statusregelnden Charakters
nicht die für die Ausübung des Selbstorganisationsrechts bzw. der
Geschäftsordnungsautonomie des Landtags, sondern die für die Außenrechtsetzung
anzuwendenden Maßstäbe anzulegen.
75
Aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie folgt, daß das Parlament
verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen
Entscheidungen selbst zu treffen (BVerfGE 34, 165 [192 f.]; 49, 89 [126 f.]). Die
verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in erster Linie den tragenden
Prinzipien des Grundgesetzes und der Landesverfassung zu entnehmen (BVerfGE 49,
89 [127]).
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Diese für die Abgrenzung der Befugnisse der Exekutive zur Legislative entwickelten
Grundsätze erfahren im Abgeordnetenenschädigungsrecht eine Konkretisierung in
bezug auf Hilfsorgane des Parlaments. Bei der Festsetzung der Höhe und der näheren
Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen
entscheidet das Parlament in eigener Sache. Gerade in einem solchen Fall darf zur
Sicherung der nach dem demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzip geforderten
Transparenz die dem Parlament nach dem Maßstab der Wesentlichkeit vorbehaltene
Festsetzung wesentlicher Teile der finanziellen Ausstattung der Abgeordneten nur im
Wege des Parlamentsgesetzes und nicht in einem Verfahren erfolgen, das sich der
Kontrolle der Öffentlichkeit entzieht. Der gesamte Willensbildungsprozeß muß gerade
bei der Entschädigung der Abgeordneten für den Bürger durchschaubar und das
Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen werden. Dies ist die einzige
wirksame Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des
Volkes; dieses Vertrauen erfordert Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch
geschieht (BVerfGE 40, 296 [327]). Infolgedessen ist eine Delegation auf ein diesem
Transparenzgebot nicht genügendes Hilfsorgan wie den Antragsgegner
ausgeschlossen, durch die ihm über die Befugnis zur bloß technischen Umsetzung
einer gesetzlichen Vorgabe hinaus ein eigener Entscheidungspielraum in der Sache
selbst verbleibt.
77
Wegen ihrer Bedeutung für den Abgeordnetenstatus und damit für die parlamentarische
Demokratie gehört die Abgeordnetenentschädigung zu den grundlegenden normativen
Bereichen. Dabei ist das Recht auf Aufwandsentschädigung kein minderes Recht im
Verhältnis zu den eigentlichen Statusrechten (BVerfGE 4, 144, [151]). Gerade auch
Höhe und Umfang der Aufwandsentschädigung bestimmen maßgeblich die
Möglichkeiten der Gestaltung des Abgeordnetenmandats.
78
Mit der Ermächtigung in § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW hat der Landtag Nordrhein-Westfalen
die Entscheidung über die Festsetzung wesentlicher Teile der
Abgeordnetenentschädigung auf den Antragsgegner delegiert.
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Die als Bestandteil der Pauschale für die allgemeinen Kosten der Mandatsausübung
geregelte Pauschale für den sächlichen Wahlkreisaufwand ist ein wesentlicher Teil der
finanziellen Ausstattung der Abgeordneten. Das ergibt sich aus der Bedeutung der
Wahlkreisarbeit im Rahmen der Ausübung des Mandats und aus der Notwendigkeit,
den zu erstattenden Aufwand für diese Bemühungen von der (unzulässigen)
Finanzierung parteipolitischer Werbung abzugrenzen. Wenn auch die Abgeordneten in
ihrer Gesamtheit als Parlament das ganze Volk vertreten und als Repräsentanten in der
Ausübung ihres Mandats frei, insbesondere nicht an Weisungen gebunden sind, ist die
kontinuierliche Rückbindung zum Wähler während der laufenden Wahlperiode nach
dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes und der Landesverfassung ein
wichtiger Bestandteil der Tätigkeit des Abgeordneten. Ein solcher fortwährender
Austausch dient dazu, die Bürger aus der Sicht des Abgeordneten zu informieren und
Anliegen sowie Vorschläge des Bürgers aufzunehmen, um sie für die parlamentarische
Arbeit fruchtbar zu machen.
80
Indem sich der parlamentarische Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW auf die
grundsätzliche Anordnung einer Kürzung der Pauschale für den sächlichen
Wahlkreisaufwand beschränkt und die Konkretisierung dem Antragsgegner überlassen
hat, hat er sich einer ihm selbst vorbehaltenen Entscheidung begeben. Der dem
Antragsgegner aufgrund der Delegation durch § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW zugewiesene
Regelungsspielraum ermächtigt nicht lediglich zu technischer Umsetzung einer bereits
vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung, sondern räumt dem Antragsgegner einen
eigenen Spielraum bezüglich der Höhe der Abgeordnetenentschädigung ein. Zwar
ergibt sich aus § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW der Höchstbetrag des auf den sächlichen
Wahlkreisaufwand entfallenden Teils der allgemeinen Kostenpauschale (500,-- DM);
auch nennt die Vorschrift das für eine Kürzung dieses Anteils maßgebliche Kriterium
("wenn Abgeordnete Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ... im Landtag ganz oder teilweise
beschäftigen"). Die Bestimmung läßt aber offen, in welchem Umfang jeweils Kürzungen
vorzunehmen sind. Aus § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW ist trotz des insoweit
mißverständlichen Wortlauts, der eine Kürzung der allgemeinen Kostenpauschale "bis"
zu einem Betrag von 500,-- DM zuläßt, unter Berücksichtigung der Materialien und des
Verständnisses aller Beteiligten zu entnehmen, daß die Pauschale äußerstenfalls, und
zwar bei ausschließlicher Beschäftigung des Mitarbeiters im Landtag, "um" 500,-- DM zu
kürzen ist. In welcher Größenordnung bei einer nur teilweisen Beschäftigung von
Mitarbeitern im Landtag gekürzt werden soll, ist aus dem Abgeordnetengesetz indes
nicht ersichtlich. Nach der Fassung des § 6 Abs. 2 Nr. 1 AbgG NW und seinem Zweck
sind mehrere Kürzungsstufen denkbar. Bei der Gegenüberstellung zu "ganz
beschäftigen" liegt eine "teilweise" Beschäftigung immer schon dann vor, wenn sie
unterhalb der tarifvertraglich vereinbarten Vollarbeitszeit liegt. Deshalb könnte für die
Fälle, in denen Mitarbeiter mehr als zur Hälfte in einem Landtagsbüro beschäftigt
werden, ein höherer Kürzungsbetrag vorgesehen werden als für Konstellationen, in
denen ein Mitarbeiter zu einem Teil in einem Landtagsbüro arbeitet, der deutlich
unterhalb der Hälfte der tariflich vereinbarten Vollarbeitszeit liegt.
81
III.
82
Der Landtag, der nunmehr durch Parlamentsgesetz die Entscheidungen über den
Umfang und die Maßstäbe einer Kürzung der Pauchale für die Entschädigung des
sächlichen Wahlkreisaufwandes zu treffen sowie eventuelle Kürzungsstufen
festzusetzen hat, wird folgendes zu bedenken haben: Die Aufwandsentschädigung kann
83
in Orientierung am tatsächlichen Aufwand pauschaliert werden (BVerfGE 40, 296 [328]).
Dabei ist der - auch für das staatliche Handeln in bezug auf den Wettbewerb der
politischen Parteien und für das Wahlrecht geltende (VerfGH NW, NWVBl. 1994, 453
[456]) - formalisierte Gleichheitssatz zu beachten. Jeder Landtagsabgeordnete hat kraft
des ihm durch Art. 30 Abs. 2 LV garantierten verfassungsrechtlichen Status gleiche
Rechte und damit den gleichen, ungehinderten Zugang zur Mandatsausübung (vgl.
BVerfGE 40, 296 [317 f.]; 80,188 [220 f.]). Hiervon ausgehend wird der parlamentarische
Gesetzgeber die Neuregelung der Entschädigung für den sächlichen Wahlkreisaufwand
bei differenzierender Festsetzung so zu fassen haben, daß sie in bezug auf die
Ausübung des Abgeordnetenmandats nicht gleichheitswidrig zu ungerechtfertigten
(finanziellen) Vor- oder Nachteilen führt.