Urteil des VerfG Nordrhein-Westfalen vom 05.08.1999

VerfG Nordrhein-Westfalen: verlängerung der frist, sperrklausel, chancengleichheit, zahl, anfechtung, gestaltung, einzug, eingriff, verhinderung, bekanntmachung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 16/99
05.08.1999
Verfassungsgerichtshof NRW
Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss
VerfGH 16/99
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
G r ü n d e :
A.
Der Antragsteller, der Landesverband einer politischen Partei, wendet sich im
Organstreitverfahren gegen eine die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen regelnde
Übergangsvorschrift, die der Antragsgegner in das Gesetz zur Änderung wahlrechtlicher
Vorschriften vom 14. Juli 1999 aufgenommen hat.
1.
für das Land Nordrhein-Westfalen festgestellt, daß der Antragsgegner das Recht auf
Chancengleichheit der politischen Parteien und auf Gleichheit der Wahl dadurch verletzt
hat, daß er bei der Änderung des Kommunalwahlgesetzes am 12. Mai 1998 die 5 v.H.-
Sperrklausel in § 33 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KWahlG nicht aufgehoben oder abgemildert hat.
Als Reaktion auf dieses Urteil hat der Antragsgegner durch Art. I des Gesetzes zur
Änderung wahlrechtlicher Vorschriften vom 14. Juli 1999 die Sperrklausel in § 33 KWahlG
ersatzlos aufgehoben (GV. NRW. S. 412). Diese Aufhebung gilt bereits für die im Jahre
1999 anstehenden Kommunalwahlen. Für diese Wahlen hatte der Innenminister des
Landes Nordrhein-Westfalen gemäß § 14 Abs. 1 KWahlG den 12. September 1999 als
Wahltag bestimmt (Bekanntmachung vom 10. Juli 1998, MBl. NRW. 1998, S. 929). Hierzu
enthält Art. IV des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften eine
Übergangsregelung. Danach können Wahlvorschläge für die Wahl in den einzelnen
Wahlbezirken des Wahlgebietes statt bis zum 48. Tage bis zum 37. Tag vor der Wahl beim
Wahlleiter eingereicht werden (Art. IV Buchst. a) iVm. § 15 Abs. 1 Satz 1 KWahlG).
2.
1. festzustellen, daß der Antragsgegner Rechte des Antragstellers auf
Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit dadurch verletzt hat, daß er die Frist des § 15
Abs. 1 Satz 1 KWahlG nicht aufgehoben, sondern lediglich die Übergangsvorschrift des Art.
IV Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften erlassen hat,
2. hilfsweise festzustellen, daß der Antragsgegner die Rechte des Antragstellers auf
Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit dadurch verletzt hat, daß er die
Übergangsregelung des Art. IV Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher
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Vorschriften erlassen hat,
3. äußerst hilfsweise, daß der Antragsgegner die Rechte des Antragstellers dadurch
verletzt hat, daß er den Termin der Kommunalwahl nicht auf einen späteren Zeitpunkt
verschoben, sondern den angekündigten Termin des 12. September 1999 beibehalten hat.
Er macht zur Begründung im wesentlichen geltend: Er habe bisher mit Blick auf die
Sperrklausel des Kommunalwahlgesetzes nur in einzelnen ausgewählten Wahlbezirken
Kandidaten aufgestellt. Nach Wegfall der Sperrklausel wolle er sich umfassend und
flächendeckend um Sitze in den Gemeinderäten und Kreistagen bewerben. Die verlängerte
Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen sei zu kurz, um zunächst parteiintern
entsprechend den gesetzlichen und satzungsrechtlichen Vorgaben Kandidaten
aufzustellen und sie dann den Wählern zu präsentieren.
Der Antragsteller begehrt ferner den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Einen konkreten
Antrag hat er insoweit nicht gestellt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hält - ebenso wie die Landesregierung in ihrer Stellungnahme - den Antrag jedenfalls für
unbegründet.
B.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
I.
Es bestehen bereits Zweifel an der Zulässigkeit.
Der Antragsteller hat das Ziel der von ihm begehrten einstweiligen Anordnung nicht konkret
bezeichnet. Es läßt sich lediglich aus den Anträgen im Hauptsacheverfahren herleiten.
Danach dürfte das Begehren des Antragstellers darauf gerichtet sein, daß der
Verfassungsgerichtshof die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen über die in der
Übergangsvorschrift geregelte Frist hinaus verlängert, hilfsweise, daß er den Termin für die
Kommunalwahlen 1999 aufhebt und die Wahl auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt.
Auch mit einem solchen Inhalt bestehen Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des
Antrags. Soweit es um eine Verlängerung der Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge
geht, ist bereits fraglich, ob sich ein entsprechender Antrag in den Grenzen hält, die einer
einstweiligen Anordnung durch § 27 VerfGHG gesetzt sind. Die Zulässigkeit des Antrags
auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wird durch den möglichen Entscheidungsinhalt im
Hauptsacheverfahren begrenzt (vgl. BVerfGE 7, 99, 105; BVerfGE 14, 192). Im
Hauptsacheverfahren wäre hier als Inhalt der Entscheidung nur die Feststellung möglich,
daß die beanstandete Übergangsvorschrift Rechte des Antragstellers auf Gleichheit der
Wahl und auf Chancengleichheit als Partei verletzt hat. Eine einstweilige Anordnung mit
dem Inhalt "Verlängerung der Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen" ginge über eine
solche Feststellung insofern hinaus, als sie darauf gerichtet wäre, die streitige
Übergangsvorschrift für die anstehenden Kommunalwahlen 1999 nicht anzuwenden. Daß
eine Vorschrift nicht angewendet werden darf, setzt voraus, daß sie für nichtig erklärt
worden ist. Dies kann indes im Organstreit nicht erreicht werden. Soweit es dem
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Antragsteller hilfsweise um eine Verschiebung des Wahltermins geht, ist überdies bereits
fraglich, ob ein entsprechendes Begehren gegen den Landtag zu richten ist. Für die
Bestimmung des Wahltermins ist nämlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KWahlG der
Innenminister NRW zuständig.
All dies kann dahingestellt bleiben, da der gegen den Antragsgegner gerichtete Antrag auf
Erlaß einer einstweiligen Anordnung jedenfalls unbegründet ist.
II.
Nach § 27 VerfGHG kann der Verfassungsgerichtshof eine einstweilige Anordnung treffen,
wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grunde zum gemeinen Wohl dringend erforderlich ist.
Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in
verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung ihrer Voraussetzungen ein
strenger Maßstab anzulegen. Das gilt zumal für eine einstweilige Anordnung im
Organstreit. Mit ihrem Erlaß greift das Gericht in die Entscheidungsbefugnis eines anderen
Staatsorgans ein (BVerfGE 96, 223, 229; BVerfGE 89, 38, 44).
Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat der Verfassungsgerichtshof
regelmäßig die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Maßnahme aber später für verfassungswidrig erklärt würde, gegen die Nachteile
abzuwägen, die entstünden, wenn die streitige Vorschrift aufgrund einer einstweiligen
Anordnung vorerst nicht angewendet werden dürfte, sie sich aber im Hauptsacheverfahren
als verfassungsgemäß erwiese (ständige Rechtsprechung, vgl. VerfGH NRW NWVBl.
1995, 248; NWVBl. 1990, 410; ebenso zu § 32 BVerfGG: BVerfGE 91, 70, 95; BVerfGE 89,
38, 43 f.).
Die danach gebotene Folgenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus. Erginge
die beantragte einstweilige Anordnung, fände die Kommunalwahl auf ungesicherter
rechtlicher Basis statt. Was die Zulassung von Wahlvorschlägen anginge, hätte sie ihre
Grundlage nicht mehr in den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, sondern in einer
einstweiligen Anordnung des Gerichts. Erwiesen sich die gesetzlichen Vorschriften, also
insbesondere die Frist für die Einreichung von Wahlvorschlägen nach § 15 Abs. 1 Satz 1
KWahlG iVm. Art. IV Buchst. a) des Gesetzes zur Änderung wahlrechtlicher Vorschriften, im
Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß, hätte eine stattgebende einstweilige
Anordnung Kandidaten die Teilnahme an der Wahl ermöglicht, die bei Beachtung der
gesetzlichen Vorschriften nicht mehr zur Wahl zugelassen worden wären. Dadurch wären
anderen Kandidaten Sitze, in jedem Falle aber Stimmen entzogen worden, die ihnen oder
ihrer Liste für den Einzug in die Kommunalvertretungen fehlen könnten. Gerade die
begehrte einstweilige Anordnung ist danach geeignet, Gründe für eine spätere Anfechtung
der Wahlergebnisse in einer unbekannten Zahl von Fällen zu schaffen. Ein solcher Eingriff
in die Wahlrechtsgrundlagen durch bloße einstweilige Anordnung hat grundsätzlich zu
unterbleiben (vgl. BVerfGE 82, 353).
Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - Gründe für eine Verfassungswidrigkeit der in
Rede stehenden Regelung nicht erkennbar sind. Der Antragsgegner hat mit der streitigen
Übergangsvorschrift die berechtigten Interessen kleinerer Parteien nicht unangemessen
zurückgestellt. Er hat keine Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes geändert, welche die
Zulassung von Parteien zur Wahl regeln. Die Aufhebung der 5 v.H.-Sperrklausel betrifft
allein die Feststellung des Wahlergebnisses und die Zuteilung von Sitzen in den
Kommunalvertretungen. Die diesbezügliche Änderung des Wahlrechts läßt die Möglichkeit
des Antragstellers, sich an den Kommunalwahlen zu beteiligen, unberührt. Diese
Möglichkeit bestand und besteht unabhängig von der bisher geltenden Sperrklausel. Ihr
Wegfall mag kleinere Parteien ermutigen, sich überhaupt oder mit mehr Kandidaten als
bisher an den Wahlen zu den Kommunalvertretungen zu beteiligen. Soweit eine solche
(erweiterte) Beteiligung bisher unterblieben ist, ergeben sich die Hindernisse hierfür indes
primär aus der Struktur dieser kleinen Parteien. Mit ihrer geringen Mitgliederzahl und ihren
geringen finanziellen Mitteln waren und sind sie nicht imstande, sich in größerem Umfang
(flächendeckend) an Wahlen zu beteiligen. Diese Gründe mögen ihrerseits durch die
Gestaltung des Wahlrechts beeinflußt sein. Sie lassen sich indes mit Blick auf die jetzt
anstehende Wahl nicht durch eine Verlängerung der Frist für die Einreichung von
Wahlvorschlägen oder die kurzzeitige Verschiebung der Wahlen beseitigen.