Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 09.07.1998

VerfG Nordrhein-Westfalen (finanzausgleich, zahl, bundesrepublik deutschland, aufgaben, verfügung, höhe, verhältnis zu, land, gutachten, gemeinde)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 16/96, VerfGH 7/97
Datum:
09.07.1998
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 16/96, VerfGH 7/97
Leitsätze:
1. Dem Gesetzgeber ist ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, in
welcher Art und in welchem Umfang er den gemeindlichen Fi-
nanzausstattungsanspruch erfüllt und nach welchem System er die
Finanzmittel auf die Gemeinden verteilt.
2. Der Umfang der den Gemeinden im Finanzausgleich der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 insgesamt zur
Verfügung gestellten Finanzausstattung ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
3. Der Anspruch der Gemeinden auf Gewährleistung einer
angemessenen Finanzausstattung wird durch die finanzielle
Leistungsfähigkeit des Landes begrenzt.
4. Der Gesetzgeber ist nach Artikel 78 Abs. 3 LV nicht verpflichtet,
gesonderte Kostendeckungsregelungen für Pflichtaufgaben der
Gemeinden vorzusehen.
5. Die den Gemeinden vom Land in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 zur Verfügung
gestellten Finanzmittel sind verfassungskonform auf die einzelnen
Gemeinden verteilt worden. Insbesondere begegnen der für die
Bedarfsermittlung maßgebliche Hauptansatz, der Soziallastenansatz
und der Zentralitätsansatz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken;
dies gilt auch für die Festsetzung fiktiver Hebesätze zur Ermittlung der
normativen Steuerkraft der Gemeinden sowie für den Ausgleichssatz in
Höhe von 95 bzw. 90 %.
6. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß die
Konzessionsabgaben der Versorgungsunternehmen in den
Gemeindefinan-zierungsgesetzen 1996 und 1997 bei der Ermittlung der
Finanzkraft der Gemeinden nicht berücksichtigt worden sind.
7. Zweckgebundene Zuweisungen sind mit dem Recht auf gemeindliche
Selbstverwaltung grundsätzlich vereinbar. Je mehr sich allerdings die
Finanzausstattung der Gemeinden der Grenze der verfassungswidrigen
Unangemessenheit nähert, desto zu-rückhaltender muß der
Gesetzgeber mit Zweckzuweisungen sein.
8. Der kommunale Finanzausgleich ist wegen seiner grundlegenden
Bedeutung für eine angemessene Finanzausstattung der Gemeinden
eine wesentliche Entscheidung für die Ausgestaltung der kommunalen
Selbstverwaltung; er unterliegt daher dem Vorbehalt eines
Parlamentsgesetzes.
Tenor:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
auf allgemeine Zuweisungen (Schlüssel- und Bedarfszuweisungen)
und auf zweckgebundene Zuweisungen
11.331,5 Mio. DM
1.990,4 Mio. DM,
auf allgemeine Zuweisungen
11.251,7 Mio. DM
und auf zweckgebundene Zuweisungen
1.238,2 Mio. DM.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Beschwerdeführerinnen sind kreisangehörige Städte und Gemeinden. Sie wenden
sich mit ihren Verfassungsbeschwerden im Verfahren VerfGH 16/96 gegen Vorschriften
des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die
Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 1996
(Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1996) vom 20. März 1996 (GV NW S. 124) und im
Verfahren VerfGH 7/97 gegen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der
Zuweisungen der Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und
Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 1997 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1997)
vom 18. Dezember 1996 (GV NW S. 586) i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 27. Juni
1997 (GV NW S. 176).
3
I.
4
1.
gegenüber den Gemeindefinanzierungsgesetzen vorangegangener Haushaltsjahre
unter anderem Änderungen auf, die auf ein vom Innenministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenes Gutachten des Ifo-Instituts für
Wirtschaftsforschung (Parsche/Steinherr, Der kommunale Finanzausgleich des Landes
Nordrhein-Westfalen, 1995) zurückgehen. Das Gutachten sollte unter Berücksichtigung
des Urteils des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Juli 1993 - VerfGH 9/92, 22/92 - die
Bedarfsermittlung und die Verfahren zur Ermittlung der Steuerkraft, die etwaige
5
Notwendigkeit einer Änderung des interkommunalen Verteilungssystems sowie das
System zur Vergabe von Investitionspauschalen (§ 27 GFG 1994) untersuchen. Der
Landtag beschloß am 20. März 1996, die wesentlichen Empfehlungen des Gutachtens
in drei Reformschritten in den Gemeindefinanzierungsgesetzen für die Haushaltsjahre
1996, 1997 und 1998 umzusetzen.
2.
Wege des Finanzausgleichs nach den Regelungen der Gemeindefinanzierungsgesetze
allgemeine und zweckgebundene Zuweisungen, die zur Ergänzung ihrer eigenen
Einnahmen bestimmt sind. In den Haushaltsjahren 1996 und 1997 stellte das Land
hierfür einen seit dem Haushaltsjahr 1986 unveränderten Prozentsatz (sog. Verbundsatz
oder Verbundquote) von 23 v. H. seines Anteils an der Einkommensteuer, der
Körperschaftsteuer, der Umsatzsteuer und der eigenen Einnahmen aus der
Grunderwerbsteuer (sog. allgemeiner Steuerverbund) zur Verfügung (§ 2 Abs. 1 Satz 1
GFG 1996/GFG 1997). Von dem sich danach ergebenden Verbundbetrag (Gesamthöhe
1996: 13.820,7 Mio DM; 1997: 13.387,9 Mio. DM) entfielen nach § 3 Abs. 1 GFG
1996/GFG 1997
6
im Jahre 1996
7
im Jahre 1997
8
Davon betrug der Anteil der Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden 1996 8.236,8
Mio. DM und 1997 8.242,5 Mio. DM. Ob und in welcher Höhe die einzelne Gemeinde
Schlüsselzuweisungen erhält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der sog.
Ausgangsmeßzahl (§ 8 GFG 1996/GFG 1997) und der sog. Steuerkraftmeßzahl (§ 9
GFG 1996/GFG 1997). Eine Differenz zwischen der Ausgangsmeßzahl und der
Steuerkraftmeßzahl wird im Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 - in Übereinstimmung
mit den Gemeindefinanzierungsgesetzen seit 1988 - zu 95 v. H. durch
Schlüsselzuweisungen ausgeglichen (§ 7 Abs. 1 GFG 1996); in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1997 und 1998 beträgt der Ausgleichsgrad 90 v. H. (§
7 Abs. 1 GFG 1997/GFG 1998).
9
3.
Vervielfältigung des Gesamtansatzes (Abs. 2) mit dem einheitlichen Grundbetrag (Abs.
7). Der Grundbetrag wird in der Weise festgesetzt, daß der für Schlüsselzuweisungen an
die Gemeinden zur Verfügung gestellte Betrag aufgebraucht wird. Der Gesamtansatz
wird aus dem Hauptansatz (Abs. 3) und den Nebenansätzen (Schüleransatz,
Soziallastenansatz, Zentralitätsansatz - Abs. 4 bis 6) gebildet. Der Hauptansatz ergibt
sich aus der Einwohnerzahl einer Gemeinde, vervielfältigt mit einem bestimmten, je
nach Größe der Gemeinde unterschiedlichen Prozentsatz. Diese Prozentsätze
beginnen bei einem Wert von 100 v. H. für Gemeinden mit 25.000 Einwohnern und
wachsen in einer sich abflachenden Kurve bis auf 147,5 v. H. für Gemeinden mit
679.500 Einwohnern bzw. bis auf 150,1 v. H. für größere Gemeinden (sog.
Hauptansatzstaffel der Anlage 1 zu § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997). Die Prozentwerte
der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 unterscheiden sich von den
Prozentwerten des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1995 durch eine stärkere
"Spreizung" sowie durch einen einheitlichen Prozentwert für Gemeinden bis zu 25.000
Einwohnern.
10
Der sog. Soziallastenansatz (§ 8 Abs. 5 GFG 1996/GFG 1997) orientiert sich an der Zahl
11
der Arbeitslosen. Die nach der Dauer der Arbeitslosigkeit gestaffelten
Arbeitslosenzahlen sind gegenüber dem Ansatz des Gemeindefinanzierungsgesetzes
1995 stärker gewichtet.
Der erstmals in die Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 aufgenommene sog.
Zentralitätsansatz (§ 8 Abs. 6 GFG 1996/GFG 1997) ergibt sich aus der Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, multipliziert mit einem Gewichtungsfaktor
von 15 v. H..
12
4.
berechnet wird. Sie ergibt sich aus der Summe der für die Gemeinden geltenden
Steuerkraftzahlen der Gewerbesteuer, der Grundsteuer und des Gemeindeanteils an der
Einkommensteuer abzüglich der Steuerkraftzahl der Gewerbesteuerumlage. Das
Aufkommen an Gewerbesteuer, Grundsteuer A und Grundsteuer B wird unter anderem
nach fiktiven Hebesätzen ermittelt. Sie waren im Gemeindefinanzierungsgesetz 1995 für
Gemeinden bis 150.000 Einwohner niedriger als für Gemeinden über 150.000
Einwohner. Diese sog. Sprungstelle ist in drei Schritten in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996, 1997 und 1998 abgebaut und aufgegeben
worden.
13
5.
Mio. DM unter anderem für modellhafte Projekte zur Verfügung, die einer vorzeitigen
Rückkehr von Bürgerkriegsflüchtlingen in ihr Heimatland dienten, soweit andere
Möglichkeiten einer Förderung ausgeschöpft waren (§ 16 Abs. 1 Satz 4 GFG 1997).
14
6.
nach Maßgabe der §§ 21 bis 30 GFG 1996/ §§ 21 bis 29 GFG 1997 aufgeteilt. § 28 GFG
1996 sieht Zuweisungen für Investitionen an kommunalen Krankenhäusern vor, § 29
GFG 1996 solche für Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft von
Gemeinden. Zur Milderung von Strukturdefiziten stehen nach § 29 GFG 1997 pauschale
Zuweisungen in Höhe von 50 Mio. DM zur Durchführung investiver Maßnahmen zur
Verfügung (Abs. 1); die Kriterien zur Verteilung dieser Mittel setzen das
Innenministerium und das Finanzministerium im Benehmen mit dem Ausschuß für
Kommunalpolitik des Landtags Nordrhein-Westfalen fest (Abs. 2). Auf der Grundlage
dieser Regelung sind 35 Mio. DM an Gemeinden verteilt worden, deren Grundbeträge
der Gewerbesteuer und der Grundsteuer B 30 v.H. und mehr unter dem
Landesdurchschnitt der letzten drei Jahre lagen, und nach näherer Maßgabe weitere 15
Mio. DM an Gemeinden mit überdurchschnittlich hoher Anzahl von arbeitslosen Frauen,
arbeitslosen Jugendlichen bis zu 25 Jahren und Arbeitsplatzverlusten.
15
7.
gemeindlichen Schlüsselzuweisungssystem höhere Schlüsselzuweisungen als nach
den Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 ergeben würden, wurde den
Gemeinden die Differenz im Haushaltsjahr 1996 in vollem Umfang und im Haushaltsjahr
1997 zu zwei Dritteln als Anpassungshilfe gezahlt (§ 20 GFG 1996/GFG 1997).
16
8.
Kreisumlage u. a. die Steuerkraftmeßzahlen der kreisangehörigen Gemeinden (§ 9 GFG
1996/GFG 1997) und ihre Schlüsselzuweisungen (§ 7 GFG 1996/GFG 1997) unter
Berücksichtigung der Anpassungshilfen gemäß § 20 GFG 1996/GFG 1997.
17
II.
18
1.
Verfassungsgerichtshof eingegangenen Verfassungsbeschwerden im Verfahren VerfGH
16/96 machen die Beschwerdeführerinnen geltend, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, 1.
Halbsatz und 2. Halbsatz Nrn. 2 und 3, Abs. 2, § 5 Abs. 1 Satz 3, § 7 Abs. 1 und 2, § 8
Abs. 2, 3, 5 und 6, § 9 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, § 20, §§ 21 bis 30, § 34 und § 41 GFG 1996
verletzten die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht auf kommunale
Selbstverwaltung und auf Bereitstellung ausreichender, richtig verteilter
Finanzausgleichsmittel gemäß den Art. 78 Abs. 1, 3 und 79 Satz 2 LV. Zudem seien die
Gebote der interkommunalen Gleichbehandlung und der Sach- und
Systemgerechtigkeit, das Rechtsstaatsprinzip sowie der finanzverfassungsrechtliche
Grundsatz des Art. 106 Abs. 7 GG nicht beachtet worden. Mit Schriftsatz vom 5.
November 1997, beim Verfassungsgerichtshof eingegangen am 14. November 1997,
greifen die Beschwerdeführerinnen ferner § 5 Abs. 1 Satz 1 GFG 1996 an.
19
Mit im wesentlichen übereinstimmendem Vortrag wenden sich die
Beschwerdeführerinnen im Verfahren VerfGH 7/97 gegen § 2 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1,
1. Halbsatz und 2. Halbsatz Nrn. 2 und 3, Abs. 2, § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 7 Abs. 1
und 2, § 8 Abs. 2, 3, 5 und 6, § 9 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, § 16 Abs. 1 Satz 4, § 20, §§ 21 bis
29, § 32 und § 39 GFG 1997.
20
Im Verfahren VerfGH 16/96 beantragen die Beschwerdeführerinnen,
21
festzustellen, daß das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes
Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im
Haushaltsjahr 1996 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1996) vom 20. März
1996 (GV NW S. 124) die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht
der kommunalen Selbstverwaltung verletzt und nichtig ist.
22
Im Verfahren VerfGH 7/97 beantragen die Beschwerdeführerinnen,
23
festzustellen, daß das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes
Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im
Haushaltsjahr 1997 (Gemeindefinanzierungsgesetz - GFG 1997) vom 18.
Dezember 1996 (GV NW S. 586) i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 27. Juni
1997 (GV NW S. 176) die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht
der kommunalen Selbstverwaltung verletzt und nichtig ist.
24
Zur Begründung führen sie aus:
25
a)
GFG 1996/GFG 1997) sei unzureichend und verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe
den für die Festsetzung des Verbundbetrages erheblichen Sachverhalt nicht ermittelt. Er
habe nicht festgestellt, welchen Betrag die kommunalen Gebietskörperschaften zur
Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben, ihrer weisungsgebundenen Pflichtaufgaben
und ihrer Auftragsangelegenheiten landesweit objektiv benötigten, inwieweit er durch
eigene Einnahmen gedeckt oder abdeckbar sei und welche Finanzierungslücke sich für
den Finanzausgleich ergebe. Die Kosten für die Erledigung der Pflichtaufgaben zur
Erfüllung nach Weisung und der Auftragsangelegenheiten seien zuletzt 1982 auf der
26
Basis von Haushaltsdaten aus dem Jahre 1979 festgestellt worden. Bestand und Kosten
dieser Aufgabenarten hätten sich seither wesentlich geändert. Auch die Kosten der
kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten seien nicht ermittelt worden, obwohl
ein typisierter Bedarf nach dem aktuellen Stand der finanzwissenschaftlichen Literatur
durchaus bestimmbar sei. Angesichts des dem Gesetzgeber bekannten Defizits der
Verwaltungshaushalte aller nordrhein-westfälischen Kommunen in Höhe von 3,26
Milliarden DM im Jahre 1996 hätte es besonderen Anlaß zur Prüfung des
Finanzausgleichsbedarfs gegeben. Eine Bedarfsermittlung sei jedoch aus dem
Gutachtenauftrag für das Ifo-Institut ausgeklammert gewesen. Nach Art. 78 Abs. 3 LV sei
der Gesetzgeber verpflichtet, die Kosten in vollem Umfang und finanzkraftunabhängig
zu erstatten. Er hätte deshalb auch in einem gesonderten Ansatz in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 die volle Erstattung der
Sozialhilfeleistungen an die Kommunen vorsehen müssen.
Für die Ermittlung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes sei nicht allein der
Landeshaushalt maßgebend; vielmehr hätte eine Überprüfung erfolgen müssen, ob und
ggf. welche Aufgaben das Land durch gesetzgeberische und administrative
Maßnahmen aufgeben oder reduzieren müsse, um den Verbundbetrag zu erhöhen. Erst
nach Ermittlung dieser Tatsachen hätte ein gesetzgeberischer Abwägungsvorgang
einsetzen dürfen.
27
Die Höhe des Verbundbetrages liege unter der Grenze der Verfassungsverträglichkeit.
1997 sei er nochmals um 832 Mio. DM gesunken. In den Jahren 1996 und 1997 hätten
jeweils mehr als 200 kreisangehörige Kommunen keinen strukturell ausgeglichenen
Haushalt vorweisen können; teilweise hätten sie ein Haushaltssicherungskonzept
vorlegen müssen. Viele Beschwerdeführerinnen seien nicht mehr in der Lage,
elementare Aufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen. Ursache für die krisenhafte
Situation der kommunalen Finanzen seien die stagnierenden bzw. rückläufigen
Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer, die sinkenden
Gewerbesteuereinnahmen, die unverändert großen Soziallasten, die Solidarbeiträge
der Kommunen zur Finanzierung der deutschen Einheit, die steigenden Belastungen
aus der Kreisumlage, die kostenintensiven Anforderungen an Abwasserreinigung und
Abfallbeseitigung sowie die erheblichen Zusatzbelastungen der Kommunen durch Bund
und Länder ohne finanziellen Ausgleich.
28
b)
verfassungswidrig ermittelt. Die "Veredelung" der Einwohnerzahlen im Rahmen des
Hauptansatzes (§ 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997 i. V. m. Anlage 1) sei nicht
sachgerecht. Die Ableitung des Hauptansatzes im Wege der sog. Regressionsanalyse
begegne grundlegenden Einwänden der finanzwissenschaftlichen Literatur. Ein
überproportionaler Anstieg des Finanzbedarfs bei höherer Siedlungsdichte lasse sich
empirisch nicht nachweisen. Tatsächlich höhere Ausgaben größerer Gemeinden
könnten lediglich aus einer besseren Finanzausstattung resultieren. Auch das
Bundesverfassungsgericht bezweifele, ob das Brecht-Popitz'sche-Gesetz der
überproportionalen Kostensteigerung der Aufgabenerledigung durch Agglomeration
noch gelte. Gleichwohl stelle das Ifo-Gutachten den Hauptansatz nicht in Frage,
sondern passe ihn lediglich an. Zwar sei unbestreitbar, daß unterschiedlich große
Kommunen einen unterschiedlichen Finanzbedarf hätten. Insoweit sei jedoch nicht von
einem mit der Einwohnerzahl stetig ansteigenden Bedarf, sondern von
"Bedarfssprüngen" auszugehen.
29
Auch die konkrete Anwendung der Regressionsanalyse zur Bedarfsbestimmung
begegne Bedenken. Die Auswahl der Indikatoren sei nicht immer problemadäquat. So
sei die Gesamtzahl der Sozialhilfeempfänger als erklärende Variable für die sozialen
Belastungen nicht sachgerecht, da sie auch die Hilfe in besonderen Lebenslagen
erfasse, für die die Landschaftsverbände zuständig seien. Da die Zahl der
Sozialhilfeempfänger lediglich für den jeweiligen Kreis bekannt sei, würden die
"gemeindescharfen" Sozialhilfeempfängerzahlen anhand der Einwohnerzahl errechnet;
es sei daher unklar, ob der Erklärungswert der Analyse auf die Zahl der
Sozialhilfeempfänger oder die Zahl der Einwohner zurückzuführen sei.
30
Verfehlt sei es, für die Regressionsanalyse die Zahl der Arbeitslosen zugrundezulegen,
hingegen für den Soziallastenansatz von den gewichteten Langzeitarbeitslosen
auszugehen. Die Hauptansatzstaffel des § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997 erfasse auch
nicht die zentralörtlichen Unterschiede gleich großer Kommunen.
31
Das Ifo-Gutachten weise ferner eine Reihe von Verfahrensschwächen auf
(Nichtvorliegen einer Stichprobe, unterlassene Standardisierung der Variablen,
Heteroskadizität des Datensatzes, Stetigkeitsannahme, mangelnde Zeitstabilität der
Ergebnisse). Die Berechnung der Ausgangsgröße für die Hauptansatzstaffel (sog.
Sockelbetrag) sei fehlerhaft, weil die Beschäftigten nicht und die Sozialhilfeempfänger
übermäßig berücksichtigt worden seien.
32
c)
Unberücksichtigt bleibe, daß kreisangehörige Kommunen nicht nur Aufgaben der
gesamten örtlichen Sozialhilfe wahrnähmen, sondern auch Träger der Jugendhilfe
sowie Träger von Tageseinrichtungen für Kinder seien. Ebensowenig sachgerecht sei
es, im Rahmen der örtlichen Sozialhilfekosten lediglich die Langzeitarbeitslosen zu
berücksichtigen. Diese Kritik werde bestätigt durch den Prüfungsauftrag des Landtags
an die Landesregierung, künftig anstelle der Zahl der Langzeitarbeitslosen die Zahl der
Sozialhilfeempfänger bzw. die Sozialhilfelasten der Kommunen zur Grundlage des
Sozialhilfeansatzes zu machen.
33
§ 8 Abs. 5 GFG 1996/GFG 1997 verstoße zudem gegen die Gewährleistung der
Selbstverwaltungsautonomie kreisangehöriger Kommunen und gegen das
interkommunale Gleichbehandlungsgebot. Da die Sachkosten für die Sozialhilfe bei den
Kreisen und nicht den kreisangehörigen Gemeinden entstünden, müsse der
Landesgesetzgeber entsprechend dem Konnexitätsgebot diese Sonderbelastungen bei
den Kreisen unmittelbar ausgleichen. Es führe zu rechtlich unverträglichen
Ungleichbehandlungen, wenn die den kreisangehörigen Kommunen nach § 8 Abs. 5
GFG 1996/GFG 1997 zufließenden Landesmittel mit unterschiedlich hohen
Kreisumlagesätzen ungleich "abgeschöpft" würden. Bei der Kreisumlage werde zudem
nicht unterschieden zwischen solchen Kommunen, die die persönlichen und sächlichen
Verwaltungskosten des örtlichen Sozialhilfeträgers in ihrem Gemeindegebiet selbst
trügen, und solchen, die hiervon wegen der Zuständigkeit des Kreises freigestellt seien.
34
d)
noch der Höhe nach sach- und systemgerecht und verstoße gegen das interkommunale
Gleichbehandlungsgebot. Die Zentralörtlichkeit von Gemeinden könne zwar unter
bestimmten Umständen für das Umland einen "Nutzen-spill over" begründen. Dies
bedürfe jedoch genauer örtlicher, regionaler und landesweiter Untersuchungen, die
nicht erfolgt seien. Die Anknüpfung an die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
35
überzeuge nicht; vielmehr kämen auch die Berufspendler als Indikator in Betracht. Der
Gewichtungsfaktor von 0,15 sei willkürlich gewählt; das Ifo-Institut habe als Faktor ein
Drittel vorgeschlagen.
e)
mißachte die Appellentscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Juli 1993 -
VerfGH 9 und 22/92 - und sei verfassungswidrig. Es gebe, wie auch das Ifo-Gutachten
belege, keine sachlichen Erkenntnisse dafür, warum bei Städten über 150.000
Einwohnern von anderen fiktiven Hebesätzen auszugehen sei als bei Kommunen
unterhalb dieses Schwellenwertes. Für die Verfassungswidrigkeit der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 sei unerheblich, daß der Gesetzgeber
beschlossen habe, im Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 auf die in Rede stehenden
Sprungstellen zu verzichten. Auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes rechtfertige
nicht, die als verfassungswidrig erkannten Sprungstellen erst 1998 zu beseitigen; denn
die betroffenen Kommunen müßten seit der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs
aus dem Jahre 1993 mit einer Beseitigung der Sprungstellen rechnen.
36
Ein landeseinheitlicher fiktiver Hebesatz sei nur hinsichtlich der Grundsteuer A
gerechtfertigt. Für die Grundsteuer B sowie für die Gewerbesteuer nach Ertrag und
Kapital seien nach dem Gutachten von Junkernheinrich und Micosatt drei
unterschiedliche fiktive Hebesätze für Kernstädte, Umlandbereiche und ländliche
Räume sachlich angemessen.
37
f)
kommunalen Finanzkraft nicht - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert - die
kommunalen Einnahmen aus Konzessionsabgaben berücksichtigt würden. Die
Einnahmen der kreisangehörigen Gemeinden aus Konzessionsabgaben seien deutlich
geringer als diejenigen der kreisfreien Städte.
38
g)
H. des Unterschiedsbetrages zwischen der Ausgangsmeßzahl und der
Steuerkraftmeßzahl sei überhöht. Er verfehle die "richtige Mitte" zwischen der
Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der
Kommunen auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die
Existenz und Eigenständigkeit anderer kommunaler Gebietskörperschaften auf der
anderen Seite. Wohlhabenderen Gemeinden müsse mindestens die Hälfte ihrer
überdurchschnittlichen Finanzkraft verbleiben. Die 1994 geänderte Vorschrift des Art. 72
Abs. 2 GG stelle nicht mehr auf die "Wahrung der Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse", sondern auf die "Her-stellung gleichwertiger Lebensverhältnisse
im Bundesgebiet" ab. Die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sei
noch von dem alten verfassungsrechtlichen Leitbild der "Ein-heitlichkeit der
Lebensverhältnisse" ausgegangen.
39
§ 7 Abs. 1 GFG 1996/GFG 1997 stehe nicht mit Art. 106 Abs. 7 GG (i. V. m. Art. 78 und
79 Satz 2 LV) in Einklang. Danach seien alle kommunalen Gebietskörperschaften dem
Grunde nach am Gemeinschaftssteuerverbund zu beteiligen. Abundanten Kommunen
dürfe nicht - wie in § 7 Abs. 2 GFG 1996/GFG 1997 geschehen - eine finanzielle
Beteiligung gänzlich versagt werden. § 7 GFG 1996/GFG 1997 führe darüber hinaus zu
Ungleichheiten zwischen den Kommunen und egalisiere in übermäßiger und damit
unzulässiger Weise deren allgemeine Deckungsmittel. Kein anderes deutsches
Finanzausgleichsgesetz sehe einen Ausgleichsgrad in dieser Höhe vor. Das Ifo-
40
Gutachten habe empfohlen, ihn auf 75 v. H. zu senken. Da die fiktiven Hebesätze bei
vielen Gemeinden im Vergleich zum tatsächlichen Hebesatz sehr hoch seien, sei
zahlreichen Gemeinden jeglicher Anreiz zur Ausschöpfung eigener Finanzquellen
genommen. Der Ausgleichsgrad von 95 bzw. 90 v. H. bewirke ferner eine ungleiche,
sachlich nicht zu rechtfertigende Binnendifferenzierung zwischen Gemeinden
unterschiedlicher Größenordnung. So profitiere etwa die Stadt ... mehr von einer
Steuerkrafterhöhung der Stadt ... oder der Gemeinde ... als diese selbst; denn die Stadt
... erhalte mehr aus der Neuverteilung als die Stadt ... oder die Gemeinde ...
einschließlich ihrer verbliebenen zusätzlichen Steuerkraft.
h)
bis 29, 39 GFG 1997 verstießen gegen Art. 78 Abs. 1, 79 Satz 2 LV, weil
zweckgebundene Zuweisungen nur zulässig seien, wenn den kommunalen
Gebietskörperschaften ausreichende Finanzausgleichsmittel als allgemeine
Deckungsmittel und ohne Zweckbindung zur Verfügung stünden. Da dies nicht der Fall
sei, hätten die Mittel aus dem allgemeinen Steuerverbund insgesamt zweckungebunden
zum Ausgleich der Verwaltungshaushalte bereitgestellt werden müssen.
41
Ferner sei mit Art. 78 Abs. 1, 79 Satz 2 LV i. V. m. Art. 106 Abs. 7 GG unvereinbar, daß
aufgrund der beanstandeten Vorschriften der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und
1997 die Anteilsberechtigung der Gemeinden und Gemeindeverbände am Länderanteil
der Gemeinschaftssteuern (obligatorischer Steuerverbund) Zweckbindungen unterliege,
und daß kommunale Gebietskörperschaften, die keine der in den §§ 21 bis 30 GFG
1996/§§ 21 bis 29 GFG 1997 aufgeführten Maßnahmen durchführen wollten oder
könnten, von der Teilhabe an diesen Gemeinschaftssteuern ausgeschlossen seien. Art.
106 Abs. 7 GG gebiete - als Teil der landesverfassungsrechtlich gewährleisteten
Selbstverwaltungsautonomie -, daß alle finanzausgleichsbedürftigen kommunalen
Gebietskörperschaften über ihren Anteil am obligatorischen Steuerverbund frei verfügen
könnten. Es sei daher verfassungswidrig, über den Grunderwerbsteueranteil (1996: 1,15
Milliarden DM) hinaus den aus Gemeinschaftssteuern im Sinne des Art. 106 Abs. 3 Satz
1 GG gespeisten Verbundbetrag für Zweckzuweisungen (1996: 1,9904 Milliarden DM)
zu verwenden.
42
i)
LV, weil die dem Land gemäß § 17 KHG obliegende Mitfinanzierung kommunaler
Krankenhäuser sowie die ihm gemäß §§ 7, 20 WbG obliegende Förderung der
Weiterbildung mit Finanzmitteln gedeckt würden, die nach § 1 Abs. 2 GFG 1996 für die
Erfüllung eigener kommunaler Aufgaben vorgesehen seien. Bis zum Haushaltsjahr
1995 seien die Krankenhausfinanzierungsmittel im Haushalt des Ministeriums für Arbeit,
Gesundheit und Soziales eingestellt gewesen. Der Strukturfonds gemäß § 29 GFG 1997
sei mit dem Parlaments- und Gesetzesvorbehalt unvereinbar, weil die
Verteilungskriterien nicht vom Gesetzgeber selbst festgelegt worden seien.
43
k)
Verbundbetrages zur Erfüllung staatlicher Aufgaben - Instandsetzung und Neubau von
Wohnungen in Bosnien-Herzegowina - mißbraucht werde.
44
l)
verstoße gegen die Grundsätze interkommunaler Gleichbehandlung, der Sach- und
Systemgerechtigkeit und der Normenklarheit und -verständlichkeit. Es sei
45
widersprüchlich, wenn das Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 einerseits gleichsam
(nur) "die halbe Reform" durchführe, andererseits diese zugleich durch Gewährung von
Ausgleichsbeträgen wieder zurücknehme. Im übrigen sei unklar, was unter den "1995
geltenden Berechnungsstrukturen" im Sinne des § 20 Abs. 2 GFG 1996/GFG 1997 zu
verstehen sei.
m)
verfassungswidrig, weil die für die Festsetzung der Kreisumlage maßgeblichen
Vorschriften der §§ 7, 9, 20 GFG 1996/GFG 1997 - wie ausgeführt - verfassungswidrig
seien.
46
Die Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit einer Vielzahl von Vorschriften der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 führe zur Nichtigkeit des jeweiligen
gesamten Gesetzes.
47
2.
worden. Der Landtag hat sich nicht geäußert.
48
Die Landesregierung - vertreten durch ... - hält die Verfassungsbeschwerden für
unbegründet. Sie macht insbesondere geltend: Die von den Beschwerdeführerinnen
geforderte umfassende besondere Bedarfsermittlung als Grundlage für den
Finanzausgleich sei weder nach dem heutigen Stand der Finanzwissenschaft möglich
noch mit dem verfassungsrechtlichen Universalitätsprinzip gemäß Art. 28 Abs. 2 GG
vereinbar. Das kommunale Finanzausgleichsvolumen (Verbundbetrag) nach dem
Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 sei nicht willkürlich oder unzureichend festgesetzt.
Es stehe im Ermessen des Landesgesetzgebers, wie und mit welchem Volumen er den
übergemeindlichen Finanzausgleich im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Landes
gemäß Art. 79 Satz 2 LV durchführe. Der Landtag berate das
Gemeindefinanzierungsgesetz stets in Verbindung mit dem Haushaltsgesetz. Zeitgleich
werde der jährliche Finanzbericht vorgelegt, der neben Ausführungen zu
haushaltsrelevanten Gesichtspunkten auch eine Darstellung der aktuellen kommunalen
Finanzsituation enthalte. Die defizitären Haushalte einzelner Gemeinden seien allein
kein Beleg für eine verfassungsrechtlich unzulängliche Finanzausstattung der
Kommunen. Die Finanzsituation vieler Beschwerdeführerinnen habe sich im
Haushaltsjahr 1996 günstiger als von ihnen erwartet entwickelt. Zudem verfügten die
Gemeinden noch über Einsparpotentiale. Zu berücksichtigen seien einheitsbedingte
Gesamtlasten in Höhe von 670,1 Mio. DM (§ 2 Abs. 4 GFG 1996) bzw. 935,9 Mio. DM (§
2 Abs. 5 GFG 1997), große Steuerausfälle durch den Konjunktureinbruch sowie
rückläufige Einnahmen aus dem Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer.
Bei der notwendigen Berücksichtigung der Finanzsituation des Landes ergebe sich, daß
sich der Haushalt des Landes deutlich ungünstiger als die Haushaltsebene der
Kommunen entwickelt habe. Im Jahre 1996 seien der Finanzierungssaldo, die
Nettokreditaufnahme, die Kreditfinanzierungsquote, der Schuldenstand, die
Zinsausgaben sowie die Zinslastquote beim Land erheblich höher gewesen als bei den
Kommunen. Insgesamt sei bei den Kommunen 1996 eine Verbesserung gegenüber
1995 eingetreten.
49
Die unterschiedliche Gewichtung der Einwohnerzahl bei der Finanzbedarfsermittlung
(Hauptansatz gemäß § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997) sei verfassungsrechtlich
unbedenklich. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht das Brecht-Popitz'sche-
Gesetz der überproportionalen Kostensteigerung der Aufgabenerledigung durch
50
Agglomeration als überprüfungsbedürftig angesehen. Nach der modifizierten
Hauptansatzstaffel gemäß § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997 verlaufe der Zuwachs des
Zuschußbedarfs für die Städte und Gemeinden gerade nicht proportional zur
Einwohnerzahl, sondern degressiv. Darüber hinaus werde der abweichende Bedarf
einzelner Kommunen in Form von einzelbedarfsorientierten Ergänzungsansätzen
besonders berücksichtigt. Sowohl der Soziallastenansatz als auch der
Zentralitätsansatz seien ausweislich des Ifo-Gutachtens sachgerecht.
Mit der Beibehaltung der Sprungstelle bei der Finanzkraftermittlung im
Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 habe der Landesgesetzgeber nicht gegen das
Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahre 1993 verstoßen. Er habe sich
vielmehr aufgrund des Ifo-Gutachtens für die Einführung landeseinheitlicher fiktiver
Nivellierungshebesätze in drei Stufen bis 1998 entschieden.
51
Konzessionsabgaben könnten im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs nicht als
finanzausgleichsrelevant angesehen werden. Die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zum bundesstaatlichen Finanzausgleich könne nicht auf
den kommunalen Finanzausgleich übertragen werden.
52
Der Ausgleichsgrad von 95 v. H. bewirke keine unzulässige Nivellierung; denn weder
sei die Ausgangsmeßzahl identisch mit dem tatsächlichen Finanzbedarf einer
Kommune noch spiegele die Steuerkraftmeßzahl die tatsächliche Finanzkraft einer
Kommune wieder.
53
Die Nichtberücksichtigung abundanter Kommunen bei den Schlüsselzuweisungen
verstoße nicht gegen Art. 106 Abs. 7 GG, weil nach dieser Vorschrift lediglich ein
Anspruch der Gesamtheit der Kommunen auf Zuweisungen bestehe. Die im
Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 vorgesehenen Zweckzuweisungen seien ebenfalls
mit Art. 106 Abs. 7 GG vereinbar. Das System des kommunalen Finanzausgleichs solle
auch zur "Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" (Art. 106 Abs. 3 Satz 4
Nr. 2 GG) beitragen. Der Landesgesetzgeber könne deshalb über den Finanzausgleich
auch staatspolitisch wichtige Lenkungsfunktionen wahrnehmen. Die Regelungen über
die Mitfinanzierung kommunaler Krankenhäuser gemäß § 28 Abs. 1 GFG 1996 sowie
der Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft von Gemeinden gemäß § 29
GFG 1996 seien verfassungsgemäß. Es liege in der Gestaltungsfreiheit des
Gesetzgebers zu entscheiden, wie er seiner Pflicht zur finanziellen Förderung von
Krankenhäusern nachkommen wolle.
54
Die in § 20 GFG 1996/GFG 1997 getroffenen Übergangsregelungen seien sachgerecht.
Es hätte ihrer im übrigen nicht bedurft, weil die Garantie kommunaler Selbstverwaltung
den Gemeinden keinen Anspruch verleihe auf Beibehaltung einer einmal erreichten
Struktur oder eines einmal erreichten Standards des Finanzausgleichs.
55
3.
Beschluß vom 27. April 1998 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung
verbunden.
56
B.
57
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Sie sind gemäß Art. 75 Nr. 4 LV, § 52 Abs.
1 VerfGHG statthaft und fristgerecht erhoben worden (§ 52 Abs. 2 VerfGHG). Ob auch
58
die nachgeschobene Begründung, § 5 Abs. 1 Satz 1 GFG 1996 sei verfassungswidrig,
angesichts des fristgerechten umfassenden Antrags dem Fristerfordernis des § 52 Abs.
2 VerfGHG genügt, kann auf sich beruhen; jedenfalls haben die
Verfassungsbeschwerden in der Sache keinen Erfolg.
C.
59
Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.
60
Die angegriffenen Vorschriften der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997
verletzen nicht das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Selbstverwaltung aus Art. 78
LV (Art. 28 Abs. 2 GG). Sie verstoßen auch nicht gegen das interkommunale
Gleichbehandlungsgebot oder gegen sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze.
61
I.
62
Das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände auf Selbstverwaltung (Art. 78 LV)
umfaßt auch einen gegen das Land gerichteten Anspruch auf angemessene
Finanzausstattung; denn eigenverantwortliches Handeln setzt eine entsprechende
finanzielle Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften voraus. Verletzt ist
die Finanzausstattungsgarantie, wenn einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung
die finanzielle Grundlage entzogen und dadurch das Selbstverwaltungsrecht ausgehöhlt
wird (VerfGH NW, OVGE 40, 300, 300 f. m.w.N.; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254).
63
Den Finanzausstattungsanspruch absichernd und konkretisierend verpflichtet Art. 79
Satz 2 LV das Land, im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen
übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewährleisten (vgl. Art. 106 Abs. 7 GG). Der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes kommt wegen der Einbindung der
Gemeinden in das gesamtwirtschaftliche Gefüge der öffentlichen Haushalte wesentliche
Bedeutung zu. Die Finanzausstattung, die den Gemeinden zur Gewährleistung der
Selbstverwaltung bereitzustellen ist, kann nicht losgelöst von der finanziellen Lage des
Landes allein nach den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft festgesetzt werden.
Weil die Gemeinden über die ihnen zukommenden Zuweisungen mit dem Land und
auch mit dem Bund in einem allgemeinen Steuerverbund zusammengeschlossen sind
und auch das Land zur Erfüllung seiner eigenen Aufgaben auf Mittel aus diesem
Verbund angewiesen ist, muß trotz des hohen Stellenwertes der
Selbstverwaltungsgarantie die Höhe der gemeindlichen Finanzausstattung auch unter
angemessener Berücksichtigung des finanziellen Bedarfs und der Haushaltssituation
des Landes bestimmt werden (vgl. VerfGH NW, OVGE 40, 300, 303 f.; VerfGH NW,
OVGE 38, 301, 308). Die Angemessenheit der Finanzausstattung der Gemeinden hängt
außerdem von der Aufgabenverteilung zwischen dem Staat, den Gemeinden und den
Gemeindeverbänden ab, nach der sich die Zuteilung der jeweiligen Mittel bestimmen
muß (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303, 304 f.; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208).
64
Art. 78, 79 LV legen den Umfang der Mittel nicht fest, die den Gemeinden aufgrund des
Finanzausgleichs zur freien Disposition gestellt werden müssen; weder sind
zahlenmäßig festgelegte Beträge noch bestimmte Quoten vorgeschrieben (VerfGH NW,
OVGE 40, 300, 303; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 255).
65
Die Landesverfassung regelt ebensowenig, ob und ggf. in welchem Umfang das Land -
über den durch Art. 106 Abs. 7 GG bestimmten "obligatorischen Steuerverbund" hinaus -
66
weitere eigene Einnahmen für die Gemeinden und Gemeindeverbände bereitstellen
muß. Die Garantie der Selbstverwaltung verleiht den Gemeinden auch keinen
verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beibehaltung einer einmal erreichten Struktur oder
eines einmal erreichten Standards des Finanzausgleichs. Vielmehr steht es dem
Gesetzgeber frei, veränderte Rahmenbedingungen, neue Erkenntnisse und gewandelte
Präferenzen bei der jährlichen Regelung des kommunalen Finanzausgleichs zu
berücksichtigen.
Art. 78 LV i. V. m. dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz widerspricht es, bei
der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs bestimmte Gemeinden oder
Gemeindeverbände sachwidrig zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Dieses
interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet willkürliche, sachlich nicht
vertretbare Differenzierungen. Es ist verletzt, wenn für die getroffene Regelung jeder
sachliche Grund fehlt. Der Verfassungsgerichtshof hat nicht zu prüfen, ob der
Normgeber die bestmögliche oder gerechteste Lösung gewählt hat.
67
Der Gesetzgeber darf durch den Finanzausgleich die von Gemeinde zu Gemeinde
bestehenden Finanzkraftunterschiede nicht gänzlich nivellieren. Ungleichheiten sollen
nicht eingeebnet, sondern nur gemildert werden. Das Sozialstaatsprinzip (vgl. Art. 20
Abs. 1, 28 Abs. 1 GG) und das Leitbild der "Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" (vgl.
Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) bzw. der "Herstellung gleichwertiger
Lebensverhältnisse" (vgl. Art. 72 Abs. 2 GG; siehe auch Art. 91 a Abs. 1 und Art. 104 a
Abs. 4 GG) fordern lediglich ein annähernd gleiches Versorgungsniveau in den
Gemeinden. Wesentliche Abweichungen im Stand der Verwaltungsleistungen der
einzelnen Gemeinden und krasse Niveauunterschiede in der wirtschaftlichen und
sozialen Betreuung ihrer Bürger sind zu vermeiden. Eine durch den Finanzausgleich
bewirkte weitergehende Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse wäre unvereinbar mit
der gemeindlichen Selbstverwaltung. Eine Nivellierung der Gemeindefinanzen ließe
sich mit dem der kommunalen Selbstverwaltung innewohnenden Grundsatz
gemeindlicher Pluralität und Individualität nicht vereinbaren; sie würde die
Eigenverantwortlichkeit der Selbstverwaltungsorgane aushöhlen (VerfGH NW, OVGE
38, 312, 316 f.; ferner VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254 und 265).
68
Dem Gesetzgeber ist ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, in welcher Art und in
welchem Umfang er den gemeindlichen Finanzausstattungsanspruch erfüllt und nach
welchem System er die Finanzmittel auf die Gemeinden verteilt (vgl. VerfGH NW, OVGE
40, 300, 302; BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303, 305; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208;
ferner BVerfGE 71, 25, 38). Im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit obliegt es dem
Gesetzgeber, den Finanzbedarf von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden zu
gewichten, Unterschiede hinsichtlich des Finanzbedarfs und hinsichtlich der
vorhandenen Finanzausstattung auszumachen und festzulegen, wie die Differenzlagen
auszugleichen sind. Die Einschätzungen des Gesetzgebers sind vom
Verfassungsgerichtshof nur daraufhin zu überprüfen, ob sie unter dem Gesichtspunkt
der Sachgerechtigkeit vertretbar sind. Zudem dürfen die vom Gesetzgeber gewählten
Maßstäbe, nach denen der Finanzausgleich erfolgen soll, nicht im Widerspruch
zueinander stehen und nicht ohne einleuchtenden Grund verlassen werden (VerfGH
NW, OVGE 40, 300, 302; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254 f.; BVerfGE 76, 130, 139 f.;
BVerfGE 86, 148, 251 f.).
69
Der Gesetzgeber ist - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen - nicht
gehalten, die Gründe für die Festlegung konkreter Beträge oder Verteilungskriterien im
70
einzelnen darzulegen. Der Verfassungsgerichtshof überprüft daher auch das
Gemeindefinanzierungsgesetz nur als Ergebnis eines Gesetzgebungsprozesses und
nicht, auf welchem Weg der Gesetzgeber zu diesem Ergebnis gelangt ist. Der
Gesetzgeber muß allerdings die Grundlagen seiner Einschätzungen und Prognosen
regelmäßig überprüfen und sich bei Bedarf des Sachverstandes Dritter bedienen.
Soweit die tatsächlichen Auswirkungen der Finanzausgleichsregelungen kaum oder nur
mit großen Unsicherheiten voraussehbar sind, ist der Gesetzgeber verpflichtet, die
weitere Entwicklung zu beobachten und mit geeigneten Maßnahmen zu reagieren,
wenn sich aufgrund neuer Erkenntnisse erweist, daß eine Korrektur notwendig ist. Bei
Finanzausgleichs- oder Haushaltsregelungen ist wegen der Komplexität der zu
berücksichtigenden Faktoren sowie der vielfältigen Interdependenzen der
Prognosezeitraum begrenzt und die gesetzliche Regelung deshalb von vornherein auf
einen festgelegten Zeitraum beschränkt. Es genügt daher nicht, wenn der Gesetzgeber
einmal festgesetzte Werte, Größenordnungen oder Prozentzahlen lediglich in den
folgenden Gemeindefinanzierungsgesetzen fortschreibt, ohne sich erneut ihrer
sachlichen Eignung zu vergewissern. Soweit der Gesetzgeber auf Einschätzungen
angewiesen ist, ist ein Gesetz nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil es auf einem
Irrtum des Gesetzgebers über den erwarteten Geschehensablauf beruht. Der
Verfassungsgerichtshof kann Einschätzungen des Gesetzgebers über die sachliche
Eignung und die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nur dann beanstanden,
wenn sie im Ansatz oder in der Methode offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig
widerlegbar sind (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 209 m.w.N.).
Regelungen, die die Finanzausstattung mindern oder beeinträchtigen, müssen ferner
dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.
Belastungen oder Beeinträchtigungen der gemeindlichen Finanzausstattung sind
abzuwägen mit den dafür maßgebenden, dem öffentlichen Wohl verpflichteten,
sachlichen Gründen. Unterschiedliche Finanzausgleichsbelange kommunaler
Aufgabenträger sind zum angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BayVerfGH,
BayVBl. 1997, 303, 305; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 208).
71
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Vorschriften.
72
II.
73
Der Umfang der den Gemeinden im Finanzausgleich der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 insgesamt zur Verfügung gestellten
Finanzausstattung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
74
1. Die Beschwerdeführerinnen werden durch die in § 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GFG
1996/GFG 1997 normierten Verbundbeträge, die das Land den Gemeinden, Kreisen
und Landschaftsverbänden zur Verfügung stellt, nicht in ihrem Selbstverwaltungsrecht
verletzt, weil ihre Finanzausstattung nicht offensichtlich unangemessen ist.
75
a) Die beschwerdeführenden Gemeinden können den als Gesamtsumme allen
Selbstverwaltungskörperschaften zur Verfügung gestellten Verbundbetrag nur insoweit
angreifen, als der gemeindliche Anteil betroffen ist. Eine Verletzung ihres
Finanzausstattungsanspruchs scheidet daher aus, wenn schon die den Gemeinden aus
der Verbundmasse überlassenen Schlüsselzuweisungen, die den durch eigene
Einnahmen und sonstige Finanzmittel nicht gedeckten Finanzbedarf der Gemeinden
ausgleichen sollen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Das ist hier der
76
Fall. Hinsichtlich der auf die Gemeinden entfallenden Schlüsselzuweisungen begegnet
die Einschätzung des Gesetzgebers, für die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Landes insbesondere in Zeiten knapper öffentlicher Haushalte von wesentlicher
Bedeutung ist, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
b) Mit der Festlegung der Schlüsselmasse für die Gemeinden in den Jahren 1996 und
1997 hat sich der Gesetzgeber im Rahmen der ihm von Verfassungs wegen
eingeräumten Einschätzungsprärogative gehalten. Das Volumen der
Schlüsselzuweisungen ist aufgrund einer umfassenden Bewertung der gesetzlich
ermöglichten eigenen Einnahmen und der aufgabenbedingten Ausgaben im Rahmen
der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes festzulegen. Wegen der Komplexität
dieser Einschätzung und des Fehlens allgemeingültiger Maßstäbe ist es
ausgeschlossen, die Höhe der einer Vielzahl von Gemeinden zur Verfügung zu
stellenden Schlüsselzuweisungen nach objektiven Gesichtspunkten nachrechenbar
exakt zu ermitteln (vgl. auch BVerfGE 86, 148, 233; BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303,
306; BayVerfGH, BayVBl. 1998, 207, 209). Die normative Bewertung obliegt dem
Gesetzgeber; dem Verfassungsgerichtshof ist es verwehrt, die dem Gesetzgeber
überantwortete Bestimmung durch eine eigene Einschätzung zu ersetzen (vgl. VerfGH
NW, OVGE 43, 252, 256).
77
aa) Es ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber die Grenzen seiner
Einschätzungsprärogative überschritten und den durch Schlüsselzuweisungen zu
deckenden Bedarf der Gemeinden in den Jahren 1996 und 1997 fehlerhaft bestimmt hat.
78
Die Entwicklung der Schlüsselmasse seit dem Jahre 1991 im Vergleich zu anderen
finanzwirtschaftlichen Faktoren spricht gegen eine fehlerhafte Einschätzung des
Zuweisungsbedarfs. Bei einem Volumen der Schlüsselzuweisungen in Höhe von
7.008,8 Mio. DM hat der Verfassungsgerichtshof für das Jahr 1991 die
verfassungsrechtlich gebotene Finanzausstattung der Gemeinden als gesichert
angesehen (VerfGH NW, OVGE 43, 252, 255 ff.). Im Jahre 1996 ist das Volumen der
Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden auf 8.236,8 Mio. DM und im Jahre 1997 auf
8.242,5 Mio. DM angehoben worden. Daraus ergibt sich eine Erhöhung um 17,5 bzw.
17,6 %. Diese Zuwächse weichen nicht wesentlich von der Steigerungsrate der (nicht
bereinigten) Gesamteinnahmen der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ab, die im Jahre
1991 eine Höhe von 67.249,93 Mio. DM und im Jahre 1996 eine Höhe von 80.950,83
Mio. DM erreichten, sowie der Steigerungsrate der (nicht bereinigten) Gesamtausgaben
der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, die im Jahre 1991 67.446,7 Mio. DM und im
Jahre 1996 82.230,20 Mio. DM betrugen (vgl. Statistische Jahrbücher Nordrhein-
Westfalen 1992 und 1997). Auch der relative Anteil, den die Schlüsselzuweisungen an
den (nicht bereinigten) Einnahmen der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen ausmachten,
hat sich mit 10,42 % im Jahre 1991 und mit 10,18 % im Jahre 1996 nur unwesentlich
verändert. Der Wert für 1997 liegt noch nicht vor.
79
Vor diesem Hintergrund kann nicht festgestellt werden, daß die Finanzausstattung , die
den Gemeinden insgesamt zur Verfügung steht, offensichtlich nicht ausreicht. Dabei ist
in besonderem Maße zu bedenken, daß sich der Verfassungsgerichtshof nicht an die
Stelle des Gesetzgebers setzen darf und daß er nicht an dessen Stelle politische
Entscheidungen, wie die konkrete Höhe bestimmter finanzieller Leistungen an
Gemeinden, treffen kann. Der Verfassungsgerichtshof kann sich über Zielvorstellungen,
Wertungen, Sachabwägungen und über tatsächliche Beurteilungen des Gesetzgebers,
die im Rahmen der dargelegten Grenzen des Selbstverwaltungsrechts liegen, nicht
80
hinwegsetzen; er hat insoweit nur zu prüfen, ob die betreffenden gesetzgeberischen
Entscheidungen offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind.
bb) Die Einschätzung des Gesetzgebers bei der Bestimmung der gemeindlichen
Schlüsselzuweisungen hat sich an den konkreten finanziellen Möglichkeiten des
Landes zu orientieren. Der Anspruch der Gemeinden auf Gewährleistung einer
angemessenen Finanzausstattung wird durch die finanzielle Leistungsfähigkeit des
Landes begrenzt. Der Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes
bestimmt das zu gewährleistende Niveau der Finanzbedarfsbefriedigung entscheidend
mit. Da es neben dem Selbstverwaltungsrecht noch zahlreiche andere, gleichwertige
Güter zu schützen und zu erhalten gibt (etwa die innere Sicherheit, das Bildungswesen,
die Justizgewährung), kann sich der den Gemeinden verbleibende Spielraum für die
freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben bei sehr knappen finanziellen Möglichkeiten
des Landes auf ein Minimum reduzieren (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303, 304 f.;
NdsStGH, DVBl. 1995, 1175, 1177).
81
Nach den von den Beschwerdeführerinnen und der Landesregierung vorgelegten Daten
kann nicht festgestellt werden, daß die Finanzausstattung der Gemeinden im Verhältnis
zur Finanzlage des Landes offensichtlich unangemessen ist. Zwar sind auf der
Grundlage der von den Beschwerdeführerinnen in der mündlichen Verhandlung
vorgelegten Berechnungen die "verfügbaren Finanzmittel" der Kommunen im Zeitraum
von 1981 bis 1996 lediglich um rund 56 %, die des Landes hingegen um 109 %
gestiegen. Dies beruht jedoch vornehmlich, worauf auch die Beschwerdeführerinnen
zutreffend hinweisen, auf einer Absenkung der Verbundquote insbesondere in der
ersten Hälfte der achtziger Jahre, nachdem zuvor die Zuweisungen im Finanzausgleich
stärker gestiegen waren als die Steuern des Landes. Die Entwicklung ist zudem
Schwankungen unterworfen; so sind die Finanzmittel des Landes von 1991 bis 1994
leicht gesunken, während die der Kommunen um rund 10 Prozentpunkte gestiegen sind.
Bei einer Betrachtung der Gesamtentwicklung ist insbesondere zu berücksichtigen, daß
die Verschuldung des Landes von 1980 bis 1996 überproportional gegenüber
derjenigen der Gemeinden gestiegen ist. Während 1980 der jeweilige Schuldenstand
annähernd gleich war, betrugen die Schulden des Landes 1996 rund 250 % der
kommunalen Gesamtschulden; allein im Zeitraum von 1991 bis 1996 sind die Schulden
des Landes um 27 %, die der Kommunen nur um 15 % gestiegen. Auch die
Kreditfinanzierungsquote des Landes war 1996 mit 7 % deutlich höher als die der
Kommunen (0,5 %). Die Zinsausgaben des Landes lagen 1980 noch unter denen der
Gemeinden; von 1988 bis 1996 betrugen sie hingegen jeweils mehr als das Doppelte
der gesamten gemeindlichen Zinsausgaben. Gleichzeitig stieg die Netto-
Neuverschuldung des Landes bis knapp unter die verfassungsrechtliche Grenze des
Art. 83 LV; in den Jahren 1996 und 1997 lag sie jeweils nur etwa 4 % unter dieser
Grenze. Auf der Grundlage dieser finanziellen Rahmendaten des Landes erscheint die
Finanzausstattung der Gemeinden, auch bei Berücksichtigung erhöhter
Sozialhilfeausgaben und zunehmender Haushaltssicherungsmaßnahmen in den
Gemeinden, nicht offensichtlich unangemessen.
82
2. Der Gesetzgeber war nach Artikel 78 Abs. 3 LV nicht verpflichtet, gesonderte
Kostendeckungsregelungen für "weisungs-gebundene Pflichtaufgaben" vorzusehen.
83
a) Nach Art. 78 Abs. 3 LV NW kann das Land die Gemeinden und Gemeindeverbände
durch gesetzliche Vorschriften zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher
Aufgaben verpflichten, wenn gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten
84
getroffen werden. Diese Verfassungsdirektive dient der finanziellen Sicherung der in Art.
78 Abs. 1 und Abs. 2 LV NW (Art. 28 Abs. 2 GG) gewährleisteten kommunalen
Selbstverwaltung. Ihr Sinn besteht darin, den kommunalen Gebietskörperschaften die
finanzielle Grundlage für eine ausreichende, eigenverantwortliche
Selbstverwaltungstätigkeit zu erhalten. Die Gemeinden und Gemeindeverbände können
ihre Aufgaben im eigenen und im übertragenen Wirkungskreis nur erfüllen, wenn sie
über die notwendigen Finanzmittel verfügen. Art. 78 Abs. 3 LV NW will verhindern, daß
die Gemeinden und Gemeindeverbände infolge einer Überlastung mit Pflichtaufgaben
ihre traditionellen Aufgaben vernachlässigen müssen. Da die Übertragung von
Aufgaben auf die Kommunen ohne Erstattung der zusätzlichen Kosten zu Lasten der
Erfüllung von (freiwilligen) Selbstverwaltungsaufgaben gehen kann, weil sie die
finanziellen Mittel für diese mindert, kann sich infolge der Übertragung eine Aushöhlung
der finanziellen Basis der Selbstverwaltung ergeben. Deshalb verpflichtet Art. 78 Abs. 3
LV NW den Landesgesetzgeber, nicht nur zu prüfen, in welchem Umfang den
Selbstverwaltungskörperschaften aus Anlaß der Aufgabenübertragung neue
Deckungsmittel zuzuführen sind, sondern auch dazu, eine Regelung zu treffen (vgl.
VerfGH NW, OVGE 38, 301, 302 f.).
Das Land soll nicht beliebig Aufgaben auf die Kommunen verlagern dürfen, ohne für
deren Finanzierung Sorge zu tragen. Der Landesgesetzgeber hat sich bei jeder
Übertragung von öffentlichen Aufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände
oder einer entsprechenden Aufgabenerweiterung (vgl. VerfGH NW, NWVBl. 1993, 7, 11)
bewußt zu machen, daß die kommunalen Aufgabenträger damit finanziell belastet
werden. Bei einer Erweiterung schon bestehender Kosten ist der Gesetzgeber nach Art.
78 Abs. 3 LV ebenfalls verpflichtet, eine Kostendeckungsregelung zu treffen (vgl.
VerfGH NW, OVGE 38, 301, 302 ff.; VerfGH NW, NWVBl. 1997, 129, 130 f.).
85
b) Die Landesverfassung schreibt allerdings, abgesehen von dem Erfordernis der
"Gleichzeitigkeit" einer Kostenregelung, weder die Modalitäten der Kostenregelung
noch eine bestimmte Höhe der Kostendeckung ausdrücklich vor.
86
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist der von Art. 78 Abs. 3 LV
geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen Verpflichtung zur Aufgabenübernahme
und -durchführung einerseits und Kostenregelung andererseits regelmäßig auch dann
gewahrt, wenn die Kostenregelung in dem auf die Aufgabenübertragung folgenden - in
Nordrhein-Westfalen jährlich neu erlassenen - Finanzausgleichsgesetz erfolgt (VerfGH
NW, OVGE 38, 300, 303 f.; ferner OVG NW, OVGE 39, 76, 78 ff.; OVG NW, DVBl. 1980,
763, 764). Es ist ferner nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
verfassungsrechtlich nicht geboten, Kosten im Sinne des Art. 78 Abs. 3 LV - sei es im
Rahmen des Aufgabenübertragungsgesetzes, sei es im Rahmen des
Finanzausgleichsgesetzes - gesondert abzugelten. Der Landesgesetzgeber ist daher
verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, in einem gesonderten Ansatz die Kosten von
Pflichtaufgaben finanzkraftunabhängig und in vollem Umfang abzugelten (vgl. VerfGH
NW, OVGE 38, 301, 304 ff.; VerfGH NW, OVGE 40, 300, 304; ferner BayVerfGH,
BayVGHE 12 II, 48, 55; OVG NW, DVBl. 1980, 763, 764; Stern, Staatsrecht II, 1980, S.
1152 f.). Die Landesverfassung enthält keine "dualistische Finanzgarantie" des Inhalts,
daß Art. 79 Satz 2 LV eine für die Aufgabenerfüllung insgesamt ausreichende
Finanzausstattung der Gemeinden gewährleisten und Art. 78 Abs. 3 LV eine
aufgabenakzessorische und finanzkraftunabhängige Kostenerstattung bei Übertragung
staatlicher Aufgaben auf die Gemeinden (Konnexitätsprinzip) vorsehen würde. Art. 78
Abs. 3 LV regelt die Verpflichtung zur Übernahme und Durchführung "bestimmter
87
öffentlicher Aufgaben", ohne zwischen einzelnen Aufgabenarten zu unterscheiden (vgl.
VerfGH NW, OVGE 38, 301, 304 f.; offen gelassen von VerfGH NW, NWVBl. 1997, 129,
130).
Dieser umfassende, nicht auf eine Aufgabenart beschränkte Wortlaut erfaßt nicht nur
Pflichtaufgaben nach Weisung und Auftragsangelegenheiten, sondern auch nicht
weisungsgebundene Pflichtaufgaben. Dieses Verständnis wird auch dem dargelegten
Zweck der Vorschrift gerecht. Auch die Auferlegung pflichtiger
Selbstverwaltungsaufgaben kann die gemeindliche Selbstverwaltung gefährden, weil
gemeindliche Mittel gebunden werden, die für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben
nicht mehr zur Verfügung stehen (VerfGH NW, OVGE 38, 301, 304 f.).
88
Aus der von den Beschwerdeführerinnen angeführten Rechtsprechung des
Niedersächsischen Staatsgerichtshofs (DVBl. 1995, 1175 ff. sowie DVBl. 1998, 185 ff.)
und des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg (DÖV 1998, 336 ff.) läßt sich
kein abweichendes Ergebnis gewinnen; denn die dieser Rechtsprechung
zugrundeliegenden Bestimmungen der niedersächsischen Landesverfassung (Art. 57:
"staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung") bzw. der brandenburgischen
Landesverfassung (Art. 97 Abs. 3: "Angelegenheiten des Landes") bringen im
Gegensatz zur nordrhein-westfälischen Regelung des Art. 78 Abs. 3 LV den
Aufgabendualismus deutlich zum Ausdruck (so auch NdsStGH, DVBl. 1995, 1175 ff.).
89
Auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs
vermag die Auslegung der Art. 78, 79 LV durch den Verfassungsgerichtshof NW nicht in
Frage zu stellen; denn der Sächsische Verfassungsgerichtshof (SächsVBl. 1994, 280,
284) hat ausdrücklich offengelassen, ob die Aufgabenübertragungs- und
Kostendeckungsregelung des Art. 85 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 2 Sächs. LV
("Erledigung bestimmter Aufgaben") nur die Übertragung von staatlichen Aufgaben auf
die Gemeinden oder sämtliche Pflichtaufgaben erfaßt.
90
Die sich aus der Landesverfassung ergebende gemeindliche Finanzgarantie ist auch
nicht in dem Sinne gespalten, daß Art. 79 Satz 2 LV als allgemeine Finanzgarantie die
Deckung der Kosten freiwilliger Selbstverwaltungsangelegenheiten sichern und Art. 78
Abs. 3 LV die gesonderte Abgeltung der Kosten aller Pflichtaufgaben - seien sie
weisungsgebunden oder nicht - garantieren würde. Vielmehr ist den Gemeinden und
Gemeindeverbänden verfassungsrechtlich eine angemessene Finanzausstattung zur
Erfüllung aller ihrer Aufgaben nur als Gesamtvolumen gewährleistet (vgl. VerfGH NW,
OVGE 38, 301, 305 m. w. N.). Der kommunale Finanzausgleich ist eingebettet in ein
Gesamtfinanzierungssystem, dessen Einnahmequellen den kommunalen
Aufgabenträgern zur Deckung sämtlicher Ausgabenbelastungen dienen, ungeachtet ob
sie aus freiwilligen oder pflichtigen Selbstverwaltungsangelegenheiten oder
Weisungsangelegenheiten herrühren. Verfassungsrechtlich entscheidend ist daher
allein, ob die den kommunalen Aufgabenträgern insgesamt zur Verfügung stehenden
Finanzmittel - was hier der Fall ist - für die Erfüllung ihrer Aufgaben angemessen sind.
91
III.
92
Die den Gemeinden vom Land in den Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997
zur Verfügung gestellten Finanzmittel sind verfassungskonform auf die einzelnen
Gemeinden verteilt worden.
93
1. Die Hauptansatzstaffel des § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997 in Verbindung mit Anlage
1 zu diesen Gesetzen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; sie verstößt
insbesondere nicht gegen das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung.
94
a) Der Verfassungsgerichtshof kann nicht feststellen, daß die vom Gesetzgeber
getroffene Einwohnergewichtung zur Bedarfsbestimmung offensichtlich ungeeignet ist.
Sie geht ursprünglich auf das sogenannte Brecht/Popitzsche Gesetz der
überproportionalen Kostensteigerung der Aufgabenerledigung durch Agglomeration
zurück (vgl. Brecht, Internationaler Vergleich der öffentlichen Ausgaben, 1932, S. 6 ff.;
Popitz, Der künftige Finanzausgleich, 1932, S. 262 ff.). Maßgebend für diese
finanzwissenschaftliche Annahme ist die Überlegung, daß mit wachsender
Gemeindegröße die Pro-Kopf-Kosten für die Infrastruktur (zum Beispiel Individual- und
öffentlicher Personennahverkehr) und eine intensivere behördliche Struktur steigen, daß
größere Gemeinden in ihrer zentralörtlichen Funktion aufwendigere kommunale
Leistungen (zum Beispiel Theater oder Museen) zur Verfügung stellen und daß diese
Leistungen zum Teil auch für die Bewohner des Umlands erbracht werden. Die
Einwohnergewichtung wird als Bedarfsindikator seit langem in den
Finanzausgleichssystemen fast aller deutschen Bundesländer sowie der Schweiz und
Österreichs verwendet (vgl. Dietrich, Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den
Finanzausgleichssystemen der Bundesrepublik Deutschland, Diss. 1996, S. 19 ff.). Die
angegriffene Hauptansatzstaffel des § 8 Abs. 3 GFG 1996/GFG 1997 findet ihre
konkrete empirische Grundlage in der vom Ifo-Institut durchgeführten
regressionsanalytischen Untersuchung zur Bestimmung des Zuschußbedarfs.
95
Die theoretische Fundierung der Einwohnergewichtung weist allerdings insoweit
Schwächen auf, als für die Beurteilung künftiger Bedarfsgrößen auf kommunale
Haushaltsdaten der Vergangenheit zurückgegriffen wird und damit die Gefahr einer
bloßen Fortschreibung des tatsächlichen Zustands besteht. Zudem ist der kommunale
Finanzbedarf auch von anderen - unter Umständen gegenläufigen - Gegebenheiten
abhängig, wie zum Beispiel der wirtschaftlichen Struktur, den wechselseitigen Finanz-
und Pendlerströmen aus dem bzw. in das jeweilige Umland oder geographischen
Besonderheiten. Trotz dieser Schwächen kann das Bedarfskriterium der
Einwohnergewichtung als Element des Verteilungssystems nicht als offensichtlich
ungeeignet angesehen werden, zumal bislang in der Finanz- und
Kommunalwissenschaft keine allgemein anerkannten Erkenntnisse darüber zur
Verfügung stehen, mit welcher Methode und anhand welcher verläßlichen Kriterien der
kommunale Finanzbedarf objektiv bestimmt werden kann (vgl. BVerfGE 86, 148, 233
und 236; BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303 und 336, 337; zum Ganzen ferner Deubel, Der
kommunale Finanzausgleich in Nordrhein-Westfalen, 1984, S. 105 ff.; Zimmermann,
Das System der kommunalen Einnahmen und die Finanzierung der kommunalen
Aufgaben in der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 113 ff.; Parsche/Steinherr, Der
kommunale Finanzausgleich des Landes Nordrhein-Westfalen, 1995, S. 5 ff.; Dietrich,
Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den Finanzausgleichssystemen der
Bundesrepublik Deutschland, 1996; Junkernheinrich/Micosatt, Reform des
Schlüsselzuweisungssystems in Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 43 ff.; Inhester,
Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S. 165 ff.).
96
Der Gesetzgeber hat den Nachteilen eines Einwohneransatzes im übrigen dadurch
Rechnung getragen, daß er den Hauptansatz durch Nebenansätze wie den Schüler-,
Soziallasten- und Zentralitätsansatz ergänzt und modifiziert und auf diese Weise einen
von dem lediglich einwohnerbezogenen durchschnittlichen Zuschußbedarf
97
abweichenden Bedarf einzelner Gemeinden erfaßt hat (vgl. BayVerfGH, BayVBl. 1997,
303, 337). Die Einwohnergewichtung ist damit im nordrhein-westfälischen kommunalen
Finanzausgleich nur einer unter mehreren Indikatoren für die Bedarfsermittlung.
Der Verfassungsgerichtshof kann offen lassen, ob den Gesetzgeber eine Pflicht zur
Prüfung der gegen die Einwohnerveredelung bestehenden Bedenken sowie alternativer
Ansätze traf (vgl. dazu BVerfGE 86, 146, 235 f.); denn einer solchen Pflicht hätte er
jedenfalls dadurch genügt, daß er seine Entscheidung auf ein vom Innenministerium
des Landes Nordrhein-Westfalen eingeholtes Gutachten des Ifo-Instituts
(Parsche/Steinherr, Der kommunale Finanzausgleich des Landes Nordrhein-Westfalen,
1995) gestützt hat, dessen Auftrag unter anderem die Analyse und Weiterentwicklung
des Bedarfsermittlungssystems im kommunalen Finanzausgleich des Landes
Nordrhein-Westfalen war. Auf der Grundlage dieses Gutachtens, das Schwächen und
Vorteile der Einwohnerveredelung sowie alternativer Ansätze geprüft und dargestellt
hat, oblag es dem Gesetzgeber, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums zu
entscheiden, ob und inwieweit er den Vorschlägen des Gutachtens folgte oder andere
Lösungen bzw. methodische Ansätze bevorzugte. Dem Verfassungsgerichtshof ist es
verwehrt, durch eigene Einschätzungen und Beurteilungen einen solchen
Methodenstreit zu entscheiden.
98
Die Entscheidung des Gesetzgebers kann auch nicht deshalb als offensichtlich
fehlerhaft und damit verfassungswidrig beanstandet werden, weil das der Entscheidung
zugrunde liegende Gutachten des Ifo-Instituts möglicherweise Schwächen bei der
konkreten Anwendung der Regressionsanalyse zur Bedarfsbestimmung aufweist. Die
Beschwerdeführerinnen machen insoweit unter Berufung auf das Gutachten von ...
geltend, das Gutachten des Ifo-Instituts leide an einer Reihe von verfahrenstechnischen
Fehlern. Die Gutachter des Ifo-Instituts haben zu dieser Kritik Stellung genommen und
ihre Vorgehensweise im einzelnen erläutert. Die unterschiedlichen Auffassungen der
Gutachter zur "richtigen" Vorgehensweise beruhen durchweg auf abweichenden
Wertungen zu der Frage, welcher methodische Aufwand im Verhältnis zur "Genauigkeit"
der Ergebnisse angemessen ist, ferner auf Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit von
Daten, auf unterschiedlichen Einschätzungen, welcher Aussagewert bestimmten
Indikatoren oder Variablen zukommt, sowie auf voneinander abweichenden
Interpretationen von Sachverhalten. Bei komplexen Fragen der vorliegenden Art wird es
nicht selten unterschiedliche Auffassungen über die "richtige" Vorgehensweise bei der
Problemlösung und - in der Folge - divergierende Feststellungen und Bewertungen
tatsächlicher Art geben. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich um eine
schwierige und umstrittene Frage wie die zutreffende Ermittlung des gemeindlichen
Finanzbedarfs handelt, in deren Beantwortung zwangsläufig auch Bewertungen und
Gewichtungen einfließen, die nicht zuletzt auch pragmatische Erwägungen
berücksichtigen. Dem Verfassungsgerichtshof ist es in solchen Fällen nicht gestattet,
eigene Bewertungen und Einschätzungen seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Er
kann die Tatsachen und Erwägungen, von denen der Gesetzgeber ausgegangen ist, nur
dann beanstanden, wenn sie offensichtlich falsch oder eindeutig widerlegbar sind (vgl.
BayVerfGH, BayVBl. 1997, 303 und 336, 337). Diese Voraussetzungen sind hier mit
Blick auf die unterschiedlichen Beurteilungen und Wertungen der Gutachter nicht
gegeben.
99
b) Die Einwohnergewichtung des Hauptansatzes, die von unterschiedlichen, stetig
steigenden Pro-Kopf-Bedarfen in Abhängigkeit von der Gemeindegröße ausgeht,
verstößt auch im übrigen nicht gegen das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung.
100
Der Gesetzgeber muß sich bei der Festlegung der Hauptansatzstaffel nicht auf
fiskalische und redistributive Gesichtspunkte beschränken, sondern darf z.B. auch
raumordnungsrelevante Aspekte berücksichtigen. Es obliegt seiner politischen Wertung,
ob und ggf. inwieweit er an vorgefundene Agglomerationen anknüpft und deren
mögliche Folgekosten ausgleicht oder ob und ggf. inwieweit er ihnen mit dem Ziel einer
Dezentralisierung gegensteuert. Er ist daher entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerinnen verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, bei einem
Einwohneransatz von einem einheitlichen Pro-Kopf-Bedarf auszugehen.
101
Auch die Entscheidung, in welcher Weise zentralörtliche Funktionen von Gemeinden im
Rahmen des Finanzausgleichs berücksichtigt werden sollen, liegt im Ermessen des
Gesetzgebers. Er ist insbesondere verfassungsrechtlich nicht gehalten, insoweit
"Bedarfssprünge" in der Hauptansatzstaffel vorzusehen. Die Erwägung des
Gesetzgebers, sonst mögliche große Bedarfssprünge bei lediglich kleinen Änderungen
der Einwohnerzahl (wegen des Wechsels in eine andere Gemeindegrößenklasse)
vermeiden zu wollen, ist sachlich gerechtfertigt und auch systemgerecht. Denn das
Über- oder Unterschreiten einer bestimmten Einwohnerzahl ist nicht zwangsläufig mit
dem Erwerb oder dem Verlust einer zentralörtlichen Funktion verbunden.
102
Der Gesetzgeber ist allerdings mit Blick auf die Empfehlungen in den Gutachten der
Arbeitsgruppe von sachverständigen Praktikern (Gutachten zur Berechnung der
Schlüsselzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich Nordrhein-Westfalen, 1987, S.
36) und des Ifo-Instituts (Parsche/Steinherr, Der kommunale Finanzausgleich des
Landes Nordrhein-Westfalen, 1995, S. 29) gehalten, die Hauptansatzstaffel in nicht allzu
großen Zeitabständen regelmäßig zu überprüfen, um geänderten kommunalen
Bedingungen oder neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung tragen zu
können.
103
2. Der Soziallastenansatz gemäß § 8 Abs. 5 GFG 1996/GFG 1997 begegnet ebenfalls
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
104
a) Er verstößt nicht gegen das Gebot, die Gemeinden und Gemeindeverbände
untereinander gleich zu behandeln.
105
Die Beschwerdeführerinnen werden nicht deshalb sachwidrig benachteiligt, weil dem
Soziallastenansatz die (gewichtete) Zahl der Arbeitslosen zugrunde liegt und deshalb
nur ein Teil der Soziallasten erfaßt wird. Die Zahlen der Langzeitarbeitslosen dienen
vielmehr als Indikator für die gesamten Sozialhilfekosten der Gemeinden. Nach den von
Parsche und Steinherr (a.a.O., S. 32 und 36) zitierten wissenschaftlichen
Untersuchungen von Budde und Junkernheinrich (Kommunale Inzidenz eines
Arbeitslosenansatzes im nordrhein-westfälischen Finanzausgleich, Ruhr-
Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik e.V., 1986) sowie von Kemper und
Lohan (Struktur der Sozialhilfe in ..., 1987, Hrsg.: Sozialamt der Stadt ...) besteht ein
enger Zusammenhang zwischen der gestiegenen Langzeitarbeitslosigkeit und den
gestiegenen Sozialhilfeausgaben.
106
Zwar ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger ein genauerer Indikator für die
Sozialhilfekosten als die Zahl der Arbeitslosen. Bei Verabschiedung der
Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 standen jedoch noch keine hinreichend
aussagekräftigen Daten auf der Grundlage der seinerzeit erhobenen Sozialhilfestatistik
107
zur Verfügung (vgl. im einzelnen Parsche/Steinherr, a.a.O., S. 34 f.; ferner
Junkernheinrich/Micosatt, Reform des Schlüsselzuweisungssystems in Nordrhein-
Westfalen, 1997, S. 113). Bei dieser Sachlage ist es verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, wenn der Gesetzgeber den vergröbernden Indikator der
Arbeitslosenzahlen gewählt und zugleich die Landesregierung mit der Prüfung
beauftragt hat, ob anstelle der Zahl der Langzeitarbeitslosen die Zahl der
Sozialhilfeempfänger bzw. die Sozialhilfelasten der Kommunen zur Grundlage des
Sozialhilfeansatzes gemacht werden können, sobald die entsprechenden Daten auf
neuer gesicherter statistischer Basis zur Verfügung stehen (LT-Drs. 12/820, S. 3;
Plenarprotokoll 12/24, S. 1741). Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Anlaß zu der
Annahme, daß diesem Prüfauftrag nicht genügt wird.
b) Es ist ferner nicht gleichheitswidrig, daß solche kreisangehörigen Gemeinden, die als
örtliche Sozialhilfeträger ihre persönlichen und sächlichen Verwaltungskosten selbst
tragen müssen (vgl. § 5 Abs. 2 AG BSHG NW), im Rahmen des Sozialhilfeansatzes
nicht besser gestellt werden als kreisangehörige Gemeinden, die nicht Sozialhilfeträger
sind. Die Beschwerdeführerinnen, soweit sie überhaupt als Sozialhilfeträger betroffen
sind, verkennen, daß das Schlüsselzuweisungssystem auf einer pauschalierenden
Verteilung beruht, bei der einzelne den Gemeinden entstehende Kosten gerade nicht
berücksichtigt und abgegolten werden. Da vornehmlich größere kreisangehörige
Gemeinden zur Wahrnehmung von Aufgaben nach dem Bundessozialhilfegesetz
herangezogen werden, werden die mit der wachsenden Größe von Gemeinden
verknüpften zusätzlichen Aufgaben und Kosten im übrigen bereits pauschal vom
Hauptansatz erfaßt. Soweit die Beschwerdeführerinnen ferner Minder- bzw.
Mehrbelastungen einzelner kreisangehöriger Gemeinden bei der Festsetzung der
Kreisumlage geltend machen, ist diese - sich unabhängig von konkreten
Schlüsselzuweisungen stellende - Frage in dem von den Beschwerdeführerinnen nicht
angegriffenen § 56 Abs. 4 und 5 Kreisordnung NW geregelt (vgl. dazu OVG NW,
NWVBl. 1996, 376).
108
c) Ein Verstoß gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot liegt auch nicht
darin, daß die Kreise für die Berechnung der Kreisumlage unterschiedliche
Hundertsätze der Umlagegrundlagen, zu denen auch die Schlüsselzuweisungen zählen
(§ 34 Abs. 1 GFG 1996/GFG 1997), festsetzen. Die sich daraus ergebende "Un-
gleichbehandlung" der Kommunen unterschiedlicher Kreise ist Ausdruck der
Selbstverwaltung der Kreise und verfassungsrechtlich unbedenklich.
109
d) Es ist schließlich nicht systemwidrig, daß der Soziallastenansatz nicht nur den
Finanzbedarf kreisfreier Städte, sondern auch den Finanzbedarf kreisangehöriger
Gemeinden (mit-)bestimmt, obwohl die Kosten für die Sozialhilfeleistungen im
kreisangehörigen Raum nicht von den Gemeinden, sondern von den Kreisen zu tragen
sind. Da sich die Sozialhilfekosten eines Kreises über die Kreisumlage auf die
einzelnen kreisangehörigen Gemeinden finanziell auswirken, sind die Gemeinden
mittelbar von den Sozialhilfeausgaben des Kreises betroffen. Es ist daher vertretbar, bei
den Verteilungsregelungen über die Schlüsselzuweisungen diese mittelbaren
Auswirkungen bei den kreisangehörigen Gemeinden zu berücksichtigen. Daß die
lediglich mittelbare Berücksichtigung der Sozialhilfekosten zu erheblichen Verzerrungen
zwischen kreisangehörigen Gemeinden geführt hätte, ist nicht erkennbar. Ein
einheitlicher Soziallastenansatz für alle Gemeinden paßt sich auch in das
Gesamtsystem ein, weil die Soziallasten im kreisangehörigen Raum in unmittelbare
Beziehung gesetzt werden zu den Soziallasten im kreisfreien Raum; auf diese Weise ist
110
eine lastengerechte Verteilung zwischen kreisangehörigem und kreisfreiem Raum
gewährleistet.
3. Auch der Zentralitätsansatz des § 8 Abs. 6 GFG 1996/GFG 1997 verstößt nicht gegen
das interkommunale Gleichheitsgebot.
111
Es ist sachlich vertretbar und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der
erstmals mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 eingeführte Nebenansatz an die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten anknüpft. In der vom Ifo-Institut
durchgeführten multiplen Regressionsrechnung hat sich die Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als signifikante Einflußgröße auf den
Zuschußbedarf einer Gemeinde erwiesen (Parsche/Steinherr, a.a.O., S. 49 i.V.m.
Anlage D). Die Regressionsanalyse hat ferner eine hohe Korrelation zwischen den
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und dem Pendlersaldo ergeben, so daß die
Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugleich ein Indikator für die
Arbeitsplatzzentralität einer Gemeinde ist (ebenda).
112
Die Beurteilung des Gesetzgebers, daß mit steigender Zahl der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten höhere gemeindliche (Zentralitäts-)Kosten
verbunden sind, ist vor diesem Hintergrund nicht sachwidrig. Der Normgeber war
aufgrund der vom Ifo-Institut erhobenen Daten nicht gehalten, auf den von den
Beschwerdeführerinnen befürworteten Pendlersaldo anstelle der
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten abzustellen.
113
Es lag ferner in seinem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, wenn er die
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Zentralitätsansatz nicht, wie vom Ifo-
Institut vorgeschlagen, mit einem Faktor von einem Drittel, sondern mit einem Faktor von
lediglich 0,15 gewichtet hat. Das Ifo-Institut hat dargelegt, daß der Gewichtungsfaktor
nicht "berechnet" werden könne, weil dem Nebenansatz keine exakt erfaßbare
Kostengröße zugrunde liege. Der von ihm vorgeschlagene Gewichtungsfaktor sei
lediglich ein ungefährer Anhaltspunkt für die vom Gesetzgeber zu treffende
Entscheidung. Es ist nicht ersichtlich, daß der Entscheidung des Gesetzgebers
sachfremde Erwägungen zugrunde liegen. Angesichts der vom Ifo-Institut aufgezeigten
Schwierigkeiten einer exakten Kostenbestimmung ist nicht zu beanstanden, daß der
Gesetzgeber dem Zentralitätsansatz ein geringeres Gewicht beigemessen hat als vom
Ifo-Institut vorgeschlagen.
114
Der Zentralitätsansatz ist auch nicht lediglich eine gleichgerichtete "Verstärkung" des
Hauptansatzes; er modifiziert vielmehr diesen Ansatz. Dies folgt nicht zuletzt aus den
Modellrechnungen in dem von den Beschwerdeführerinnen vorgelegten Gutachten von
.... Danach führt der Zentralitätsansatz zu einer Umverteilung von den (kleineren)
kreisangehörigen Gemeinden auf die (größeren) kreisfreien Städte in einer
Größenordnung von lediglich 5,5 Mio. DM (auf der Datenbasis des
Gemeindefinanzierungsgesetzes 1996), obwohl insgesamt 80,7 Mio. DM zwischen den
Gemeinden aufgrund des Zentralitätsansatzes umverteilt werden.
115
4. Bei der Ermittlung der normativen Steuerkraft der Gemeinden ist die Festsetzung
unterschiedlicher Hebesätze für Gemeinden bis zu und mit mehr als 150.000
Einwohnern in § 9 Abs. 2 GFG 1996/GFG 1997 als stufenweise Übergangsregelung bis
zur Aufhebung dieser sogenannten Sprungstelle im Gemeindefinanzierungsgesetz
1998 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
116
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist es
verfassungsrechtlich unbedenklich, daß zur Ermittlung der Steuerkraft der einzelnen
Gemeinde bei der Bemessung des Realsteueraufkommens sogenannte fiktive
Hebesätze zugrunde gelegt werden. Die Anknüpfung an fiktive Hebesätze dient der
verfassungsrechtlich gebotenen interkommunalen Gleichbehandlung, weil sie den
übergemeindlichen Finanzausgleich von der Willensentscheidung der einzelnen
Gemeinde zur Höhe der Hebesätze in ihrem Gebiet unabhängig macht (vgl. VerfGH
NW, OVGE 43, 252, 260 f.; VerfGH NW, OVGE 40, 300, 306 ff.).
117
b) Der Verfassungsgerichtshof kann offenlassen, ob und inwieweit die angegriffene
Festsetzung unterschiedlicher fiktiver Hebesätze in Abhängigkeit von der
Einwohnerzahl die Beschwerdeführerinnen überhaupt belastet. Jedenfalls ist der
stufenweise Abbau des Schwellenwertes verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; er
wird insbesondere dem Gleichbehandlungsgebot gerecht. Der Gesetzgeber hat die
Sachgerechtigkeit der Sprungstelle, wie vom Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil
vom 6. Juli 1993 (OVGE 43, 252 f.) gefordert, einer Prüfung durch Einholung eines
Gutachtens des Ifo-Instituts unterzogen. Das Gutachten ist zu der Beurteilung gelangt,
daß eine Beibehaltung der Sprungstelle bei 150.000 Einwohnern nicht sachgerecht
wäre, daß aber wegen der relativ großen Umschichtungen der Schlüsselzuweisungen
in den kreisfreien Raum bei Wegfall der Sprungstelle ein schrittweiser Abbau derselben
erfolgen solle. Dieser Beurteilung hat sich der Gesetzgeber angeschlossen und in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 die Unterschiede zwischen den
beiden Gemeindegrößenklassen stufenweise reduziert. Die stufenweise Rückführung
der Sprungstelle ist sachlich vertretbar. Zwar konnten die betroffenen Gemeinden nach
dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs vom 6. Juli 1993 nicht auf eine Beibehaltung
der Sprungstelle vertrauen. Der Gesetzgeber war gleichwohl nicht gehindert, die mit
dem Verzicht auf jegliche Sprungstelle verbundenen Übergangsschwierigkeiten und
Härten insbesondere für den kreisangehörigen Raum durch die angegriffenen
Regelungen zu mildern, zumal das Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 erst rund drei
Monate nach Beginn des Haushaltsjahres verkündet worden ist und die in Rede
stehende Regelung lediglich Teil weiter reichender Änderungen war. Im
Gemeindefinanzierungsgesetz 1997 haben sich die unterschiedlichen Hebesätze im
übrigen bereits in einem Maße angenähert, daß die Rücksichtnahme des Gesetzgebers
auf Anpassungsschwierigkeiten den noch verbleibenden relativ geringen Unterschied
rechtfertigt.
118
c) Der Verzicht auf weitere Differenzierungen bei den Realsteuerhebesätzen mit dem ab
dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1998 verwirklichten Ziel, landeseinheitliche
Hebesätze festzusetzen, ist mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar.
119
Der Einführung landeseinheitlicher fiktiver Hebesätze liegen sachliche Erwägungen
zugrunde, die den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügen. Maßgebend für die
Festsetzung fiktiver Hebesätze ist nicht das effektive Steueraufkommen, sondern die
potentielle Steuerkraft. Die Steuerkraft einer Gemeinde ist im Rahmen der aus
praktischen Gründen unvermeidbaren Typisierung möglichst sachgerecht zu erfassen.
Bislang gibt es allerdings keine wissenschaftlich fundierte und allgemein anerkannte
Methode zur sachgerechten Ermittlung der Möglichkeiten einer Gemeinde bei der
Bemessung der Hebesätze für die Realsteuern. Schon deshalb muß dem Gesetzgeber
ein weiter Einschätzungsspielraum verbleiben (vgl. VerfGH NW, OVGE 43, 252, 261 f.).
120
Dabei hat er verschiedene Aspekte zu berücksichtigen und abzuwägen. Nach
finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen führen hohe fiktive Hebesätze tendenziell zu
höheren Schlüsselzuweisungen bei Gemeinden mit einer geringeren Realsteuerkraft
(im Sinne der Bemessungsgrundlagen); steuerschwache Gemeinden profitieren mithin
von einem steigenden Nivellierungshebesatz (vgl. Arbeitsgruppe aus sachverständigen
Praktikern, Gutachten zur Berechnung der Schlüsselzuweisungen im kommunalen
Finanzausgleich Nordrhein-Westfalen, 1987, S. 44; Zimmermann, Das System der
kommunalen Einnahmen, 1988, S. 119 f.; Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im
Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S. 174 m.w.N.). Eine differenzierte Gestaltung der
Realsteuerhebesätze nach Gemeinde(größen)klassen bewirkt - im Vergleich zu
einheitlichen Hebesätzen - eine zusätzliche Umverteilung von den Gemeinden mit
hohen zu denen mit niedrigeren Realsteuerhebesätzen (Arbeitsgruppe aus
sachverständigen Praktikern, a.a.O.).
121
Schon in der Arbeitsgruppe aus sachverständigen Praktikern war 1987 umstritten, ob
und inwieweit die tatsächlichen Unterschiede der gemeindlichen Hebesätze Ausdruck
eines unterschiedlichen Steuerausschöpfungspotentials oder vielmehr Konsequenz
unterschiedlicher Finanzbedarfe sind. Dementsprechend bestand keine Einigkeit
darüber, ob landeseinheitliche fiktive Hebesätze - wie in der Mehrzahl anderer
Bundesländer - oder eine differenzierte Gestaltung der Hebesätze nach Gemeindegröße
sachgerechter seien. Das vom Land Nordrhein-Westfalen beauftragte Ifo-Institut hat in
seinem Gutachten landeseinheitliche fiktive Hebesätze empfohlen: Die Einwohnerzahl
stelle keinen hinreichend verläßlichen Indikator für unterschiedliche
Hebesatzanspannungspotentiale dar; sie gebe keinen sicheren Aufschluß über
Standortvorteile und deren wirtschaftliche Ertragsmöglichkeiten (a.a.O., S. 61 ff.). Auch
die Gutachter ..., auf die sich die Beschwerdeführerinnen stützen, lehnen die
Einwohnerzahl als Grundlage für differenzierte Hebesätze ab (Quo vadis Kommunaler
Finanzausgleich?, Finanzwissenschaftliche Anmerkungen zur Stellungnahme der
Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen in dem verfassungsgerichtlichen Verfahren
VerfGH 16/96, S. 28 ff.).
122
Die Suche nach anderen Indikatoren für die Standortqualität einer Gemeinde anstelle
der Einwohnerzahl sieht das Ifo-Institut als nicht zweckmäßig an, weil bereits der
Gedanke unterschiedlicher Steueranspannungsmöglichkeiten in Zweifel zu ziehen sei.
Es seien keine deutlich unterschiedlichen Voraussetzungen zur Hebesatzanspannung
bei den nordrhein-westfälischen Gemeinden festzustellen; die Gemeinden seien
insofern untereinander weitgehend vergleichbar (Parsche/Steinherr, a.a.O., S. 69).
123
Wenn der Gesetzgeber sich vor diesem Hintergrund für landeseinheitliche Hebesätze
entschieden hat, ist das von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Es ist sachlich
vertretbar, daß er angesichts der Unsicherheiten, ob die Steuerkraftpotentiale
hinreichend deutliche Unterschiede aufweisen und mit welchen Maßstäben diese
gegebenenfalls zu erfassen sind, keine Differenzierung bei der Festsetzung der fiktiven
Hebesätze vorgenommen hat.
124
Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, die Hebesätze differenziert nach
Kernstädten, Umlandbereichen und ländlichem Raum zu gestalten, wie dies das von
den Beschwerdeführerinnen vorgelegte Gutachten von ... befürwortet. Da sich auch ...
bei ihrer Kategorisierung an den tatsächlichen Hebesätzen der Gemeinden orientieren
(vgl. Stellungnahme von Parsche/Steinherr, S. 18 ff.), werden die Unsicherheiten, ob die
tatsächlichen Hebesätze dem Steuerkraftpotential entsprechen, letztlich nicht beseitigt.
125
Die von ihnen vertretene Hebesatzdifferenzierung ist jedenfalls nicht die
verfassungsrechtlich allein gebotene.
d) Die Höhe der in den Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 festgelegten
fiktiven Hebesätze verletzt nicht das Selbstverwaltungsrecht der
Beschwerdeführerinnen. Sie verstößt auch nicht gegen das Willkürverbot.
126
Soweit die Beschwerdeführerinnen im Einzelfall nachteilige Folgen für ihre
Schlüsselzuweisungen aufgrund hoher Steuermeßbeträge befürchten, lassen sich diese
im allgemeinen dadurch kompensieren, daß Gemeinden zur Verbesserung ihrer
Finanzausstattung ihre unter dem Niveau der fiktiven Hebesätze liegenden
tatsächlichen Hebesätze anheben. Ein gewisser Anpassungsdruck ist
verfassungsrechtlich hinzunehmen. Die Finanzhoheit der Gemeinden gewährleistet
nicht, die Festsetzung ihrer Hebesätze allein nach ihren örtlichen Interessen und
Vorstellungen vorzunehmen.
127
Die Möglichkeit, die für die Schlüsselzuweisungen eventuell nachteiligen Folgen hoher
Steuermeßbeträge durch Anheben der tatsächlichen Hebesätze zu kompensieren, mag
dann an eine Grenze stoßen, wenn die fiktiven Hebesätze so außerordentlich hoch
liegen würden, daß die tatsächlichen Sätze schlechterdings nicht weiter angehoben
werden könnten, um etwaige Einbußen an Schlüsselzuweisungen durch höhere
Realsteuereinnahmen auszugleichen. Eine solche Grenze ist jedenfalls dann nicht
erreicht, wenn die vom Gesetzgeber festgelegten fiktiven Hebesätze - wie hier - den
gewichteten Durchschnittswerten der tatsächlichen Hebesätze nahekommen (vgl.
VerfGH NW, OVGE 40, 300, 307 ff.).
128
Die Festsetzung des fiktiven Hebesatzes für die Grundsteuer A auf 175 % in § 9 Abs. 2
GFG 1996 ist auch nicht deshalb sach- oder gleichheitswidrig, weil sie 7,4 % (oder 14
Prozentpunkte) unter dem tatsächlichen landesdurchschnittlichen Hebesatz von 189 %
liegt. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, exakt den tatsächlichen
landesdurchschnittlichen Hebesatz als fiktiven Hebesatz festzusetzen.
129
5. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß die Konzessionsabgaben
der Versorgungsunternehmen nicht in die Ermittlung der Finanzkraft der Gemeinden im
Rahmen des Schlüsselzuweisungssystems einbezogen worden sind.
130
a) Der Verfassungsgerichtshof läßt offen, ob die verfassungsrechtliche Gewährleistung
des Finanzausgleichs als Bestandteil der Selbstverwaltung (Art. 78, 79 Satz 2 LV) oder
andere verfassungsrechtliche Gesichtspunkte Anlaß geben, Konzessionsabgaben bei
der Feststellung der Finanzkraft der Gemeinden überhaupt zu berücksichtigen. Der
Finanzausgleich kommt allerdings in seiner konkreten Wirkung dem von der
Verfassungsregelung verfolgten Ziel am nächsten, wenn sowohl der Finanzbedarf einer
Gemeinde als auch ihre eigene Finanzkraft im Rahmen der aus praktischen Gründen
unvermeidbaren Typisierung möglichst sachgerecht erfaßt werden (VerfGH NW, OVGE
43, 252, 261). Entsprechend dem Ziel des kommunalen Finanzausgleichs, die
einzelnen Gemeinden in die Lage zu versetzen, die ihnen obliegenden Aufgaben zu
erfüllen, zielt die Feststellung der Finanzkraft auf die (finanzielle) Fähigkeit, diese
Aufgaben zu erfüllen. Ob unter diesem Gesichtspunkt die Konzessionsabgaben als
Meßgröße für den Finanzbedarf bei der Verteilung der Schlüsselzuweisungen zu
berücksichtigen sind, bedarf für das vorliegende Verfahren indes keiner Entscheidung.
131
b) Jedenfalls unter den für die Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997
gegebenen Umständen waren die Konzessionsabgaben nicht ausgleichsfähig. Das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Mai 1992 (BVerfGE 86,
148, 226 ff.) im einzelnen näher dargelegt, daß aufgrund der rechtlichen und
tatsächlichen Entwicklung der Konzessionsabgaben eine verzerrende
Fremdbestimmung der Kommunen entstanden sei, die es gegenwärtig nicht ermögliche,
die anfallenden Konzessionsabgaben durch ein normiertes Soll-Aufkommen
vergleichbar zu machen oder deren Ist-Aufkommen in die kommunale Finanzkraft
einzubeziehen. Für die künftige Ausgleichsfähigkeit der Konzessionsabgaben komme
es daher entscheidend darauf an, wann die noch fortwirkenden Verzerrungen durch
Auslaufen oder Anpassung der bestehenden Konzessionsverträge soweit entfielen, daß
von der Möglichkeit einer eigenverantwortlichen Nutzung dieser Einnahmequellen
durch die große Mehrzahl der Gemeinden ausgegangen werden könne. Ob und wann
diese Situation eintrete, lasse sich nicht vorherbestimmen. Nach Inkrafttreten der
Konzessionsabgabenverordnung vom 9. Januar 1992 (BGBl. I S. 12), die einen
bundeseinheitlichen Maßstab für die Erhebung von Konzessionsabgaben festlege und
gestaffelte Höchstbeträge vorsehe, könne sich die Entwicklung zum Abbau der
Verzerrungen möglicherweise beschleunigen.
132
Es ist weder erkennbar noch im einzelnen von den Beschwerdeführerinnen näher
dargelegt, daß in dem Zeitraum seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
die Verzerrungen in einem Maße abgebaut worden wären, daß die anfallenden
Konzessionsabgaben durch ein normiertes Soll-Aufkommen hätten vergleichbar
gemacht werden können. Ob andererseits eine Einbeziehung des Ist-Aufkommens in
das auf Soll-Größen beruhende, normative Schlüsselzuweisungssystem überhaupt
systemgerecht wäre, kann dahinstehen. Jedenfalls war sie verfassungsrechtlich nicht
geboten.
133
6. Der in § 7 Abs. 1 GFG 1996/GFG 1997 vorgesehene Ausgleich in Höhe von 95 %
bzw. 90 % des Unterschiedsbetrages zwischen der Ausgangsmeßzahl und der
Steuerkraftmeßzahl, den alle nicht abundanten Gemeinden als Schlüsselzuweisung
erhalten, verstößt nicht gegen die Landesverfassung.
134
a) Die Landesverfassung verlangt nicht, die Höhe des Ausgleichssatzes oder andere
Elemente des kommunalen Finanzausgleichs so zu gestalten, daß alle kommunalen
Gebietskörperschaften Finanzzuweisungen erhalten. Insbesondere gebieten Art. 78, 79
Satz 2 LV - auch im Lichte des Art. 106 Abs. 7 GG - nicht, alle Kommunen an dem vom
Landesgesetzgeber festzusetzenden kommunalen Anteil am Länderanteil der
Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 7 GG) zu beteiligen.
135
Art. 106 Abs. 7 GG verpflichtet zwar den Landesgesetzgeber zu einem ergänzenden
kommunalen Finanzausgleich (vgl. Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen
der Staatsverfassung, S. 124 m.w.N.), macht jedoch für die Verteilungsmaßstäbe des
kommunalen Finanzausgleichs keine normativen Vorgaben, die gegebenenfalls bei der
Auslegung der Landesverfassung zu berücksichtigen wären (BVerfGE 83, 363, 391; F.
Kirchhof, in: F. Kirchhof/Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im
Flächenbundesland, 1996, S. 149). Die konkrete Ausgestaltung des kommunalen
Finanzausgleichs fällt allein in die Verantwortung der Länder (vgl. BVerfGE 26, 172,
181).
136
Der von der Landesverfassung gewährleistete kommunale Finanzausgleich hat die
137
Aufgabe, Mängel zu beseitigen oder abzuschwächen, die sich aus einer
unzureichenden Ausstattung von Kommunen mit Steuermitteln ergeben. Entsprechend
dem unterschiedlichen Ausgabenbedarf der einzelnen Gemeinden und der
unterschiedlichen Möglichkeiten, diesen Bedarf durch eigene Einnahmen zu decken,
sollen die Finanzquellen der Gemeinden ergänzt werden. Dieser subsidiäre
Finanzausgleich soll die Gesamteinnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände so
weit aufstocken, daß die finanzielle Möglichkeit zu eigenverantwortlicher, freiwilliger
Selbstverwaltungstätigkeit gegeben ist (sog. fiskalische Funktion, vgl. Deubel, Der
kommunale Finanzausgleich in Nordrhein-Westfalen, 1984, S. 11 f.; Zimmermann, Das
System der kommunalen Einnahmen und die Finanzierung der kommunalen Aufgaben
in der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 105; Inhester, a.a.O., S. 125 ff.).
Daneben hat der übergemeindliche Finanzausgleich die Aufgabe, die sich aus der
ungleichmäßigen Streuung des Steueraufkommens ergebenden Unterschiede in der
finanziellen Leistungsfähigkeit zwischen den einzelnen kommunalen
Gebietskörperschaften auszugleichen (sog. redistributive Funktion, vgl. Inhester, a.a.O.,
S. 127 m.w.N.).
138
Aus dieser Komplementärfunktion des kommunalen Finanzausgleichs folgt nicht, daß
zwangsläufig alle Kommunen - unabhängig von ihrer Steuerkraft - an den Zuweisungen
des Finanzausgleichs beteiligt werden müßten. Abundante Gemeinden, die ihren
Finanzbedarf aus eigenen Einnahmen decken können, bedürfen keiner ergänzenden
Finanzzuweisungen.
139
b) Die Höhe des Ausgleichsgrades verstößt nicht gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein solcher Verstoß läge nur dann vor, wenn der
Landesgesetzgeber das von ihm selbst statuierte System des übergemeindlichen
Finanzausgleichs zum Nachteil oder Vorteil bestimmter Gemeinden willkürlich
durchbrochen hätte oder dieses Ausgleichssystem allgemein zu willkürlichen, mit der
Funktion des Finanzausgleichs unvereinbaren Ergebnissen führen würde.
Verfassungswidrig wäre es insbesondere, wenn nach durchgeführtem Finanzausgleich
die reale Finanzlage ehemals steuerstärkerer Gemeinden ungünstiger wäre als die
ehemals steuerschwächerer oder eine vollkommene finanzielle Einebnung erfolgte (vgl.
VerfGH NW, OVGE 38, 312, 317; VerfGH NW, OVGE 40, 300, 305). Das kann hier nicht
festgestellt werden.
140
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits einen Ausgleichsgrad von 90 % (OVGE 38, 312,
317 f.) und von 100 % (OVGE 43, 300, 305 f.) als verfassungsrechtlich unbedenklich
angesehen. Daran ist, soweit hier ein Ausgleichsgrad von 90 % und - für einen
Übergangszeitraum - ein solcher von 95 % in Rede stehen, auch bei erneuter Prüfung
festzuhalten. § 7 Abs. 1 GFG 1996 und § 7 Abs. 1 GFG 1997 führen insbesondere nicht
zu einer willkürlichen Nivellierung der Finanzausstattung der Gemeinden.
141
Einer Nivellierung durch einen hohen Ausgleichssatz steht schon entgegen, daß
unabhängig von der Höhe des Ausgleichssatzes die Schlüsselmasse feststeht und jede
Veränderung des Ausgleichssatzes sich auf die einzelnen Ausgangsmeßzahlen
auswirkt. Die Ausgangsmeßzahl ist das Produkt aus Gesamtansatz und Grundbetrag;
der Grundbetrag steuert die Ausgangsmeßzahl in der Weise, daß die Summe der
Differenzen zwischen Ausgangsmeßzahl und Steuerkraftmeßzahl stets die zur
Verfügung stehende Schlüsselmasse ergibt (§ 8 Abs. 7 GFG 1996/GFG 1997). Bei einer
Erhöhung des Ausgleichsgrades müßte ohne die Rechengröße des Grundbetrages die
142
Schlüsselmasse an sich ebenfalls entsprechend erhöht werden. Der Grundbetrag
verhindert das, indem er die Ausgangsmeßzahl so absenkt (und damit die
auszugleichenden Differenzen zwischen Ausgangsmeßzahl und Steuerkraftmeßzahl
entsprechend verringert), daß - trotz höheren Ausgleichsgrades - (nur) die bereitgestellte
Finanzmasse verteilt wird. Dies führt im Ergebnis dazu, daß eine Veränderung des
Ausgleichssatzes bei den einzelnen Gemeinden zu - gemessen an der Veränderung
des Ausgleichssatzes - vergleichsweise geringen Veränderungen der
Schlüsselzuweisungen führt. Die Veränderungen der konkreten Schlüsselzuweisungen
sind zudem gegenläufig: Für einen Teil der nicht abundanten Gemeinden steigen sie,
für einen anderen sinken sie.
Eine Angleichung in der tatsächlichen Finanzausstattung tritt auch deshalb nicht ein,
weil die unterschiedlich hohen Einnahmen der Gemeinden aus anderen Quellen als
denen der Realsteuern bei der Ermittlung der Steuerkraftmeßzahlen unberücksichtigt
bleiben. Darüber hinaus wird die Steuerkraftmeßzahl gemäß § 9 Abs. 1 GFG 1996/GFG
1997 nicht nach den realen Erträgen aus den hebesatzabhängigen Steuern, sondern
nach normativen (fiktiven) Hebesätzen bemessen (VerfGH NW, OVGE 38, 312, 317 f.).
143
Die Regelung des § 7 Abs. 1 GFG 1996/GFG 1997 ist auch nicht deshalb willkürlich,
weil einzelne Gemeinden von einem Steuerkraftzuwachs im Ergebnis weniger
profitieren als einzelne Großstädte. Dies ist, wie auch ... einräumen, systemimmanent
und beruht darauf, daß Schlüsselzuweisungen zu einem hohen Prozentsatz
entsprechend der Zahl der Einwohner verteilt werden. Die von den
Beschwerdeführerinnen angegriffene Ungleichheit der absoluten Zuweisungsgrößen je
Gemeinde hat ihren sachlichen Grund mithin in ungleichen Gemeindegrößen.
144
Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit ein hoher Ausgleichsgrad eine
Schwächung der Eigeninitiative der Kommunen bewirkt. Der Gesetzgeber hat insoweit
abzuwägen zwischen dem Ziel der Ausgleichsgerechtigkeit und dem Ziel, Anreize zur
Stärkung der eigenen gemeindlichen Steuerkraft zu schaffen. Die konkrete
Abwägungsentscheidung des Gesetzgebers ist jedenfalls dann nicht
verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn - wie hier - den Gemeinden nicht jeder
Anreiz zur Stärkung der eigenen Steuerquellen genommen wird.
145
7. Die Gewährung von zweckgebundenen Zuweisungen in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 verstößt nicht gegen Art. 78, 78 Satz 2
LV.
146
a) Zweckgebundene Zuweisungen sind grundsätzlich mit dem Recht auf gemeindliche
Selbstverwaltung vereinbar. Der Verfassungsgerichtshof hat Zweckzuweisungen in
ständiger Rechtsprechung als verfassungskonformen Bestandteil des kommunalen
Finanzausgleichs angesehen (vgl. VerfGH NW, OVGE 38, 301, 308; VerfGH NW, OVGE
38, 312, 318; VerfGH NW, OVGE 43, 252, 265 f.).
147
Die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen werden - entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführerinnen - nicht durch Art. 106 Abs. 7 Satz 1 GG dahingehend
konkretisiert, daß der den Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt zufließende
Hundertsatz von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern
(sogenannter obligatorischer Steuerverbund) nur in der Form von
"Schlüsselzuweisungen" verteilt werden dürfte. Die genannte grundgesetzliche
Verfassungsnorm enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
148
keine normativen Vorgaben für einen landesgesetzlichen interkommunalen horizontalen
Finanzausgleich (BVerfGE 83, 363, 391; ebenso Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz,
Grundgesetz, Art. 106 Rn. 83; P. Kirchhof, DVBl 1980, 711, 712).
b) Die Gewährung von Zweckzuweisungen in den Gemeindefinanzierungsgesetzen
1996 und 1997 verstößt auch nicht deshalb gegen Art. 78, 79 Satz 2 LV, weil den
Beschwerdeführerinnen, wie diese meinen, keine ausreichenden
Finanzausgleichsmittel als allgemeine Deckungsmittel zugewiesen worden wären.
Denn die den Gemeinden insgesamt zur Verfügung gestellte Schlüsselmasse in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 ist, wie ausgeführt,
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
149
Je mehr allerdings die Finanzausstattung der Gemeinden sich der Grenze der
verfassungswidrigen Unangemessenheit nähert und je mehr Gemeinden einen
unausgeglichenen Haushalt haben, desto zurückhaltender muß der Gesetzgeber mit
Zweckzuweisungen sein, um den Handlungsspielraum der Gemeinden nicht zusätzlich
einzuengen. Dem ist hier Rechnung getragen. Die mit den Zweckzuweisungen in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 einhergehende staatliche
Einflußnahme auf die kommunale Aufgabenerfüllung beläßt den Gemeinden einen
substantiellen Spielraum zu eigenverantwortlicher Gestaltung (vgl. BVerfGE 83, 363,
387; Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S.
78 und 182 f.). Die angegriffenen Zweckzuweisungen sind sowohl im Verhältnis zu den
allgemeinen Zuweisungen als auch im Verhältnis zu den kommunalen
Gesamteinnahmen von eher untergeordneter finanzieller Bedeutung. Der Anteil der
Zweckzuweisungen am Gesamtzuweisungsvolumen betrug rund 15 % (1996) bzw. 10
% (1997). Gemessen an den Gesamteinnahmen der Gemeinden und
Gemeindeverbände im Jahre 1996 (vgl. Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen
1997, S. 522) betrug der Anteil der in Rede stehenden Zweckzuweisungen lediglich
1,85 % (die Vergleichszahlen für 1997 liegen noch nicht vor). Dieser gegenüber
früheren Jahren erheblich gesunkene prozentuale Anteil der Zweckzuweisungen im
Verhältnis zu den sonstigen kommunalen Einnahmen (für die Vergangenheit vgl.
Gellen, Zweckzuweisungen und kommunale Selbstverwaltung, 1971 S. V m.w.N.: In
den meisten Bundesländern betrug der Anteil der Zweckzuweisungen um 1970 mehr
als 50 % der Gesamtzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich und bis zu 20 %
der gesamten Einnahmen der Gemeinden; ebenso Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch
des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, Rn. 211) beläßt den Kommunen
einen hinreichenden Spielraum zu eigenverantwortlicher Ausgabenwirtschaft. Dazu
trägt auch bei, daß die Investitionspauschale gemäß § 30 GFG 1996 bzw. § 28 GFG
1997 überwiegend Mittel für investive Maßnahmen ohne konkrete Projektvorgaben in
der Art von "Schlüsselzuweisungen" für den Vermögenshaushalt zur Verfügung stellt.
150
c) § 28 GFG 1996, der Zuweisungen für Investitionen an kommunalen Krankenhäusern
in Höhe von insgesamt 212,1 Mio. DM vorsieht, und § 29 GFG 1996, der 23 Mio. DM zur
Förderung von Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft von Gemeinden und
Gemeindeverbänden zur Verfügung stellt, verstoßen ebenfalls nicht gegen Art. 78 Abs.
1, 79 Satz 2 LV.
151
Die Finanzierung dieser Aufgaben durch zweckgebundene Zuweisungen im Rahmen
des kommunalen Finanzausgleichs ist weder sach- noch systemwidrig. Entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerinnen werden mit den Zweckzuweisungen in §§ 28,
29 GFG 1996 nicht "Landesaufgaben" im Widerspruch zu § 1 Abs. 2 GFG 1996
152
finanziert. Nach § 1 Abs. 2 GFG 1996 erhalten die Gemeinden und Gemeindeverbände
vom Land im Wege des Finanz- und Lastenausgleichs zur Ergänzung ihrer eigenen
Einnahmen allgemeine und zweckgebundene Zuweisungen für die Erfüllung "ihrer"
Aufgaben. Gemeindliche Aufgaben im Sinne dieser Regelung sind sowohl die eigenen
Aufgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände als auch die ihnen übertragenen
Aufgaben (§ 1 Abs. 1 GFG 1996).
Die in § 28 GFG 1996 geförderten Investitionsmaßnahmen an kommunalen
Krankenhäusern sind Aufgaben der Kommunen im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 GFG
1996. § 1 Abs. 2 Satz 2 des Krankenhausgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen -
KHG NW - sieht vor, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände - neben dem Land -
nach Maßgabe dieses Gesetzes mitwirken, die Krankenversorgung in Krankenhäusern
sicherzustellen. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KHG NW sind die Gemeinden und
Gemeindeverbände verpflichtet, Krankenhäuser zu errichten und zu betreiben, soweit
sich kein anderer geeigneter Träger findet. Ob es sich bei der Pflicht zur Errichtung und
zum Betreiben von Krankenhäusern um eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe
handelt, wofür nach der geschichtlichen Entwicklung viel spricht (vgl. BVerfGE 83, 363,
377 und 383 für das rheinland-pfälzische Landesrecht), oder ob die Kommunen insoweit
eine vom Land übertragene Aufgabe wahrnehmen, kann dahinstehen. Denn jedenfalls
liegt eine Aufgabe der Kommunen im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 GFG 1996 vor. Der
Umstand, daß nach §§ 17 ff. KHG NW das Land Investitionskosten für Krankenhäuser
im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel (§ 19 Abs. 1 KHG NW) und
nach näherer Maßgabe eines Investitionsprogramms (§ 18 KHG NW) fördert, macht die
Errichtung und Betreibung von Krankenhäusern in kommunaler Trägerschaft nicht zur
Landesaufgabe.
153
Die in § 29 GFG 1996 geförderten Einrichtungen der Weiterbildung in der Trägerschaft
von Gemeinden gehören ebenfalls zum kommunalen Aufgabenbereich im Sinne des § 1
Abs. 1 und 2 GFG 1996. Nach § 11 Abs. 1 des Weiterbildungsgesetzes - WbG - sind
kreisfreie Städte, Große kreisangehörige Städte und Mittlere kreisangehörige Städte
verpflichtet, Einrichtungen der Weiterbildung zu errichten und zu unterhalten, ungeachtet
der Pflicht des Landes, die Weiterbildung nach Maßgabe des Weiterbildungsgesetzes
zu fördern (§ 7 WbG).
154
Der Gesetzgeber war auch nicht deshalb gehindert, die in §§ 28, 29 GFG 1996
geregelten Zweckzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs zu
berücksichtigen, weil er sie für das vorangegangene Haushaltsjahr 1995 im
Haushaltsplan und -gesetz ausgewiesen hatte. Der Verfassungsgerichtshof hat in
ständiger Rechtsprechung entschieden, daß es dem Gesetzgeber freisteht, ob er die für
die kommunale Aufgabenerfüllung notwendigen Finanzmittel im
Gemeindefinanzierungsgesetz, in einem aufgabenbezogenen Gesetz oder im
Haushaltsgesetz zur Verfügung stellt. Der Gesetzgeber muß nur insgesamt eine
ausreichende Finanzausstattung gewährleisten (vgl. VerfGH NW, OVGE 38, 300, 303
f.).
155
d) § 29 GFG 1997, der zur Milderung vorhandener Strukturdefizite pauschale
Zuweisungen in Höhe von 50 Mio. DM zur Durchführung investiver Maßnahmen
gewährt (sog. Strukturfonds), verstößt nicht deshalb gegen Art. 78, 79 Satz 2 LV oder
gegen den allgemeinen Parlaments- und Gesetzesvorbehalt, weil die Kriterien zur
Verteilung dieser Mittel vom Innenministerium und Finanzministerium im Benehmen mit
dem Ausschuß für Kommunalpolitik des Landtags NW festgesetzt werden (§ 29 Abs. 2
156
GFG 1997).
Art. 78, 79 Satz 2 LV gewährleisten den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung in
ihrem Gebiet, soweit die Gesetze nichts anderes vorschreiben. Die darin liegende
Garantie der Einrichtung gemeindlicher Selbstverwaltung bedarf der gesetzlichen
Ausgestaltung (BVerfGE 79, 127, 143). Dieser Ausgestaltung durch staatliches Gesetz
unterliegt auch die Finanzhoheit.
157
Darüber hinaus verpflichten das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip den
Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der
Verwaltung zu überlassen (vgl. VerfGH NW, NWVBl. 1997, 247, 251). Die
verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei in erster Linie den tragenden
Prinzipien des Grundgesetzes und der Landesverfassung, insbesondere auch den
Grundrechten zu entnehmen. In grundrechtsrelevanten Bereichen bedeutet "wesentlich"
in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" (BVerfGE 58, 257,
268). Entsprechendes gilt im Selbstverwaltungsbereich.
158
Der kommunale Finanzausgleich ist wegen seiner grundlegenden Bedeutung für eine
angemessene Finanzausstattung der Gemeinden als Voraussetzung
eigenverantwortlichen Handelns eine wesentliche Entscheidung im Sinne des
Vorbehalts des Gesetzes. Sie zu treffen, ist allein der Gesetzgeber berufen. Der
Landesgesetzgeber hat für den hier relevanten Zeitraum seiner Pflicht dadurch genügt,
daß er mit dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1997 die wesentlichen und
grundlegenden Fragen des Finanzausgleichs selbst festgelegt und nicht dem Handeln
der Verwaltung überlassen hat. Er hat die Kriterien und Maßstäbe für die allgemeinen
Schlüsselzuweisungen im einzelnen geregelt. Er hat ferner in den §§ 21 ff. GFG 1997
normativ festgelegt, für welche Zwecke und Maßnahmen konkret benannte Geldbeträge
zur Verfügung gestellt werden (sogenannte zweckgebundene Zuweisungen). Die
nähere Ausgestaltung der Verteilungskriterien konnte er, wie dies auch für den Bereich
der leistungsgewährenden Verwaltung von der Rechtsprechung anerkannt ist (vgl.
BVerfGE 8, 155; BVerwGE 6, 282; BVerwG, DÖV 1959, 706; BVerwG, DVBl. 1964,
824), grundsätzlich der Exekutive überantworten. Die Zweckbestimmung des § 29 GFG
1997, nämlich die Förderung investiver Maßnahmen zur Milderung vorhandener
Strukturdefizite, ist allerdings so weit gefaßt, daß es an sich geboten gewesen wäre,
daß der Gesetzgeber selbst konkretisierende Kriterien in die gesetzliche Regelung
aufgenommen hätte. Gleichwohl war es von Verfassungs wegen noch hinnehmbar, die
Festlegung der Verteilungskriterien ausnahmsweise der Exekutive zu überlassen. Der
Strukturfonds war eine Art Notfonds, der erst so spät in das Gesetzgebungsverfahren
eingeführt wurde, daß eine hinreichende Konkretisierung nicht ohne wesentliche
zeitliche Verzögerung des Inkrafttretens des Gemeindefinanzierungsgesetzes möglich
gewesen wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Entscheidung der Exekutive
- ähnlich einem "qualifizierten Sperrvermerk" (vgl. § 22 Satz 3 LHO) - an das Benehmen
des Ausschusses für Kommunalpolitik als eines Unterorgans des Landtags Nordrhein-
Westfalen geknüpft (§ 29 Abs. 2 GFG 1997) und damit der parlamentarischen
Willensbildung und Einflußnahme nicht gänzlich entzogen war.
159
Die Nachfolgeregelung in § 18 GFG 1998, mit der der Gesetzgeber mittelbar die für das
vorangegangene Jahr getroffene ministerielle Verteilungsregelung gebilligt hat,
begegnet ebenfalls den dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken. Der
Gesetzgeber wird diesen Bedenken im Gemeindefinanzierungsgesetz 1999 Rechnung
tragen müssen.
160
8. § 16 Abs. 1 Satz 4 GFG 1997 verstößt nicht gegen Art. 78, 79 Satz 2 LV, soweit für
"modellhafte Projekte, die einer vorzeitigen Rückkehr von Bürgerkriegsflüchtlingen in ihr
Heimatland dienen", Mittel zum Ausgleich besonderen Bedarfs zur Verfügung gestellt
werden. Die Berücksichtigung einer solchen besonderen Bedarfssituation ist weder
sach- noch systemwidrig.
161
9. Die in § 20 GFG 1996 und § 20 GFG 1997 vorgesehenen Anpassungshilfen sind
verfassungsgemäß.
162
Nach diesen Vorschriften wird solchen Gemeinden, die nach den neuen
Berechnungsstrukturen der Gemeindefinanzierungsgesetze 1996 und 1997 geringere
Schlüsselzuweisungen erhalten als nach den alten Berechnungsstrukturen des
Gemeindefinanzierungsgesetzes 1995 sowie des ursprünglichen Gesetzentwurfs für
das Gemeindefinanzierungsgesetz 1996 (Landtagsdrucksache 12/402), die Differenz für
das Haushaltsjahr 1996 in voller Höhe und für das Haushaltsjahr 1997 zu zwei Dritteln
als Anpassungshilfe ausgeglichen.
163
Der Verfassungsgerichtshof kann offenlassen, ob und inwieweit die angegriffenen
Anpassungshilfen die Beschwerdeführerinnen überhaupt belasten. Jedenfalls
verstoßen die in Rede stehenden Regelungen nicht gegen die Grundsätze der
interkommunalen Gleichbehandlung und der Sach- und Systemgerechtigkeit. Mit den
Anpassungshilfen nach § 20 GFG 1996 und § 20 GFG 1997 hat der Landesgesetzgeber
nicht willkürlich, d. h. ohne sachlich einleuchtenden Grund, seine selbst gesetzten
Maßstäbe für die Verteilung der Schlüsselzuweisungen wieder verlassen und sich zu
ihnen in Widerspruch gesetzt (zum Maßstab vgl. VerfGH NW, OVGE 40, 300, 302;
VerfGH NW, OVGE 43, 252, 254 f.). Die Anpassungshilfen dienten vielmehr der
Bewältigung der mit der Reform des Schlüsselzuweisungssystems verbundenen
Übergangsschwierigkeiten und Härten insbesondere für den kreisangehörigen Raum
durch eine stufenweise Anpassung an die Ergebnisse der neuen
Berechnungsstrukturen (vgl. auch § 10 GFG 1998: Ausgleich der Differenz zu einem
Drittel). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
164
Die Regelungen in § 20 GFG 1996 und § 20 GFG 1997 werden auch dem
rechtsstaatlichen Gebot der Normklarheit gerecht (vgl. dazu etwa BVerfGE 21, 73, 79;
BVerfGE 35, 348, 358; BVerfGE 37, 132, 142 je m.w.N.). Die Berechnungsstrukturen für
allgemeine Schlüsselzuweisungen im Gemeindefinanzierungsgesetz 1995 und im
Gesetzentwurf Landtagsdrucksache 12/402 stimmen, soweit sie durch die in den
Gemeindefinanzierungsgesetzen 1996 und 1997 verwirklichten Reformen geändert
worden sind, inhaltlich überein und lassen sich ohne weiteres dem zitierten Gesetz bzw.
Gesetzentwurf entnehmen.
165