Urteil des SozG Wiesbaden vom 06.03.2009

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Sozialgericht Wiesbaden
Beschluss vom 06.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Wiesbaden S 17 KR 16/09 ER
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
Die Beteiligten streiten um die Vergütung der vom Antragsteller in Anspruch genommenen spezialisierten ambulanten
Palliativversorgung (SAPV) gemäß § 37b Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB
V).
Der am 22.01.2009 bei Gericht eingegangene Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die notwendigen Kosten für die SAPV in
Höhe von 150,00 Euro pro Versorgungstag zu übernehmen,
hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts
(Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden, § 86 b Abs.
2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
Es fehlt an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches.
Die X-Kliniken als Leistungserbringer haben keinen Vergütungsanspruch gegen den Antragsteller. Damit scheidet
auch ein Erstattungs- oder Freistellungsanspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin aus. Die vom
Antragsteller in Anspruch genommene spezialisierte ambulante Palliativversorgung erfolgt als Sachleistung zu Lasten
der Krankenversicherung und lässt Vergütungsansprüche nur im Verhältnis zwischen Krankenhaus und Krankenkasse
entstehen.
Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse über den
Leistungsanspruch sind nur in zwei Konstellationen denkbar: Entweder der Versicherte klagt auf Gewährung einer
noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er hat sich die Behandlung zunächst privat auf eigene
Rechnung beschafft und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten. Konnte er hingegen im Zeitpunkt
der Behandlung davon ausgehen, er erhalte die Leistungen als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen
Krankenversicherung, so kann eine eigene Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Leistungserbringer nicht entstehen;
der Leistungserbringer muss einen etwaigen Streit über die Leistungspflicht der Krankenkasse dann unmittelbar mit
dieser austragen. Das Kostenerstattungsverfahren nach § 13 Abs. 3 SGB V bietet keine Handhabe, die
Leistungspflicht der Krankenkasse losgelöst von einer tatsächlichen Kostenbelastung allein im Interesse des
Leistungserbringers abstrakt klären zu lassen und diesem damit einen eigenen Prozess zu ersparen (vgl. BSG, Urteil
vom 09.10.2001, Az.: B 1 KR 6/01 R; BSG, Urteil vom 28.03.2000, Az. B 1 KR 21/99 R).
Im vorliegenden Fall erhält der Antragsteller die spezialisierte ambulante Palliativversorgung von den X-Kliniken; der
Eilantrag des Antragstellers ist demzufolge nicht auf die Gewährung der Behandlung als Sachleistung gerichtet.
Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 Abs. 3 S. 1, 2. Alt.
SGB V. Die Antragsgegnerin hat die Leistung an den Antragsteller nicht abgelehnt. Vielmehr zeigte die
Antragsgegnerin sich gegenüber den X-Kliniken zur Vergütung der Leistung bereit. Lediglich die Höhe der von der
Antragsgegnerin zu Leistenden Vergütung ist streitig. Auch diesbezüglich zeigte die Antragsgegnerin sich jedoch zu
Verhandlungen bereit. Mithin handelt es sich hier um die typische Fallkonstellation einer Streitigkeit zwischen
Leistungserbringer und Krankenkasse.
Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung aus § 13 Abs. 3 S. 1, 1.
Alt. SGB V, da er die Leistungen der X-Kliniken als Kassenpatient zu den Bedingungen der gesetzlichen
Krankenversicherung erhält. Der Antragsteller wird gerade nicht als Privatpatient behandelt.
Nach § 2 Abs. 1 und 2 SGB V stellen die Krankenkassen ihren Versicherten die im dritten Kapitel des Gesetzes
genannten Leistungen, zu denen auch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung gehört (§ 37b SGB V), als
Sachleistungen kostenfrei zur Verfügung. Die Versicherten erhalten die benötigen Leistungen unentgeltlich; die
Vergütung erfolgt durch die Krankenkasse bzw. bei ambulanten ärztlichen Leistungen durch die mit der Sicherstellung
der vertragsärztlichen Versorgung betraute kassenärztliche Vereinigung (so auch BSG, Urteil vom 09.10.2001, Az. B
1 KR 6/01 R).
Der Antragsteller konnte im vorliegenden Fall auch davon ausgehen, dass er die SAPV Leistungen als Kassenpatient
zu Lasten der Krankenkasse erhält. Dies geht auch aus dem vorgelegten Behandlungsvertrag vom 15.01.2009 hervor,
in dem ausdrücklich auf den gesetzlichen Anspruch des Antragstellers nach dem SGB V verweisen wird: So steht in
dem Behandlungsvertrag wörtlich "ich habe einen gesetzlichen Anspruch auf die dafür erforderlichen Leistungen (§
37b SGB V)". Weiter spricht für die Annahme, dass die Behandlung als Sachleistung zu Lasten der Krankenkasse
gewährt werden sollte, dass der Antragsteller im Behandlungsvertrag vom 15.01.2009 lediglich die X-Kliniken
beauftragt, die SAPV Leistungen zu erbringen, ohne sich zugleich zu einer Gegenleistung zu verpflichten.
Unter diesen Umständen kommt ein Anspruch aus § 13 Abs. 3 S. 1, 1. Alt. SGB V nicht in Betracht. Da die Vorschrift
des § 13 Abs. 3 S. 1, 1. Alt. SGB V voraussetzt, dass der Versicherte sich die Leistung selbst, d.h. auf eigene
Kosten beschaffen musste, weil die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte. Eine solche Konstellation
liegt hier nicht vor. Vielmehr erhält der Antragsteller die Leistungen als Leistungen der Antragsgegnerin. Eine
Zahlungsverpflichtung des Antragstellers, die einen Freistellungsanspruch begründen könnte, besteht somit nicht.
Ein vertraglicher Zahlungsanspruch der X-Kliniken gegen den Antragsteller ist nicht gegeben. Wie oben bereits
dargestellt fehlt es an einem Vertrag zwischen dem Antragsteller und den X-Kliniken, in dem sich der Antragsteller
verpflichtet hat, ein Entgelt für die in Anspruch genommenen Leistungen zu erbringen.
Der Antragsteller schuldet den X-Kliniken des Weiteren keine Vergütung aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 670,
683 BGB) oder aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB). Eine Behandlung als Privatpatient mit der
Verpflichtung, die entstehenden Kosten selbst zu zahlen, entsprach weder dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen
des Antragstellers noch seinem Interesse. Als gesetzlich Versicherter hatte er gegen die Antragsgegnerin Anspruch
auf Gewährung der benötigten Behandlung gem. § 37b SGB V. Diese Kassenleistung wollte er in Anspruch nehmen.
Damit haben die Voraussetzungen des § 683 Satz 1 BGB nicht vorgelegen. Ein Bereicherungsanspruch aus
Leistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB) scheitert daran, dass zwischen dem Antragsteller und den X-
Kliniken in Bezug auf die in Rede stehende Behandlung kein Leistungsverhältnis besteht. In einem
Mehrpersonenverhältnis ist Leistender derjenige, der aus Sicht eines verständigen Empfängers (so genannter
objektiver Empfängerhorizont) die Leistung gewährt. Das ist hier die Antragsgegnerin, denn sie schuldet dem
Antragsteller die spezialisierte ambulante Palliativversorgung gem. § 37b SGB V als Sachleistung. Auch ein etwaiger
Bereicherungsausgleich müsste sich deshalb nicht zwischen Krankenhaus und Antragsteller, sondern zwischen
Krankenhaus und Antragsgegnerin vollziehen (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.2001, Az. B 1 KR 6/01 R; OLG Köln,
Versicherungsrecht 1991, 339; OLG Köln, Versicherungsrecht 1995, 1102; OLG Karlsruhe NJWRR 1998, 1346). Ein
Bereicherungsanspruch aus Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB) scheitert an der Subsidiarität
der Nichtleistungskodiktion gegenüber der Leistungskodiktion (sog. Vorrang der Leistungskondiktion). D.h. die
Nichtleistungskondiktion ist nur einschlägig, wenn der Vermögensvorteil auf andere Weise als durch Leistung
irgendeiner Person, sei es des Benachteiligten, sei es eines Dritten, erlangt worden ist (vgl. Martinek, in jurisPK-BGB,
§ 812 Rn. 75). Im vorliegenden Fall erlangt der Antragsteller jedoch die SAPV Leistungen als Sachleistungen der
Antragsgegnerin.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.