Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 09.12.1996

VerfG Nordrhein-Westfalen (land, höhe, asylbewerber, erstattung, gesetz, aufgaben, 1995, bund, gemeinde, vorschrift)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 11/95
Datum:
09.12.1996
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 11/95
Leitsätze:
1.
Eine Kostenerstattungsregelung nach Art. 78 Abs. 3 LV NW ist
willkürlich, wenn sie im Rahmen eines Erstattungssystems ohne
rechtfertigenden Grund für Aufgaben mit gleich hohem Kostenaufwand
unterschiedlich hohe Erstattungen vorsieht.
2.
Eine in diesem Sinne willkürliche Regelung innerhalb eines vom
Gesetzgeber gewählten Erstattungssystems wird nicht durch den
allgemeinen Finanzausgleich gerechtfertigt.
3.
Der Landesgesetzgeber darf die Gemeinden zwecks angemessener
Finanzausstattung nicht an den Bund verweisen.
4.
Eine Kostenerstattungsregelung nach Art. 78 Abs. 3 LV NW darf der
Landesgesetzgeber nicht in das Belieben der Exekutive stellen.
Tenor:
§ 6 Abs. 1 FlüAG i. d. F. des 4. Änderungsgesetzes vom 29. November
1994 (GV NW S. 1087) sowie die Nichtgewährung einer
Betreuungspauschale für den Personenkreis des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG
i. d. F. des 4. Änderungsgesetzes sind mit Art. 78 Abs. 3 LV unvereinbar.
Bis zum Inkrafttreten einer alsbald zu treffenden Neuregelung ist § 6
Abs. 1 FlüAG in der geltenden Fassung weiter anzuwenden.
Im übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführerinnen die
Hälfte der durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu
erstatten.
A.
1
Die Beschwerdeführerinnen - 44 kreisangehörige Gemeinden - wenden sich gegen die
Kostenerstattungsregelungen im Zusammenhang mit der ihnen übertragenen Aufgabe
der Unterbringung und Versorgung von ausländischen Flüchtlingen durch das Gesetz
zur Ausführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AG AsylbLG), das 4. Gesetz zur
Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) und das 2. Gesetz zur Änderung
des Landesaufnahmegesetzes (LAufG) vom 29. November 1994 (GV NW S. 1087) -
Artikelge-setz -.
2
I.
3
Das Artikelgesetz ist durch das am 1. November 1993 in Kraft getretene Gesetz zur
Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom 30. Juni 1993 (BGBl. S. 1074) -
AsylbLG - veranlaßt worden, dessen Ziel eine Absenkung der Leistungen war, die
Asylbewerber zuvor gemäß § 120 BSHG erhalten hatten. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AG
AsylbLG (Art. 1 Artikelgesetz) sind für die Durchführung des
Asylbewerberleistungsgesetzes grundsätzlich die Gemeinden zuständig. Sie tragen
nach § 2 Satz 1 AG AsylbLG die Kosten für die Durchführung des Gesetzes. Das Land
Nordrhein-Westfalen beteiligt sich nach § 3 AG AsylbLG an den mit der Durchführung
des Asylbewerberleistungsgesetzes verbundenen Aufwendungen nach Maßgabe des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes.
4
Für jeden ausländischen Flüchtling im Sinne des § 2 Nrn. 1 bis 6 FlüAG i. d. F. des 4.
Gesetzes zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (Art. 2 Artikelgesetz) - FlüAG
n. F. -, der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG oder laufende Hilfe zum Lebensunterhalt
entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz (§ 2 AsylbLG) oder unmittelbar nach dem
Bundessozialhilfegesetz durch eine kreisfreie Stadt oder durch eine nach § 3 AG BSHG
herangezogene kreisangehörige Gemeinde erhält, gewährt das Land eine
Vierteljahrespauschale. Für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG n. F.
beträgt die Vierteljahrespauschale 1.935,-- DM (§ 4 Abs. 1 FlüAG n. F.) zuzüglich 90,--
DM zur Abgeltung des besonderen Betreuungsaufwandes (§ 4 Abs. 2 FlüAG n. F.). Für
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. wird eine Vierteljahrespauschale
in Höhe von 960,-- DM gewährt, für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 5 und 6 FlüAG n.
F. jedoch nur, wenn die Landesregierung die Zahlung beschließt (§ 6 Abs. 1 FlüAG n.
F.). Die Pauschalen werden für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 1 FlüAG n. F. längstens
für die Dauer von vier Monaten nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags, für
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 2 bis 6 FlüAG n. F. längstens für die Dauer von drei
Jahren seit der Einreise bzw. der erstmaligen Anordnung nach §§ 32, 54 AuslG gewährt
(§ 3 Abs. 3 FlüAG n. F.).
5
Art. 4 Artikelgesetz sieht verschiedene Übergangsregelungen zum 4. Gesetz zur
Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes vor. Nach Art. 4 Nr. 1 Artikelgesetz werden
von der Regelung des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. auch Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina
erfaßt, für die vor dem 1. Januar 1995 die Aussetzung der Abschiebung nach § 54
AuslG angeordnet worden ist. Für diesen Personenkreis beginnt die Anrechnung und
6
Erstattung gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. am 1. Januar 1995
und endet mit Ablauf des 31. Dezember 1997. Nach Art. 4 Nr. 4 Artikelgesetz können die
Kostenträger für die Jahre 1995 und 1996 auch eine Erstattung auf der Grundlage der
bis zum 31. Dezember 1994 geltenden Vorschriften verlangen. Die Erstattung für die
nach näherer Maßgabe zu ermittelnden Aufwendungen beträgt für das Jahr 1995 90 v.
H., für das Jahr 1996 80 v. H..
Mit dem Artikelgesetz (Art. 3) sind auch die Kostenerstattungsregelungen im
Landesaufnahmegesetz geändert worden. Das Landesaufnahmegesetz regelt die
Aufnahme und Betreuung von Aussiedlern, Spätaussiedlern und Zuwanderern im Sinne
des § 2 LAufG; diese Aufgabe ist den Gemeinden als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach
Weisung zugewiesen (§ 1 LAufG). Die mit der Errichtung und Unterhaltung der
Übergangsheime verbundenen Kosten tragen die Gemeinden (§ 9 Abs. 1 LAufG). Nach
der Neuregelung durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Landesaufnahmegesetzes
(Art. 3 Artikelgesetz) erhalten die Gemeinden gemäß § 9 Abs. 2 und 3 LAufG für die mit
der Unterhaltung der Übergangsheime verbundenen Aufwendungen vom Land eine
Vierteljahrespauschale in Höhe von 390,-- DM für jeden in einem Übergangsheim
untergebrachten Berechtigten. Art. 5 Nr. 3 Artikelgesetz sieht eine dem Art. 4 Nr. 4
vergleichbare Übergangsregelung zum 2. Gesetz zur Änderung des
Landesaufnahmegesetzes vor.
7
II.
8
Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, die angegriffenen Vorschriften des
Artikelgesetzes verletzten sie in ihrem Recht auf Selbstverwaltung.
9
Die Beschwerdeführerin zu 1. beantragt,
10
1.
Änderung des FlüAG vom 29. November 1994 (GV NW S. 1087 ff.)
nichtig sind, soweit sie für den Personenkreis der ausländischen
Flüchtlinge gemäß § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG Kostenpauschalen von 1935,--
DM, für denjenigen gemäß § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG solche von 960,-- DM
je Vierteljahr und ausländischen Flüchtling vorsehen,
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1. anzuordnen, daß das Land Nordrhein-Westfalen ihr die notwendigen Auslagen zu
erstatten hat.
12
13
Die Beschwerdeführerinnen zu 2. bis 31. beantragen,
14
festzustellen, daß das Gesetz zur Ausführung des AsylbLG, das 4. Gesetz zur
Änderung des FlüAG und das 2. Gesetz zur Änderung des LAufG sowie die zu
den vorgenannten Gesetzen getroffenen Übergangsregelungen vom 29.
November 1994 (GV NW S. 1087 ff.) nichtig sind.
15
Die Beschwerdeführerin zu 32. beantragt,
16
festzustellen, daß das 4. Gesetz zur Änderung des FlüAG vom 29. November
1994 (GV NW S. 1087 ff.) nichtig ist.
17
Die Beschwerdeführerin zu 33. beantragt,
18
festzustellen, daß das Gesetz zur Ausführung des AsylbLG und das 4. Gesetz
zur Änderung des FlüAG vom 29. November 1994 (GV NW S. 1087) nichtig
sind.
19
Die Beschwerdeführerinnen zu 34. bis 44. beantragen,
20
festzustellen, daß § 4 Abs. 1 i. V. m. § 2 Nrn. 1 bis 3 und § 3 Abs. 3 Satz 1
FlüAG i. d. F. des 4. Gesetzes zur Änderung des FlüAG vom 29. November
1994 (GV NW S. 1087) i. V. m. § 3 AG AsylbLG, § 6 Abs. 1 i. V. m. § 2 Nrn. 4 bis
6 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG i. V. m. § 3 AG AsylbLG und Art. 4 Nrn. 1 und
4 Artikelgesetz nichtig sind.
21
1.
freiwilligen Leistungen der Gemeinde in vollem Umfang reduziert werden müßten. Das
angefochtene Gesetz benachteilige Kommunen mit einem verhältnismäßig hohen Anteil
an bosnischen Kriegsflüchtlingen in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise. Es gebe
keinen sachlichen Grund, die Kostenerstattung in bezug auf Bürgerkriegsflüchtlinge
anders zu regeln als bei Asylbewerbern. Die Übergangsregelung des Art. 4 Ziffer 4
Artikelgesetz sei zeitlich ungenügend und der Höhe nach so unzureichend, daß sie von
kaum einer Gemeinde in Anspruch genommen werde.
22
2.
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Art. 78 Abs. 3 LV sei
korrekturbedürftig. Diese Vorschrift müsse als Verpflichtung zur Vollkostenerstattung im
Sinne des Konnexitätsgrundsatzes verstanden werden. Derjenige, in dessen Interesse
die Aufgaben erfüllt würden, habe auch die mit der Aufgabenwahrnehmung
entstehenden Kosten zu tragen. Aber auch bei Zugrundelegung der bisherigen
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes seien die angegriffenen
Kostenerstattungsregelungen verfassungswidrig. Es sei weder plausibel noch sach- und
systemgerecht, daß folgende Personengruppen in die Erstattungsregelungen nicht
einbezogen seien:
23
-
24
-
25
-
unanfechtbar abgelehnt worden sei,
26
-
aufgenommen worden seien, sowie Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge, deren
Einreise mehr als drei Jahre zurückliege,
27
-
1995 getroffen worden sei (Altfälle),
28
-
getroffenen Anordnung nach § 54 AuslG ausgesetzt worden sei (Altfälle), soweit es
sich nicht um Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina
handele.
29
Die Kostenpauschale von 2.025,-- DM vierteljährlich bzw. 675,-- DM monatlich gemäß §
4 FlüAG n. F. sei zu niedrig; die tatsächlichen Kosten lägen nach den Berechnungen
des Städte- und Gemeindebundes bei mindestens 800,-- DM bis 850,-- DM je Monat.
Ebenso müsse die Kostenpauschale von 320,-- DM monatlich in § 6 FlüAG n. F. auf
850,-- DM angehoben werden. Ob der Bund seiner Verpflichtung zur finanziellen
Beteiligung an den Kosten dieser Personengruppe nachgekommen sei, sei unerheblich;
die Kommunen seien nicht Ausfallbürgen des Bundes. Für ungewöhnlich hohe
Krankenkosten in Einzelfällen hätte es einer Härteregelung oder zumindest einer
Fondslösung bedurft. Nicht ausreichend seien auch die Pauschale von 390,-- DM
vierteljährlich bzw. 130,-- DM monatlich nach § 9 LAufG sowie die
Übergangsregelungen des Art. 4 Nr. 4 und Art. 5 Nr. 3 Artikelgesetz.
30
3.
6 FlüAG n. F. seien willkürlich und unzumutbar. Die Ungleichbehandlung in bezug auf
die Erstattung von Kosten für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG n. F. und
für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. sei sachlich nicht gerechtfertigt.
Obwohl nach § 54 AuslG geduldete Flüchtlinge höhere Leistungen erhielten als
Asylbewerber in den ersten zwölf Monaten, seien die den Gemeinden für diese
Flüchtlingsgruppe zustehenden Erstattungsbeträge um 50 % abgesenkt. Gleiches gelte
für Flüchtlinge, für die eine Anordnung nach § 32 AuslG getroffen worden sei. Der
Gesetzgeber gehe selbst von der Vergleichbarkeit der verschiedenen
Flüchtlingsgruppen aus, wenn er bei der Zuweisung nach § 3 FlüAG n. F. keine
Differenzierungen treffe. Eine weitere Ungleichbehandlung sei darin zu sehen, daß die
Gemeinden für Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG n. F. eine
Betreuungspauschale pro Person in Höhe von 30,-- DM monatlich erhielten, für
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. jedoch nicht, obwohl die
Betreuungskosten gleich seien. Soweit § 4 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3 FlüAG n. F. für
Asylbewerber die Vierteljahrespauschale in Höhe von 1.935,-- DM längstens für die
Dauer von vier Monaten nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrages vorsehe, sei
dies unverhältnismäßig, willkürlich und für die Gemeinden unzumutbar. Die Begrenzung
der Erstattung verfolge das legitime Ziel, den Gemeinden einen Anreiz für den
gebotenen sparsamen Umgang mit öffentlichen Mitteln zu schaffen, indem diese
Abschiebungen möglichst beschleunigt durchführten. In der Mehrzahl der Fälle
unterbleibe die Abschiebung jedoch aus Gründen, die die Gemeinde nicht zu vertreten
und auf die sie keinen Einfluß habe. Die Regelung führe zu einer Ungleichbehandlung
solcher Gemeinden, in denen sich überproportional viele Asylbewerber aufhielten,
deren rechtskräftige Asylantragsablehnung länger als vier Monate zurückliege; denn
diese Flüchtlingsgruppe werde bei der Verteilung nach § 3 FlüAG n. F. nicht
berücksichtigt. Die Kostenpauschalen nach §§ 4, 6 FlüAG n. F. seien ferner insofern
willkürlich, unverhältnismäßig und unzumutbar, als von diesen Beträgen auch die
Krankenkosten abgedeckt werden sollten. Die Krankenkosten seien nicht durch ein
besonders kostengünstiges Verhalten der Gemeinden zu minimieren.
31
4.
entstünden durch den hohen Anteil von illegal eingereisten und zu duldenden
Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina. Die insoweit gewährte monatliche
Kostenpauschale in Höhe von 320,-- DM sei völlig unzureichend. Für diese
Personengruppe fehle ein Verteilungsverfahren, so daß es zu einer
ungleichgewichtigen Belastung der einzelnen Gemeinden komme.
32
5.
Art. 78 Abs. 3 LV habe gegenüber Art. 79 LV eigenständige Bedeutung. Das
Konnexitätsprinzip solle verhindern, daß das Land die Kommunen durch die
Übertragung von staatlichen Aufgaben belaste und sich selbst mittels dieser
Aufgabenübertragung von den Kosten, die an sich vollständig vom Landeshaushalt zu
tragen wären, entlaste. Es schütze die Gemeinden davor, daß sie ihre "echten"
Selbstverwaltungsaufgaben vernachlässigen müßten, weil sie mit Pflichtaufgaben und
der daraus folgenden Kostenverantwortung überlastet seien. Die Aufgabenübertragung
durch das Land ohne volle Kostenerstattung stelle einen rechtfertigungsbedürftigen
Eingriff in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht dar. Soweit der
Verfassungsgerichtshof unter Hinweis auf die rheinland-pfälzische Verfassungslage Art.
78 Abs. 3 und Art. 79 LV als einheitliche Verfassungsgarantie qualifiziert habe, die -
aufgabeninakzesso-risch - nur ein Gesamtvolumen hinreichender Mittel für die generelle
Aufgabenerfüllung gewährleiste, sei diese Rechtsprechung korrekturbedürftig. Die
Kostenpauschale des § 6 FlüAG n. F. sei danach verfassungswidrig, weil kein
sachlicher Grund ersichtlich sei, Kommunen finanziell stärker zu belasten, die zufällig
mehr Flüchtlinge im Sinne von § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. aufzunehmen hätten. Die
Gemeinden seien nicht "Ausfallbürgen" für den Bund. Mit Art. 78 Abs. 3 LV unvereinbar
sei ferner die in § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. getroffene Regelung, wonach das Land für
ausländische Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 5 und 6 FlüAG n. F. nur dann eine Pauschale
gewähre, wenn die Landesregierung diese Zahlung unter Bezugnahme auf § 6 Abs. 1
FlüAG n. F. beschließe. Entgegen Art. 78 Abs. 3 LV entscheide letztlich nicht der
Gesetzgeber, sondern die Landesregierung, ob den Gemeinden eine Kostenerstattung
gewährt werde. Zudem verstoße die Regelung gegen das verfassungsrechtliche Gebot
der "gleichzeitigen" Bestimmung über die Kostendeckung, weil der in § 6 Abs. 1 FlüAG
n. F. vorgesehene Beschluß der Landesregierung in keinem zeitlichen Zusammenhang
mit der gesetzlichen Aufgabenübertragung stehe. Die zeitliche Begrenzung der
Kostenerstattung durch das Land gemäß § 6 i. V. m. § 2 Nrn. 5 und 6 sowie § 3 Abs. 3
FlüAG n. F. verstoße ebenfalls gegen das Konnexitätsprinzip des Art. 78 Abs. 3 LV.
Sachliche Gründe für diesen Ausschluß der Kostenerstattung bestünden nicht. Auch die
zeitliche Begrenzung der Kostenerstattung gemäß § 4 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3 Satz 1
Nrn. 1 und 2 FlüAG n. F. sei ausschließlich fiskalpolitisch motiviert und entbehre einer
sachlichen Rechtfertigung. Gleiches gelte für die begrenzte Spitzabrechnung gemäß
Art. 4 Nr. 4 und Art. 5 Nr. 3 Artikelgesetz.
33
6.
im wesentlichen vor: Die von Art. 78 Abs. 3 LV geforderte Kostenregelung müsse zwar
der Finanzsituation der Gemeinden insgesamt gerecht werden. Art. 78, 79 LV legten
jedoch keine bestimmte Deckungsquote für Kostenerstattungsregelungen fest, so daß
dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zustehe. Bei der Anpassung des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes an das Asylbewerberleistungsgesetz seien den
Kommunen in ihrer Gesamtheit keine neuen Lasten entstanden. Die Leistungen der
Kommunen an die Asylbewerber seien durch das Asylbewerberleistungsgesetz nicht
34
erhöht, sondern vermindert worden. Den Kommunen sei auch keine neue Aufgabe
auferlegt worden, weil die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz der
Sache nach Sozialleistungen seien. Die Versorgungspauschale nach § 4 Abs. 1 FlüAG
n. F. in Höhe von 645,-- DM monatlich beruhe auf realistischen Annahmen, strebe
allerdings eine Vollkostenerstattung nicht an, sondern belasse den Gemeinden einen
durchschnittlich geringen Eigenanteil. Dabei sei zu berücksichtigen, daß Asylbewerber
in den ersten zwölf Monaten ihres Aufenthalts nur eingeschränkte Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhielten, daß die Pauschale für alle
leistungsbeziehenden Asylbewerber unabhängig von ihrem Familienstand gelte und
daß die Pauschale auch dann in voller Höhe gewährt werde, wenn ein Asylbewerber
aufgrund eigener Einkünfte nur ergänzende Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz erhalte. Zur Vermeidung von Härtefällen sei die
Übergangsregelung in Art. 4 Nr. 4 Artikelgesetz geschaffen worden. Höhere
Krankenhilfeaufwendungen im Einzelfall könnten regelmäßig im Rahmen der
Gesamtpauschale ausgeglichen werden. Gemeinden, die einer Überforderung
vorbeugen wollten, könnten auf freiwilliger Basis einen Fonds bilden, über den sie das
Risiko teilten. Die unterschiedliche Kostenerstattung für Flüchtlinge nach § 2 Nrn. 1 bis
3 und solche nach § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. sei gerechtfertigt, weil sie aus
verschiedenen Wurzeln entstanden sei. Die Kostenerstattungspauschale nach § 6
FlüAG n. F. habe das Land zur Entlastung der Kommunen freiwillig übernommen. Anlaß
für die Kostenpauschale des § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. sei die Entschließung des Landtags
vom 3. Februar 1994 gewesen, die auch die Höhe der Leistung vorgegeben habe.
Danach habe das Land seinen Anteil in Höhe der Hälfte der für Asylbewerber
vorgesehenen Kostenerstattungspauschale übernehmen und den Bund auf eine hälftige
Beteiligung an den Kosten drängen wollen. Die Gemeinden und Gemeindeverbände
seien insgesamt durch das Asylbewerberleistungsgesetz nicht belastet, sondern
entlastet worden, so daß kein Grund für höhere Landeszuschüsse bestanden habe.
Soweit Leistungen nur für Flüchtlinge erbracht würden, zu deren Gunsten Anordnungen
ab dem 1. Januar 1995 getroffen worden seien, und nur, soweit die Landesregierung
einen entsprechenden Beschluß fasse (§ 6 Abs. 1 FlüAG n. F. ), handele es sich um
freiwillige Leistungen des Landes, die das Land durch eine Stichtagsregelung und
darüber hinaus unter Wahrung des Gleichheitssatzes begrenzen dürfe. Sowohl die Vier-
Monats-Frist für abgelehnte Asylbewerber als auch die Drei-Jahres-Frist für sonstige
Flüchtlinge fänden sich bereits in der Urfassung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes von
1984. Grundlage der Befristung sei die zutreffende Einschätzung, daß Flüchtlinge die
Gemeinden in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft stärker belasteten und mit
zunehmender Aufenthaltsdauer ihren Lebensunterhalt selbst sicherstellen könnten.
Auch die Kostenpauschale in Höhe von 130,-- DM monatlich gemäß § 9 LAufG sei
angemessen. Erhebungen der Landesregierung hätten ergeben, daß der Betrag von
130,-- DM Platzkosten monatlich nur in sehr wenigen Fällen überschritten, häufig jedoch
unterschritten werde.
B.
35
Die nach Art. 75 Nr. 4 LV, § 50 VerfGHG zulässigen Verfassungsbeschwerden sind
begründet, soweit § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. für ausländische Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nr. 6
FlüAG n. F. eine Vierteljahrespauschale in Höhe von 960,-- DM vorsieht und die
Gewährung dieser Pauschale von einem Beschluß der Landesregierung abhängig
macht und soweit eine Betreuungspauschale für den Personenkreis des § 2 Nrn. 4 bis 6
FlüAG n. F. nicht gewährt wird. Insoweit wird das Recht der gemeindlichen
Selbstverwaltung der beschwerdeführenden kreisangehörigen Gemeinden wegen
36
Verstoßes gegen Art. 78 Abs. 3 LV verletzt. Im übrigen sind sie unbegründet.
I.
37
Der Verfassungsgerichtshof hat die finanziellen Auswirkungen des
Flüchtlingsaufnahmegesetzes und des Landesaufnahmegesetzes i. d. F. des
Artikelgesetzes für die Beschwerdeführerinnen umfassend zu prüfen. Er ist an einer
solchen Prüfung nicht dadurch gehindert, daß möglicherweise einzelne Teilregelungen
der angegriffenen Gesetze der Sache nach bereits in früheren Fassungen enthalten
waren. Mit dem Artikelgesetz hat der Gesetzgeber auf der Grundlage neuer
leistungsgewährender Vorschriften die Zuständigkeiten der Verwaltung geändert, den
Personenkreis, für den die Gemeinden und Gemeindeverbände Kostenerstattungen
erhalten, erweitert und ein neues, im wesentlichen auf Kostenpauschalen beruhendes
Erstattungsmodell eingeführt. Mit diesen grundlegenden Veränderungen hat der
Gesetzgeber eine Gesamtlösung verabschiedet, die auch übernommene Bestandteile in
einen neuen - verfassungsgerichtlich überprüfbaren - Zusammenhang stellt.
38
II.
39
Nach Art. 78 Abs. 3 LV kann das Land die Gemeinden und Gemeindeverbände durch
gesetzliche Vorschriften zur Übernahme und Durchführung bestimmter öffentlicher
Aufgaben verpflichten, wenn gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten
getroffen werden.
40
1.
Abs. 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung. Ihr Sinn
besteht darin, den kommunalen Gebietskörperschaften die finanzielle Grundlage für
eine ausreichende, eigenverantwortliche Selbstverwaltungstätigkeit zu erhalten. Die
Gemeinden und Gemeindeverbände können ihre Aufgaben im eigenen und im
übertragenen Wirkungskreis nur erfüllen, wenn sie über die notwendigen Finanzmittel
verfügen. Art. 78 Abs. 3 LV will verhindern, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände
infolge einer Überlastung mit Pflichtaufgaben ihre traditionellen Aufgaben
vernachlässigen müssen. Da die Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen ohne
Erstattung der zusätzlichen Kosten zu Lasten der Erfüllung von (freiwilligen)
Selbstverwaltungsaufgaben gehen kann, weil sie die finanziellen Mittel für diese
mindert, kann sich infolge der Übertragung eine Aushöhlung der finanziellen Basis der
Selbstverwaltung ergeben. Deshalb verpflichtet Art. 78 Abs. 3 LV den
Landesgesetzgeber, nicht nur zu prüfen, in welchem Umfang den Selbstverwal-
tungskörperschaften aus Anlaß der Aufgabenübertragung neue Deckungsmittel
zuzuführen sind, sondern auch dazu, eine Regelung zu treffen (vgl. VerfGH NW, OVGE
38, 301, 302 f.). Das Land soll nicht beliebig Aufgaben auf die Kommunen verlagern
dürfen, ohne für deren Finanzierung Sorge zu tragen. Der Landesgesetzgeber hat sich
bei jeder Übertragung von neuen öffentlichen Aufgaben auf die Gemeinden und
Gemeindeverbände bewußt zu machen, daß diese damit finanziell belastet werden. Das
gilt auch bei einer Erweiterung bereits früher übertragener Aufgaben (VerfGH NW,
NWVBl. 1993, 7, 11).
41
2.
"Gleichzeitigkeit" einer Kostenregelung, weder die Modalitäten der Kostenregelung
noch eine bestimmte Höhe der Kostendeckung ausdrücklich vor.
42
a)
"bestimmter öffentlicher Aufgaben", ohne zwischen einzelnen Aufgabenarten zu
unterscheiden (vgl. VerfGH NW, OVGE 38, 301). Dieser umfassende, nicht auf eine
Aufgabenart beschränkte Wortlaut unterscheidet sich von der niedersächsischen
Regelung des Art. 57 NV ("staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung"), die nach
Auffassung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs einen Aufgabendualismus zum
Ausdruck bringt (NdsStGH, DVBl. 1995, 1175 ff.).
43
b)
es verfassungsrechtlich nicht geboten sei, Kosten im Sinne des Art. 78 Abs. 3 LV - sei
es im Rahmen des Aufgabenübertragungsgesetzes, sei es im Rahmen des
Finanzausgleichsgesetzes - gesondert abzugelten, und daß den Gemeinden und
Gemeindeverbänden verfassungsrechtlich eine angemessene Finanzausstattung zur
Erfüllung aller ihrer Aufgaben nur als Gesamtvolumen gewährleistet sei (OVGE 38, 301,
305 f. m. w. N.; NWVBl. 1993, 7, 11 f.). Soweit demgegenüber die
Beschwerdeführerinnen die Auffassung vertreten, die Landesverfassung enthalte eine
"dualistische Finanzgarantie" des Inhalts, daß Art. 79 Satz 2 LV eine für die
Aufgabenerfüllung insgesamt ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden
gewährleiste und Art. 78 Abs. 3 LV eine aufgabenakzessorische Kostenerstattung bei
Übertragung neuer Pflichtaufgaben auf die Gemeinden (Konnexitätsprinzip) vorsehe, ist
diese Frage für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens letztlich ohne
Bedeutung. Der Gesetzgeber hat die Frage der Deckung der hier in Rede stehenden
Kosten nicht im Zusammenhang mit dem allgemeinen Finanzausgleich geregelt,
sondern - nach Ermittlung des Kostenbedarfs - gesonderte Bestimmungen im
Artikelgesetz getroffen, die eine aufgabenakzessorische und finanzkraftunabhängige
Kostenerstattung vorsehen. Er hat die übertragene Einzelaufgabe und die durch sie
bewirkten Zusatzkosten für die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Grundlage der
Kostendeckungsregelung gemacht. Es bedarf daher auch keiner Erörterung, ob einer
dualen Finanzgarantie, wie sie von den Beschwerdeführerinnen vertreten wird, nicht
bereits dann genügt wäre, wenn im allgemeinen Finanzausgleich ein einheitlicher
Ansatz für unterschiedliche Pflichtaufgaben in der Form einer pauschalierenden
Zusammenfassung vorgesehen wäre (so NdsStGH, DVBl. 1995, 1175, 1176).
44
c)
Einzelaufgabe bezogene Kostendeckungsregelung entscheidet, verlangt die
Verfassung nicht, daß der Gesetzgeber eine Erstattung der Kosten gemeindlicher
Pflichtaufgaben in vollem Umfang anordnet. Dem Gesetzgeber steht bei der Festlegung
der Deckungshöhe ein Gestaltungsspielraum zu, der jedoch nicht unbegrenzt ist.
Bindungen ergeben sich für den Gesetzgeber aus dem systematischen Zusammenhang
von Art. 78 Abs. 3 LV, der der finanziellen Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung
dient, mit Art. 78 Abs. 1 und 2 LV. Deshalb hat der Gesetzgeber bei der Ausfüllung der
Verfassungsdirektive des Art. 78 Abs. 3 LV jedenfalls die Sicherung der kommunalen
Selbstverwaltung nach Art. 78 Abs. 1 und 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) und das Verbot zu
beachten, willkürliche, unverhältnismäßige und unzumutbare Regelungen zu treffen
(VerfGH NW, OVGE 38, 301, 302, 306; VerfGH NW, NWVBl. 1993, 7, 11). Gemessen an
Art. 78 Abs. 3 LV ist eine Kostenerstattungsregelung willkürlich, die im Rahmen eines
Erstattungssystems ohne rechtfertigenden Grund für Aufgaben mit gleich hohem
Kostenaufwand unterschiedlich hohe Erstattungen vorsieht.
45
Bei der Bestimmung der Deckungshöhe ist auch von Bedeutung, daß die Gemeinden
46
und Gemeindeverbände mit Bund und Ländern in einem gemeinsamen Finanzverbund
zusammengeschlossen sind, so daß die Aufgaben und Belange der übrigen Mitglieder
des Finanzverbundes zu berücksichtigen sind (VerfGH NW, OVGE 38, 301, 308). Eine
Eigenbeteiligung kann sich darüber hinaus als Anreiz für den gebotenen sparsamen
Umgang mit öffentlichen Mitteln erweisen, zumal dann, wenn die im Rahmen von Art. 78
Abs. 3 LV zu beachtende Haushaltslage des Landes eine besondere Sparsamkeit
angezeigt sein läßt (VerfGH NW, NWVBl. 1993, 7, 12).
Bei der Festlegung einer Deckungsquote hat der Gesetzgeber ferner die Finanzsituation
der Gemeinden insgesamt zu berücksichtigen. Je höher die Deckungsquote ist, umso
geringer sind die nach finanzkraftabhängigen Maßstäben zu verteilenden Mittel.
Andererseits haben die besonders finanzstarken Gemeinden ein berechtigtes Interesse,
gesondert ausgewiesene Zuweisungen zu den Kosten der Pflichtaufgaben zu erhalten
(vgl. VerfGH NW, OVGE 38, 301, 309, m. w. N.; NdsStGH, DVBl. 1995, 1175, 1176 f.).
47
Im Rahmen des ihm von der Verfassung zugestandenen Gestaltungsspielraums kann
der Gesetzgeber die Kostenerstattungsregelung auch in typisierender und
pauschalierender Form treffen. Der hierfür gegebene Spielraum ist umso weiter, je mehr
sich der zu regelnde Sachverhalt aufgrund seiner Komplexität und
Wandlungsanfälligkeit einer Prognose entzieht. Im Einzelfall kann sich deshalb jede
nicht offensichtlich sachwidrige Regelung als willkürfrei erweisen (VerfGH NW, NWVBl.
1996, 97, 99). Der Gesetzgeber hat seiner Prognoseentscheidung realistische
Kostenberechnungen zugrundezulegen.
48
III.
49
Das Artikelgesetz ist mit den genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben nur in dem
aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vereinbar.
50
1.
Abgeltung des besonderen Betreuungsaufwandes gemäß § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG n. F. -
also monatlich 645,-- DM zuzüglich 30,-- DM - für jeden ausländischen Flüchtling i. S. d.
§ 2 Nr. 1 FlüAG n. F. wird den Anforderungen des hier mit Blick auf die
Aufgabenzuweisung in § 1 Satz 1 AG AsylbLG anzuwendenden Art. 78 Abs. 3 LV
gerecht.
51
a)
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Umfang der durch das
Asylbewerberleistungsgesetz bei den Gemeinden verursachten Kosten hängt von einer
Vielzahl von Variablen ab und läßt sich nicht exakt ermitteln. So schwanken etwa die
Unterbringungskosten für ausländische Flüchtlinge zwischen 50,-- und 400,-- DM in den
einzelnen Kommunen (vgl. Gutachten von Mummert und Partner, S. 45 f.). Sofern die
anderen Grundleistungen i. S. d. § 3 AsylbLG, wie vom Gesetz angestrebt, durch
Sachleistungen gedeckt werden, hängen deren Kosten ebenfalls vom sparsamen und
wirtschaftlichen Handeln der Gemeinden ab; Anhaltspunkte für deren Höhe geben die in
§ 3 Abs. 2 AsylbLG subsidiär vorgesehenen Geldleistungen, die je nach Familienstatus
differieren. Die dem Personenkreis des § 2 AsylbLG zu gewährenden Leistungen
entsprechend dem Bundessozialhilfegesetz liegen höher. Die Leistungen bei Krankheit,
Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG), die von den Gemeinden nicht zu
beeinflussen sind, weisen ebenfalls erhebliche Unterschiede auf. Die Pauschale des §
4 Abs. 1 und 2 FlüAG n. F. in Höhe von umgerechnet 675,-- DM monatlich deckt
52
4 Abs. 1 und 2 FlüAG n. F. in Höhe von umgerechnet 675,-- DM monatlich deckt
demnach - auch nach Auffassung der Landesregierung - in einem Teil der Gemeinden
die tatsächlich entstehenden Kosten nicht voll.
Daß die demnach nicht gedeckten, von den Gemeinden zu tragenden Kosten die
finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden berühren, läßt sich gleichwohl nicht
feststellen. In den Anhörungen vor Erlaß des Gesetzes wurde von den kommunalen
Spitzenverbänden ein Kostenerstattungsbetrag in Höhe von 800,-- DM monatlich
(einschließlich Betreuungspauschale) als ausreichend erachtet. Soweit die
Beschwerdeführerinnen hierzu Angaben gemacht haben (zum Teil auf der Grundlage
von Hochrechnungen), betrugen ihre Kosten für Unterbringung, Versorgung und
Betreuung einschließlich der Kosten der Krankenversorgung im Jahr 1995 je Person
monatlich überwiegend zwischen 540,-- DM und 850,-- DM. Unter Berücksichtigung des
Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, der bei der Regelung der Kostenerstattung
neben der finanziellen Lage der Gemeinden auch die des Landes berücksichtigen,
einen Eigenanteil der Gemeinde vorsehen und eine Pauschalierung vornehmen darf, ist
nicht erkennbar, daß die in § 4 Abs. 1 und 2 FlüAG n. F. vorgesehene
Kostenerstattungspauschale in Höhe von 675,-- DM monatlich verfassungsrechtlich
unvertretbar ist. Dabei durfte der Gesetzgeber auch in Rechnung stellen, daß sich die
Entlastung der Kreise bei der Gewährung von Sozialhilfe für Asylbewerber bei der
Kreisumlage zugunsten der Gemeinden auswirken kann.
53
b)
verfassungsrechtlichen Bedenken und wird auch von den Beschwerdeführerinnen im
Kern nicht angegriffen. Der Gesetzgeber war insbesondere nicht verfassungsrechtlich
gehalten, für Einzelfälle besonders hoher Krankheitskosten über die
Pauschalabrechnung hinaus ausnahmsweise eine Kostenerstattung vorzusehen. Der
Gefahr, als einzelne Gemeinde mit außergewöhnlich hohen Krankheitskosten belastet
zu werden, kann durch entsprechende Vereinbarungen der Gemeinden untereinander -
etwa auf Kreisebene - oder mit den kassenärztlichen Vereinigungen - wie die
Rahmenvereinbarung zwischen dem Nordrhein-Westfälischen Städte- und
Gemeindebund und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe - begegnet
werden. Zudem ist - wie der Vertreter der Landesregierung in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich und unwidersprochen erklärt hat - die Möglichkeit gegeben,
Härtegründe nach § 16 des jeweiligen Gemeindefinanzierungsgesetzes (für das
Haushaltsjahr 1995: GV NW 1994 S. 1130; für das Haushaltsjahr 1996: GV NW 1996 S.
124) geltend zu machen.
54
2.
Abs. 1 und § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. für Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 2 bis 5 FlüAG n. F. nicht
in ihren Rechten nach der Landesverfassung verletzt. Soweit sie den
Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 2 bis 5 FlüAG n. F. Hilfe zum Lebensunterhalt
unmittelbar nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes gewähren, wird ihnen
nicht die in den §§ 4 und 6 FlüAG n. F. vorgesehene Kostenpauschale, sondern eine
umfassende Erstattung der gewährten Sozialhilfeleistungen durch die Kreise gemäß § 5
Abs. 2 AG BSHG gewährt. Ausländische Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 2 bis 5 FlüAG n. F.
sind nicht nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leistungsberechtigt (§ 1 Abs. 1 und 2
AsylbLG), sondern erhalten Leistungen unmittelbar nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Zuständig für die Gewährung von Sozialhilfeleistungen an diese Personengruppen sind
die beschwerdeführenden kreisangehörigen Gemeinden insoweit, als sie von den
Kreisen hierzu gemäß § 96 BSHG i. V. m. § 3 AG BSHG herangezogen worden sind.
Soweit eine nach § 3 AG BSHG herangezogene Gemeinde ausländischen Flüchtlingen
55
i. S. d. § 2 Nrn. 2 bis 5 FlüAG n. F. laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Bundessozialhilfegesetz bewilligt, gewährt das Land nicht der Gemeinde, sondern dem
entsprechenden Kreis die Kostenpauschale nach § 4 Abs. 1 Buchstabe c) FlüAG n. F.
(für Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 2 und 3 FlüAG n. F.) oder nach § 6 Abs. 1 Buchstabe c)
FlüAG n. F. (für Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 4 und 5 FlüAG n. F.). Die Kreise ihrerseits
erstatten den Gemeinden gemäß § 5 Abs. 2 AG BSHG die aufgewendeten Kosten für
die Sozialhilfegewährung in voller Höhe, mit Ausnahme der persönlichen und
sächlichen Verwaltungskosten.
Die den beschwerdeführenden Gemeinden danach verbleibende geringe Belastung
genügt, wie der Verfassungsgerichtshof bereits festgestellt hat (NWVBl. 1993, 7, 12),
den verfassungsrechtlichen Anforderungen; sie ist weder unzumutbar noch unvertretbar
und berührt auch nicht die finanzielle Mindestausstattung der Gemeinden.
56
3.
des § 2 Nr. 6 FlüAG (Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge) in Höhe von 960,-- DM
vierteljährlich bzw. 320,-- DM monatlich verletzt die Rechte der Beschwerdeführerinnen
aus Art. 78 Abs. 3 LV, weil sie sich im Rahmen des vom Gesetzgeber gewählten
Erstattungssystems als willkürlich erweist.
57
a)
es sich - entgegen der Auffassung der Landesregierung - nicht um eine "freiwillige"
Leistung an die Gemeinden. Das Land ist vielmehr auch insoweit nach Art. 78 Abs. 3 LV
zu einer Kostenregelung verpflichtet. Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. sind nach
§ 1 AsylbLG leistungsberechtigt und erhalten Leistungen entsprechend dem
Bundessozialhilfegesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AsylbLG); mit der Durchführung des
Asylbewerberleistungsgesetzes hat das Land die Gemeinden beauftragt (§ 1 Satz 1 AG
AsylbLG). Diese Aufgabenübertragung verpflichtet das Land zu einer "gleichzeitigen",
nicht notwendig gesonderten Kostenregelung i. S. d. Art. 78 Abs. 3 LV. Entschließt sich
der Gesetzgeber - wie hier - im Rahmen seines Gestaltungsspielraums zu einer
gesonderten Kostenerstattung, so ist diese Kostenerstattung keine "freiwillige", sondern
an den Grundsätzen des Art. 78 Abs. 3 LV und damit auch am Willkürverbot zu messen.
58
b)
in einzelnen Merkmalen gleichen, ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu
entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder
Ungleichbehandlung ansieht. Das Willkürverbot verwehrt ihm grundsätzlich nur, Art und
Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen. Auch bei der
Finanzausstattung der Gemeinden hat er eine weitgehende Gestaltungsfreiheit.
Angesichts des generellen Charakters der gesetzgeberischen Einschätzung ist eine
Typisierung und Pauschalierung zulässig (VerfGH NW, NWVBl. 1993, 7, 9). Von einem
selbst gesetzten Regelungsystem oder von ihm getroffenen Wertungen darf der
Gesetzgeber abweichen, wenn dies durch plausible Gründe gerechtfertigt und vertretbar
ist (vgl. Gubelt, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 4. Aufl. 1992, Art.
3 Rdnr. 30 m. w. N.; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 837 f.).
59
c)
Landesgesetzgeber hat den ihm zukommenden Gestaltungsspielraum überschritten. Es
widerspricht dem vom Gesetzgeber gewählten Erstattungssystem, für die
Personengruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. (Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge) in § 6
60
Abs. 1 FlüAG n. F. lediglich die Hälfte der Erstattungspauschale vorzusehen, die nach §
4 Abs. 1 FlüAG n. F. für die Personengruppe des § 2 Nr. 1 FlüAG n. F. (Asylbewerber)
gewährt wird.
Ein rechtfertigender Grund für diese Differenzierung liegt nicht darin, daß den
Gemeinden im Zusammenhang mit der Personengruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F.
geringere Kosten als bei der Personengruppe des § 2 Nr. 1 FlüAG n. F. entstünden.
Dies ist weder von den Beteiligten behauptet worden, noch liegen Anhaltspunkte für
eine solche Annahme vor. Der Leistungsumfang für Asylbewerber in den ersten zwölf
Monaten ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nach §§ 3 ff. AsylbLG ist
sogar geringer als der für (Bürger-) Kriegsflüchtlinge entsprechend den Vorschriften des
Bundessozialhilfegesetzes, sofern die Grundleistungen an Asylbewerber in Form von
Geldleistungen gewährt werden.
61
Ein sachlicher Differenzierungsgrund ist auch nicht die für die Entscheidung des
Landesgesetzgebers maßgebliche Vorstellung, der Bund sei aufgrund des sogenannten
Asylkompromisses verpflichtet, die andere Hälfte der Kostenerstattung zu übernehmen.
Die Entstehungsgeschichte der "hälftigen" Kostenpauschale des § 6 Abs. 1 FlüAG n. F.,
die spätere Rechtfertigung der Vorschrift durch die Landesregierung sowie die
Stellungnahme der Landesregierung im vorliegenden Verfahren lassen keinen Zweifel
daran, daß das allein maßgebliche und entscheidende Motiv für die Regelung die
Auffassung war, daß der Bund für verpflichtet gehalten wurde, die andere Hälfte der
Kostenerstattung zu übernehmen. Alle Fraktionen im Landtag stimmten darin überein,
daß der Bund sich seiner Verantwortung zur "hälftigen Kostenübernahme" entzogen
habe und daß deshalb das Land Nordrhein-Westfalen (lediglich) "seinen Anteil" an der
Erstattung der Kosten der Kommunen übernehmen müsse (vgl. Landtags-Drucksachen
11/6698, 11/6640 und 11/6705 sowie Plenarprotokoll 11/121 vom 3. Februar 1994, S.
15322 ff.). Der Landtag beschloß daher, daß die Bemühungen um eine Beteiligung des
Bundes an den Aufwendungen der Kommunen fortgesetzt werden sollten und daß das
Land "schon jetzt seinen Anteil an den Kosten der Kommunen für die
Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina (übernehmen sollte), und zwar mit
einem Zuschuß in Höhe der Hälfte der Pauschale, die für Asylbewerber in Betracht
kommt" (Plenarprotokoll 11/121 vom 3. Februar 1994, S. 15332 f. i. V. m. Landtags-
Drucksachen 11/6640 und 11/6705).
62
Das danach maßgebliche Motiv für die "Halbierung" der Kostenpauschale ist sachwidrig
und rechtfertigt die Differenzierung nicht. Das Land kann die Gemeinden zwecks
angemessener Finanzausstattung nicht an den Bund verweisen, ohne gegen seine
Verpflichtung aus Art. 78 Abs. 3 LV zu verstoßen. Der Bund ist weder berechtigt noch
verpflichtet, die finanziellen Verhältnisse der Gemeinden unmittelbar ohne Einschaltung
der Länder zu ordnen, sieht man von hier nicht vorliegenden ausdrücklich normierten
Ausnahmefällen (z.B. Art. 106 Abs. 7 GG) ab. Ein unmittelbarer Durchgriff auf die
Gemeinden wird dem Bund durch die bundesstaatliche Ordnung deshalb versagt. Die
Sorge für die Gemeindefinanzen fällt grundsätzlich in die ausschließliche Kompetenz
der Länder (BVerfGE 26, 172, 181 m. w. N.). Dementsprechend sind im Bundesstaat
nicht Bund und Gemeinden Partner bei Finanzhilfen des Bundes zugunsten von
Gemeinden, sondern stets Bund und Länder (BVerfGE 41, 291, 313). Die vom Land
angenommene Verpflichtung des Bundes, sich an den Kosten für (Bürger-)
Kriegsflüchtlinge zu beteiligen, kann daher nur gegenüber dem Land bestehen; sie
berechtigt das Land nicht, seine eigene Verpflichtung gegenüber den Gemeinden zu
einer Kostenregelung i. S. d. Art. 78 Abs. 3 LV zu ignorieren und die Gemeinden auf die
63
Kostenerstattung durch den Bund zu verweisen. Ist es mithin Sache des Landes, eine
etwaige Verpflichtung des Bundes zur Kostenbeteiligung durchzusetzen, vermag die
vom Land erhoffte Bundesbeteiligung die Reduzierung der Kostenpauschale nicht zu
rechtfertigen.
Ein sachlicher Grund für die Differenzierung liegt auch nicht darin, daß die Beauftragung
der Gemeinden, (Bürger-) Kriegsflüchtlinge i. S. d. § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. mit dem
Lebensnotwendigen zu versorgen, die Kreise finanziell entlasten und eine sich daraus
ergebende Senkung der Kreisumlage zu einer entsprechenden Entlastung der
Gemeinden führen kann. Einer Senkung der Kreisumlagen käme zwar Bedeutung zu für
die Frage, ob die Kostenregelung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes insgesamt zu einer
unzureichenden Finanzausstattung führt, rechtfertigt jedoch nicht eine in sich
systemwidrige, willkürliche Kostenerstattungsregelung.
64
Ebensowenig kann die systemwidrige hälftige Kostenpauschale über den
Finanzausgleich kompensiert werden. Das Gemeindefinanzierungsgesetz kann zwar
Finanzierungsdefizite ausgleichen, nicht aber Systemwidrigkeiten im gewählten
Erstattungsmodell. Normiert der Gesetzgeber ein bestimmtes Erstattungssystem, so
werden willkürliche, in sich nicht stimmige Regelungen innerhalb des
Erstattungssystems nicht durch den allgemeinen Finanzausgleich gerechtfertigt.
65
Auch eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, die finanzielle Belastung der
Gemeinden durch die Unterbringung und Versorgung ausländischer Flüchtlinge statt in
einer gesonderten Kostenerstattungsregelung lediglich im Rahmen des allgemeinen
Finanzausgleichs berücksichtigen zu können, würde - entgegen der Auffassung der
Landesregierung - nicht die Verletzung des Willkürverbots im normierten
Erstattungssystem rechtfertigen. Hat der Gesetzgeber sich für eine bestimmte
gesonderte Kostenerstattungsregelung entschieden, muß diese Regelung dem
Willkürverbot genügen; der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum, auf eine
gesonderte Kostenregelung verzichten zu können, berechtigt nicht zu einer
sachwidrigen Regelung.
66
Die Beschwerdeführerinnen können für die Jahre 1995 und 1996 auch nicht auf die -
wie noch darzulegen sein wird - verfassungsmäßige Übergangsregelung des Art. 4 Nr. 4
Artikelgesetz verwiesen werden; denn die Systemwidrigkeit der Kostenpauschale nach
§ 6 Abs. 1 FlüAG n. F. bliebe davon unberührt.
67
4.
Flüchtlinge im Sinne des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. die Gewährung einer Kostenpauschale
nur für den Fall vorsieht, daß die Landesregierung die Erstattung unter Bezugnahme auf
diese Regelung beschließt.
68
Art. 78 Abs. 3 LV verlangt, daß bei einer Aufgabenübertragung "gleichzeitig
Bestimmungen über die Deckung der Kosten getroffen werden". Dem Wortlaut der
Vorschrift ist nicht eindeutig zu entnehmen, in welcher Form die "Bestimmungen" über
die Kostendeckung zu treffen sind. Aufbau sowie Sinn und Zweck der Vorschrift
ergeben indes, daß die Kostendeckung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zu
regeln ist. Muß die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf die Gemeinden und
Gemeindeverbände nach Art. 78 Abs. 3 LV durch "gesetzliche Vorschriften" erfolgen, so
hat eine "gleichzeitige Bestimmung" über die Kostendeckung ebenfalls der
Landesgesetzgeber zu treffen. Sinn des Art. 78 Abs. 3 LV ist es, dem Gesetzgeber bei
69
jeder Aufgabenübertragung vor Augen zu führen, daß diese eine finanzielle Belastung
der Gemeinden bewirkt. Der Gesetzgeber ist nicht nur zu einer Prüfung der finanziellen
Belastung verpflichtet, sondern auch dazu, selbst eine Regelung zu treffen (ständige
Rechtsprechung seit VerfGH NW, OVGE 38, 301, 302). Der die Aufgabenübertragung
regelnde Landesgesetzgeber wird der Schutzfunktion des Art. 78 Abs. 3 LV nicht
gerecht, wenn er die Frage der Kostendeckung - wie hier - dem Belieben der Exekutive
überläßt.
5.
verletzt, als ihnen für die Personengruppen des § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. nicht die
Betreuungspauschale im Sinne des § 4 Abs. 2 FlüAG n. F. in Höhe von 30,-- DM
monatlich gewährt wird. Darin liegt ebenfalls ein Verstoß gegen das Willkürverbot.
70
Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der es rechtfertigen könnte, den Gemeinden
zwar für die Personengruppen des § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG n. F. eine
Betreuungspauschale zu gewähren, nicht jedoch für die Personengruppen des § 2 Nrn.
4 bis 6 FlüAG n. F.. Es sind weder Anhaltspunkte vom Land vorgetragen noch sonst
ersichtlich, daß für Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 4 bis 6 FlüAG n. F. grundsätzlich
geringere Betreuungskosten entstünden als für Flüchtlinge i. S. d. § 2 Nrn. 1 bis 3 FlüAG
n. F..
71
6.
1 FlüAG n. F. (Asylbewerber) längstens für die Dauer von vier Monaten nach
unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags in § 4 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 FlüAG
n. F. ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist weder unzumutbar noch
unvertretbar, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden
Prognosespielraums von einer Kostenerstattung über diesen Zeitpunkt hinaus
abgesehen hat.
72
Bereits § 6 Abs. 4 Nr. 1 FlüAG vom 27. März 1984 (GV NW S. 214), der eine
Kostenerstattung des Landes zugunsten der Träger der Sozialhilfe (Kreise und kreisfreie
Städte) vorsah, beschränkte die Erstattung auf einen Zeitraum von längstens vier
Monaten nach rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens. Der
Verfassungsgerichtshof hat diese Vorschrift, ohne zu der zeitlichen Beschränkung
ausdrücklich Stellung zu nehmen, als verfassungsgemäß angesehen (VerfGH NW,
NWVBl. 1993, 7; VerfGH NW, NWVBl. 1993, 132).
73
Die zeitliche Beschränkung der Erstattung verfolgt das legitime Ziel, auf eine zügige
Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern hinzuwirken, um öffentliche Mittel zu
sparen. Dieses Ziel rechtfertigt es, in pauschalierender Form die Erstattung der von den
Gemeinden zu erbringenden Leistungen generell auf einen bestimmten Zeitraum nach
Ablehnung des Asylantrags zu begrenzen. Der Gesetzgeber war insbesondere nicht
verfassungsrechtlich gehalten, solche Fallgestaltungen von der zeitlichen
Beschränkung auszunehmen, in denen eine Verzögerung oder gar Unmöglichkeit der
Abschiebung nicht in der Macht oder dem Einflußbereich der Gemeinde liegt. Die Frage,
aus welchen Gründen eine Abschiebung nicht oder verspätet möglich ist, kann im
Einzelfall nur schwer und mit nicht unerheblichem Aufklärungsaufwand zu beantworten
sein.
74
Der pauschalierenden Beschränkung der Erstattung auf einen Zeitraum von bis zu vier
Monaten nach Ablehnung des Asylantrags liegt allerdings die Prognose des
75
Gesetzgebers zugrunde, daß im Regelfall eine Abschiebung möglich ist. Trotz der nach
Angaben der Beschwerdeführerinnen wachsenden Zahl nicht abschiebbarer Flüchtlinge
ist für den Verfassungsgerichtshof nicht feststellbar, daß dieser Prognose derzeit eine
hinreichende Grundlage fehlt. Der Gesetzgeber wird die in Rede stehende Regelung
unter Kontrolle zu halten und die zugrundeliegende Prognosebasis darauf zu
überprüfen haben, ob sie sich in erheblicher Weise geändert hat.
7.
6 FlüAG n. F. (Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge) längstens für die Dauer von drei
Jahren seit der erstmaligen Anordnung nach § 54 AuslG (§ 6 Abs. 1 i. V. m § 3 Abs. 3
Nr. 3 FlüAG n. F.) begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen
Bedenken. Der Grundgedanke dieser Regelung, andere Flüchtlinge als Asylbewerber
längstens für drei Jahre bei den Erstattungsregelungen zu berücksichtigen, war bereits
in § 6 Abs. 4 Nr. 2 FlüAG vom 27. März 1984 (GV NW S. 214) verwirklicht. Der
Verfassungsgerichtshof hat diese Vorschrift - wie ausgeführt - ebenso als
verfassungsrechtlich zulässig angesehen wie die Anrechungsvorschrift des § 3 Abs. 3
FlüAG i. d. F. des 3. Gesetzes zur Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes vom 25.
März 1993 (GV NW S. 102), wonach diese Flüchtlingsgruppen längstens für die Dauer
von drei Jahren bei der Zuweisung von Flüchtlingen angerechnet werden (VerfGH NW,
NWVBl. 1996, 97).
76
Mit der pauschalierenden Beschränkung der Erstattung in § 6 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 3
Nr. 3 FlüAG n. F. auf drei Jahre hat der Gesetzgeber keine offensichtlich sachwidrige
oder willkürliche Regelung getroffen. Den zitierten Vorschriften liegt die plausible
Annahme zugrunde, daß die Integration von ausländischen Flüchtlingen mit der Dauer
ihres Aufenthaltes in Deutschland fortschreitet. Ihre Plausibilität wird nicht dadurch in
Frage gestellt, daß sie nicht für jede der zahlreichen und vielfältigen Ausländergruppen
in Deutschland in gleichem Maße gilt. Ausmaß und Zeiterfordernis der Eingliederung
werden je nach Kulturkreis bzw. Herkunftsland, aus dem die Flüchtlinge stammen,
verschieden sein. Außerdem hängt die Möglichkeit einer kontinuierlichen Integration
von den unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den
Aufnahmegemeinden (etwa von der Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt) ab
(VerfGH NW, NWVBl. 1996, 97, 99). Je weiter die Integration der ausländischen
Flüchtlinge fortschreitet, um so eher entfällt eine Hilfebedürftigkeit und ist ihre Situation
derjenigen deutscher Familien vergleichbar. Dabei durfte der Gesetzgeber in Rechnung
stellen, daß die Gemeinden für alle Einwohner, also auch für ausländische Flüchtlinge,
Schlüsselzuweisungen erhalten, die auch die Soziallasten abdecken. Sinkt aber der
prozentuale Anteil der unterstützungsbedürftigen Personen unter den ausländischen
Flüchtlingen mit längerer Aufenthaltsdauer, ist es sachlich vertretbar, in bezug auf diese
Personengruppen nicht mehr von einer Sonderlast auszugehen, für die besondere
Erstattungsregelungen gelten.
77
8.
auf solche, deren Anordnung nach § 54 AuslG ab dem 1. Januar 1995 getroffen worden
ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
78
Der Gesetzgeber wollte mit dem Stichtag in § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. - wie auch mit dem
vergleichbaren Stichtag in § 2 Nr. 5 FlüAG n. F. - im Sinne eindeutiger Verhältnisse nur
solche Flüchtlinge erfassen, deren Anordnung nach § 54 AuslG (bzw. nach § 32 AuslG)
nach dem Inkrafttreten der Änderungen durch das Artikelgesetz getroffen worden ist.
Zugleich hat der Gesetzgeber für die große Gruppe der Flüchtlinge aus Bosnien-
79
Herzegowina in Art. 4 Nr. 1 Artikelgesetz eine für die Beschwerdeführerinnen
vorteilhafte Ausnahmeregelung geschaffen, nach der - ungeachtet einer früheren
Anordnung - die dreijährige Anrechnung und Erstattung (erst) mit dem 1. Januar 1995
beginnt. Diese in einem inneren Zusammenhang stehenden Übergangsregelungen
dienen der Schaffung klarer Verhältnisse bei Inkrafttreten der Neuregelung und dürften
bei einer Gesamtbe-trachtung die Gemeinden gegenüber der ohne sie geltenden
Normlage sogar begünstigen. Als Übergangsregelungen von begrenzter Dauer und
Auswirkung sind sie jedenfalls nicht offensichtlich sachwidrig.
9.
von umgerechnet 130,-- DM monatlich, die die Gemeinden vom Land für jeden in einem
Übergangsheim untergebrachten Berechtigten i. S. d. § 2 LAufG (Aussiedler,
Spätaussiedler, Zuwanderer) erhalten, genügt den Anforderungen des Art. 78 Abs. 3 LV.
80
Mit der verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässigen Pauschalierung der
Kostenerstattung in § 9 LAufG hat der Gesetzgeber seinen Gestaltungsspielraum nicht
überschritten. Der Regelung sind Erhebungen vorausgegangen, nach denen die Kosten
für einen Platz im Übergangsheim zwischen 50,-- und 400,-- DM (Gutachten Mummert
und Partner, S. 45 f.) schwanken. Angesichts dieser Bandbreite ist es weder
offensichtlich sachwidrig noch unvertretbar, die Kostenpauschale auf einen Wert
unterhalb des statistischen Mittelwertes von 186,-- DM festzusetzen. Dabei ist zu
berücksichtigen, daß die Gemeinden nach dem Kommunalabgabengesetz
Benutzungsgebühren verlangen können. Es liegen auch keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür vor, daß die Pauschalabgeltung in § 9 LAufG zu einer
entscheidenden Schwächung der Finanzkraft der Gemeinden geführt und einer
sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die finanzielle Grundlage entzogen hätte.
81
10.
unzumutbaren oder unvertretbaren Belastungen der Beschwerdeführerinnen. Daß die
Umstellung der Erstattung von einer konkreten Abrechnung der tatsächlichen
Aufwendungen auf eine Abrechnung nach Pauschalen im Einzelfall zu finanziellen
Einbußen einzelner Gemeinden führen kann, ist systembedingt. Der Gesetzgeber hat
dies erkannt und durch die verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden
Übergangsregelungen in Art. 4 Nr. 4 und Art. 5 Nr. 3 Artikelgesetz berücksichtigt.
82
Die abgestuften Übergangs- und Härteregelungen sind im Rahmen des dem
Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums sachlich vertretbar. Sie lassen keine
hinreichenden Anhaltspunkte für eine unzumutbare Belastung der
Beschwerdeführerinnen erkennen. Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht
gehalten, bei einer Umstellung des Erstattungssystems die betroffenen Kostenträger von
jeder nachteiligen Veränderung freizustellen. Mit den beschriebenen
Übergangsregelungen hat der Gesetzgeber seiner Pflicht, übermäßige Härten zu
vermeiden, genügt.
83
IV.
84
Die Anrechnungsvorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG n. F. verletzt die
Beschwerdeführerinnen nicht in ihrem Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Art.
78 Abs. 1 und 2 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) i. V. m. dem Willkürverbot.
85
Soweit die Beschwerdeführerinnen Bedenken gegen die Regelung des § 3 Abs. 3 Satz
86
Soweit die Beschwerdeführerinnen Bedenken gegen die Regelung des § 3 Abs. 3 Satz
1 FlüAG n. F. vorbringen, wenden sie sich der Sache nach ausschließlich gegen die je
nach Flüchtlingsgruppe unterschiedlichen Kostenerstattungsvorschriften. Sie sehen die
Anrechnungsvorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG n. F. allein deshalb als nicht
sachgerecht und willkürlich an, weil mit der Zuweisung der einzelnen Flüchtlinge je
unterschiedliche Kostenlasten für die betroffenen Gemeinden verbunden sind. Dies
kann jedoch nicht zu einem "eigenständigen" Verstoß der Anrechnungsvorschrift des §
3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG n. F. gegen das Willkürverbot führen. Soweit die
Kostenerstattungsregelungen - wie ausgeführt - nicht willkürlich sind, ist auch die
Anrechnungsvorschrift des § 3 Abs. 3 Satz 1 FlüAG n. F. und die mit ihr verbundene
Kostenlast nicht sachwidrig. Soweit die hälftige Kostenpauschale des § 6 Abs. 1 FlüAG
n. F. - wie ausgeführt - verfassungswidrig ist, beruht die sich daraus ergebende
ungleichgewichtige Belastung der Gemeinden allein auf der Kostenerstattungsregelung
des § 6 Abs. 1 FlüAG n. F., nicht jedoch auf der Anrechnungsvorschrift des § 3 Abs. 3
Satz 1 FlüAG n. F.. Nicht die Anrechnung der fraglichen Personengruppe ist sachwidrig,
sondern ausschließlich die zugehörige Kostenerstattungsregelung des § 6 Abs. 1
FlüAG n. F.. Dementsprechend kann das Land die insoweit systemwidrige Belastung
der Gemeinden auch nur durch Änderung der Kostenerstattungsregelungen, nicht aber
der Anrechnungsvorschrift beseitigen.
86
V.
87
Von den angegriffenen Kostenerstattungsregelungen ist nach alledem § 6 Abs. 1 FlüAG
n. F. insoweit mit der Landesverfassung unvereinbar, als die Beschwerdeführerinnen
hinsichtlich der Flüchtlingsgruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. von ihr betroffen sind.
Dieselben Gründe, die zur Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. in bezug
auf die Flüchtlingsgruppe des § 2 Nr. 6 FlüAG n. F. führen, gelten auch für die
verfassungsrechtliche Beurteilung der Vorschrift, soweit sie sich auf die
Flüchtlingsgruppen des § 2 Nrn. 4 und 5 FlüAG n. F. bezieht (vgl. dazu auch die
Parallelentscheidung - VerfGH 38/95 -). In Anwendung der §§ 52 Abs. 3, 49 Satz 2
VerfGHG hat deshalb der Verfassungsgerichtshof die landesverfassungsrechtliche
Unvereinbarkeit des gesamten ersten Absatzes des § 6 FlüAG n. F. ausgesprochen.
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Die Unvereinbarkeit des § 6 Abs. 1 FlüAG n. F. mit der Landesverfassung bestand für
den gesamten Geltungszeitraum der Vorschrift. Ob und inwieweit eine Rückabwicklung
bereits abgeschlossener Haushaltsperioden im Hinblick auf eine verläßliche und
kalkulierbare Haushalts- und Finanzwirtschaft ausscheidet (vgl. BVerfGE 72, 330, 422 f.;
BVerfGE 86, 148, 279), wird der Gesetzgeber unter Berücksichtigung aller Umstände zu
entscheiden haben. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alsbald eine Neuregelung zu
treffen (§ 52 Abs. 3 i. V. m. § 49 Satz 1 VerfGHG). Bis zu ihrem Inkrafttreten ist aus
Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nach der bisherigen Vorschrift zu
verfahren.
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VI.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs. 4 VerfGHG.
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