Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 13.08.1996

VerfG Nordrhein-Westfalen (aufsichtsbehörde, aufgaben, erhöhung, verfassungskonforme auslegung, kreis, genehmigung, auslegung, rechtskontrolle, vorschrift, verfassungsbeschwerde)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 23/94
Datum:
13.08.1996
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 23/94
Leitsätze:
§ 56 Abs. 3 KrO NW ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß die
Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage nur einer Rechtskontrolle
der Aufsichtsbehörde unterliegt.
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerde wird mit folgender Maßgabe
zurückgewiesen:
§ 56 Abs. 3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der
Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S. 646) ist
verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Erhöhung des
Umlagesatzes der Kreisumlage nur einer Rechtskontrolle der
Aufsichtsbehörde unterliegt.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der
durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
A.
1
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen § 56 Abs.
3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (KrO) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S. 646). Die Vorschrift regelt die Erhöhung
des Umlagesatzes der Kreisumlage und ihre Genehmigung.
2
I.
3
1.
Finanzzuweisungen des Bundes und des Landes, aus Gebühren, aus einer eigenen
Steuer, nämlich der Jagdsteuer, sowie aus der Kreisumlage, die von den
kreisangehörigen Gemeinden zu erheben ist, soweit die sonstigen Einnahmen den
Finanzbedarf des Kreises nicht decken (§ 56 Abs. 1 KrO; Grundsatz der nachrangigen
Finanzierung). Die Kreisumlage wird in Hundertsätzen der Umlagegrundlagen
festgesetzt, welche in den jeweils geltenden Gemeindefinanzierungsgesetzen geregelt
sind (vgl. für 1995: § 33 Abs. 1 GFG 1995).
4
2.
Aufsichtsbehörde (§ 45 Abs. 2 Halbsatz 2 KrO in der Fassung der Bekanntmachung
vom 1. Oktober 1979, GV NW S. 612). Der Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz
zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer
Kommunalverfassungsgesetze des Landes Nordrhein-Westfalen sah die Streichung
dieser Bestimmung vor (Landtag Nordrhein-Westfalen Drucksache 11/4983 S. 97). Bei
der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß für Kommunalpolitik wurde eine
Regelung zur Erhöhung des Umlagesatzes und ihrer Genehmigung vorgeschlagen
(Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschuß für Kommunalpolitik, Ausschußprotokoll vom
13. April 1994, Drucksache 11/1203, S. 48; Landtag Nordrhein-Westfalen Drucksache
11/7060, Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik, S.
96). Von einer redaktionellen Änderung abgesehen ist sie als § 56 Abs. 3 KrO Gesetz
geworden, der folgenden Wortlaut hat:
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(3) Eine Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage ist nur zulässig, wenn alle
anderen Möglichkeiten, den Kreishaushalt auszugleichen, ausgeschöpft sind. Kann der
Haushaltsausgleich nur erreicht werden, wenn der Umlagesatz der Kreisumlage erhöht
wird, bedarf die Erhöhung des Satzes der Kreisumlage der Genehmigung der
Aufsichtsbehörde. Mit dem Ziel, eine Rückführung des Umlagesatzes zu erreichen, kann
die Aufsichtsbe- hörde die Genehmigung mit Auflagen und Bedingungen für die
Gestaltung der Haushaltswirtschaft des Kreises verbinden.
6
II.
7
1.
Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er beantragt
8
festzustellen, daß § 56 Abs. 3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-
Westfalen in der Fassung der Be-kanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S.
646) die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der kommunalen
Selbstverwaltung verletzt und deshalb nichtig ist.
9
Zur Begründung macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend:
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§ 56 Abs. 3 KrO verstoße gegen das Recht der Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 LV,
das die Befugnis umfasse, das Finanzwesen im Rahmen der Gesetze
eigenverantwortlich zu regeln. Zur Einnahmehoheit gehöre das Recht, eigene Abgaben
zu erheben. Die Kreisumlage habe sich zu der zentralen Einnahmequelle der Kreise
entwickelt. Angesichts großer vom Kreis kaum beeinflußbarer Ausgabenblöcke
einerseits und einer Begrenzung der Kreisumlage durch Entscheidungen der
Aufsichtsbehörde bei gleichzeitigem Fehlen sonstiger steigerungsfähiger
Einnahmequellen andererseits werde die Finanzautonomie der Kreise im Kern
betroffen. Damit würden deren Gestaltungsbefugnisse entwertet. Soweit die staatliche
Aufsichtsbehörde Zugriff auf den Haushalt des Kreises habe, treffe sie die
maßgeblichen Entscheidungen in der Kreispolitik. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO stelle nicht
nur auf die Einnahmen, sondern auch auf die Ausgaben ab, die nur für Maßnahmen
disponibel seien, die der Kreis im Rahmen seines Selbstverwaltungsrechts freiwillig
übernommen habe. Durch die angegriffene Bestimmung erlange die staatliche
Aufsichtsbehörde ein Zugriffsrecht auf praktisch alle freiwillig wahrgenommenen
Aufgaben des Kreises. Obwohl der Mehrbedarf des Kreises in der Regel auf
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Steigerungen der Pflichtaufgaben beruhe, könne die Aufsichtsbehörde zum Ausgleich
auf Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben bestehen. Der Genehmigungsvorbehalt (§
56 Abs. 3 Satz 2 KrO) und die Befugnis, Bedingungen und Auflagen beizufügen (§ 56
Abs. 3 Satz 3 KrO), setzten die Aufsichtsbehörde in die Lage, die in § 56 Abs. 3 Satz 1
KrO geregelten Voraussetzungen in Einzeleingriffe umzusetzen. Eine
verfassungskonforme Auslegung des § 56 Abs. 3 KrO als Instrument einer bloßen
Rechtskontrolle scheide nach dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift aus. § 56 Abs.
3 Satz 1 KrO wolle nicht rechtlich unzulässige Ausgaben verhindern, sondern die
Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten erzwingen, ohne daß es auf die rechtliche
Zulässigkeit der einzusparenden Ausgaben ankomme. Auflagen und Bedingungen
seien klassische Mittel der Fachaufsicht.
Darüber hinaus verletze § 56 Abs. 3 KrO den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie
das Übermaßverbot und sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar.
12
2.
worden.
13
a)
14
b)
15
§ 56 Abs. 3 KrO verletze nicht den Kernbereich der verfassungsrechtlichen
Selbstverwaltungsgarantie. Satz 1 dieser Bestimmung zwinge den Beschwerdeführer
nicht, vor einer Erhöhung des Kreisumlagesatzes alle disponiblen Ausgaben des
Kreises auf Null zu reduzieren. Ob § 56 Abs. 3 KrO der Aufsichtsbehörde ein
kondominiales Mitspracherecht einräume, könne ebenso offen bleiben wie die Frage, ob
die Vorschrift nur die Einnahmenseite oder auch die Ausgabenseite erfasse. Seien
kondominiale Mitspracherechte verfassungsrechtlich zulässig, bestünden gegen die
Regelung von vornherein keine Bedenken. Seien sie verfassungswidrig und sei dem
Staat aus verfassungsrechtlichen Gründen nur eine Rechtskontrolle zuzugestehen,
lasse sich die Regelung verfassungskonform interpretieren. Eine Erhöhung der
Kreisumlage sei dann nur zulässig, wenn alle anderen rechtlich gebotenen
Möglichkeiten ausgeschöpft seien, den Kreishaushalt auszugleichen. Dazu gehöre der
Verzicht auf rechtlich unzulässige Aufgaben, etwa solche, die nicht in der Zuständigkeit
der Kreise lägen. Bedingungen und Auflagen könnten sowohl Instrumente der Fach- als
auch der Rechtsaufsicht sein.
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Weder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch das Willkürverbot seien verletzt.
17
B.
18
Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 52 Abs. 1 VGHG zulässig.
19
Die Jahresfrist des § 52 Abs. 2 VGHG ist gewahrt. Zwar enthielt auch die Vorschrift des
§ 45 Abs. 2 Halbsatz 2 KrO a. F. einen Genehmigungsvorbehalt für die Kreisumlage.
Dessen Gewicht hat sich aber durch die Gesetzesänderung gewandelt. § 56 Abs. 3 Satz
1 KrO knüpft die Erhöhung des Umlagesatzes erstmals an materielle Voraussetzungen,
nämlich die Erschöpfung aller anderen Möglichkeiten zum Ausgleich des
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Kreishaushaltes. Der Genehmigungsvorbehalt des Satzes 2 baut hierauf auf. Zusätzlich
erhält er Gewicht durch die in § 56 Abs. 3 Satz 3 KrO geschaffene Möglichkeit, die
Genehmigung unter Auflagen und Bedingungen zu erteilen.
C.
21
§ 56 Abs. 3 KrO ist mit den Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der
Selbstverwaltung vereinbar. Die Vorschrift ist allerdings verfassungskonform dahin
auszulegen, daß die Aufsichtsbehörde bei der Genehmigung der Erhöhung des
Umlagesatzes und bei Auflagen und Bedingungen für die Gestaltung der
Haushaltswirtschaft des Kreises auf eine Rechtskontrolle beschränkt ist. Mit dieser
Maßgabe ist die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
22
1.
Selbstverwaltungsangelegenheit der Kreise, die durch Art. 78 Abs. 1 LV (Art. 28 Abs. 2
GG) garantiert wird.
23
a)
Selbstverwaltung mit der Befugnis, die Geschäfte in allen auf das Kreisgebiet
beschränkten überörtlichen Angelegenheiten grundsätzlich eigenverantwortlich zu
führen.
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Die Selbstverwaltung umfaßt die Finanzhoheit, nämlich die Befugnis, die Einnahme-
und Ausgabewirtschaft einschließlich der Haushaltsführung eigenverantwortlich zu
regeln (VerfGH NW, OVGE 36, 314). Die Finanzhoheit setzt das Recht voraus, über ein
gewisses Volumen eigener Einkünfte steuerlicher oder sonstiger Art im Rahmen einer
geordneten Haushaltswirtschaft eigenverantwortlich zu verfügen.
25
b)
eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung ist danach, daß die kommunalen
Selbstverwaltungskörperschaften aus eigenem Recht nicht nur ihre Aufgaben
wahrnehmen, sondern sich auch die Mittel zur Bestreitung der hieraus entstehenden
Lasten zumindest teilweise aus eigenem Recht verschaffen können. Bei den Kreisen
trägt dazu in besonderem Maße die Kreisumlage bei. Sie ist deren einzige bedeutsame
eigenbestimmbare Einnahmequelle. Der Ertrag der Jagdsteuer, der einzigen Steuer,
deren Aufkommen den Kreisen zusteht, ist gering.
26
2.
nicht verfassungswidrig. Das Recht der Selbstverwaltung ist nur im Rahmen der
Gesetze garantiert (Art. 78 Abs. 2 LV; Art. 28 Abs. 2 GG). Dieser Vorbehalt stellt die
Ausgestaltung der Institution "gemeindliche Selbstverwaltung" indes nicht in das
Belieben des Gesetzgebers.
27
a)
Außerhalb des Kernbereichs hat der Gesetzgeber das verfassungsrechtliche
Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen
Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden und hinsichtlich der auf das Kreisgebiet
beschränkten überörtlichen Aufgaben zugunsten der Kreise sowie das
Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot zu beachten (VerfGH NW, NWVBl.
1993, 7, 9).
28
b)
Regelungen über die Kommunalaufsicht (BVerfGE 78, 331, 341). Zu den
herkömmlichen Mitteln der Aufsicht zählt der Genehmigungsvorbehalt. Er ermöglicht der
Aufsichtsbehörde eine Kontrolle im vorhinein. Die Regelung der Kommunalaufsicht
unterliegt jedoch einer weiteren verfassungsrechtlichen Schranke. Nach Art. 78 Abs. 4
Satz 1 LV überwacht das Land die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gemeinden und
Gemeindeverbände. In Selbstverwaltungsangelegenheiten ist danach nur eine
Rechtsaufsicht zulässig. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind in ihrem
Selbstverwaltungsrecht verletzt, wenn diese grundsätzlich nur zulässige Rechtsaufsicht
sich zu einer "Einmischungsaufsicht" entwickelt oder zu einer Fachaufsicht verdichtet
(BVerfGE 78, 331, 341).
29
3.
verfassungsrechtlichen Vorgaben.
30
a)
Selbstverwaltung vereinbar ist eine Auslegung des § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO, die in dieser
Vorschrift lediglich einen nachdrücklichen Hinweis auf die Nachrangigkeit der
Kreisumlage (§ 56 Abs. 1 KrO) sieht. Der Gesetzgeber durfte die Kreisumlage als
nachrangiges Deckungsmittel für Haushaltslücken ausgestalten. Die Kreisumlage
berührt nicht nur das Selbstverwaltungsrecht des Kreises, sondern auch der
kreisangehörigen Gemeinden, denen sie Mittel entzieht, die sie sonst für ihre Aufgaben
einsetzen könnten. Den notwendigen Interessenausgleich zwischen Kreis und
kreisangehörigen Gemeinden hat der Gesetzgeber durch die Nachrangigkeit der
Kreisumlage bewirkt. Dabei durfte er den Kreis auch zwingen, vor einer Erhöhung des
Umlagesatzes zu prüfen, ob auf der Ausgabenseite die Möglichkeiten eines
Haushaltsausgleichs erschöpft sind. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO verlangt bei dieser
Auslegung vom Kreis zur Schonung des Selbstverwaltungsrechts der kreisangehörigen
Gemeinden Ausgabendisziplin und eine damit einhergehende Aufgabenkritik.
31
b)
eine Erhöhung des Umlagesatzes nicht zuläßt, solange der Kreis noch freiwillige
Aufgaben wahrnimmt, die allein wegen ihrer Freiwilligkeit verzichtbar sind und deren
Preisgabe deshalb zu "allen" vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gehört, den
Haushalt auszugleichen. Eine solche Auslegung schließt den Kreis von der
Mitverantwortung für die finanzielle Bewältigung seiner Aufgaben aus, die als Teil der
eigenverantwortlichen Aufgabenwahl und -erledigung zur Selbstverwaltung gehört. § 56
Abs. 3 Satz 1 KrO ist nur verfassungskonform, wenn seine Tatbestandsvoraussetzungen
einen Beurteilungsspielraum eröffnen, der Kreis also über die Frage, ob alle anderen
Möglichkeiten zum Ausgleich des Kreishaushalts erschöpft sind, mit
kommunalpolitischem Beurteilungsspielraum entscheiden kann. Auch die gesetzlich
geforderte Ausgabendisziplin und Aufgabenkritik muß Sache des Kreises bleiben. Wo
Ausgaben eingespart und damit Aufgaben nicht mehr, später oder anders als bisher
wahrgenommen werden sollen, wird nach der grundlegenden Funktion der
Selbstverwaltung "vor Ort" von den dafür demokratisch gewählten Organen der
Gemeindeverbände, also unter Mitwirkung der Bürger an ihren Angelegenheiten
bestimmt. Der dafür gewählte Kreistag hat die Notwendigkeit der Aufgaben zu bewerten,
auch mit Blick auf die Finanzlage der kreisangehörigen Gemeinden. Bei dieser
Bewertung können sich eine Aufgabe oder die Art ihrer Erledigung als unverzichtbar
und die damit verbundenen Ausgaben als notwendig erweisen, auch wenn sie - weil
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freiwillig übernommen - gestrichen oder anders erledigt werden könnten. Selbst bei
Pflichtaufgaben und Auftragsangelegenheiten gehört es zum Selbstverwaltungsrecht
des Kreises, im Rahmen seiner Organisations- und Personalhoheit beispielsweise zu
entscheiden, mit welchem Personalaufwand er diese Aufgaben erledigen will.
Auf diese kommunalpolitischen Bewertungen des Kreistages können die
kreisangehörigen Gemeinden einwirken. Ihnen ist nunmehr in § 55 KrO ein
formalisiertes Beteiligungsrecht eingeräumt. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 KrO sind die
kreisangehörigen Gemeinden bei der Aufstellung des Entwurfs der Haushaltssatzung
und ihrer Anlagen in geeigneter Weise zu beteiligen. Ihnen ist nach § 55 Abs. 1 Satz 2
KrO Gelegenheit zu geben, zu allen Inhalten der Haushaltssatzung und ihren Anlagen,
insbesondere zur vorgesehenen Höhe des Umlagesatzes, Stellung zu nehmen. Nach §
55 Abs. 2 KrO beschließt der Kreistag über Einwendungen der kreisangehörigen
Gemeinden in öffentlicher Sitzung. Die kreisangehörigen Gemeinden können verlangen,
daß der Kreis ihnen das Beratungsergebnis mitteilt und begründet.
33
c)
und 3 KrO verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie dahin ausgelegt werden, daß
sie nur eine Rechtsaufsicht ermöglichen. Mit der Selbstverwaltungsgarantie nicht
vereinbar ist eine Auslegung dieser Vorschriften, welche die mit § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO
zulässigerweise angestrebte Ausgabendisziplin und Aufgabenkritik zu einer auch
staatlichen Angelegenheit macht, indem der Aufsichtsbehörde über das Instrument einer
Genehmigung Zugriff auf die Aufgabenwahl und -erledigung eingeräumt wird. Es ist
nicht Sache der Aufsichtsbehörde, vor einer Erhöhung des Umlagesatzes
beispielsweise zu verlangen, den beabsichtigten Ausbau einer Kreisstraße
zurückzustellen, auf den geplanten Neubau eines Schulgebäudes zu verzichten oder
die freiwillig eingerichtete Kreismusikschule zu schließen. Ob es sich bei solchen
Entscheidungen um Möglichkeiten handelt, den Kreishaushalt auszugleichen, ist nicht
aus der Sicht des Staates, sondern aufgrund einer kommunalpolitischen Bewertung zu
entscheiden. Insoweit verhält es sich nicht anders als mit anderen unbestimmten
Rechtsbegriffen des Haushaltsrechts, etwa den Begriffen "Sparsamkeit" und
"Wirtschaftlichkeit". Soweit diese unbestimmten Rechtsbegriffe Spielräume lassen,
eröffnen sich diese den Gemeinden, nicht aber der Aufsichtsbehörde (BVerfGE 78, 331,
343).
34
Der Aufsichtsbehörde kann ein Recht, nach eigenem Ermessen über die Genehmigung
zu entscheiden, auch nicht mit der Überlegung eingeräumt werden, die Festsetzung des
Umlagesatzes greife über den Wirkungskreis der Kreise hinaus und berühre staatliche
Interessen. Hierfür bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und gegebenenfalls
inwieweit kondominiale Genehmigungsvorbehalte mit Art. 78 Abs. 4 LV vereinbar sind.
Nach verbreiteter Auffassung (vgl. Humpert, Die Zulässigkeitsanforderungen an
staatliche Genehmigungsvorbehalte im Recht der kommunalen
Selbstverwaltungsträger, DVBl. 1990, 804 ff. m. w. N.) soll dies für
Genehmigungsvorbehalte gelten, welche dem Staat nicht in erster Linie eine präventive
Aufsicht über die Selbstverwaltungskörperschaften verschaffen, sondern ihm eine
Mitwirkung an solchen Angelegenheiten einräumen sollen, durch die eigene staatliche
Interessen berührt werden und die insoweit zugleich staatliche Angelegenheiten sind.
Da die Gemeinden und Gemeindeverbände in ein Gesamtsystem öffentlicher
Verwaltung und Daseinsvorsorge eingebunden sind, berührt ihr Tun oder Unterlassen
nahezu zwangsläufig auch Belange außerhalb ihres eigenen Wirkungskreises. Deshalb
verlieren die Selbstverwaltungsangelegenheiten noch nicht diesen Charakter. Art. 78 LV
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nimmt die Auswirkungen kommunaler Maßnahmen auf staatliche Belange hin, solange
sich diese Maßnahmen im Rahmen der Gesetze halten.
Dies gilt namentlich für die Festsetzung der Kreisumlage. Der Kreisumlagesatz,
insbesondere seine Erhöhung, kann zwar den allgemeinen Finanzausgleich berühren.
Die finanzielle Inanspruchnahme der Gemeinden durch die Kreisumlage kann nämlich
die Verteilung der Finanzmittel im jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetz
beeinflussen. Ferner kann der Bedarf der Ausgleichsstockgemeinden mit der Folge
erhöht werden, daß ein Anpassungszwang auch hinsichtlich der Mittel für Zuweisungen
zum Ausgleich besonderen Bedarfs entsteht. Das Gesamtvolumen des
Finanzausgleichs ändert sich dadurch jedoch nicht zwangsläufig, und allenfalls nur in
sehr geringem Umfang (vgl. OVG NW, NWVBl. 1990, 121, 123).
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d)
Sinne einer reinen Rechtskontrolle gedeutet, werden die Grenzen der
verfassungskonformen Auslegung nicht überschritten.
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Der Wortlaut der Norm steht einer einengenden Auslegung auf eine Rechtskontrolle
nicht entgegen.
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Die Vorschrift verliert durch die Beschränkung auf eine Rechtskontrolle weder Sinn
noch Funktion. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO stellt gegenüber § 56 Abs. 1 KrO klar, daß der
Kreis vor einer Erhöhung des Umlagesatzes auch auf der Ausgabenseite nach
Möglichkeiten zu suchen hat, den Haushalt auszugleichen. Der Kreis ist nicht gänzlich
frei darin, welche Aufgaben er freiwillig übernehmen will. Den Gemeindeverbänden
sichern weder Art. 28 Abs. 2 GG noch Art. 78 Abs. 1 LV einen bestimmten
Aufgabenbereich (BVerfGE 79, 127, 150). Soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas
anderes bestimmen, nehmen die Kreise nach § 2 Abs. 1 KrO die auf ihr Gebiet
begrenzten überörtlichen Angelegenheiten wahr. Den Kreisen kann ferner mit Blick auf
weniger leistungsstarke kreisangehörige Gemeinden eine Ausgleichs- und
Ergänzungsfunktion zukommen (vgl. BVerfGE 79, 127, 152). Dies begrenzt den
Aufgabenzugriff der Kreise. Über die Einhaltung dieser Grenzen hat die
Aufsichtsbehörde zu wachen. Sie könnte eine Genehmigung etwa mit der Begründung
versagen, die zu deckenden Ausgaben des Kreises beruhten zum Teil auf der
Wahrnehmung von Aufgaben, die nicht solche des Kreises sind, etwa weil die
Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden die Wahrnehmung der Aufgaben
durch diese selbst ermöglicht oder weil eine Aufgabe überhaupt keinen
übergemeindlichen Bezug aufweist. Der Kreis unterliegt ferner dem Gebot, auf die
wirtschaftlichen Kräfte der kreisangehörigen Gemeinden Rücksicht zu nehmen (vgl. § 9
Satz 2 KrO). Zum Schutze des Selbstverwaltungsrechts der kreisangehörigen
Gemeinden hat die Aufsichtsbehörde auch über die Einhaltung dieses
Rücksichtnahmegebotes zu wachen, mag sich seine Verletzung auch nur in extrem
gelagerten Fällen feststellen lassen (vgl. etwa OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, S.
690).
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Kann die Genehmigung nur aus Rechtsgründen versagt werden, behält auch § 56 Abs.
3 Satz 3 KrO Bedeutung. Auflagen und Bedingungen sind auch bei rechtsgebundenen
Genehmigungen zulässig. Sie haben das Ziel, die Einhaltung der
Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen und rechtliche
Genehmigungshindernisse auszuräumen. Die Vorschrift ermöglicht der
Aufsichtsbehörde nicht, nach Ermessen in Selbstverwaltungsangelegenheiten des
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Kreises "hineinzuregieren". Sie ermöglicht aber beispielsweise, eine Genehmigung zu
erteilen, obwohl der Kreis auch Aufgaben wahrnimmt, die zwar nicht solche des Kreises
sind, auf die aber nicht sofort verzichtet werden kann. Die Genehmigung kann dann
etwa mit der Auflage erteilt werden, diese Aufgaben künftig preiszugeben und dadurch
eine Rückführung des Umlagesatzes zu erreichen. Mit dieser Steuerung künftigen
Verhaltens behält § 56 Abs. 3 Satz 3 KrO seinen Sinn auch neben § 36 Abs. 1 VwVfG
NW.
e)
der Selbstverwaltungsgarantie folgen hier keine weiteren verfassungsrechtlichen
Beschränkungen der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Aus Anlaß einer Erhöhung
des Umlagesatzes der Kreisumlage das Ausgabeverhalten des Kreises einer
Rechtskontrolle zu unterwerfen, ist weder willkürlich noch als Mittel der Aufsicht
ungeeignet oder unzumutbar belastend.
41
D.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs. 4 VGHG. Mit der verfassungskonformen
Auslegung des § 56 Abs. 3 KrO hat der Beschwerdeführer zur Klärung einer
verfassungsrechtlichen Frage beigetragen und in der Sache einen Teilerfolg erzielt.
Dies rechtfertigt es, eine teilweise Erstattung seiner notwendigen Auslagen anzuordnen.
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