Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 09.02.1999

VerfG Nordrhein-Westfalen (vorbehalt des gesetzes, bundesrepublik deutschland, dritte gewalt, gewalt, vorbehalt, justiz, regierung, organisation, exekutive, parlament)

Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 11/98
Datum:
09.02.1999
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 11/98
Leitsätze:
1. a) Die nordrhein-westfälische Landesverfassung weist dem
Ministerpräsidenten keine ausschließliche Kompetenz zur Errichtung
von Ministerien zu.
b) Dieser Teilbereich der Organisationsgewalt kann vielmehr zum einen
dem Zugriff des Gesetzgebers, zum anderen einem Vorbehalt des
Gesetzes unterliegen, solange nicht der Kernbereich der
Organisationsgewalt der Regierung berührt ist.
c) Organisatorische Maßnahmen, die den Bereich der
Gerichtsverwaltung und damit den Bereich der rechtsprechenden Gewalt
betreffen, gehören nicht zu diesem Kernbereich.
2. a) Auch für Organisationsentscheidungen grenzt das Kriterium der
Wesentlichkeit den Bereich ab, der dem Gesetzgeber zur
ausschließlichen Regelung vorbehalten ist.
b) Organisationsentscheidungen können wesentlich sein für die
Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der
Gewaltenteilung, insbesondere für die Sicherung einer eigenständigen
und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt.
3. Die Entscheidung, die Geschäftsbereiche eines herkömmlichen
Innenministeriums und eines herkömmlichen Justizministeriums zu
einem neuen Ministerium für Inneres und Justiz zusammenzuführen, ist
wesentlich im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes.
a) Bei der Organisation der Gerichtsverwaltung geht es um die
grundlegende Frage, wie die Dritte Gewalt institutionell gesichert und
gestärkt und ihre verfassungsrechtlich vorgezeichnete Eigenständigkeit
hervorgehoben werden soll.
b) Auch vor dem Hintergrund der historischen und
verfassungsrechtlichen Entwicklung der Judikative verlangt die
Tragweite einer Zusammenlegung von Innen- und Justizministerium für
die Stellung der Dritten Gewalt und für das Vertrauen des Bürgers in
deren Unabhängigkeit, daß das Für und Wider einer solchen
Zusammenlegung vor den Augen der Öffentlichkeit diskutiert und vom
Parlament verantwortet wird.
Tenor:
Der Antragsgegner hat durch seinen Organisationserlaß vom 9. Juni
1998 (Bekanntmachung vom 15. September 1998, GV. NW. S. 544) das
Recht des Landtags aus dem Vorbehalt des Gesetzes nach Art. 1 Abs. 1
Satz 1 und Art. 2 LV NW i.V.m. Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG insoweit verletzt,
als er die Geschäftsbereiche des bisherigen Innenministeriums und des
bisherigen Justizministeriums zu einem neuen Ministerium für Inneres
und Justiz zusammengeführt hat.
G r ü n d e :
1
A.
2
Die Antragstellerin, die Fraktion der ... im Landtag Nordrhein-Westfalen, wendet sich
gegen die Zusammenlegung des Justizministeriums mit dem Innenministerium.
3
I.
4
Der Antragsgegner, ... bestimmte im Zuge einer Neubildung der Landesregierung durch
Organisationserlaß vom 9. Juni 1998 unter anderem, daß die Geschäftsbereiche des
bisherigen Innenministeriums und des bisherigen Justizministeriums zu einem
Ministerium für Inneres und Justiz zusammengeführt werden (Bekanntmachung vom 15.
September 1998, GV. NW. S. 544).
5
II.
6
Am 19. Oktober 1998 hat die Antragstellerin das vorliegende Organstreitverfahren
eingeleitet.
7
Die Antragstellerin beantragt,
8
festzustellen, daß der Antragsgegner durch die durch Organisationserlaß
vom 9. Juni 1998 verfügte Zusammenführung der Geschäftsbereiche des
bisherigen Innenministeriums und des bisherigen Justizministeriums (Ziffer
5.1. des Erlasses) zu einem neuen "Ministerium für Inneres und Justiz"
(Ziffer 6 Abs. 2 des Erlasses) das durch institutionellen Gesetzesvorbehalt
gesicherte Recht des nordrhein-westfälischen Landtags - wahrgenommen in
Prozeßstandschaft durch die Antragstellerin - zur Regelung des
organisatorischen Verhältnisses von Innen- und Justizministerium durch
Gesetz verletzt hat.
9
Zur Begründung trägt sie vor:
10
Die beanstandete Maßnahme habe Rechte (Kompetenzen) des Parlaments verletzt. Sie
habe einer parlamentarischen Entscheidung in Form eines formellen Gesetzes bedurft.
Der Vorbehalt des Gesetzes behalte bestimmte staatliche Entscheidungen dem
Gesetzgeber vor. Er orientiere sich dabei an dem Merkmal der "Wesentlichkeit". Nicht
nur wesentliche grundrechtsrelevante Entscheidungen, sondern auch wesentliche
Organisationsentscheidungen dürfe allein der Gesetzgeber treffen. Andererseits stehe
Regierung und Verwaltung im Sinne eines gesetzesfesten Kernbereichs ein Freiraum
organisatorischer Gestaltungsmacht zu. Art. 52 Abs. 3 LV ermächtige den
Ministerpräsidenten nicht nur zu Personalentscheidungen, nämlich dazu, die Minister zu
ernennen und zu entlassen. Dieses Recht sei vielmehr um die Befugnis erweitert,
Ministerien zu errichten und ihre Geschäftsbereiche abzugrenzen. Dabei handele es
sich indes um eine bloße Annexkompetenz zu den Personalentscheidungen. Als solche
sei sie nicht gesetzesfest. Vielmehr könne der Landtag insoweit auf die
Organisationsgewalt zugreifen.
11
Von dieser Möglichkeit habe der Landtag durch das Gesetz zur Vereinheitlichung der
Dienstaufsicht über Gerichte vom 13. Januar 1970 (GV. NW. S. 38) Gebrauch gemacht.
Indem er mit § 2 AG VwGO NW, § 4 AG FGO NW den Justizminister zur obersten
Dienstaufsichtsbehörde für die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit
und für die Finanzgerichte bestimmt habe, habe er eine Organisationsregelung
getroffen. Mit ihr sei die Schaffung eines Ministeriums für Inneres und Justiz nicht
vereinbar. Die Verschmelzung der Geschäftsbereiche des Innenministeriums und des
Justizministeriums bringe ein anders geartetes neues Ressort hervor. Es sei mit dem
bisherigen Justizministerium nicht vergleichbar. Der Gesetzgeber habe insbesondere
eine Ressortierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beim Innenminister ausschließen
wollen.
12
Der Zugriff des Landtags auf die Organisationsgewalt sei zulässig gewesen. Ein Eingriff
in den Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung liege nicht vor. Mit § 2 AG VwGO
NW und § 4 AG FGO NW seien im Sinne des institutionellen Gesetzesvorbehalts
wesentliche Entscheidungen getroffen worden. Die Schaffung eines einheitlichen
Rechtspflegeministeriums zähle zu den Grundproblemen der Gerichtsbarkeit.
13
III.
14
1.
15
den Antrag zurückzuweisen.
16
Er hält ebenso wie die Landesregierung den Antrag bereits für unzulässig. Daß der
Ministerpräsident Justiz- und Innenministerium nicht durch Organisationsakt
zusammenlegen dürfe, lasse sich nicht aus einem verfassungsrechtlichen Rechtssatz,
sondern allenfalls aus einfachem Recht herleiten.
17
Ein institutioneller Gesetzesvorbehalt, der den Zuschnitt von Ministerien zu einer
ausschließlichen Kompetenz des Landtags mache, bestehe nicht. Dies behaupte nicht
einmal die Antragstellerin. Ein solcher Gesetzesvorbehalt ließe auch nichts von dem
Kabinettsbildungs- und Organisationsrecht übrig, das die Landesverfassung
ausdrücklich dem Ministerpräsidenten zuweise.
18
Die Antragstellerin behaupte in der Sache, der Organisationsakt des
Ministerpräsidenten verstoße gegen § 4 AG FGO NW und § 2 AG VwGO NW.
Verfassungsrechtlich sei damit das Zugriffsrecht des Landtags angesprochen. Dessen
zulässige Ausübung binde die Exekutive nach dem Grundsatz des Gesetzesvorrangs.
Um die verfassungsrechtliche Existenz und Reichweite dieses Zugriffsrechts werde
aber nicht gestritten. Die Verfassungsmäßigkeit von § 2 AG VwGO NW und § 4 AG FGO
NW stehe außer Streit. Streitig sei nur, ob der Organisationserlaß gegen diese
Vorschriften verstoße. Damit mache die Antragstellerin die Verletzung einfach-
rechtlicher Normen geltend. Hierfür sei der Organstreit nicht eröffnet.
19
Bei § 2 AG VwGO NW und § 4 AG FGO NW handele es sich zudem nicht um
Organisationsregelungen, sondern um Sachregelungen mit
Zuständigkeitszuweisungen. Die Ressortierung der Dienstaufsicht beim Justizminister
bedeute auch nach der Entstehungsgeschichte der Vorschriften nicht zugleich eine
Absage an eine Zuständigkeit des Innenministers. Die Vorschriften ließen sich ohne
weiteres so lesen, daß oberste Dienstaufsichtsbehörde der für den Bereich Justiz
zuständige Minister sein solle. Eine gesetzliche Regelung könne im übrigen auch nicht
aus den Gründen des Vorbehalts des Gesetzes im Sinne der Wesentlichkeit gefordert
werden, weil sich die Zusammenlegung nicht auf einen wesentlichen Regelungsbereich
beziehe. Insbesondere mache ihre politische Umstrittenheit allein die Maßnahme noch
nicht zu einer wesentlichen Entscheidung.
20
2.
21
B.
22
Der Antrag ist zulässig.
23
1. a)
Organstreit als Teile des obersten Landesorgans "Landtag" gemäß Art. 75 Nr. 2 LV NW,
§ 12 Nr. 5, § 43 VerfGHG NW parteifähig. Sie sind in der Geschäftsordnung des
Landtags mit eigenen Rechten ausgestattet, beispielsweise mit dem Recht, Anträge zu
stellen und Gesetzentwürfe einzubringen (§ 87 GO LT).
24
b)
der Ministerpräsident selbst oberstes Landesorgan ist. Er ist jedenfalls Teil des obersten
Landesorgans "Landesregierung". Sie besteht gemäß Art. 51 LV aus dem
Ministerpräsidenten und den Landesministern. Der Ministerpräsident ist in der
Landesverfassung mit eigenen Rechten ausgestattet. Er ernennt und entläßt die Minister
(Art. 52 Abs. 3 Satz 1 LV). Er bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die
Verantwortung (Art. 55 Abs. 1 LV).
25
Der Ministerpräsident ist richtiger Antragsgegner; von ihm stammt der beanstandete
Organisationserlaß.
26
2.
27
a)
die dem Landtag gegenüber dem Antragsgegner zustehen.
28
b)
Landtag durch die beanstandete Maßnahme des Antragsgegners in einem Recht
verletzt ist, das ihm - dem Landtag - durch die Verfassung übertragen ist.
29
Im Organstreitverfahren kann die Antragstellerin zulässigerweise rügen, daß die
beanstandete Maßnahme des Antragsgegners gegen den Vorbehalt des Gesetzes im
Lichte des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips verstößt. Der Vorbehalt des
Gesetzes begründet ein Recht des Landtags. In seinem demokratischen Gehalt verteilt
er Kompetenzen zwischen vollziehender Gewalt und Parlament und sichert dabei dem
Parlament einen Bereich, in den die Exekutive nicht eindringen darf. Namentlich die
sogenannte Wesentlichkeitstheorie will nicht zuletzt zum Schutze des Parlaments
gegen einen schleichenden Verlust seines Einflusses eine Machtbalance (wieder-)
herstellen, welche der Bedeutung gerecht wird, die dem Parlament als der unmittelbar
demokratisch legitimierten Staatsgewalt zukommt (VerfGH NW, NWVBl. 1997, 247).
30
Die Antragstellerin stellt auch darauf ab, daß die Zusammenführung der
Geschäftsbereiche des früheren Innenministeriums und des früheren Justizministeriums
zu einem Ministerium für Inneres und Justiz eine wesentliche Entscheidung sei, die nur
das Parlament habe treffen dürfen. Mit diesem Vorbringen macht die Antragstellerin
geltend, der Ministerpräsident habe mit seinem Organisationserlaß die Grenzen der ihm
(verfassungsrechtlich) eingeräumten Handlungsmöglichkeiten zu Lasten des Landtags
überschritten.
31
C.
32
Der Antrag ist begründet. Die beanstandete Zusammenführung der Geschäftsbereiche
des bisherigen Innenministeriums und des bisherigen Justizministeriums zu einem
neuen Ministerium für Inneres und Justiz hat ein Recht des Landtags verletzt, das dem
Landtag durch die Verfassung übertragen ist. Der Organisationserlaß des
Antragsgegners verstößt in seinem beanstandeten Teil gegen den Vorbehalt des
Gesetzes im Lichte des Rechtsstaats- und des Demokratieprinzips aus Art. 28 Abs. 1
Satz 1 GG, Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 LV NW.
33
I.
34
1.
nach einer gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe (BVerfGE 95, 267, 307). In
bestimmten grundlegenden Bereichen muß staatliches Handeln vielmehr durch
förmliches Gesetz legitimiert werden. Insoweit verpflichten das Rechtsstaatsprinzip und
das Demokratieprinzip den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu
treffen. Er darf sie nicht anderen Normgebern oder dem Handeln und der
Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (vgl. BVerfGE 40, 237, 248 f.; BVerfGE
47, 46, 78; BVerfGE 58, 257, 268; BVerfGE 83, 130, 142; BVerfG, NJW 1998, 2515,
2520). Das gilt zwar insbesondere für die der staatlichen Gestaltung offenliegende
Rechtssphäre im Bereich der Grundrechtsausübung (BVerfGE 47, 46, 78). Die
Grundrechtsbewahrung und -entfaltung im Verhältnis zwischen Staat und Bürger ist
aber nur ein, wenn auch besonders bedeutsamer Bereich, der dem Gesetzgeber zur
Regelung des Wesentlichen vorbehalten ist (vgl. BVerfGE 49, 89, 126; BVerfGE 88,
103, 116: "zumal"). Der Vorbehalt des Gesetzes erfaßt darüber hinaus auch andere für
das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen (vgl. aus jüngster Zeit: BVerfG, NJW
35
1998, 2515). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß derartige Entscheidungen
aus einem Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichnet, die
Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet, den Betroffenen und dem
Publikum Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das
Parlament anhält, Notwendigkeit und Ausmaß der Regelung in öffentlicher Debatte zu
klären (BVerfGE 85, 386, 403; BVerfGE 95, 267, 307). Zwischen Inhalt, Gewicht und
Bedeutung einer Regelung einerseits und Zusammensetzung, Legitimation und
Verfahrensweise des zuständigen Regelungsorgans andererseits besteht ein
Zusammenhang. Es geht darum, ob an einer für die Staatsorganisation grundlegenden
Entscheidung mehrere Instanzen mitwirken sollen, ob in der Öffentlichkeit eine
entsprechende Diskussion stattfinden und ob das Entscheidungsorgan nach seiner
Zusammensetzung und von seiner Legitimation her integrierend wirken soll oder ob die
betreffende Entscheidung mehr oder weniger bürokratisch getroffen wird. Der Vorbehalt
des Gesetzes soll das Parlament auch dazu anhalten, von seinen nur ihm zustehenden
verfassungsrechtlichen Kompetenzen wirklich Gebrauch zu machen und diese nicht
durch eine "Flucht aus der Verantwortung" oder aus wahl- oder machttaktischen
Erwägungen der Regierung zu überlassen (Ossenbühl in Isensee/Kirchhof, Handbuch
des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III, § 62 Rdnr. 37).
2.
Totalvorbehalt noch eine Kompetenzregel, nach der alle objektiv wesentlichen
Entscheidungen vom Gesetzgeber selbst zu treffen sind. Durch seine gewaltenteilende
Kompetenzordnung setzt das Grundgesetz den Befugnissen auch des Parlaments
vielmehr Grenzen. Weitreichende, gerade auch politisch bedeutsame Entscheidungen
gibt es in die Kompetenz anderer oberster Staatsorgane. Zwar sind allein die Mitglieder
des Parlaments unmittelbar vom Volk gewählt. Indessen entbehren auch andere
Institutionen und Funktionen der Staatsgewalt nicht der demokratischen Legitimation.
Die verfassungsgebende Gewalt hat in Art. 20 Abs. 2 und Abs. 3 GG sowie Art. 3 Abs. 2
LV auch die Exekutive als verfassungsunmittelbare Institution und Funktion geschaffen
(vgl. BVerfGE 49, 89, 124 ff.; BVerfGE 68, 1, 86 f.). Zumal der Ministerpräsident verfügt
über besondere demokratische Legitimation. Er wird gemäß Art. 52 Abs. 1 LV aus der
Mitte des Landtags gewählt. Er ist immer zugleich unmittelbar vom Volk gewählter
Abgeordneter.
36
3.
Berufung auf den Vorbehalt des Gesetzes (mit-) zu entscheiden, wenn und soweit sich
der Verfassung eine Kompetenzzuweisung an ein anderes Staatsorgan entnehmen läßt.
Fehlt es hieran, ist wiederum anhand des rechtsstaatlichen und demokratischen Gehalts
des Vorbehalts des Gesetzes nach der Wesentlichkeit der anstehenden Entscheidung
zu fragen (vgl. VerfGH NW, NWVBl. 1997, 247).
37
II.
38
Die Befugnis, Ministerien zu errichten und ihre Geschäftsbereiche abzugrenzen, ist der
Organisationsgewalt im Bereich der Regierung zuzurechnen.
39
Die Organisationsgewalt ist in den Kompetenzordnungen des Grundgesetzes und der
Landesverfassung weder eindeutig und ausschließlich der Legislative noch eindeutig
und ausschließlich der Exekutive zugeordnet.
40
1.
41
1.
gewaltengegliederten Verfassungsstaat der Gegenwart liegt sie in der Hand
verschiedener Staatsorgane (Stern in Handwörterbuch der Organisation, 3. Aufl., 1992,
Spalte 2299/2300). Sie ist verfassungsabhängige Gewalt. Jede ihrer Maßnahmen muß
daher durch die Verfassung legitimiert sein. Die Verfassung unterstellt die exekutive
Organisationsgewalt rechtsstaatlich-demokratischen und institutionellen
Gesetzesvorbehalten. Sie räumt weiter der Legislative ein umfassendes Zugriffsrecht
ein (Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, § 41 IV 10 e, S.
794).
41
2. a)
Die Bestimmung normiert zwar einen speziellen Gesetzesvorbehalt für Entscheidungen
im Bereich der staatlichen Organisation. Danach erfolgt die Organisation der
allgemeinen Landesverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten durch Gesetz.
Die Vorschrift steht aber im 6. Abschnitt "Verwaltung". Sie erfaßt daher nicht die
Organisation auf der Ebene der Regierung. Diese hat ihre Regelung im 2. Abschnitt
"Landesregierung" gefunden.
42
b)
auch den im Grundgesetz und in der Landesverfassung aufgestellten (speziellen)
institutionellen Gesetzesvorbehalten nicht entnehmen. Sie treffen überwiegend eher
punktuelle Aussagen über die Organisation der Verwaltung und lassen sich nicht auf
einen verfassungsrechtsdogmatischen Grundgedanken zurückführen. Sie verteilen die
Kompetenzen im Bereich staatlicher Organisation nicht nach einem einheitlichen
Schema (vgl. Krebs in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, Band III, § 69 Rdnrn. 58, 59 und 87). Die
Organisationsgewalt ist mithin auch nicht einfach "Hausgut" der Legislative.
43
3.
ausschließliche Kompetenz zur Errichtung von Ministerien zu. Er hat allerdings nach Art.
52 Abs. 3 Satz 1 LV die Befugnis, die Minister zu ernennen und zu entlassen. Diese
Befugnis steht in engem Zusammenhang mit Art. 55 Abs. 1 LV. Danach bestimmt der
Ministerpräsident die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung.
44
a)
Entlassungsrecht, also das Recht, die Ernennungs- bzw. Entlassungsurkunde
auszufertigen und auszuhändigen. Dem Ministerpräsidenten kommt darüber hinaus das
materielle Kabinettsbildungsrecht zu. Er ist in der Auswahl der Personen frei, die er zu
Ministern ernennen will. Insoweit steht ihm ein rechtlich uneingeschränktes materielles
Entscheidungsrecht zu (vgl. Dickersbach in Geller/Kleinrahm, Die Verfassung des
Landes Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., Art. 52 Anm. 3a; Butzer, Die Rechte des
Ministerpräsidenten bei der Regierungsbildung, NWVBl. 1996, 208). Nur der
Ministerpräsident wird vom Landtag gewählt. Nur der Ministerpräsident kann durch
konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt werden. Die Minister hingegen sind,
unbeschadet ihrer parlamentarischen Verantwortlichkeit, nicht vom Vertrauen des
Landtags abhängig. Auch das Kabinett als Ganzes bedarf bei seinem Amtsantritt keines
Vertrauensvotums des Landtags.
45
b)
Ministerpräsidenten für die Festlegung und Führung der Gesamtpolitik bedürfen darüber
hinaus der Ergänzung und organisatorischen Abstützung durch die Befugnis, die
46
Ministerien zu errichten sowie ihre Geschäftsbereiche zu bestimmen und abzugrenzen.
Zwischen der politisch-personellen Zusammensetzung des Kabinetts und der
Organisation der Ministerien besteht deshalb ein Zusammenhang, der sich im
parlamentarisch-demokratischen Staat bei jeder Regierungsbildung in Form sachlich-
politischer, personalpolitischer sowie koalitions- und parteipolitischer Überlegungen
entfaltet. Die Verteilung der Aufgaben innerhalb der Regierung, die Bildung von
Schwerpunkten in der Regierungsarbeit durch Errichtung eigener Ministerien für
vordringliche Aufgaben sowie die Beteiligung einer größeren oder kleineren Anzahl von
Politikern an der Regierungsarbeit und -verantwortung sind selbst ein Aspekt der
Regierungspolitik (vgl. Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der
Regierung, S. 140 f.; Schenke in Bonner Kommentar, Art. 64 Rdnr. 40).
c)
abzugrenzen, ist indes nicht dem Ministerpräsidenten zur alleinigen Ausübung
zugewiesen. Dieser Teilbereich der Organisationsgewalt kann vielmehr zum einen dem
Zugriff des Gesetzgebers, zum anderen einem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen,
solange nicht der Kernbereich der Organisationsgewalt der Regierung berührt ist. Der in
der Literatur gelegentlich vertretenen gegenteiligen Ansicht (etwa Dickersbach in
Geller/Kleinrahm, a.a.O., Art. 52 Anm. 9d) kann nicht gefolgt werden.
47
Der Kernbereich der Organisationsgewalt der Regierung ist hier nicht betroffen. Der in
Rede stehende Organisationserlaß des Ministerpräsidenten bezieht das für die
Gerichtsverwaltung zuständige Justizministerium ein und erstreckt sich damit mittelbar
auf den Bereich der Judikative. Organisatorische Maßnahmen des Ministerpräsidenten,
die den Bereich der Gerichtsverwaltung und damit den Bereich der rechtsprechenden
Gewalt betreffen, gehören indes nicht zum Eigenbereich oder Kernbereich der
Exekutive. Sie sind gerade nicht schon kraft des funktionentrennenden Grundsatzes der
Gewaltenteilung zur ausschließlich eigenen Regelung und Entscheidung der Exekutive
zugewiesen (vgl. auch BVerfGE 2, 307, 319). Die Gerichtsverwaltung und ihre
Ressortierung bei einem bestimmten Minister betreffen nicht allein die Exekutive und
ihre Befugnis zur Selbstorganisation. Betroffen ist vielmehr zugleich die Judikative, die
vom Grundgesetz und von der Landesverfassung ebenfalls - namentlich in Art. 20 Abs. 2
Satz 2 GG und in Art. 3 Abs. 3 LV - als eigenständige (dritte) Gewalt konstituiert ist.
Organisatorisch wird die Rechtsprechung durch besondere Organe, die Gerichte,
ausgeübt; lediglich deren Verwaltung ist der Exekutive zuzuordnen. Gerichts- und
Justizverwaltung stehen daher in unmittelbarem Bezug zu den Aufgaben der
Rechtsprechung.
48
4.
Legislative zugeordnet, ist anhand des rechtsstaatlichen und demokratischen Gehalts
des Vorbehalts des Gesetzes nach der Wesentlichkeit der anstehenden Entscheidung
zu fragen, dem Kriterium also, das auch für Organisationsentscheidungen den Bereich
abgrenzt, der dem Gesetzgeber vorbehalten ist (vgl.: Schmidt-Aßmann,
Verwaltungsorganisation zwischen parlamentarischer Steuerung und exekutivischer
Organisationsgewalt, Festschrift für Hans Peter Ipsen, S. 333, 345 f.).
49
a)
sie auf der Ebene der Regierung getroffen wird. Bei Entscheidungen auf dieser Ebene
ist weiter zu differenzieren. Sind Entscheidungen wesentlich ausschließlich für die
Selbstorganisation der Regierung, fallen sie nicht unter einen Vorbehalt des Gesetzes.
Anderenfalls stünde nahezu die gesamte Organisationsgewalt im Bereich der
50
Anderenfalls stünde nahezu die gesamte Organisationsgewalt im Bereich der
Regierung in der ausschließlichen Kompetenz der Legislative, von deren
Entscheidungen die Regierung abhängig wäre. Organisatorische Entscheidungen im
Bereich der Regierung fallen auf einer Ebene, die schon für sich die Bedeutsamkeit
dieser Entscheidungen für das Staatsganze anzeigt. Von den organisatorischen
Befugnissen des Ministerpräsidenten bliebe kaum noch etwas übrig (vgl. auch Schenke
in Bonner Kommentar, Art. 64 Rdnr. 61; ähnlich: Schmidt-Aßmann, a.a.O., S. 347).
Namentlich die Errichtung eines neuen Ministeriums ist keine Maßnahme, die schon als
solche dem Gesetzgeber vorbehalten ist, mag sie auch allgemein als grundlegende
Maßnahme der staatlichen Behördenorganisation von erheblicher politischer, rechtlicher
und finanzieller Tragweite bezeichnet werden können.
b)
wesentlich sind. Wann es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber
bedarf, läßt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des
betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die Wertungskriterien sind dabei den
tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten
Grundrechten, zu entnehmen (BVerfG, NJW 1998, 2515, 2520).
51
aa)
für die Verwirklichung der Grundrechte" (BVerfGE 58, 257, 268). Auch
Organisationsentscheidungen können "wesentlich für die Verwirklichung der
Grundrechte" sein. Sie können deshalb - je nach der Intensität der
Grundrechtsbetroffenheit - dem Vorbehalt des Gesetzes unterfallen (Krebs in
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band
III, § 69 Rdnr. 72; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, § 41
IV 10 e, S. 795).
52
bb)
grundlegender Bedeutung für die Grundrechte und deren Verwirklichung ist, wohl aber
diese Bedeutung für andere tragende Prinzipien der Verfassung und deren
Verwirklichung besitzt. Ein Vorbehalt des Gesetzes kann danach für organisatorische
Entscheidungen bestehen, die wesentlich sind für die Verwirklichung des
Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes der Gewaltenteilung, insbesondere für die
Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt.
53
cc)
wesentlich für die Wahrnehmung der Staatsleitung ist und nicht einseitig und
ausschließlich der Exekutive vorbehalten ist (vgl. hierzu: Krebs, a.a.O., Rdnr. 87). Der
Vorbehalt des Gesetzes gehört neben dem Zugriffsrecht des Gesetzgebers zu den
verfassungsrechtlichen Instituten, die dem Parlament den verfassungsgemäßen Anteil
an der Staatsleitung verbürgen.
54
III.
55
In diesem Sinne wesentlich ist die Entscheidung, für die Angelegenheiten der
Rechtspflege nicht ein eigenständiges Ministerium, sondern ein Ministerium
einzurichten, das zugleich für die allgemeinen inneren Angelegenheiten zuständig ist,
also die Geschäftsbereiche eines herkömmlichen Innenministeriums und eines
herkömmlichen Justizministeriums zusammenzuführen. Eine solche Entscheidung
berührt nachhaltig grundlegende Prinzipien der Verfassung. Sie ist für das
56
Gemeinwesen von weitreichender und grundsätzlicher Bedeutung. Indiz für die
Wesentlichkeit der getroffenen Entscheidung in diesem doppelten Sinn ist auch ihre
politische Umstrittenheit, wie sie in der öffentlichen Diskussion über die
Zusammenlegung und der hierzu geführten Landtagsdebatte sowie schon in den
parlamentarischen Auseinandersetzungen zu § 2 AG VwGO, § 4 AG FGO in den Jahren
1968/69 zum Ausdruck kommt (vgl. Plenarprotokoll zur 42. Sitzung vom 12. November
1968, S. 1638 ff., Plenarprotokoll zur 65. Sitzung vom 16. Dezember 1969, S. 2759).
1.
Unabhängigkeit der Gerichte und das Rechtsstaatsprinzip, das auch die Garantie eines
effektiven Rechtsschutzes umfaßt.
57
a)
Rechtsprechung als eigenständige (dritte) Gewalt konstituiert. Organisatorisch wird die
Rechtsprechung besonderen Organen, den Gerichten, anvertraut (Art. 92 Halbsatz 1
GG). Deren Amtswalter, die Richter, sind sachlich und persönlich unabhängig (Art. 97
GG).
58
Aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG folgt für den Bereich des öffentlichen Rechts das Gebot
eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf
eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle der öffentlichen Gewalt, soweit deren
Handeln oder Unterlassen ihn in seinen Rechten betrifft. Wirksamer Rechtsschutz
bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. beispielsweise
BVerfGE 55, 349, 369; BVerfGE 93, 1, 13). Der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4
GG kommt ein hoher Rang zu. Daß der Bürger im Falle des Konflikts mit der
Staatsgewalt "seinen" Richter findet und von ihm in fairer Weise zur Sache gehört wird,
ist von entscheidender Bedeutung für das "Einverstandensein" des Bürgers mit dem
Staat, für die Chance zur Identifikation, ohne die eine Demokratie nicht dauerhaft
bestehen kann (BVerfGE 40, 237, 251). Ebenso gewährleisten in zivilrechtlichen
Streitigkeiten das Rechtsstaatsprinzip und die aus ihm abzuleitende
Rechtsschutzgarantie nicht nur, daß ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Sie
garantieren vielmehr auch die Effektivität dieses Rechtsschutzes (BVerfGE 88, 118,
123).
59
Für die Verwirklichung dieser Verfassungsprinzipien ist die Organisation der
Gerichtsverwaltung von erheblicher Bedeutung. Bei ihr geht es um die grundlegende
Frage, wie die dritte Gewalt institutionell gesichert und gestärkt und ihre
verfassungsrechtlich vorgezeichnete Eigenständigkeit hervorgehoben werden soll. Die
Zusammenlegung kann mithin im Staat-Bürger-Verhältnis die Durchsetzung
grundrechtsgeschützter Rechtspositionen berühren.
60
b)
angesiedelt. Die Gerichts- und Justizverwaltung ist zwar - wie dargelegt - der Exekutive
zuzuordnen. Sie steht aber in unmittelbarem Bezug zu den Aufgaben der
Rechtsprechung. Organisatorische Entscheidungen mit Auswirkungen auf den Bereich
der rechtsprechenden Gewalt unterscheiden sich ihrem Wesen nach von allen anderen
Maßnahmen der Behördenorganisation. Sie berühren die Wirkungsmöglichkeit der
Rechtsprechung und können damit mittelbar die vom Grundgesetz sorgfältig gehütete
sachliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt betreffen
(in diesem Sinne bereits BVerfGE 2, 307, 319; BVerfGE 24, 155, 166).
61
Die Gerichtsverwaltung muß sich an dem Justizgewährleistungsanspruch orientieren
und dessen Erfüllung sichern. Sie muß dazu dienen, die Funktionsfähigkeit der
Rechtsprechung in deren einzelnen Zweigen sicherzustellen.
62
Dazu gehört zunächst, daß den Gerichten qualifiziertes Personal und eine sachliche
Ausstattung zur Verfügung gestellt werden, die eine Gewährung effektiven
Rechtsschutzes, insbesondere auch eines Rechtsschutzes innerhalb angemessener
Zeit, ermöglichen. Der Rechtsprechung fehlt anders als den beiden anderen
Staatsfunktionen die Befugnis zur Selbstorganisation im Sinne einer Selbstverwaltung.
Die Gerichte als Organe der Rechtsprechung - ausgenommen die Verfassungsgerichte
des Bundes und der Länder (vgl. § 1 Abs. 1 BVerfGG und § 1 Abs. 1 VerfGHG NW) -
haben weder den selbständigen staatsrechtlichen oder haushaltsrechtlichen Status
eines obersten Landesorgans noch einen Status vergleichbar den Rechnungshöfen
oder der Bundesbank. Sie nehmen keine Mittel ein, die sie selbst verwalten. Sie haben
kein eigenes "Zugangsrecht" zum Haushaltsgesetzgeber. Obwohl sie eine
eigenständige Funktion der Staatsgewalt ist, ist die Rechtsprechung in dieser Hinsicht
auf eine Gerichtsverwaltung angewiesen. Deren Organisation muß das Fehlen einer
Selbstverwaltung der Judikative kompensieren. Die Gerichtsverwaltung muß durch die
Art ihrer Organisation, insbesondere an der Spitze, imstande sein, im politischen
Kräftespiel der Rechtsprechung die - insbesondere finanziellen - Mittel zu sichern, deren
sie für ihre Funktionsfähigkeit und die Erfüllung ihrer Aufgaben bedarf.
63
Die Gerichtsverwaltung darf zum anderen die Unabhängigkeit der Gerichte und der
Richter nicht beeinträchtigen. Sie darf nach ihrer organisatorischen Gestaltung keinen
Einfluß auf die Rechtsprechung nehmen oder auch nur den Anlaß zur Besorgnis der
Befangenheit des Richters geben können. Der Justizgewährleistungsanspruch wird
durch unabhängige und auch aus diesem Grunde in den Augen der Rechtsuchenden
unbefangene Richter erfüllt. Die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung lebt auch von
dem Vertrauen des Rechtsuchenden in ihre Unabhängigkeit. Dieses Vertrauen wird
nicht erst durch konkrete Eingriffe im Einzelfall erschüttert, sondern kann schon durch
den bösen Schein gefährdet werden.
64
2.
Entscheidungen, die weitreichende Folgen für die Stellung der dritten Gewalt und das
Vertrauen des Bürgers in deren Unabhängigkeit haben können. Schon die Tragweite
solcher Entscheidungen verlangt, daß ihr Für und Wider vor den Augen der
Öffentlichkeit diskutiert und vom Parlament verantwortet wird. Die Notwendigkeit hierzu
erhellt auch aus der historischen und verfassungsrechtlichen Entwicklung der Judikative
und ihrer Verwaltung sowie der hierzu geführten Diskussion.
65
a)
Spitze, sind im Laufe der Zeit verschiedene Modelle entwickelt worden. Sie berühren in
unterschiedlicher Weise und Intensität verfassungsrechtliche Prinzipien. Nur diskutiert,
aber nicht verwirklicht worden ist eine Art Selbstverwaltung der Gerichte mit einem mehr
oder weniger selbständigen Status namentlich in haushaltsrechtlicher Hinsicht und
hinsichtlich der Personalentscheidungen (vgl. etwa van Husen, Die Entfesselung der
Dritten Gewalt, AöR 78 [1952/53], 49 ff). In Deutschland durchgängig verwirklicht
worden ist die Zuordnung zu einem Ministerium, bei dem auch der Haushalt und die
Personalentscheidungen angesiedelt sind. Dabei handelt es sich in der Regel um die
Ressortierung bei einem Justizministerium, bei einem sogenannten Fachministerium
oder bei einem Rechtspflegeministerium, das die Zuständigkeit für alle oder doch
66
wesentliche Zweige der Rechtsprechung bei einem Ministerium, dem Justizministerium,
zusammenfaßt (vgl. zur Diskussion dieser Modelle etwa die Referate von Ule einerseits
und Arndt anderseits auf dem 42. Deutschen Juristentag 1957 zum Thema: Empfiehlt es
sich, die verschiedenen Zweige der Rechtsprechung ganz oder teilweise
zusammenzufassen?).
Dabei ist das Justizministerium im allgemeinen Verständnis dasjenige Ministerium, das
neben seiner Aufgabe als Gesetzgebungsministerium im wesentlichen nur noch für die
Angelegenheiten der Rechtspflege zuständig ist. Diese Ausformung eines
selbständigen Justizministeriums hat ihre Wurzeln am Ende des Absolutismus, als die
Rechtsprechung als eigenständige Staatsfunktion Anerkennung fand, Kabinetts- und
Ministerialjustiz sowie Ausnahmegerichte zurückgedrängt und beseitigt wurden und sich
ein Rechtsstaat entwickelte, dem der Schutz der Rechte des Bürgers ein zentrales
Anliegen war. In engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang damit entstanden
auch Justizministerien als Ausdruck der Eigenständigkeit der Justiz unter der sich
wandelnden Verfassungslage. Sie bildeten sich um die Wende vom 18. zum 19.
Jahrhundert neben den Ministerien für Äußeres, Inneres, Heer und Finanzen im Laufe
eines funktionellen Differenzierungsprozesses als klassische Ministerien heraus. Die
Trennung von Justizministerium und Innenministerium beruht dementsprechend auf
gewachsener verfassungspolitischer- und verfassungsrechtlicher Tradition. Ein
eigenständiges Justizministerium ist Ausdruck eines verfassungspolitischen
Konsenses, der sich aufgrund in der Vergangenheit intensiv geführter Diskussion
gebildet hat.
67
Diese gewachsene Tradition hat ihren unmittelbaren Niederschlag auch im
Grundgesetz gefunden. In Art. 96 Abs. 2 GG ist das Amt eines Bundesministers der
Justiz institutionell garantiert (zum Meinungsstand vergleiche die Darstellung von Beyer,
Die Unvereinbarkeit von Ämtern innerhalb der Bundesregierung, S. 154 ff.).
Landesjustizminister erwähnt das Grundgesetz in Art. 98 Abs. 4 GG. Die Vorschrift
ermächtigt die Länder, einen Richterwahlausschuß einzuführen, der aber nur
gemeinsam mit dem Landesjustizminister über die Anstellung der Richter entscheiden
kann. Art. 98 Abs. 4 GG geht damit zum einen ausdrücklich davon aus, daß die
Anstellungszuständigkeit für Richter beim Landesjustizminister liegt. Die Zuständigkeit
für die Anstellung der Richter, und damit für die personelle Ausstattung der Gerichte, ist
ein wesentlicher Teil der Gerichtsverwaltung. Art. 98 Abs. 4 GG stellt zum anderen klar,
daß es in den Ländern Justizminister gibt, die zumindest für die Angelegenheiten der
ordentlichen Justiz zuständig sind. Insoweit bestätigt Art. 98 Abs. 4 GG den weithin als
selbstverständlich empfundenen verfassungspolitischen Grundkonsens, daß ein
eigenständiges Justizministerium Ausdruck der verfassungsrechtlich vorgezeichneten
Eigenständigkeit der dritten Gewalt ist.
68
b)
Modell hinzu, die Zusammenfassung von Innen- und Justizministerium zu einem neuen,
so bisher nicht bekannten Ministerium. Für die Gerichte der allgemeinen
Verwaltungsgerichtsbarkeit führt damit gleichsam der Fachminister die Aufsicht. Ob dies
überhaupt mit der Landesverfassung vereinbar ist, muß im vorliegenden Organstreit, der
nicht zu einer generellen Normenkontrolle ermächtigt, dahingestellt bleiben. Mit der
Verfassung mögen verschiedene Formen der Gerichts- und Justizverwaltung vereinbar
sein. Sie werfen aber mit Blick auf die jeweils berührten verfassungsrechtlichen
Prinzipien bedeutsame Fragen auf. Diese erweisen die Wahl zwischen den Formen, in
denen die Gerichts- und Justizverwaltung organisiert werden kann, als eine
69
grundlegende organisatorische Weichenstellung. Die Entscheidung definiert dabei nicht
zuletzt den Stellenwert, welcher der Rechtsprechung als einer eigenständigen
Staatsfunktion im Gesamtgefüge zukommt. Insoweit geht es nicht um eine schlichte
Ressortzuständigkeit, sondern um eine Festlegung mit der Qualität einer
Leitentscheidung für wesentliche Teile der Staatsorganisation mit
verfassungsrechtlicher Relevanz.
c)
Gemeinwohls und die Zuständigkeit zur politisch verantworteten Entscheidung kommt
vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung und des Demokratieprinzips dem Parlament
zu.
70
Über die Einführung eines neuen Ministeriums für Inneres und Justiz darf nicht
"bürokratisch" entschieden werden. Gewichtige Gesichtspunkte, wie die angestrebte
Erzielung von Synergieeffekten, bedürfen der Harmonisierung mit den für das
Gemeinwohl ebenfalls gewichtigen Belangen der rechtsprechenden Gewalt. Die Sorge
für die insoweit richtige Entscheidung ist im Rahmen der aufgezeigten
verfassungsrechtlichen Grundsätze dem Gesetzgeber anvertraut. Es obliegt dem
Landtag zu bewerten, ob und gegebenenfalls welche Vorteile für die
Verwaltungsvereinfachung mit der Zusammenführung des Innenministeriums und des
Justizministeriums verbunden sind. Er hat aber auch unter dem Gesichtspunkt der
Gewährleistung effektiver gerichtlicher Kontrolle zu bedenken, welche
Interessenkonflikte in der Person eines Ministers mit derart unterschiedlichen, ja
gegenläufigen Zuständigkeiten und damit verbundenen gegenläufigen
Ressortinteressen auftreten können. Für die Strafrechtspflege etwa liegt die Frage nahe,
ob der für die innere Sicherheit und namentlich die Polizei zuständige Minister
weisungsberechtigter Dienstvorgesetzter der Staatsanwaltschaften sein soll.
Geheimhaltungsinteressen der Polizei können etwa in Staatsschutzsachen mit der
Aufklärungspflicht der Justiz kollidieren.
71
Ob mit der Zusammenlegung - falls sie nicht ohnedies inhaltlich mit der
Landesverfassung unvereinbar ist - Vorteile verbunden sind und ob diese es
gegebenenfalls rechtfertigen, damit unter Umständen einhergehende Konflikte
hinzunehmen, oder ob möglicherweise kollidierende Interessen nicht besser
institutionell getrennt werden, um dadurch für den Rechtsuchenden Unabhängigkeit
sichtbar zu machen sowie Vertrauen in die Gerichtsbarkeit und ihre Unabhängigkeit zu
bewahren, hat der Landtag zu verantworten. Dieser Verantwortung genügt er nur als
Gesetzgeber und nicht schon durch eine politische Entschließung wie die vom 2.
September 1998 (vgl. Landtag Nord- rhein-Westfalen Drucksache 12/3244 und
Plenarprotokoll über die Sitzung vom 2. September 1998 12/93).
72