Urteil des SozG Würzburg vom 29.03.2010

SozG Würzburg: aufwand, einkommen aus erwerbstätigkeit, satzung, angemessene entschädigung, vergütung, erwerbseinkommen, deckung, verdienstausfall, stadtrat, erlass

Sozialgericht Würzburg
Urteil vom 29.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 16 AS 450/09
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin und ihr bis zum 31.01.2008 in Bedarfsgemeinschaft lebendes Kind bezogen seit Januar 2005 Leistungen
nach dem SGB II. Der Klägerin war zuletzt mit Bescheid vom 01.04.2008, geändert mit Bescheiden vom 07.05.2008
und 17.05.2008, Leistungen für den Zeitraum vom 01.04.2008 bis 30.09.2008 in Höhe von zuletzt 271,14 EUR
monatlich bewilligt worden.
Mit Bescheid vom 19.06.2008 hob die Beklagte die Bewilligung für den Zeitraum ab dem 01.06.2008 ganz auf, da der
Bedarf durch Erwerbseinkommen der Klägerin sowie eine seit dem 01.05.2008 erhaltene Stadtratsentschädigung in
Höhe von 651,16 EUR gedeckt sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, die Aufwandsentschädigung als
Stadtratsmitglied könne nicht als Einkommen angesehen wer-den, da es sich um zweckbestimmte Einnahmen nach §
11 Abs. 2 Nr. 1a SGB II i. V. m. § 1 Nr. 2 Alg 2-V handele, die nicht als Einkommen zu berücksichtigen seien.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2009 zurück. Zur Begründung ist im
Widerspruchsbescheid ausgeführt, bestimmte Einnahmen seien nach § 11 Abs. 2 SGB II nicht als Einkommen zu
berücksichtigen, insbesondere wenn es sich um zweckbestimmte Einnahmen handele. Als zweckbestimmte
Einnahmen gelten nach den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit unter anderem
Aufwandsentschädigungen für Mitglieder kommunaler Vertretungen. Eine Prüfung, ob zweckbestimmte Einnahmen als
Einkommen zu berücksichtigen seien, weil daneben Leistungen nach dem SGB II ungerechtfertigt wären, sei
entbehrlich, wenn die Einnahmen und Zu-wendungen einen Betrag in Höhe der halben monatlichen Regelleistung nicht
überstiegen. Die Klägerin erhalte ab Mai 2008 eine Aufwandsentschädigung für Stadtratsmitglieder, die diese Grenze
übersteige. Sie sei aufgefordert worden, Nachweise über ihre im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer
Stadtratstätigkeit entstandenen Aufwendungen zu erbringen. Die Klägerin habe erklärt, dass sie nicht bereit sei,
Auskünfte über ihre Aufwendungen im Rahmen ihrer Mandatsausübung zu geben. Eine Anrechnung der
Aufwandsentschädigung sei dann unter Abzug der hälftigen Regelleistung vorzunehmen, da das Interesse der
Allgemeinheit am wirtschaftlichen und sparsamen Einsatz öffentlicher Mittel höher zu bewerten sei als das Interesse
der Klägerin daran, ihr die Aufwandsentschädigung in voller Höhe anrechnungsfrei zu belassen. Die
Aufwandsentschädigung unterliege im Übrigen grundsätzlich der Steuerpflicht, so dass eine Privilegierung auch
deshalb nicht erfolgen könne. Insoweit gehe der Gesetzgeber davon aus, dass eine zu versteuernde
Aufwandsentschädigung dem allgemeinen Lebensunterhalt des Empfängers diene, so dass durch ihre Verwendung
zum Lebensunterhalt eine anderweitige Zweckbindung nicht vereitelt werde. Es sei daher ab dem 01.06.2008 die
Aufwandsentschädigung in Höhe von 477,66 EUR als Einkommen zu berücksichtigen. Da die Klägerin darüber hinaus
noch Einkommen aus Erwerbstätigkeit habe, übersteige das anzurechnende Einkommen insgesamt den monatlichen
Bedarf, so dass mangels Hilfebedürftigkeit kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem
01.06.2008 bestehe. Die Bewilligung sei daher nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der
Än-derung der Verhältnisse aufgehoben worden.
Am 12.06.2009 ließ die Klägerin daraufhin Klage zum Sozialgericht Würzburg erheben, die damit begründet wurde,
nach § 1 der Satzung der Stadt Würzburg über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis der
ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder vom 26.09.2001 erhielten die ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder zur Deckung der
ihnen in Ausübung ihres Ehrenamtes entstehenden Ausgaben eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 651,16 EUR
monatlich. Diese städtische Satzung beruhe auf Art. 20 a und 23 GO. Bei der Aufwandsentschädigung handele es
sich nicht um zu berücksichtigendes Einkommens im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II. Vielmehr handele es sich um
eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Ziffer 1a SGB II. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des §
1 der Entschädigungssatzung. Verdienstausfall werde gemäß § 2 dieser Satzung ggf. gesondert erstattet und sei
somit nicht in der Aufwandsentschädigung ent-halten. Einen solchen Verdienstausfall habe die Klägerin nicht erhalten.
Zu diesem Ergebnis kämen auch die fachlichen Hinweise der Bundesagentur zur Arbeit, deren Wortlaut ebenfalls
eindeutig sei. Als zweckbestimmte Einnahmen würden ausdrücklich Aufwandsentschädigungen für Mitglieder
kommunaler Vertretungen und Ausschüsse genannt. Soweit die Beklagte auf das BSG-Urteil vom 23. Juli 1998
verweise, sei dieses Urteil in Auslegung des damaligen Arbeitsförderungsgesetzes und damit zu einer anderen
Gesetzeslage als dem Arbeitslosengeld II ergangen. Eine analoge Übertragung sei nicht zulässig. Das BSG habe
bereits in der Entscheidung von 1998 zugestanden, dass der Privilegierungstatbestand des damaligen § 138 Abs. 3
Nr. 3 AFG so formuliert sei, dass Aufwandsentschädigungen bei formaler Betrachtung generell als zweckgebundene
Leistungen ohne Rücksicht auf die Steuerpflicht zu betrachten seien. Da eine teilweise Besteuerung von
Aufwandsentschädigungen jedoch seinen Grund darin haben könne, dass diese Verdienstausfall oder eine
Entschädigung für einen Arbeitsaufwand enthalten könnten, sei das BSG in dem dort entschiedenen Fall davon
ausgegangen, dass eine Aufwandsentschädigung, soweit sie der Steuerpflicht unterliege, auch dem allgemeinen
Lebensunterhalt diene. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es handele sich nicht um eine Entschädigung für
einen Arbeitsaufwand, da die ehrenamtliche Tätigkeit keinerlei Merkmale eines sozialrechtlichen
Beschäftigungsverhältnisses aufweise. Der Zweck der Aufwandsentschädigung bestehe ausschließlich in der
Deckung der sich aus der Aufgabenstellung als Stadtrat ergebenden Kosten. Dabei fielen z. B. Kosten für Büro und
Arbeitsmaterial, Porto, Kopien, Druckkosten, Fachliteratur und Fachzeitschriften, Zeitungswerbung, Kosten für
Visitenkarten, IT-Ausstattung, Telefonkosten, Bewirtungskosten, Kosten für Besuche externer Veranstaltungen
einschließlich der für die sachgerechte Wahrnehmung des kommunalen Mandats erforderlichen Fortbildungen,
Verpflegungsmehraufwand bei diversen Anlässen usw. an. Hinzu kämen Kosten für politische Eigenwerbung wie z. B.
Bürgerbriefe und Flyer sowie Kosten zur Bestreitung des eigenen Wahlkampfes und z. B. auch Spenden bei Benefiz-
Veranstaltungen für Sozialeinrichtungen. Auch ein Mehraufwand für Bekleidungskosten im Hinblick auf die Teilnahme
an offiziellen Veranstaltungen und Empfängen sei gegeben. Dem diene die Aufwandsentschädigung. Dies habe auch
eine Entscheidung des bayerischen Verfassungsgerichtshof vom 15.11.1971 bestätigt. Danach gehöre das Recht auf
eine Aufwandsentschädigung zum materiellen Parlamentsrecht und können nicht als Vermögensrecht angesehen
werden. Der Abgeordnete begleite ein Ehrenamt und werde nicht etwa aufgrund der Innehabung des Amtes bezahlt,
sondern habe Anspruch auf eine Vergütung des Aufwands, der ihm bei Ausübung des Amts entstehe. Hieraus ergebe
sich auch, dass eine einzelfallbezogene Prüfung der Zweckbestimmung der Entschädigungszahlung, insbesondere
der der Klägerin individuell entste-henden Kosten weder erforderlich noch zulässig sei. Dies gelte auch für den hier
vorliegenden Fall. Es handele sich um eine zweckgebundene Leistung zum pauschalen Ausgleich der besonderen
persönlichen tatsächlichen Aufwendungen bei der ehrenamtlichen Wahrnehmung der vielfältigen Mandatsaufgaben der
Klägerin, der daher insgesamt anrechnungsfrei bleiben müsse. Eine individuelle Rechtfertigungsprüfung widerspräche
dem Gleichheitssatz. Die Aufwandsentschädigung sei ausdrücklich in Form einer Pauschale gestaltet. Dies bedeute,
dass die Stadträte ihre mandatsbedingten Aufwendungen gerade nicht im Einzelnen nachweisen müssten. Durch die
Anrechnung der Aufwandsentschädigung als Einkommen werde die Klägerin faktisch gezwungen, die für einen
anderen Zweck bestimmte Aufwandsentschädigung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu verbrauchen, worin eine
massive Behinderung der verfassungsmäßig garantierten unabhängigen Ausübung des übertragenen Mandates liege.
Sie würde damit zur Stadträtin 2. Klasse degradiert.
Die Klägerin lässt beantragen:
"Der Bescheid vom 19.06.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom des Widerspruchsbescheides vom
13.05.2009 wird aufgehoben."
Die Beklagte beantragt:
"Die Klage wird abgewiesen."
Zur Begründung führt sie aus, die Klägerin habe im Klageverfahren keine neuen Gesichtspunkte vortragen lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte sowie der
Gerichtsakte mit der Niederschrift über die mündliche Verhand-lung vom 29.03.2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 19.06.2008 sowie der diesen
bestätigende Widerspruchsbescheid vom 13.05.2009 erweisen sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in
ihren Rechten. Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Nach
dieser Vorschrift soll ein Bewilligungsbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben
werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Bewilligungsbescheides Einkommen erzielt worden ist, das zum
Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen sind gegeben, da die
Klägerin seit dem 01.05.2008 eine Stadtratsentschädigung erhält, die anzurechnen ist.
Die Beklagte hat bei der Aufhebung der ursprünglich mit Bescheid vom 01.04.2008 zugesprochenen Bewilligung im
Ergebnis zu Recht bei der Bedarfsberechnung die Stadtratsentschädigung in Höhe von 651,16 EUR anteilig
berücksichtigt, wenngleich die Berechnung der Beklagten im Einzelnen fehlerhaft war. Die Klägerin konnte zum
maßgebenden Zeitpunkt ab dem 01.06.2008 ihren Bedarf in Höhe von 667,83 EUR monatlich (Regelleistung in Höhe
von 347,00 EUR, Grundmiete 175,00 EUR zuzüglich Heizkosten 20,83 EUR und Betriebskos-ten 25,00 EUR)
vollständig aus ihrem Erwerbseinkommen und der von der Stadt erhaltenen Entschädigung, soweit diese anzurechnen
war, decken. Die Klägerin hatte damals ein Erwerbseinkommen von brutto 735,00 EUR, von dem die Beklagte -
insoweit von der Kläge-rin nicht beanstandet - netto 581,74 EUR anrechnete. Nach Abzug der Freibeträge in Höhe von
249,31 EUR verblieb damit ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 163,22 EUR. Diesen Bedarf konnte die Klägerin
jedenfalls durch den als Einkommen anzurechnenden Teil der Stadt-ratsentschädigung decken.
Die Entschädigung für die Tätigkeit als Stadträtin ist nämlich nicht vollständig berücksichtigungsfrei im Sinne des §
11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, da es sich nicht vollständig um zweckbestimmte Einnahmen handelt und sie zudem das
Einkommen so günstig beeinflussen, das eine vollständige Nichtanrechnung nicht gerechtfertigt wäre. Die
Entschädigungsleistungen für Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse werden in der Kommentarliteratur
zum SGB II grundsätzlich als zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II angesehen (vergl.
Eicher/Spellbrink, SGB II, Rn. 39/§ 11; Oesterreicher, SGB II, Rn. 125/§ 11; LPK-SGB II, 3. A, Rn. 66/§ 11). Nach
der Kommentierung in Mergler/Zink (Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe Teil I: SGB II, Rn. 89/§ 11) soll
dies allerdings nur gelten für nicht steuerpflichtige Aufwandsentschädigungen. Weiter wird die Einschränkung
gemacht, dass diese nur dann zweckbestimmt im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II sein sollen, soweit sie für den
tatsächlichen Aufwand bei öffentlichen Ämtern gewährt werden.
Die der Klägerin aufgrund der Satzung der Stadt Würzburg über die Entschädigung für Aufwand und Zeitversäumnis
der ehrenamtlichen Stadtratsmitglieder vom 26.09.2001 gewährte Entschädigung nach § 2 Nr. 1 dieser Satzung in
Höhe von 651,16 EUR wird auf der Grundlage des Art. 20 a GO gewährt. Nach dieser Vorschrift haben ehrenamtlich
tätige Gemeindebürger einen Anspruch auf angemessene Entschädigung. Nach der Rechtsprechung des bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs zu dieser Vorschrift (Urteile vom 14.08.2006, Az.: 4 B 05. 903 und vom 03.04.2008, Az.: 4 N
07. 1051) soll mit der Entschädigung ein Ausgleich für den materiellen und den zeitlichen Aufwand gewährt werden,
der für das Gemeinderatsmitglied mit der Ausübung der Tätigkeit verbunden ist. Gemeinderatsmitgliedern sollen aus
dieser Tätigkeit keine materiellen Vorteile ziehen können, aber auch keine Nachteile haben. Die Entschädigung soll in
einem gewissen Maße die Mühe abgelten, die mit der Tätigkeit verbunden ist, wobei der zeitliche Aufwand nicht völlig
außer Betracht bleiben kann. Auch wenn die Stadt Würzburg in ihrer Satzung neben der Entschädigung nach § 1 Nr. 1
zusätzlich Sitzungsgelder nach § 1 Nr. 2 und Verdienstausfallentschädigungen nach § 1 Nr. 2 der Satzung gewährt,
ist danach auch die Vergütung nach § 1 Nr. 1 der Satzung keine reine Aufwandsentschädigung, sondern auch eine
Entschädigung für die Mühe und den zeitlichen Aufwand (außerhalb der Sitzungen).
Das Bundessozialgericht hat dementsprechend in einer Entscheidung vom 23.07.1999 (B 11 AL 3/98 R) ausgeführt,
dass Ratsmitglieder unentgeltlich und nach freier, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmter
Gewissensüberzeugung tätig werden (dort gemäß § Abs. 1 Rheinland-Pfälzische GO) und damit weder in einem
sozialrechtlichen Beschäftigungsverhältnis stehen noch eine selbständige Tätigkeit ausüben. Das
Bundessozialgericht hat allerdings weiter festgestellt, dass diese Tätigkeit sozialrechtliche Rechtsfolgen auslösen
kann, unter anderem dadurch, dass die Ratsmitglieder eine den tatsächlichen Aufwand übersteigende pauschale
Aufwandsentschädigung enthalten (vergleiche Bundessozialgericht, a. a. O., Juris Rn. 16). Eine kommunale
Aufwandsentschädigung stellt damit nur insoweit kein Entgelt dar, als sie dazu dient, durch das Ehrenamt bedingte
tatsächliche Aufwendungen auszugleichen. Soweit nicht ein höherer Aufwand für das Ehrenamt nachgewiesen wird,
wird die Aufwandsentschädigung danach als Arbeits-entgelt anzusehen sein, soweit sie die Steuerpflicht begründet.
Dieser Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgt die erkennende Kammer insbesondere auch dahingehend,
dass einem Mitglied einer kommunalen Vertretungskörperschaft durchaus zuzumuten ist, im Einzelfall seinen
Aufwand nachzuweisen, wenn es geltend machen will, dass nicht nur der steuerfreie Anteil für tatsächlichen Aufwand
verwendet wird.
Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die der Klägerin gezahlte Entschädigung in Höhe von 651,16
EUR nicht von vornherein vollständig als zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II
angesehen werden kann, sondern eine Abgrenzung zwischen der Deckung des tatsächlichen Aufwandes und der
Vergütung für den zeitlichen Aufwand und die Mühe erforderlich wird. Mangels anderer Abgrenzungskriterien erscheint
es dabei sinnvoll, die steuerrechtliche Behandlung solcher Entschädigungen zugrunde zu legen, da diese
pauschalierende Betrachtungsweise eine sinnvolle Abgrenzung zwischen (steuerfreier) Aufwandsentschädigung und
(steuerpflichtiger) Vergütung ermöglicht. Nach der eingeholten Auskunft des Finanzamtes Würzburg richtet sich die
steuerliche Behandlung der Stadtratsentschädigung nach den FMS vom 01.08.1978 und 27.05.2009. Letztgenanntes
Schreiben erklärt für den Stadtrat einer kreisfreien Stadt mit 50.001-150.000 Einwohnern einen Betrag von 177,00
EUR (bis 31.12.2008) bzw. 204,00 EUR monatlich für steuerfrei mit der Folge, dass die über diesen Betrag
hinausgehende Vergütung steuerpflichtig ist. Dieser Betrag erscheint auch nicht von vorneherein als völlig
unangemessen, um den tatsächlichen Aufwand eines Stadtratsmitglieds der Stadt Würzburg abzudecken. Auch die
Klägerin hat nichts vorgetragen, was darauf schließen könnte, dass die Beträge nicht ausreichend wären, ihre
tatsächlichen Aufwendungen zu decken.
Es kann letztlich dahinstehen, ob die Klägerin einen höheren Betrag als die genannten 177,00 EUR bzw. 204,00 EUR
als zweckbestimmte Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II berücksichtigungsfrei stellen könnte, wenn
sie tatsächlich höhere Ausgaben nachgewiesen hätte, die notwendigerweise mit der Ausübung ihres Stadtratsmandats
verbunden waren, da sie sich geweigert hat, einen solchen Nachweis zu erbringen. Nach der oben zitierten
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat die Kammer allerdings keine Zweifel daran, dass Datenschutz- oder
sonstige Geheimhaltungsgründe einem solchen Nachweis nicht entgegen stehen würden. Der Nachweis kann ohne
Weiteres so geführt werden, dass schützenswerte Belange Dritter hierdurch nicht berührt werden. Auch wird die
Klägerin in ihrer Stellung als Stadtratsmitglied durch einen solchen Nachweis nicht gesetzeswidrig eingeschränkt.
Zwar könnten aus einem solchen Nachweis ggf. gewisse Schlüsse auf die Art und Weise gezogen werden, wie die
Klägerin ihr Stadtratsmandat wahrnimmt, doch würde der Nachweis dem Sozialgeheimnis (§ 35 SGB I) unterliegen,
was eine unbefugte Auswertung dieser Daten - etwa für politische Zwecke - von vornherein ausschlösse. Umgekehrt
unterliegt die Klägerin als Antragsstellerin der Vorschrift des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I, wonach sie alle Tatsachen
anzugeben hat, die für die Leistung erheblich sind, bzw. § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I, wonach sie verpflichtet ist, auf
Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzule-gen. Wollte sich die Klägerin daher darauf
berufen, dass sie einen höheren Betrag als den steuerfreigestellten Betrag als tatsächlichen Aufwand für die
Ausübung ihres Stadtratsmandats benötigt, dann müsste sie die hierfür tragenden Umstände auch nachweisen. Eine
unzulässige Einschränkung ihrer Stadtratstätigkeit ist darin nicht zu erkennen, zumal ein Stadtrat beziehungsweise
Gemeinderat nach der Gemeindeordnung kein Parlamentarier ist, sondern Mitglied eines Gremiums, das
Verwaltungstätigkeiten vollzieht. Deshalb ist die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom
15.11.1971 auch nicht einschlägig.
Nach alledem können nur die genannten 177,00 EUR bzw. 204,00 EUR (ab dem 01.01.2009) als zweckbestimmte
Einnahmen im Sinne des § 11 Abs. 2 Nr. 1a SGB II anrechnungsfrei bleiben. Entgegen der von Brühl (LPK-SGB II,
Rn. 69/§ 11) vertretenen Ansicht ist auch bei Leistungen aus öffentlichen Kassen darüber hinaus zu prüfen, ob (auch
zweckbestimmte) Einnahmen die Lage des Empfängers so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem
SGB II nicht gerechtfertigt wären. Diese Vorschrift würde zumindest einer Berücksichtigungsfreiheit der
Entschädigung ohne konkreten Nachweis des Aufwands durch die Klägerin entgegenstehen. Leistungen nach dem
SGB II enthält nach § 9 SGB II nur der Hilfebedürftige, also der, der seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann. Vor dem Hintergrund der Höhe der Regelleistung kann
daher auch eine Stadtratsentschädigung, die nahezu das Doppelte der Regelleistung darstellt, nur insoweit
berücksichtigungsfrei bleiben, soweit sie zur Deckung tatsächlicher Aufwendungen nötig ist oder eben steuerfrei
bleibt.
Auf den Bedarf der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.06. bis 30.09.2008 bezogen heißt dies, dass
aus der Stadtratsentschädigung eine Summe von 474,16 EUR (zuzüglich Sitzungsgelder) zu berücksichtigen ist,
wobei dahingestellt bleiben kann, ob hier ggf. nochmals Freibeträge im Sinne des § 30 SGB II anzusetzen wären, da
der Bedarf der Klägerin jedenfalls bereits durch eigenes Erwerbseinkommen und die verbleibende Summe aus der
Stadtratsentschädigung gedeckt wäre.
Soweit die Klägerin noch vortragen ließ, sie werde gegenüber anderen Stadtratsmitgliedern benachteiligt, wenn sie die
Entschädigung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verwenden müsste und hierüber nicht für ihre Stadtratstätigkeit
frei disponieren könnte, bleibt darauf hinzuweisen, das eine Ungleichbehandlung durch die Beklagte hier jedenfalls
nicht vorliegt und zudem Stadtratsmitglieder, die neben der Stadtratsentschädigung noch zu versteuerndes
Einkommen beziehen, ebenfalls den Betrag von 474,16 EUR (zzgl. Sitzungsgelder) versteuern müssen.
Da die Beklagte somit bei Erlass des angefochtenen Bescheides rechtsfehlerfrei gehandelt hat und Ermessensfehler
nicht ersichtlich sind war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).