Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 25.01.2000

VerfG Nordrhein-Westfalen: gesellschaft, wissenschaftsfreiheit, öffentliches interesse, im bewusstsein, medien, erfüllung, fhg, wissenschaft und forschung, mandat, wissenschaftliche forschung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 2/98
25.01.2000
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil
VerfGH 2/98
1.
Die den Hochschulen/Fachhochschulen nach § 3 Abs. 1 Satz 5 UG
NRW/§ 3 Abs. 1 Satz 4 FHG NRW obliegende Aufgabe, sich mit den
möglichen Folgen einer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse
auseinander zu setzen, ist bei verfassungskonformer Auslegung mit der
Landesverfassung NRW vereinbar; sie verpflichtet allein zur Reflexion
schwerwiegender Auswirkungen auf verfassungsrechtlich geschützte
Individual- und Gemeinschaftsgüter.
2.
Die der Studierendenschaft in § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3
UG NRW zugewiesenen Aufgaben sind bei verfassungskonformer
Auslegung mit der Landesverfassung NRW vereinbar; sie räumen der
Studierendenschaft insbesondere kein allgemeinpolitisches Mandat ein.
§ 3 Abs. 1 Satz 5 und § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3 des
Gesetzes über die Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen sowie
§ 3 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes über die Fachhochschulen im Lande
Nordrhein-Westfalen jeweils in der Fassung des Änderungsgesetzes
vom 1. Juli 1997 (GV NRW S. 213) sind in der aus den Gründen
ersichtlichen Auslegung mit der Landesverfassung vereinbar.
G r ü n d e :
A.
Das Normenkontrollverfahren betrifft die in dem Universitäts- und in dem
Fachhochschulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geregelte Aufgabe der
Hochschulen und Fachhochschulen, sich mit den möglichen Folgen einer Nutzung von
Forschungsergebnissen auseinander zu setzen, sowie die Aufgaben der
Studierendenschaft, u.a. die politische Bildung ihrer Mitglieder zu fördern und in Medien
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Studierendenschaft, u.a. die politische Bildung ihrer Mitglieder zu fördern und in Medien
aller Art auch die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemeinen gesellschaftspolitischen
Fragen zu ermöglichen.
I.
§ 3 des Gesetzes über die Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen
(Universitätsgesetz - UG) und § 3 des Gesetzes über die Fachhochschulen im Lande
Nordrhein-Westfalen (Fachhochschulgesetz - FHG) regeln die Aufgaben der Hochschulen
bzw. der Fachhochschulen. Diese Vorschriften wurden durch das Gesetz zur Änderung des
Gesetzes über die Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen und des Gesetzes über
die Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 1997 (GV NRW S. 213)
ergänzt.
§ 3 Abs. 1 UG lautet in der Neufassung (Ergänzungen hervorgehoben):
Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch
Forschung, Lehre und Studium. Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und
sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen
Wertentscheidungen bei. Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung
wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden erfordern. Sie fördern
den wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie setzen sich im Bewusstsein ihrer Verantwortung
gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den möglichen Folgen einer Nutzung ihrer
Forschungsergebnisse auseinander. Die Sätze 1 bis 5 gelten für die Kunst entsprechend,
soweit sie zu den Hochschulaufgaben gehört.
§ 3 Abs. 1 FHG sieht in der Neufassung folgende Regelung vor (Ergänzungen
hervorgehoben):
Die Fachhochschulen bereiten durch anwendungsbezogene Lehre auf berufliche
Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder
die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern. In diesem Rahmen nehmen die
Fachhochschulen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben und künstlerisch-gestalterische
Aufgaben wahr, die zur wissenschaftlichen oder künstlerischen Grundlegung und
Weiterentwicklung von Lehre und Studium erforderlich sind. Sie wirken dabei an der
Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur
Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei. Sie setzen sich im
Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt mit den
möglichen Folgen einer Verbreitung und Nutzung ihrer Forschungsergebnisse
auseinander.
Die Studierendenschaft ist eine rechtsfähige Gliedkörperschaft der Hochschule oder
Fachhochschule, der alle an der Hochschule bzw. Fachhochschule eingeschriebenen
Studierenden angehören (§ 71 Abs. 1 UG, § 50 Sätze 1 und 2 FHG). Der Katalog der
Aufgaben der Studierendenschaft in § 71 Abs. 2 UG wurde durch das Änderungsgesetz
vom 1. Juli 1997 (GV NRW S. 213) wie folgt neu gefasst (Änderungen hervorgehoben):
Die Studierendenschaft verwaltet ihre Angelegenheiten selbst. Sie hat unbeschadet
der Zuständigkeit der Hochschule und des Studentenwerks die folgenden Aufgaben:
1. 1. die Belange ihrer Mitglieder in Hochschule und
2. Gesellschaft wahrzunehmen;
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1. 2. die Interessen ihrer Mitglieder im Rahmen dieses Ge-
setzes zu vertreten;
1. 3. an der Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen (§ 3),
insbesondere durch Stellungnahmen zu hochschul- und
wissenschaftspolitischen Fragen, mitzuwirken;
1. 4. auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die
politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwor-
tungsbewusstsein und die Bereitschaft zur aktiven
Toleranz ihrer Mitglieder zu fördern;
5. fachliche, wirtschaftliche und soziale Belange ihrer
Mitglieder wahrzunehmen;
6. kulturelle Belange ihrer Mitglieder wahrzunehmen;
7. den Studentensport zu fördern;
8. überörtliche und internationale Studentenbeziehungen
zu pflegen.
1. Die Studierendenschaft und ihre Organe können für die genannten Aufgaben Medien
aller Art nutzen und in diesen Medien auch die Diskussion und Veröffentlichung zu
allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen ermöglichen. Diskussionen und
Veröffentlichungen im Sinne des Satzes 3 sind von Verlautbarungen der
Studierendenschaft und ihrer Organe deutlich abzugrenzen. Die Verfasserin oder der
Verfasser ist zu jedem Beitrag zu benennen; presserechtliche Verantwortlichkeiten bleiben
unberührt.
Für die Studierendenschaft der Fachhochschule gelten die §§ 71 bis 79 UG entsprechend
(§ 50 Satz 3 FHG).
II.
Die Antragsteller haben am 16. Februar 1998 das Normenkontrollverfahren eingeleitet.
1.
festzustellen, dass § 3 Abs. 1 Satz 5 des Gesetzes über die Universitäten des Landes
Nordrhein-Westfalen und § 3 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes über die Fachhochschulen im
Lande Nordrhein-Westfalen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit
Art. 4 Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie mit Art. 16 Abs. 1, 18
Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen unvereinbar und nichtig sind,
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soweit die Normen die Hochschulen und Fachhochschulen zu einer Auseinandersetzung
auch mit solchen Folgen der Nutzung ihrer Forschungsergebnisse verpflichten, die keine
verfassungsrechtlich besonders geschützten Rechtsgüter betreffen,
sowie festzustellen, dass § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3 des Gesetzes über
die Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen mit Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in
Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie mit
Art. 20 Abs. 1 und 2, 28 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 2 der
Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen unvereinbar und nichtig sind, soweit die
Normen der Studierendenschaft die Aufgaben zuweisen, auch nicht hochschulpolitische
Belange der Studierenden in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen, durch
Stellungnahmen zu nicht hochschul- oder wissenschaftspolitischen Fragen an der
Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen mitzuwirken oder die allgemeinpolitische Bildung
der Studierenden zu fördern, und soweit der Studierendenschaft und ihren Organen das
Recht eingeräumt wird, in Medien aller Art Diskussionen und Veröffentlichungen zu
allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen zu ermöglichen.
Sie machen geltend:
a)
"Forschungsfolgenverantwortung" stelle einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit des
Hochschullehrers nach Art. 4 Abs. 1 LV NRW, Art. 5 Abs. 3 GG dar. Wenn sich die
Wissenschaftler bei ihrer Forschung mit den möglichen Folgen einer Nutzung ihrer
Forschungsergebnisse auseinander setzen müssten, werde der wissenschaftliche
Erkenntnis-, Deutungs- und Vermittlungsprozess zielgerichtet beeinflusst. Auch wenn die
angegriffenen Regelungen nicht die Wissenschaftler, sondern die Hochschulen
ansprächen, seien die eigentlichen Adressaten der Normen die Wissenschaftler selbst. Die
Forschung und die damit korrespondierende Forschungsverantwortung seien stets eine
Angelegenheit des Wissenschaftlers als Person, auch wenn Forschung und Lehre
organisatorisch durch die institutionalisierten Rahmenbedingungen einer Hochschule
abgesichert würden. Die zur Überprüfung gestellten Normen enthielten auch nicht einen
bloß moralischen Appell ohne rechtliche Verpflichtung. Die Einhaltung der normierten
"Forschungsfolgenverantwortung" könne überprüft und trotz Fehlens einer speziellen
Regelung sanktioniert werden, etwa auch durch Entzug von Fördermitteln.
Die Normierung einer "Forschungsfolgenverantwortung" greife auch in die den
Hochschulen als Institutionen zukommende Wissenschaftsfreiheit ein. Die Hochschulen
schafften die rechtlichen und faktischen Rahmenbedingungen, in denen sich die
Wissenschaftsfreiheit der an ihnen tätigen Wissenschaftler entfalten könne; insoweit seien
sie auch selbst Träger des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit. Damit griffen die
Regelungen zugleich in die Garantie der universitären Selbstverwaltung im Sinne des Art.
16 Abs. 1 LV NRW als einer landesverfassungsrechtlichen Ausformung des in Art. 5 Abs. 3
GG gewährten Grundrechtes ein.
Die "Forschungsfolgenverantwortung" verstoße auch gegen die Förderpflicht des Art. 18
Abs. 1 LV NRW. Eine Landesgesetzgebung, die die Freiheit der Wissenschaft und die
Selbstverwaltung der Hochschulen nicht achte und in die grundrechtlich geschützten
Freiräume der Art. 5 Abs. 3 GG, Art. 16 Abs. 1 LV NRW eingreife, sei der Wissenschaft
nicht förderlich im Sinne von Art. 18 Abs. 1 LV NRW.
Der Eingriff in Art. 4 Abs. 1 LV NRW, Art. 5 Abs. 3 GG und Art. 16 Abs. 1 LV NRW sowie der
Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 LV NRW ließen sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen.
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Die Wissenschaftsfreiheit sei ein schrankenlos gewährtes Grundrecht und unterliege nur
verfassungsimmanenten Schranken. Die normierte "Forschungsfolgenverantwortung" sei
deshalb nur in solchen Fällen gerechtfertigt, in denen es um nachteilige Folgen für
verfassungsrechtlich besonders geschützte Rechtsgüter gehe. Eingriffe in die durch Art. 16
Abs. 1 LV NRW garantierte Selbstverwaltung der Hochschulen seien in gleichem Umfang
zulässig bzw. unzulässig.
b)
und Satz 3 UG greife unverhältnismäßig in das den Studierenden zustehende Grundrecht
auf negative Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 4 Abs.
1 LV NRW ein. Zulässiger politischer Verbandszweck der Studierendenschaft sei nach der
Rechtsprechung ein Tätigwerden für Interessen, die sich aus der sozialen Rolle der
Studierenden ergäben und die für diese als studentische Mitglieder der Gesellschaft nach
allgemeiner Anschauung auch typisch seien. Der Studierendenschaft stehe kein
allgemeinpolitisches Mandat zu.
§ 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UG ermächtige die Studierendenschaft, nicht nur die
hochschulpolitischen, sondern alle Belange ihrer Mitglieder wahrzunehmen; zudem
könnten die Belange nicht nur in der Hochschule, sondern auch und gerade in der
Gesellschaft verfolgt werden. Der Verzicht auf das beschränkende Tatbestandsmerkmal
"hochschulpolitische" Belange könne auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass eine
Unterscheidung zwischen einer unmittelbar auf die spezifischen Belange der Studierenden
und der Hochschule bezogenen und einer darüber hinausgehenden allgemeinpolitischen
Betätigung nicht möglich sei.
§ 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG sei ebenfalls verfassungswidrig. Nach dieser Vorschrift wirke
die Studierendenschaft "insbesondere" durch Stellungnahmen zu hochschul- oder
wissenschaftspolitischen Fragen an der Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen (§ 3 UG)
mit. Der Wortlaut dieser neuen Kompetenzzuweisung erlaube der Studierendenschaft auch
Stellungnahmen zu nicht hochschul- oder wissenschaftspolitischen Fragen, soweit sie nur
irgendwie im Zusammenhang mit der Erhaltung des demokratischen und sozialen
Rechtsstaates und der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen im
Sinne des § 3 UG stünden. Die verfassungsrechtlich gebotene Beschränkung auf
studententypische Kollektivinteressen dürfe aber nicht durch eine pauschale Bezugnahme
auf § 3 UG umgangen werden.
§ 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UG habe den bisher außerhalb des eigentlichen
Aufgabenkataloges des § 71 Abs. 2 UG in § 71 Abs. 3 Satz 1 UG a.F. verankerten Auftrag
zur Förderung der politischen Bildung übernommen und mache ihn zu einer
eigenständigen Aufgabe. Die Förderung staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins
liege zwar im öffentlichen Interesse, sei aber keine legitime Aufgabe einer
Zwangsorganisation.
Soweit § 71 Abs. 2 Satz 3 UG die Studierendenschaft und ihre Organe ermächtige, in
Medien aller Art auch die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemeinen
gesellschaftspolitischen Fragen zu ermöglichen, sei die Regelung nicht von einem
legitimen Verbandsinteresse der Zwangskörperschaft Studierendenschaft gedeckt. Es sei
nicht erkennbar, dass gerade Studierende in ihrer Eigenschaft als Studierende im Hinblick
auf ihre Artikulationsmöglichkeiten zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen derart
benachteiligt seien, dass sie eines von ihrer Studierendenschaft zur Verfügung gestellten
Forums bedürften, um am gesellschaftlichen Prozess der politischen Meinungsbildung und
Diskussion teilnehmen zu können.
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Die Regelungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3 UG verstießen ferner gegen
das einen staatsfreien demokratischen Willensbildungsprozess vorschreibende
Demokratieprinzip, weil sie unter verschiedenen Aspekten ein Tätigwerden der
Studierendenschaft auch außerhalb des hochschul- oder wissenschaftspolitischen
Rahmens erlaubten. Einer Zwangsvereinigung wie der Studierendenschaft sei es verwehrt,
sich in bezug auf den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes zu betätigen,
weil dieser Prozess grundsätzlich staatsfrei bleiben müsse.
2.
a)
Vorschriften sprächen nicht von einer "Forschungsfolgenverantwortung", sondern legten
eine Reflexions- oder Bedenkenspflicht fest. Diese Auseinandersetzungs- oder
Reflexionspflicht sei als Aufgabe der Hochschule und nicht als individuelle Dienstpflicht
des einzelnen Wissenschaftlers normiert worden. Die von der Körperschaft Hochschule
bzw. Fachhochschule und ihren Organen wahrzunehmende Reflexionspflicht könne auf
vielfältige Weise verwirklicht werden.
Die neu gefasste Aufgabenbeschreibung der Hochschulen und Fachhochschulen in § 3
Abs. 1 UG bzw. § 3 Abs. 1 FHG sei Ausdruck eines modernen
Wissenschaftsverständnisses, das als Abschied vom Elfenbeinturm zu kennzeichnen sei.
Dem Forscher könne nicht lediglich die Verantwortlichkeit für eigenes Erkennen
(Werkbereich) zugewiesen werden, während die Folgewirkungen seiner Erkenntnis
(Wirkbereich) der Allgemeinheit überlassen blieben. Allerdings sei der Forscher nicht für
Neben-, Folge- oder Fernwirkungen seiner Erkenntnis rechtlich zur Verantwortung zu
ziehen.
Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 16 LV NRW sei nicht verletzt. Der Gesetzgeber sei
in seiner organisationsrechtlichen Gestaltungsfreiheit in bezug auf die Hochschulen nur in
dem Maße eingeschränkt, wie der Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG
dies erfordere. Art. 18 LV NRW sei schon thematisch nicht einschlägig.
b)
begründe keine Kompetenz der Studierendenschaft zur Mitwirkung an der politischen
Willensbildung oder zur Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats.
§ 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UG erlaube seinem Wortlaut nach der Studierendenschaft nicht,
beliebige gesellschaftliche Belange wahrzunehmen, als deren Träger oder Subjekte
zufälligerweise auch Studierende aufträten. Es müsse sich vielmehr um Belange handeln,
die die Eigenschaft der Mitglieder der Pflichtkörperschaft als Studierende beträfen, wobei
es von untergeordneter Bedeutung sei, ob diese Belange primär durch eine in-
neruniversitäre oder aber durch eine außeruniversitäre Situation berührt oder in
Mitleidenschaft gezogen würden.
Die verfassungsgemäße Regelung des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG werde von den
Antragstellern unzutreffend ausgelegt. Die Formulierung "insbesondere durch
Stellungnahmen zu hochschul- und wissenschaftspolitischen Fragen" begründe nicht den
Umkehrschluss, dass der Studierendenschaft die Möglichkeit zu Stellungnahmen, die nicht
an der Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen orientiert seien, eingeräumt werde. Die
Betätigungsmöglichkeiten der Studierendenschaft beschränkten sich nicht auf die Abgabe
von "Stellungnahmen", sondern umfassten auch praktische Aktivitäten wie die Organisation
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von hochschulsportlichen Wettbewerben, Reisediensten, Austauschmöglichkeiten oder die
Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule oder der Arbeit des
Studentenwerks.
Der Bildungsauftrag gemäß § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UG sei als selbständige Aufgabe der
Studierendenschaft verfassungsrechtlich zulässig. Die Allgemeinheit habe in einem
freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat ein legitimes Interesse daran, die politische
Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Toleranzbereitschaft
unter den Studierenden zu fördern. Ob der angegriffene Bildungsauftrag, wie die
Antragsteller meinten, unnötig sei, weil er ebenso gut oder besser von privaten
Einrichtungen wahrgenommen werden könne, sei nicht entscheidend; insoweit habe der
Gesetzgeber ein Beurteilungs- und Gestaltungsermessen.
Die Nutzung der Medien und die Ermöglichung von Diskussionen und Veröffentlichungen
zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen gemäß § 71 Abs. 2 Satz 3 UG dienten der
Erfüllung der Aufgaben nach § 71 Abs. 2 Satz 2 UG und seien verfassungsgemäß.
Insbesondere werde damit dem Auftrag zur Förderung der politischen Bildung und des
staatsbürgerlichen Bewusstseins Rechnung getragen. Seine Erfüllung schließe auch die
Diskussion allgemeiner gesellschaftspolitischer Fragen ein. Der Gesetzgeber habe durch
die Pflicht zur Trennung von Veröffentlichungen im Sinne der angegriffenen Regelung und
von offiziellen Verlautbarungen der Studierendenschaft sowie durch die Pflicht zur
Verfasserbenennung dafür Sorge getragen, dass von der Zwangskörperschaft kein
allgemeinpolitisches Mandat in Anspruch genommen werde.
3.
B.
Der gemäß Art. 75 Nr. 3 LV NRW, § 47 VerfGHG zulässige Normenkontrollantrag ist
unbegründet.
Die zur Überprüfung gestellten landesrechtlichen Normen sind bei verfassungskonformer
Auslegung mit der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vereinbar, auch soweit
diese die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte in Art. 4 Abs. 1 LV NRW zu ihrem
Bestandteil in der Form von Landesgrundrechten macht.
I.
§ 3 Abs. 1 Satz 5 UG und § 3 Abs. 1 Satz 4 FHG, jeweils in der Fassung des
Änderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 (GV NRW S. 213), sind bei verfassungskonformer
Auslegung mit der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vereinbar.
1.
3 GG garantierte Wissenschaftsfreiheit. Dies gilt sowohl für eine Verpflichtung der
Hochschulen als Institutionen als auch für eine Verpflichtung der Wissenschaftler zur
Auseinandersetzung mit den Folgen einer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse.
a)
Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht, das als
Abwehrrecht die wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe schützt. In diesem
Freiraum herrscht Freiheit von jeder Ingerenz öffentlicher Gewalt, und zwar auch im
Bereich der Teilhabe am öffentlichen Wissenschaftsbetrieb in den Universitäten. Geschützt
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sind vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse,
Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihre Deutung
und Weitergabe. Wer in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, hat - vorbehaltlich der
Treuepflicht gemäß Art. 4 Abs. 1 LV NRW, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG - ein Recht auf Abwehr
jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozess der Gewinnung und Vermittlung
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem
Bemühen um Wahrheit ausrichten können, ist die Wissenschaft zu einem von staatlicher
Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des
einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. Diese in Art. 4 Abs. 1 LV NRW, Art. 5 Abs. 3 GG
enthaltene Wertentscheidung beruht auf der Schlüsselfunktion, die einer freien
Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des einzelnen als auch für die
gesamtgesellschaftliche Entwicklung zukommt (vgl. BVerfGE 47, 327, 367 f.).
Die Wissenschaftsfreiheit ist jedoch nicht schrankenlos gewährt. Zwar sind Begrenzungen
durch Gesetz ausgeschlossen. Die Wissenschaftsfreiheit unterliegt aber
verfassungsimmanenten Schranken. Konflikte zwischen der Gewährleistung der
Wissenschaftsfreiheit und dem Schutz anderer verfassungsrechtlich garantierter
Rechtsgüter müssen nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Wertordnung und unter
Berücksichtigung der Einheit dieses Wertsystems durch Verfassungsauslegung gelöst
werden. In diesem Spannungsverhältnis kommt der Wissenschaftsfreiheit gegenüber den
mit ihr kollidierenden, gleichfalls verfassungsrechtlich geschützten Werten nicht schlechthin
Vorrang zu. Verfassungsrechtlich garantiert ist nicht eine von Staat und Gesellschaft
isolierte, sondern eine letztlich dem Wohle des einzelnen und der Gemeinschaft dienende
Wissenschaft (BVerfGE 47, 327, 369). Die durch die Rücksichtnahme auf kollidierende
Verfassungswerte notwendige Grenzziehung kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall
durch Güterabwägung vorgenommen werden.
Dahingestellt bleiben kann die bislang in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
noch nicht entschiedene Frage, inwieweit auch der wissenschaftlichen Hochschule als
solcher durch Art. 4 Abs. 1 LV NRW, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein Recht auf
Wissenschaftsfreiheit, insbesondere im Hinblick auf die akademische Selbstverwaltung,
gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 15, 256, 264; BVerfGE 35, 79, 116; BVerfGE 51, 369, 381;
BVerfGE 67, 202, 207; BVerfGE 85, 360, 384). Sofern den Hochschulen Grundrechtsschutz
aus Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zukommt, reicht er jedenfalls nicht
weiter als bei den einzelnen Forschern. Ist die die Forschung betreffende
Aufgabenzuweisung mit dem Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung der
einzelnen Wissenschaftler vereinbar, hat die Universität kein weitergehendes Abwehrrecht
gegen die Aufgabenzuweisung als solche.
b)
GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht. Der Regelungsgehalt der
Aufgabenzuweisung kann so ausgelegt werden, dass sie mit der Landesverfassung
vereinbar ist. Die in § 3 Abs. 1 Satz 5 UG normierte Aufgabe, sich mit den möglichen
Folgen einer Nutzung von Forschungsergebnissen auseinander zu setzen, ist für die
Hochschulen verpflichtend (unter aa). Diese Pflicht trifft unmittelbar die Hochschulen als
Institutionen, darüber hinaus aber auch die einzelnen Wissenschaftler (unter bb).
"Auseinandersetzung" im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 UG verlangt die Reflexion der
Folgen einer Anwendung und Nutzung von Forschungsergebnissen (unter cc). Der hierin
liegende Eingriff in die Forschungsfreiheit des Wissenschaftlers ist verfassungsrechtlich
legitimiert, wenn und soweit die Auseinandersetzungspflicht auf eine Reflexion hinreichend
gewichtiger Auswirkungen auf verfassungsrechtlich geschützte Individual- und
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Gemeinschaftsgüter beschränkt wird (unter dd). Mit diesem Inhalt ist die
Auseinandersetzungspflicht auch verhältnismäßig (unter ee).
1. § 3 Abs. 1 Satz 5 UG verpflichtet die Hochschulen als Wissenschaftsinstitutionen auf
die Aufgabe, sich mit den möglichen Folgen einer Nutzung ihrer Forschungsergebnisse
auseinander zu setzen. Diese Aufgabe betrifft nicht lediglich den internen
Reflexionsprozess der an den Hochschulen tätigen Wissenschaftler, sondern nach außen
gerichtete, wahrnehmbare, vermittelbare und überprüfbare Erkenntnis- und
Bewertungsvorgänge. Die Forschung ist, nicht zuletzt wegen ihrer engen Verbindung zur
Lehre, auf Publizität und Veröffentlichung ihrer Ergebnisse angelegt (vgl. § 97 Abs. 2 UG).
Die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen gehört zu den Dienstpflichten des
Hochschullehrers. Die Hochschulen haben in regelmäßigen Zeitabständen - unter
Mitwirkung ihrer Mitglieder - über ihre Forschungsvorhaben und Forschungsschwerpunkte
zu berichten (vgl. § 97 Abs. 3 UG). Gegenstand der Forschung und damit auch der
Forschungsberichte sind auch die Folgen, die sich aus der Anwendung wissenschaftlicher
Erkenntnisse ergeben können (§ 96 Satz 2 UG). Forschungsgegenstände und
Forschungsfolgen sind insbesondere auch dann offenzulegen und zu präsentieren, wenn
die Zuteilung von finanziellen Mitteln erreicht werden soll.
1. § 3 Abs. 1 Satz 5 UG regelt die Folgenauseinandersetzung unmittelbar nur als
Aufgabe der Hochschulen und nicht der einzelnen Wissenschaftler. Dem liegt die
Erkenntnis zu Grunde, dass die Auseinandersetzung mit möglichen Folgen der Nutzung
von Forschungsergebnissen unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen voraussetzt,
über die der einzelne Wissenschaftler nicht immer in hinreichendem Maße verfügt. Die
Folgenbetrachtung fällt vielfach in den Aufgabenbereich anderer, auch mehrerer
Fachdisziplinen. Zudem ist das Wissen häufig - insbesondere im naturwissenschaftlichen
und technischen Bereich - nicht Ergebnis individueller Forschungsarbeit, sondern Resultat
von Arbeits- und Forschungsgruppen.
Die Hochschulen können die ihnen zugewiesene Aufgabe etwa dadurch erfüllen, dass sie
Forschungsschwerpunkte setzen, Foren veranstalten, Arbeitsgruppen bilden, Informations-
und Diskussionsgremien oder Ethik-Kommissionen einrichten (vgl. dazu auch Losch,
NVwZ 1993, 625, 628 f.). Art, Form und Organisation der Auseinandersetzung mit den
möglichen Folgen einer Nutzung der Forschungsergebnisse sind gesetzlich nicht
festgelegt; den Hochschulen obliegt mithin eine Auseinandersetzungspflicht nur dem
Grunde nach, während die Erfüllung und Ausführung dieser Aufgabe ihrer autonomen
Entscheidung überlassen ist. Der Beurteilung der betreffenden Gremien oder
Wissenschaftler bleibt es ferner überlassen, welche Bedeutung sie den Folgen einräumen
und welche Konsequenzen sie daraus ziehen. Je größer die Risiken für die Rechtsgüter
Dritter oder der Gemeinschaft sind, desto größer ist die korporative Verantwortung, sich mit
diesen Gefahren auseinander zu setzen.
Verlangt demnach § 3 Abs. 1 Satz 5 UG die Auseinandersetzung mit möglichen Folgen
einer Nutzung der Forschungsergebnisse unmittelbar nur als Aufgabe der Hochschule, so
setzt die Regelung doch auch eine individuelle Auseinandersetzungspflicht der einzelnen
Wissenschaftler voraus. Forschung kann nur von den Forschern selbst, allein oder in
Gruppen, betrieben werden. Die korporative Verantwortung der Universität ist auf den
individuellen Verantwortungsbeitrag angewiesen. Zugleich finden die Verwirklichung und
Umsetzung des institutionellen Verantwortungsauftrags ihre verfassungsrechtlichen
Grenzen in der Forschungsfreiheit der einzelnen Wissenschaftler. Korporative
Verantwortung ist ohne das Wissen und die Mitwirkung der einzelnen Wissenschaftler nicht
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denkbar. Der Auseinandersetzungsauftrag des § 3 Abs. 1 Satz 5 UG zielt folglich sowohl
auf ein korporatives als auch auf ein individuelles Verantwortungsbewusstsein.
cc)Auseinandersetzung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 UG meint die Reflexion der Folgen
des Wissenschaftstransfers für Gesellschaft und Umwelt (vgl. LT-Drs. 12/1708, S. 6). Die
Hochschulen tragen Verantwortung dafür, dass erhebliche Gefahren beispielsweise für
Menschenwürde, Leben und Gesundheit Dritter rechtzeitig erkannt und bekannt werden
und dem Risikopotential in Gesellschaft und Staat entsprechend begegnet werden kann.
Verantwortung in diesem Sinne ist nicht die ex-post-Zurechnung begangener Handlungen,
sondern vor allem die vorausschauende Beurteilung ex-ante auf der Grundlage von Wissen
(vgl. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1984, S. 172 ff.). Die Verantwortung des Forschers
zielt auf forschungsbegleitende Reflexion, Information, kritisch prüfenden Diskurs und/oder
Mitwirkung an institutionalisierten Formen der Verantwortungswahrnehmung (vgl. dazu
Dickert, Naturwissenschaften und Forschungsfreiheit, 1991, S. 373).
Diese Reflexionspflicht greift in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 5
Abs. 3 GG ein. Die einzelnen Wissenschaftler werden in ihrer freien wissenschaftlichen
Betätigung betroffen. Insbesondere die wissenschaftliche Fragestellung und die Bewertung
wissenschaftlicher Erkenntnisse in Forschung und Lehre kann dadurch beeinflusst werden,
dass auch mögliche Folgen einer Nutzung der Forschungsergebnisse mit zu reflektieren
sind.
1. Dieser Eingriff ist indes verfassungsrechtlich legitimiert. Soweit § 3 Abs. 1 Satz 5 UG
eine die Hochschulen und ihre Wissenschaftler verpflichtende Aufgabenübertragung
vorsieht, sind die den Auseinandersetzungs- und Reflexionsgegenstand bildenden
"möglichen Folgen einer Nutzung (der) Forschungsergebnisse" allerdings einschränkend
verfassungskonform auszulegen. Der Wortlaut der Vorschrift ließe auch eine sehr weite
Auslegung des Inhalts zu, dass alle denkbaren Folgen einer Nutzung der
Forschungsergebnisse durch beliebige Dritte reflektiert werden müssen. Ein solch weites
Verständnis würde indes nicht mit Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar
sein. Da sowohl Hochschulen als auch Wissenschaftler sich faktisch bei ihrer gesamten
Forschungstätigkeit mit einer nahezu unübersehbaren Vielzahl von möglichen Folgen einer
Forschungsnutzung auseinander setzen und sie in ihre Forschungstätigkeit einbeziehen
müssten, läge ein bei der gebotenen Abwägung nicht mehr zu rechtfertigender Eingriff in
das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit vor (vgl. BVerfGE 47, 327, 379 f.).
Ein derart weites Verständnis des § 3 Abs. 1 Satz 5 UG ist allerdings weder zwingend noch
bei systematischer Auslegung unter Berücksichtigung von Entstehungsgeschichte sowie
Sinn und Zweck der Vorschrift naheliegend. Ziel der Änderung des § 3 Abs. 1 UG war
ausweislich der Gesetzesbegründung, Aufgaben und Auftrag der Hochschulen im Hinblick
auf die verfassungsrechtlichen Zielsetzungen zu präzisieren und die verfassungsrechtliche
Dimension der Aufgaben der Hochschulen hervorzuheben. Zeitgleich mit Satz 5 ist Satz 2
in § 3 Abs. 1 UG eingefügt worden, wonach die Hochschulen zur Verwirklichung der
verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen beitragen. Diese Vorschrift soll den
gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen verdeutlichen (LT-Drs. 12/1708, S. 6); sie steht
in systematischem Zusammenhang mit der Regelung des Satzes 5, die den
gesellschaftlichen Auftrag der Hochschulen im Sinne der verfassungsrechtlichen
Wertentscheidungen konkretisiert. Die Hochschulen sollen sich ihrer besonderen
Verantwortung stellen und die Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen sowie den
Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen als Teil ihrer Aufgaben annehmen (LT-Drs.
12/1708, S. 6.). Satz 5 greift diesen Zusammenhang mit der Wendung "in Verantwortung
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gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt" ausdrücklich auf. Diese Systematik legt die -
verfassungskonforme - Auslegung nahe, dass § 3 Abs. 1 Satz 5 UG nicht auf die
Auseinandersetzung mit beliebigen Folgen jeglicher Art und Größenordnung zielt, sondern
allein die Reflexion schwerwiegender Auswirkungen auf verfassungsrechtlich geschützte
Individual- und Gemeinschaftsgüter vorsieht.
Auch in der allgemeinen und breit geführten Diskussion um eine ethische Verantwortung in
der Forschung (vgl. dazu auch Deiseroth, Berufsethische Verantwortung in der Forschung,
1997) werden regelmäßig (nur) grundlegende, gravierende Folgen neuer Erkenntnisse und
Entdeckungen in Wissenschaft und Technik für Mitmenschen und Umwelt thematisiert.
Einem befürchteten "besinnungslosen" Trachten nach neuer Erkenntnis und neuem
Wissen wird die Verpflichtung zur Berücksichtigung von anderen gewichtigen Verfassungs-
und Grundwerten oder "letzten Grenzen" entgegengesetzt. In diesem Sinne sind Ziel und
Zweck der Vorschrift darauf gerichtet, den Schutz verfassungsrechtlich geschützter
Rechtsgüter wie beispielsweise Menschenwürde oder Leben und Gesundheit zu
verbessern und Gefahren von ihnen abzuwenden.
Mit diesem Inhalt wird § 3 Abs. 1 Satz 5 UG der Garantie der Wissenschaftsfreiheit gerecht.
Verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter wie Menschenwürde (Art. 4 Abs. 1 LV NRW
i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) oder Leben und Gesundheit Dritter (Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art.
2 Abs. 2 GG) begrenzen die freie wissenschaftliche Betätigung, soweit es zum Schutz
dieser oder vergleichbar gewichtiger Rechtsgüter erforderlich und angemessen ist. Damit
steht zwar nicht der generelle Vorrang verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter
gegenüber der Wissenschaftsfreiheit fest. Der in der Auseinandersetzungspflicht liegende
Eingriff ist aber jedenfalls insoweit gerechtfertigt, als es darum geht, notwendige
Voraussetzungen für den Schutz vor erheblichen Gefahren für die genannten oder
vergleichbare Rechtsgüter zu schaffen (vgl. BVerfGE 47, 327, 382).
ee)Der Grundrechtseingriff ist auch verhältnismäßig. Die Pflicht zur Auseinandersetzung
mit schwerwiegenden Folgen für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der
staatlichen Gemeinschaft steht in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der
Vorschrift, die Allgemeinheit vor Schäden zu bewahren. Sie knüpft an die
Eigenverantwortung der Wissenschaftler an und schreibt nur fest, was nach allgemeiner
Anschauung als selbstverständliche Pflicht eines verantwortungsvoll handelnden
Wissenschaftlers angesehen wird. Es gehört zu den allgemeinen ethischen Standards der
Wissenschaft, dass der Wissenschaftler Verantwortung trägt hinsichtlich Risiken und
Folgen seiner Arbeit.
1. Die mit § 3 Abs. 1 Satz 5 UG inhaltsgleiche Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 4 FHG
verstößt bei der aufgezeigten verfassungskonformen Auslegung ebenfalls nicht gegen Art.
4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 5 Abs. 3 GG. Soweit § 3 Abs. 1 Satz 4 FHG nicht nur die
Folgen einer Nutzung, sondern auch die möglichen Folgen einer Verbreitung von
Forschungsergebnissen erfasst, ergeben sich keine verfassungsrechtlich bedeutsamen
Unterschiede. Auch insoweit ist die Auseinandersetzungspflicht bei der gebotenen
verfassungskonformen Auslegung mit der Garantie der Wissenschaftsfreiheit vereinbar.
1. § 3 Abs. 1 Satz 5 UG und § 3 Abs. 1 Satz 4 FHG verstoßen auch nicht gegen Art. 16
Abs. 1 LV NRW. Art. 16 Abs. 1 LV NRW, der den Universitäten und ihnen gleichstehenden
Hochschulen eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung
gewährleistet, ist - was die wissenschaftliche Forschung betrifft - eine
landesverfassungsrechtliche Ausformung des Art. 5 Abs. 3 GG und gewährt keinen
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weitergehenden Schutz als die vorstehend geprüften verfassungsrechtlichen
Anforderungen.
1. Schließlich scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 LV NRW aus. Diese
Verfassungsnorm verpflichtet unter anderem zur Förderung der Wissenschaft. Die Pflicht
zur Wissenschaftsförderung wird jedoch durch § 3 Abs. 1 Satz 5 UG und § 3 Abs. 1 Satz 4
FHG nicht berührt.
II.
Die Regelungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3 UG in der Fassung des
Änderungsgesetzes vom 1. Juli 1997 (GV NRW S. 213) sind bei verfassungskonformer
Auslegung mit der Landesverfassung vereinbar. Weder fehlt es an der für die
Studierendenschaft als öffentlich-rechtlichen Zwangsverband erforderlichen
verfassungsrechtlichen Legitimation noch verstoßen die Aufgabenzuweisungen der
zitierten Vorschriften gegen die Landesverfassung.
1. Die grundrechtlichen Schranken einer Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-
rechtlichen Verband ergeben sich aus Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG
(ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerfGE 10, 89, 102; BVerfGE 38, 281, 297 f.;
BVerfGE 78, 320, 329 f.; BVerwGE 32, 308, 312 f.; BVerwGE 59, 231, 233; BVerwG, NJW
1998, 3510, 3511; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6 C 14.98). Danach ist der einzelne
davor geschützt, durch Zwangsmitgliedschaft von "unnötigen" Körperschaften in Anspruch
genommen zu werden (vgl. BVerfGE 38, 281, 297 f.; ferner BVerwG, NJW 1998, 3510,
3511; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6 C 14.98 -). Dieses Recht darf nur eingeschränkt
werden, wenn das die Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband
anordnende Gesetz zur "verfassungsmäßigen Ordnung" gehört, das heißt in formeller wie
in materieller Hinsicht mit der Verfassung vereinbar ist.
1. Öffentlich-rechtliche Verbände mit Zwangsmitgliedschaft dürfen nur zur Wahrnehmung
"legitimer öffentlicher Aufgaben" errichtet werden. Damit sind die Aufgaben gemeint, an
deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, die aber so geartet
sind, dass sie weder im Wege privater Initiative gleichermaßen wirksam wahrgenommen
werden können noch zu den im engeren Sinn staatlichen Aufgaben zählen, die der Staat
selbst durch seine Behörden wahrnehmen muss. Wenn der Staat solche Aufgaben einer
eigens für diesen Zweck gebildeten Körperschaft des öffentlichen Rechts überträgt, handelt
er grundsätzlich im Rahmen des ihm insoweit zustehenden weiten Ermessens (BVerfGE
38, 281, 299).
1. Der in der Pflichtmitgliedschaft liegende Eingriff in das allgemeine Freiheitsrecht der
Verbandsmitglieder muss sich ferner als verhältnismäßig erweisen. Er muss zur Erreichung
des vom Gesetzgeber erstrebten Zieles geeignet und erforderlich sein; das
gesetzgeberische Ziel darf sich nicht auf eine andere, den einzelnen weniger belastende
Weise erreichen lassen. Schließlich muss das Maß der den einzelnen durch seine
Pflichtzugehörigkeit treffenden Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den ihm
und der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen (BVerfGE 30, 292, 316 f.; BVerfGE
35, 382, 401; BVerfGE 38, 281, 302).
Der Pflichtverband muss nicht nur mit seiner Gesamtaufgabe, sondern mit allen ihm im
einzelnen übertragenen Aufgaben dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.
Für die Studierendenschaft folgt daraus, dass sie als Zusammenschluss von Studierenden
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Umfang und Grenzen ihres möglichen Wirkungsbereichs in der Wahrnehmung
studentischer Interessen und Belange findet, da die Studierenden nur mit den Interessen
und Belangen, die sich aus ihrer sozialen Rolle als Studierende ergeben, in die
Studierendenschaft eingegliedert werden können. Der Studierendenschaft darf daher nur
die Wahrnehmung spezifischer studentischer Gruppeninteressen übertragen werden. Ihr
dürfen keine Aufgaben zugewiesen werden, die sich nicht durch gruppenspezifische
Zielsetzungen auszeichnen, da derartige Aufgaben außerhalb des verfassungsrechtlich
zulässigen - durch den Zusammenschluss gleichgerichteter Einzelinteressen legitimierten -
Verbandszwecks stehen (vgl. BVerwGE 59, 231, 238; BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6
C 14.98 - , UA S. 10; OVG NRW, OVGE 33, 130, 135 f.; OVG NRW, Urteil vom 24. Juli 1996
- 25 A 637/94 -, DVBl. 1997, 1195 - nur LS -).
1. Die Errichtung der Studierendenschaften als zwangsweise Zusammenschlüsse der
jeweils an einer Hochschule eingeschriebenen Studierenden ist mit den dargelegten
Grundsätzen vereinbar. Die Studierendenschaften erfüllen legitime öffentliche Aufgaben.
Die mit ihrer Bildung verfolgten Ziele wirkungsvoller Wahrnehmung hochschulpolitischer
und studentischer Belange, wirksamer Studierendenförderung, wirtschaftlicher und sozialer
Selbsthilfe der Studierenden, politischer Bildung zur Förderung des staatsbürgerlichen
Verantwortungsbewusstseins sowie der Unterstützung kultureller, musischer und
sportlicher Betätigung verdienen, wie das Bundesverwaltungsgericht zum nordrhein-
westfälischen Landesrecht dargelegt hat (BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6 C 14.98 -,
UA S. 6, im Anschluss an BVerwGE 59, 231, 236 f.), das gesteigerte Interesse der
Studierenden wie der Allgemeinheit und bieten sich zur Selbstverwaltung an. In allen
diesen Bereichen besteht ein möglicherweise unterschiedlich bedeutsames, jedenfalls
aber anerkennenswertes öffentliches Interesse, dass die hochschul- und
ausbildungsbezogenen studentischen Belange mit den Mitteln und Möglichkeiten der
gesamten Studierendenschaft in der Form eines Zusammenschlusses mit Beitragspflicht
wahrgenommen werden.
Aus dem Umstand, dass einige Bundesländer von der Ermächtigung des § 41 Abs. 1 HRG
zur Gründung verfasster Studierendenschaften keinen Gebrauch gemacht haben, ergibt
sich nicht, dass ihre Errichtung in Nordrhein-Westfalen nicht erforderlich und damit
unverhältnismäßig wäre. Erforderlichkeit im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
bedeutet nicht, dass ein Zwangsverband nur dann errichtet werden dürfte, wenn die damit
verfolgten Ziele auf andere Weise überhaupt nicht erreicht werden können. Vielmehr
konnte der nordrhein-westfälische Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens in
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgehen, dass die Interessen
der Studierenden durch die gewählte Organisationsform der Zwangskörperschaft effektiver
wahrgenommen werden können als durch einen Verbandszusammenschluss auf
freiwilliger Basis, in dem die Studierendenschaftsvertreter nur einen mehr oder weniger
großen Teil der Studierenden repräsentieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Mai 1999 - 6 C
14.98 -, UA S. 8; OVG NRW, Urteil vom 24. Juli 1996 - 25 A 637/94 -).
1. Die Aufgabenübertragung in
landesverfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht. Nach dieser Vorschrift ist der
Studierendenschaft die Aufgabe zugewiesen, die Belange ihrer Mitglieder in Hochschule
und Gesellschaft wahrzunehmen. Diese Aufgabe hält sich bei verfassungskonformer
Auslegung im Rahmen dessen, was legitimerweise zum Verbandszweck der
Studierendenschaft gemacht werden darf. Der Studierendenschaft wird insbesondere kein
allgemeinpolitisches Mandat eingeräumt. Eine Auslegung dieser Vorschrift dahin, dass die
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Studierendenschaft sämtliche Belange der Studierenden wahrnehmen kann, also auch
solche, die keinen hochschul- oder studierendenspezifischen Bezug haben, wäre nicht mit
Art. 4 Abs. 1 LV NRW i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar.
Eine derart weite Auslegung ist auch nicht geboten. Wortlaut, Entstehungsgeschichte und
Sinngehalt der Vorschrift legen vielmehr eine verfassungskonforme Deutung im Sinne
eines auf gruppenspezifische studentische Belange begrenzten partikulären politischen
Mandats nahe. Der Regelungsgehalt der Vorschrift kann verfassungskonform dahin
verstanden werden, dass sich die Wahrnehmungskompetenz der Studierendenschaft (nur)
auf die Belange "ihrer Mitglieder" in deren Eigenschaft als Mitglieder der
Studierendenschaft erstreckt, also auf Belange, die gerade in der Zugehörigkeit zur Gruppe
der Studierenden und deren spezifischer Situation als Lernende an einer Hochschule
gründen. "Belange der Mitglieder" im Sinne des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UG sind mithin
solche, die sich aus der sozialen Rolle der Studenten als Studierende ergeben und für
studentische Mitglieder der Gesellschaft nach allgemeiner Anschauung auch typisch sind
(vgl. BVerwGE 59, 231, 238).
Auch der Gesetzgebungsgeschichte läßt sich nicht entnehmen, dass der Wille des
Gesetzgebers auf ein allgemeinpolitisches Mandat der Studierendenschaft gerichtet
gewesen wäre. Zwar könnten Äußerungen der Landtagsabgeordneten Fitzek auf ein sehr
weites Verständnis im Sinne gesellschaftlicher Belange hindeuten (vgl. Plenarprotokoll
12/62 vom 27. Juni 1997, S. 5109 (C) sowie Plenarprotokoll 12/47 vom 29. Januar 1997, S.
3826 (A) und (C)). Demgegenüber ist jedoch in den Beratungen zum Änderungsgesetz
wiederholt betont worden, dass ein allgemeinpolitisches Mandat der Studierendenschaften
nicht beabsichtigt sei (vgl. etwa die Äußerungen der Ministerin für Wirtschaft und
Forschung Brunn, Plenarprotokoll 12/47 vom 29. Januar 1997, S. 3831 (A) und
Plenarprotokoll 12/62 vom 27. Juni 1997, S. 5110 (A) sowie des Abgeordneten Kessel,
Plenarprotokoll 12/62 vom 27. Juni 1997, S. 5107).
Für die einschränkende Auslegung spricht schließlich, dass im Gesetzgebungsprozess die
verfassungs- und bundesrahmenrechtlichen Vorgaben ausführlich geprüft worden sind mit
dem Ziele, ihnen zu genügen. (Nur) die einschränkende, auf die gruppenspezifischen
Belange der Studierenden bezogene Auslegung des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UG wird den
rahmenrechtlichen Vorgaben des § 41 Abs. 1 HRG gerecht. Danach kann das Landesrecht
vorsehen, dass an den Hochschulen zur Wahrnehmung hochschulpolitischer, sozialer und
kultureller Belange der Studierenden, zur Pflege der überregionalen und internationalen
Studentenbeziehungen sowie zur Wahrnehmung studentischer Belange in Bezug auf die
Aufgaben der Hochschulen (§§ 2 und 3 HRG) Studierendenschaften gebildet werden. Die
Aufzählung der Aufgaben, die der Studierendenschaft nach § 41 Abs. 1 HRG übertragen
werden können, weist keinen abschließenden, sondern lediglich einen beispielhaften
Charakter auf (BVerwG, Urteil vom 25. Mai 1999 - 6 C 14.98 - m.w.N.). Die
Studierendenschaft ist aber grundsätzlich auf die Wahrnehmung von Aufgaben mit
Hochschul- und Studienbezug beschränkt.
Offen bleiben kann, welche Bedeutung dem Satzteil "in Hochschule und Gesellschaft" in §
71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UG zukommt. Denkbar ist einmal, dass diese Wendung dem
Prädikat "wahrzunehmen" zugeordnet ist. Bei dieser Zuordnung konkretisiert der Satzteil, in
welchen Bereichen die Studierendenschaft studententypische Belange wahrnehmen kann.
Die Studierendenschaft ist nicht darauf verwiesen, hochschulbezogene, soziale oder
kulturelle Belange der Studierenden ausschließlich in der Hochschule zu vertreten.
Vielmehr gehört es zu ihrem Aufgabenkreis, studentenspezifische Belange gerade auch in
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der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Bestimmte Belange können überhaupt nur sinnvoll
"in der Gesellschaft" wahrgenommen werden. So hat etwa die Diskussion um Art und Höhe
der studentischen Ausbildungsförderung ihren zentralen "Standort" nicht in der
Hochschule, sondern in der Gesellschaft, wo verschiedene Interessengruppen um knappe
Haushaltsmittel konkurrieren.
Denkbar ist aber auch eine Zuordnung der Wendung "in Hochschule und Gesellschaft" zu
dem Satzteil "die Belange ihrer Mitglieder". Bei dieser Zuordnung würde zum Ausdruck
gebracht, dass die gruppenspezifischen Belange der Studierenden ihren Bezugspunkt
sowohl in der Hochschule als auch in der Gesellschaft haben können. Studentische
Belange in der Gesellschaft sind entgegen der Auffassung der Antragsteller aber nicht alle
gesellschaftlichen Belange, die auch für Studierende relevant sind, sondern nur solche, die
für die Studierenden als studentische Mitglieder der Gesellschaft typisch oder spezifisch
sind. Hierzu können etwa die Wohnraumsituation von Studierenden (studentische
Wohnungsvermittlung) oder die verbilligte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs
(Semesterticket) gerechnet werden. Die Vorschrift erfasst danach sowohl
hochschulbezogene als auch gesellschaftsbezogene gruppenspezifische Belange der
Mitglieder der Studierendenschaft. Welcher Auslegung der Vorzug zu geben ist, bedarf
keiner Klärung durch den Verfassungsgerichtshof; denn beide Deutungen erfassen -
verfassungskonform - lediglich gruppenspezifische Belange.
1. Gegen die Regelung des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG bestehen ebenfalls keine
verfassungsrechtlichen Bedenken. § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG weist der
Studierendenschaft die Aufgabe zu, an der Erfüllung der Aufgaben der Hochschulen (§ 3
UG), insbesondere durch Stellungnahmen zu hochschul- und wissenschaftspolitischen
Fragen, mitzuwirken. Diese Regelung verleiht der Studierendenschaft entgegen der
Auffassung der Antragsteller kein allgemeinpolitisches Mandat; sie stellt bei sachgerechter
Auslegung auch kein Einfallstor für die faktische Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen
Mandats dar.
Die Regelung des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG bewirkt, dass die Vertretung der
studentischen Interessen und Belange durch die Studierendenschaft sich auch auf die in §
3 UG genannten Aufgaben der Hochschulen beziehen kann (vgl. dazu auch § 41 Abs. 1,
letzte Alternative HRG). Der Studierendenschaft wird die Befugnis übertragen, an der
Erfüllung der Hochschulaufgaben gemäß ihrem allgemeinen auf die Hochschul- und
Studierendenbelange bezogenen Auftrag mitzuarbeiten. "Mitwirkung" im Sinne des § 71
Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 UG ist auf eine unmittelbare Aufgabenerfüllung gerichtet; ein
Engagement der Studierendenschaft mit lediglich mittelbarem oder losem Bezug zu den
Aufgaben der Hochschulen ist keine "Mit-Wirkung", sondern eine eigenständige, die
Wahrnehmungskompetenz überschreitende und von der Regelung nicht erfasste Aktivität.
"Mitwirkung" setzt grundsätzlich einen unmittelbaren Beitrag zur Erfüllung der
Hochschulaufgaben voraus; Beiträge mit lediglich mittelbarem Bezug zu den
Hochschulaufgaben sind ihrem Charakter nach weder Mitwirkung noch dienen sie der
Aufgabenerfüllung im Sinne der zu prüfenden Norm.
Die Bezugnahme auf die in § 3 aufgeführten Aufgaben der Hochschulen ermöglicht der
Studierendenschaft mithin nur eine spezifisch hochschul- und wissenschaftsbezogene
Mitwirkung. Auch soweit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 UG die Hochschulen an der Erhaltung des
demokratischen und sozialen Rechtsstaates mitwirken und zur Verwirklichung der
verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen beitragen, geschieht dies nur im Rahmen
("dabei") der zentralen Aufgabe der Hochschulen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UG, nämlich der
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"Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung, Lehre und Studium". Etwas
anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Mitwirkung nach § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3
UG "insbesondere durch Stellungnahmen zu hochschul- oder wissenschaftspolitischen
Fragen" erfolgt. Entgegen der Auffassung der Antragsteller zwingt dieser Satzteil nicht zu
dem Umkehrschluss, dass die Studierendenschaft auch zu Stellungnahmen mit nicht
hochschul- oder wissenschaftspolitischem Inhalt berechtigt ist, sofern der Inhalt nur in
irgendeiner Weise im Zusammenhang mit der Erhaltung des demokratischen und sozialen
Rechtsstaates und der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen
steht. Vielmehr ist das Wort "insbesondere" auf Grund seiner Stellung in dem Nebensatz
dahin zu verstehen, dass die Studierendenschaft nicht nur durch Stellungnahmen zu den
näher umschriebenen Fragen, sondern auch auf andere Weise an der Erfüllung der
Hochschulaufgaben mitwirken kann. Denkbar sind etwa Veranstaltungen oder
Informationsbroschüren zu hochschulbezogenen Themen, Hilfestellungen oder
Einführungen für Erstsemester oder Arbeitskreise mit konkretem Hochschul- oder
Wissenschaftsbezug.
1. Auch
auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die politische Bildung, das
staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zur aktiven Toleranz
ihrer Mitglieder zu fördern, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Politische Bildung, staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein und
Toleranzbereitschaft sind Ziele, die das gesteigerte Interesse der Studierenden wie der
Allgemeinheit verdienen und deren Förderung sich zur Selbstverwaltung anbietet (vgl.
BVerwGE 59, 231, 236; OVG NRW, OVGE 33, 130, 141; OVG NRW, Beschluss vom 11.
September 1998 - 25 B 1951/98 -; abweichend zwischenzeitlich OVG NRW, OVGE 44,
166, 168 f.). Es besteht ein anerkennenswertes öffentliches Interesse, dass der sich auch
auf die vorgenannten Ziele erstreckende Ausbildungsauftrag der Hochschulen unterstützt
wird durch mitwirkende Aktivitäten der Studierendenschaften. Dem Ausbildungsziel ist es
in besonderer Weise förderlich, wenn Eigeninitiative und verantwortungsvolles
Engagement der Selbstverwaltungsorgane der Studierenden zur politischen Bildung und
zum staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstsein beitragen.
Mit der Aufgabenzuweisung in § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UG wird den Studierendenschaften
entgegen der Auffassung der Antragsteller kein allgemeinpolitisches Mandat eingeräumt.
Diese Vorschrift verleiht den Studierendenschaften nicht die Befugnis, allgemeinpolitisch
tätig zu werden und im Namen der Studierenden eigene politische Forderungen zu
formulieren und zu vertreten. Die Förderung der politischen Bildung und der
staatsbürgerlichen Verantwortung der Studierenden ist etwas anderes als das Eintreten
und Werben für eigene politische Ziele. Mit dem Förderauftrag unvereinbar sind daher
einseitige politische Werbung, Agitation, Propaganda, Herabsetzung und Verhöhnung.
Politische Bildungsförderung verlangt eine am Neutralitätsgebot orientierte
Berücksichtigung verschiedener politischer Sichtweisen. Diesem Ziel werden zum Beispiel
Informationsangebote, Arbeitskreise, Veranstaltungen oder Veranstaltungsreihen gerecht,
in denen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen können (vgl. dazu auch OVG NRW,
OVGE 33, 130, 141; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 1998 - 25 B 1951/98 -;
OVG Bremen, NVwZ 1999, 211 f.; HessVGH, NVwZ-RR 1991, 639, 640; HessVGH, WissR
1997, 173, 174.).
1. Auch
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gegen die Landesverfassung. Soweit die Studierendenschaft und ihre Organe nach § 71
Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz UG für die in § 71 Abs. 2 Satz 2 UG genannten Aufgaben, also
im Rahmen ihrer Wahrnehmungskompetenz, Medien aller Art nutzen können, ist dies
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und wird von den Antragstellern auch nicht
angegriffen.
Soweit nach § 71 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz UG die Studierendenschaft und ihre Organe
"in diesen Medien auch die Diskussion und Veröffentlichung zu allgemeinen
gesellschaftspolitischen Fragen ermöglichen" können, entspricht die Regelung - jedenfalls
bei verfassungskonformer Auslegung - ebenfalls den (landes -)verfassungsrechtlichen
Anforderungen. Das mit der Regelung verfolgte Ziel, den Studierenden ein Forum für
Diskussionen und Veröffentlichungen mit allgemeinem gesellschaftspolitischem Bezug zu
eröffnen, ist als "legitime öffentliche Aufgabe" im Sinne der verfassungsrechtlichen
Rechtsprechung anzuerkennen. Die in § 71 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz UG vorgesehene
Medien(mit)nutzung bedeutet eine ergänzende Konkretisierung der legitimen
Bildungsförderung im Sinne des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UG. Die Schaffung der
Möglichkeit, allgemeine gesellschaftspolitische Fragen öffentlich zu diskutieren, sich
darüber in Medien auszutauschen und Meinungen Dritter innerhalb der Studierendenschaft
zur Diskussion zu stellen, dient der Förderung der politischen Bildung der Studierenden
und ist damit eine Aufgabe, an deren Erfüllung der Gemeinschaft gelegen sein muss.
Zugleich wird dadurch ein Beitrag zur Unterstützung kultureller und musischer Interessen
der Studierenden geleistet (vgl. HessVGH, NVwZ-RR 1991, 639, 640).
Ebensowenig wie § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UG ermächtigt § 71 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz
UG die Studierendenschaft zur Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandats. Die
Studierendenschaft darf die Medien nicht dazu nutzen, eigene Stellungnahmen,
Meinungsäußerungen, Positionen oder Urteile zu Fragen mit allgemeiner
gesellschaftspolitischer Bedeutung zu veröffentlichen; sie darf insoweit ein eigenes
politisches Engagement weder verfolgen noch erkennen lassen. Das Gesetz weist ihr bei
der Aufgabenerfüllung - nicht anders als etwa in § 71 Abs. 2 Nr. 6 und 7 UG für die
Förderung der kulturellen und sportlichen Belange der Studierenden - eine lediglich
dienende Rolle zu (vgl. OVG Bremen, NVwZ 1999, 211). Deshalb sind nach § 71 Abs. 2
Satz 4 UG Diskussionen und Veröffentlichungen im Sinne des Satzes 3 deutlich von
Verlautbarungen der Studierendenschaft und ihrer Organe abzugrenzen. Es darf für den
unbefangenen Mediennutzer nicht der Eindruck entstehen, dass Artikel von
außenstehenden Dritten der Studierendenschaft als Urheberin zugerechnet werden
können.
Auch der Gesetzgebungsgeschichte ist - wie ausgeführt - nicht zu entnehmen, dass die
Einführung eines allgemeinpolitischen Mandats angestrebt war. Vielmehr war die
Neuformulierung der Aufgabenzuweisung in § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Satz 3 UG eine
Reaktion auf die aus Sicht des Gesetzgebers zu enge Auslegung des § 71 Abs. 3 UG a.F.
durch das Oberverwaltungsgericht des Landes NRW (vgl. Ministerin Brunn, Plenarprotokoll
12/47 vom 29. Januar 1997 sowie Plenarprotokoll 12/60 vom 25. Juni 1997, S. 4917;
Denninger, 18. Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung am 17. April
1997, Ausschussprotokoll 12/546 vom 17. April 1997; Fitzek, Plenarprotokoll 12/60 vom 25.
Juni 1997, S. 4914 f.). Mit der Neufassung des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Satz 3 UG
wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass beispielsweise im Publikationsorgan der
Studierendenschaft abgedruckte Interviews mit ehemaligen Widerstandskämpfern und KZ-
Häftlingen (vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 23. April 1997 - 25 E 265/97 -) oder
vergleichbare Veröffentlichungen von der auf politische Bildung und staatsbürgerliches
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Verantwortungsbewusstsein zielenden Wahrnehmungskompetenz des § 71 Abs. 2 Satz 2
Nr. 4 und Satz 3 UG erfasst sein sollen, ohne damit der Studierendenschaft ein
allgemeinpolitisches Mandat einzuräumen.
Die Regelung in § 71 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz UG erweist sich allerdings nur dann als
verfassungsgemäß, wenn sie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit einschränkend ausgelegt wird. Da die aus den Beitragsleistungen der
Mitglieder aufgebrachten Haushaltsmittel der Studierendenschaft für eine Vielzahl von
hochschul- und studentenspezifischen Aufgaben zu verwenden sind, entspricht die
Ermöglichung der Mediennutzung durch Dritte nur dann dem Gebot der
Verhältnismäßigkeit, wenn die hierfür eingesetzten Mittel sowohl zu den Kosten aller
Aufgaben als auch zu den Kosten der Mediennutzung im Sinne des § 71 Abs. 2 Satz 3, 1.
Halbsatz UG in einem angemessenen Verhältnis stehen.
Die Regelung des § 71 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz UG beschränkt zunächst selbst durch
Bezugnahme auf den 1. Halbsatz ("in diesen Medien") die Möglichkeit, Dritten ein
Diskussionsforum zur Verfügung zu stellen, auf solche Medien, die von der
Studierendenschaft und ihren Organen genutzt werden. Auch die Formulierung
"ermöglichen" verdeutlicht, dass das Diskussionsforum nur in den "eigenen" Medien der
Studierendenschaft eröffnet werden soll. Dies sind die Informations- und
Publikationsorgane, mit denen die Studierendenschaft und ihre Organe über ihre Tätigkeit
sowie hochschul- und studentenspezifische Themen und Vorgänge berichten und
informieren. Das schließt es aus, Zeitschriften, Broschüren, Bücher oder andere Medien
aus Mitteln der Studierendenschaft zu finanzieren, die allein der Darstellung und
Diskussion allgemeiner gesellschaftspolitischer Fragen durch Dritte dienen. Aber auch die
Informationsorgane der Studierendenschaft dürfen nach Umfang und Kostenaufwand nicht
überwiegend dazu verwendet werden, ein allgemeines Diskussionsforum zur Verfügung zu
stellen; Drittbeiträge dürfen nicht den zentralen Teil und Inhalt der Veröffentlichung
ausmachen, sondern lediglich ergänzende Bei- oder Zugabe sein.
Wie allgemein zur Förderung der politischen Bildung dargelegt, sind die
Studierendenschaft und ihre Organe bei der Zurverfügungstellung eines
Diskussionsforums im Sinne des § 71 Abs. 2 Satz 3 UG zur Zurückhaltung und Neutralität
verpflichtet. Unter Vermeidung von Einseitigkeiten haben sie verschiedene politische
Sichtweisen zu berücksichtigen und ihnen gleichberechtigten Zugang zu ihren
Publikationsorganen zu gewähren. Mit diesem Inhalt ist § 71 Abs. 2 Satz 3 UG mit der
Landesverfassung vereinbar.
1. Die Regelungen des § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 3, 4 und Satz 3 UG verstoßen, da sie
kein allgemeinpolitisches Mandat eröffnen, auch nicht gegen das in der Landesverfassung
verankerte Demokratieprinzip (vgl. Art. 2 LV NRW).