Urteil des SozG Marburg vom 08.12.2010

SozG Marburg: abrechnung, grundsatz der gleichbehandlung, unrichtige angabe, rka, vertragsarzt, beratungsleistung, hessen, versorgung, erstellung, datum

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 08.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 248/10
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 1/11
1. Die Klage wird abgewiesen
2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 11.392,51 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung einer Honorarberichtigung aufgrund einer zeitbezogenen
Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnungen für die fünf Quartale II/05 bis II/06 in Höhe von insgesamt 11.392,51
EUR netto.
Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Für die streitbefangenen Quartale setzte die Beklagte das Honorar wie folgt fest:
II/05 III/05 IV/05 I/06 II/06 Honorarbescheid vom 29.06.2006 22.01.2006 12.08.2006 06.08.2007 28.11.2006
20.01.2007 06.02.2007 Nettohonorar gesamt in EUR 51.523,71 51.298,64 49.302,64 56.262,44 56.326,57 45.707,32
51.685,31 Fallzahl gesamt 1.014 954 1.002 959 Bruttohonorar PK + EK in EUR 51.232,11 46.910,18 55.664,93
44.952,50 51.236,02 Fallzahl PK + EK 997 931 984 978 940
Fallzahlabhängige Quotierung Ziff. 5.2.1 HVV Quote - - - - -
Regelleistungsvolumen Ziff. 6.3 HVV Praxisbezogenes RLV in Punkten 872.175,6 816.354,0 869.364,0 855.660,0
825.790,0 Überschreitung in Punkten 508.100,9 475.772,0 591.762,0 399.129,0 216.044,0
Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 HVV Auffüll-/Korrekturbetrag je Fall EUR + 6,4507 + 0,4737 + 0,5279 + 1,2447 - Auffüll-
/Korrekturbetrag gesamt in EUR + 6.431,30 + 437,37 + 498,85 1.002,00 -
Die Beklagte führte für die streitbefangenen Quartale eine Plausibilitätsprüfung durch und übersandte dem Kläger
unter Datum vom 08.02.2008 die zeitbezogenen Rechnungsergebnisse für die Quartale II/05 bis II/07 unter
Erläuterung der Ermittlung der Zeitprofile.
Der Kläger erklärte hierzu, die ihm zur Verfügung gestellten Ausdrucke hinsichtlich der abgerechneten Ziffern,
tagbezogenen und frequenzbezogenen mit Zeitangabe und Rechnung der Zeit im Tagesprofil und der Zeit im
Quartalsprofil würden als sachgerecht und richtig anerkannt werden. Er habe täglich anhand der abgerechneten Ziffern
die Tagesprofile und Zeiten erstellt und geprüft. Ein Abgleich mit den von der Beklagten erstellten Tageszeitprofilen
habe ergeben, dass ein Computerprogramm offenbar einen Fehler aufweise. Es habe sich gezeigt, dass verschiedene
Ziffern zeitmäßig nicht erfasst worden seien. Aufgrund seines eigenen Abgleichs sei er immer der Ansicht gewesen,
sich in einem Rahmen zu bewegen, der als äußerst plausibel zu gelten habe. Er habe sich darin auch deshalb
bestärkt gefühlt, da er eine geringere Fallzahl als die Fachgruppe habe und auch geringere Honorarwerte abrechne. Er
fülle auch sein Budget nicht vollständig aus. Eine Nachfrage bei der Firma XYZ. habe ergeben, dass bis zum Oktober
2006 im Computerprogramm ein Fehler vorhanden gewesen sei, der sich bei denjenigen, die ein bestimmtes Update
nicht mitbekommen hätten, fortgesetzt habe. Die von der Beklagten festgestellten Leistungsfrequenzen stimmten.
Ihm sei jedoch nicht bewusst gewesen, dass die von ihm abgerechneten Ziffern diesen Zeitrahmen erreichten. Er sei
bereits um 07:00 Uhr morgens in der Praxis anwesend, ggf. seien schon Patienten anwesend, da sie diese
Gewohnheiten kennten. Er verlasse die Praxis nach 12 bis 14 Stunden, ausgenommen jene Tage, an denen er
anderenorts operiere. Dies sei in der Regel mittwochs der Fall, wobei es auch Zusatzoperationstage an den
Donnerstagen oder Freitagen gebe. Er kontrolliere nunmehr seine Abrechnung auch hinsichtlich der Bewertung der
Zeiten, sodass es nicht mehr vorkommen könne, dass Leistungen abgerechnet würden, die sich in einem Zeitrahmen
bewegten, der als nicht mehr plausibel oder klärungsfähig anzusehen sei. Ihm könne nicht vorgeworfen werden, dass
er in Kenntnis der Tatsache, dass eine Leistung nicht oder nicht vollständig erbracht worden sei, diese abgerechnet
habe.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 04.07.2008 aufgrund einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung der
Honorarabrechnung für die Quartale II/05 bis II/06 die strittige Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 11.392,51
EUR netto fest. Zur Begründung führte sie aus, für die Prüfung nach Zeitprofilen würden primär die im Anhang 3 zum
EBM aufgeführten Prüfzeiten für die ärztlichen Leistungen zugrunde gelegt werden. Außer Betracht blieben Leistungen
im organisierten Notfalldienst, Leistungen aus der unvorhergesehenen Inanspruchnahme des Vertragsarztes
außerhalb der Sprechstundenzeiten und bei Unterbrechung der Sprechstunde mit Verlassen der Praxis. Der Anhang 3
zum EBM kennzeichne darüber hinaus die behandlungsfall- und krankheitsfallbezogenen ärztlichen Leistungen, die
nicht dem Tageszeitprofil unterlägen. Betrage die auf der Grundlage der Prüfzeiten ermittelte arbeitstägliche Zeit bei
Tageszeitprofilen an mindestens 3 Tagen im Quartal mehr als 12 Stunden oder im Quartalszeitprofil mehr als 780
Stunden, erfolgten weitere Überprüfungen. Diese hätten zum Ziel, mit Hilfe ergänzender Tatsachen Feststellungen und
Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden sei oder nicht. Die
Berechnungsergebnisse der Praxis des Klägers hätten bezogen auf die Grenzwerte folgende Zeitwerte ergeben:
Quartalsübersicht Anzahl Tage Anzahl Tage Quartal ) 12 Stunden ) 16 Stunden II. 2005 12 Tage 1 Tag III. 2005 9
Tage 1 Tag IV. 2005 11 Tage 1 Tag I. 2006 10 Tage 2 Tage II. 2006 9 Tage 1 Tag
Tagesübersicht (Beispiele) Behandlungstag Zeitergebnis in Std. 03.01.2006 18:54 04.10.2005 18:30 04.04.2006 18:01
05.01.2006 16:59 12.04.2005 16:32
Es treffe zu, dass der Kläger eine erheblich geringere Fallzahl aufweise. Es entspreche aber nicht den Tatsachen,
dass er geringere Honorar- bzw. Fallwerte abrechnen würde. Charakteristisch für die erheblichen Zeitüberschreitungen
sei die sehr hohe Koppelungsquote von Ordinationskomplexen der Nr. 18210 bis 18212 mit der Nr. 18220 (Beratung,
Erörterung, Erklärung). Beispielhaft beziehe sie sich auf die Daten vom 03.01.2006 mit einem Tagesprofilwert von
18:54 Stunden. Von 64 Erstkontakten, abgerechnet mit der Nr. 18211 und 18212, seien 52 mit der Nr. 18220
gekoppelt worden. An diesem Tag errechneten sich, ohne weitere Leistungen zu berücksichtigen, allein 8:40 Stunden
Gesprächsleistung. Bei Ordinationskomplexen handele es sich um nur einmal im Quartal berechnungsfähige
Pauschalen. Diese würden ohne zusätzliche Abrechnung einer weiteren Erörterung bei der Erstellung von Zeitprofilen
für Plausibilitätsprüfungen nur auf das Quartalsprofil und nicht auf das Tagesprofil angerechnet werden. Werde jedoch
zusätzlich zu einem Ordinationskomplex die Nr. 18220 abgerechnet, so würden statt 10 Minuten insgesamt 20
Minuten Arztzeit auf das Tagesprofil für Plausibilitätsprüfungen angerechnet werden. Diese Regelung verifiziere sich
aus der Fußnote des EBM 2005 zur Nr. 18220. Die Leistungsinhalte könnten an den Tagen, die Zeitwerte über zwölf
Stunden auswiesen, nicht vollständig erbracht worden sein. Die Garantiewirkung der "Abrechnungs-Sammelerklärung"
und damit der rechnerisch- sachlichen Richtigkeit entfalle, wenn nur ein mit ihr erfasster Behandlungsausweis eine
unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthalte. Die vom Kläger quartalsbezogen abgegebenen
Abrechnungssammelerklärungen über die ordnungsgemäße und vollständige Erbringung der abgerechneten EBM-
Leistungen seien aus den genannten Gründen unrichtig und hätten die Rechtswidrigkeit der auf ihr beruhenden
Honorarbescheide zur Folge. Ihr stehe ein weites Schätzungsermessen bezüglich der Höhe des
Rückforderungsbetrages zu. Sie könne im Wege einer pauschalierten Schätzung das Honorar auf die Höhe des
Nettofachgruppenhonorars kürzen. Sie habe je Quartal die Zeiten über 12 Stunden addiert und ins Verhältnis zur
Gesamtarbeitszeit (Angaben in Minuten) gesetzt. Um den daraus ermittelten Überschreitungsprozentsatz seien die
Nettohonorarforderungen der jeweiligen Quartale reduziert worden. Die Höhe der im Tenor dieses Bescheides
aufgeführten Honorarrückforderung ergebe sich aus der Summe der einzelnen Kürzungsbeträge. Beispiel: Quartal
II/2005 Überschrittene Minuten 1.418 Min. Gesamtarbeitszeit, Minuten 28.312 Min. Überschreitungsprozentsatz 5,01
% Nettohonorar 52.931,16 EUR Kürzung Netto 2.651,85 EUR
Hiergegen legte der Kläger unter Datum vom 05.08.2008 Widerspruch ein. Er trug vor, die von der Beklagten
angeführte Rechtsprechung könne hier nicht angewandt werden. Die Tagesprofile zeigten überwiegend keinerlei
Beanstandungen. Diese Tage könnten dann nicht mehr zur Berechnung einer Rückzahlungssumme herangezogen
werden. Es werde dann von geprüftem und für ordnungsgemäß befundenem Honorar ein Einbehalt gemacht. Hierfür
fehle es an einer Rechtsgrundlage. In den Honorarbescheiden sei auch der Ersatz von Sachkosten enthalten, deren
Abrechnung als sachgerecht anerkannt worden sei. Die Heranziehung der Honorarbescheide in der von der Beklagten
vorgenommenen Art und Weise sei rechtswidrig. Eine Implausibilität könne nicht automatisch eine positive
Feststellung von Abrechnungsfehlern nach sich ziehen, da eine Nachweispflicht dessen, der von einem anderen
etwas wolle, nicht ohne Weiteres ausgehebelt werden könne. Der für einzelne Ziffern angegebene Zeitaufwand habe
sich und könne sich relativieren. Er unterliege der sachlich-medizinischen Beurteilung und könne zu dem Ergebnis
führen, dass das, was normativ im EBM und seinem Anhang niedergelegt sei, ggf. so nicht stimmen könne. Dies
gelte dann, wenn in einer Fußnote zu der Gebührenordnungsnummer 1822 geregelt sei, dass hier eine 20-minütige
Mindestvoraussetzung bei einer bestimmten Ziffernkombination anzunehmen sei. Der Ordinationskomplex dürfte eine
Zeitspanne von 2 bis 2 ½ Minuten umfassen. Weshalb dann mindestens zehn Minuten angenommen würden, bei
Kombination mit einer anderen Ziffer sogar 20 Minuten, sei zwar normativ nachlesbar, widerspreche allerdings
jedweder tatsächlichen Grundlage. Die Fußnotennorm zu Nr. 18220 sei eine Angelegenheit, die primitivsten
Denkwegen widerspreche und somit unwirksam sei. Die Festsetzung der Zeitwerte habe mit medizinisch-technischen
Dingen nichts zu tun, sondern diene in erster Linie der Wertrelation der einzelnen Gebührenordnungsnummern
untereinander. Mit moderner Praxis-EDV sei die Einhaltung der zeitlichen Obergrenzen kein Problem. Es sei ein
offenes Geheimnis, dass die Begrenzung der abzurechnenden Leistungen ein Kriterium sei, das gedeckelte Honorar
wie auch immer "sachgerecht" zu verteilen. Mit einer sachgerechten Leistungserbringung direkt am Patienten hätten
diese Zeiten nichts zu tun. Die gewählte Kürzungsmethode sei offenkundig fehlerhaft. Es würden auch extrabudgetäre
Kosten, Kostenerstattungen, ambulante Operationen, die offensichtlich nicht beanstandet worden seien,
Präventionsleistungen, Laborleistungen wie auch Leistungen solcher Tage, die angeblich nicht auffällig seien, weil sie
in einem als plausibel errechneten Zeitraum sich bewegten, gekürzt werden. Gehe man davon aus, dass eine Praxis
ein bestimmtes Regelleistungsvolumen habe, das pro Patient und pro Quartal abgerechnet werden könne, so seien
alle diese Leistungen, die in diesem quartalsbezogenen Regelleistungsvolumen enthalten seien, per se einer
Plausibilitätskontrolle in Quartalen am Tage nicht zugänglich. Dies sei insbesondere deshalb der Fall, weil die
Regelleistungsvolumina per se einen Leistungsaufwand abdeckten, der zum einen einer notwendigen medizinischen
Versorgung nicht gerecht werde, wie zum anderen aufgrund ihrer Begrenzung oft Werte erreichten, die den
Gebührenordnungswert der einzelnen EBM-Ziffer nicht entsprächen. Wenn der tatsächlich erreichbare Punktwert im
Regelleistungsvolumen bestimmten Ziffer nicht entspreche, d. h. weit weniger wert sei, könne in diesem Rahmen
auch eine Mindestzeit nicht in Ansatz gebracht werden, da die Leistung sowieso nicht voll bezahlt werde. Demgemäß
sei das allgemeine Regelleistungsvolumen, die Kostenerstattungen, die extrabudgetären Kosten und die extrabudgetär
abzurechnenden ambulanten Operationen nebst Vor- und Nachbehandlung vorweg abzuziehen. Da einzelne Kassen
nach der GOÄ abrechneten, allerdings über die Beklagte (Postbeamtenkrankenkasse), sei die Einbeziehung dieser
Werte in die Berechnung von vorn herein falsch. Der Bescheid sei so offenkundig fehlerhaft, dass er als nichtig zu
bezeichnen sei. Jedwede Belastung sei erst dann zu vollziehen, wenn ein diesbezügliches bundessozialgerichtliches
oder gar bundesverfassungsgerichtliches Urteil ergangen sei. Das Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) sei
verletzt.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2010 den Widerspruch als unbegründet zurück. Darin führte
sie aus, bei der Umsetzung der Honorarberichtigung sei die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zur
Garantiefunktion der Sammelerklärung zu beachten (BSG, Urteil v. 17.09.1997, Az.: 6 RKa 86/95). Diese entfalle,
wenn der Arzt – grob fahrlässig oder vorsätzlich – nicht erbrachte bzw. nicht ordnungsgemäß erbrachte Leistungen
abgerechnet habe. Die für die Quartale II/05 bis II/06 erstellten Tageszeitprofile führten den Indizienbeweis, dass die
Abrechnungen fehlerhaft seien. Das Tagesprofil entstehe durch die Addition der Prüfzeiten (festgelegt in Anhang 3
zum EBM 2005) aller an einem Tag von dem Arzt abgerechneten Leistungen, die für die Berechnung des Tagesprofils
geeignet seien. Es würden auch Zeiten erfasst werden, die nach den Vorgaben des EBM (z. B. in den
Leistungslegenden) bei der Nebeneinanderabrechnung von Leistungen von dem Arzt erbracht worden sein müssten
(Beispiel: Nebeneinanderberechnung von Ordinationskomplex und Gesprächsleistung, Ordinationskomplex und Nr.
35100 oder Nr. 35110 EBM 2005). In die Prüfzeit werde nur die Zeit eingerechnet, die ein Tätigwerden des Arztes
selbst voraussetzte (im Gegensatz zur Kalkulationszeit, die auch Zeitanteile für delegierbare Leistungsbestandteile
enthalte). Zudem seien diese Durchschnittszeiten so zu bemessen, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig
arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig
erbringen könne. Der Kläger habe mit Abgabe seiner Sammelerklärung bestätigt, dass er alle abgerechneten
Leistungen (und damit die entsprechenden Zeiten) persönlich und ordnungsgemäß erbracht habe. Zu den Zeiten nach
den Tagesprofilen kämen noch die Zeiten hinzu, die nur im Quartalsprofil oder gar nicht in den Zeitprofilstatistiken
erfasst würden, sodass die tägliche Behandlungszeit noch höher ausfalle. In den geprüften Quartalen erreiche der
Kläger beispielhaft folgende Tagesprofile:
Quartal Datum Gesamtzeit des Tagesprofils in Stunden Zeit allein durch Kombination der Ordinationskomplexe neben
der Nr. 18220 Anzahl der in Kombination mit der Nr. 18220 abgerechneten Ordinationskomplexe im Vergleich zur
Anzahl der Nr. 18220 II/05 12.04.2005 16:32 14:00 42/42 III/05 04.07.2005 16:47 15:20 46/46 IV/05 04.10.2005 18:30
15:20 46/46 I/06 03.01.2006 18:54 17:20 52/52 II/06 04.04.2006 18:01 16:00 48/48
Bei einem Praxisbeginn um 07:00 Uhr morgens bedeute dies bei einem Behandlungsaufwand von 16 Stunden eine
Tätigkeit bis 23:00 Uhr abends, bei 18 Stunden bis 01:00 Uhr nachts. Hinzu kämen Zeiten z. B. für eine
Mittagspause, die Behandlung von Privatpatienten und Zeit für die Anleitung der Praxismitarbeiter. Diese
Behandlungszeiten seien nicht plausibel. Bei der Abrechnung falle auf, dass der ganz überwiegende Teil der Zeit des
Tagesprofil auf Gesprächsleistungen entfalle (Kombination der Ordinationskomplex mit der Beratungsleistung nach
der Nr. 18220 EBM 2005). So habe er z. B. am 04.07.2005 (über 15 Stunden) von 07:00 Uhr morgens bis 22:00 Uhr
nachts ununterbrochen (ohne Pausen, ohne die Erbringung von anderen Leistungen) nur Gespräche geführt. Dies sei
ebenfalls nicht plausibel. Die Ursache für die hohen Tageszeitprofile läge in der gleichzeitigen Abrechnung der
Ordinationskomplexe mit der Beratungsleistung. Für die Rechtmäßigkeit des Tagesprofils sei allein entscheidend, ob
es sachlich richtig erstellt worden sei. Die Umsetzung der Anmerkung zur Leistungslegende der Nr. 18220 im
Tagesprofil sei sachlich richtig. Solange ein Arzt die Ziffernkombination nur ansetze, wenn er tatsächlich die
geforderte Zeit (20 Minuten) für den Patienten verwandt habe, würden sich im Tages- bzw. "Gesprächszeit"-Profil
durch diese Zeitberechnung keine irrealen Zeiten ergeben. Die angegebene Prüfzeit für die Ordinationskomplexe sei
nicht in das Tagesprofil eingerechnet worden, sondern ausschließlich in das Quartalsprofil. Es stehe dem Normgeber
frei, bei der kombinierten Abrechnung von Leistungen Zeit-Vorgaben zu machen und damit festzulegen, dass bei
Unterschreitung der Zeitvorgabe die erbrachte Leistung mit einer einzelnen Gebührenordnungsziffer (z. B. allein mit
Ordinationskomplex) abgegolten sei. Der Kläger trage nicht vor, welche konkreten Leistungen in wie viel kürzerer Zeit
erbracht werden könne. Im Übrigen seien bei den Gesprächszeiten Mindestzeiten festgelegt worden. Auch bei den der
Budgetierung unterliegenden Leistungen sei der Arzt zur ordnungsgemäßen Leistungserbringung und korrekten
Abrechnung verpflichtet. In welchem Umfang die Leistung vergütet werde, habe mit der ordnungsgemäßen
Leistungserbringung nichts zu tun. Es müsse auch keine "Zeit für Kosten" herausgerechnet werden, da für
Sachkosten keine Zeitanteile im Tageszeitprofil enthalten seien. Die Überschreitung der Tageszeitprofile befolgen hier
aus der kombinierten Abrechnung der Ordinationskomplexe neben der Nr. 18220, für andere Leistungen falle kaum
Zeit in den Tageszeitprofilen an. Daraus folge der Schluss, dass die nach den EBM-Vorgaben erforderlichen
Kontaktzeiten nicht eingehalten worden und damit Leistungsinhalte von abgerechneten Leistungen nicht vollständig
erbracht worden seien. Somit stehe fest, dass hier in jedem Quartal Abrechnungsfehler vorlägen. Der Kläger habe
zumindest grob fahrlässig Leistungen auf den Abrechnungsscheinen eingetragen, deren Leistungsinhalt er nicht
vollständig erbracht haben könne. Dies führe dazu, dass die auf den nicht ordnungsgemäßen Sammelerklärungen
beruhenden Honorarbescheide falsch seien aufgehoben würden. Für die Neuberechnung des Honorars stehe ihr im
Rahmen ihres Beurteilungsspielraums ein weites "Schätzungsermessen" zu. Fehler bei der Berechnung seien hier
nicht ersichtlich. Insbesondere sei die gewählte Berechnungsmethode nicht zu beanstanden, da sich die
Honorarrückforderung an dem Verhältnis zwischen plausiblen Zeiten und Überschreitung der plausiblen Zeiten
orientiere. Dieses Verhältnis werde auf das erwirtschaftete Gesamthonorar übertragen und ein entsprechender
Rückforderungsbetrag festgesetzt. Es würden nur die zeitauffälligen Tage einbezogen werden, in denen nur die 12-
Stunden-Grenze überschreitenden Minuten ins Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit gesetzt würden. Im Übrigen müsse
davon ausgegangen werden, dass auch an den nicht zeitauffälligen Tagen dieselbe Abrechnungsweise und damit
dieselben Abrechnungsfehler vorlägen, auch wenn sich die Fehler nicht in auffälligen Zeitprofilen zeigten.
Honoraranteile müssten nicht herausgerechnet werden. Bei der Plausibilitätsprüfung werde für die gesamte
Praxistätigkeit festgestellt, dass diese implausibel sei, daher sei es gerechtfertigt, auch auf das gesamte Honorar
abzustellen. Bei dem Nachweis zumindest einer grob fahrlässig falsch abgerechneten Leistung gehe das
Honorarrisiko auf den Arzt über. Die Kassenärztliche Vereinigung müsse gerade keinen Einzelnachweis führen,
welche weiteren Leistungen grundrichtig erbracht worden seien. Vor der Berechnung der Rückzahlungsforderungen sei
auch nicht das Regelleistungsvolumen abzuziehen. § 106 a Abs. 2 Satz 6 SGB V bestimme, dass von dem durch
den Vertragsarzt angeforderten Punktzahlvolumen unabhängig von honorarwirksamen Begrenzungsregelungen
auszugehen sei. Demnach unterlägen die gesamten angeforderten Leistungen der Rückforderungsberechnung.
Außerdem sollten Honorarbegrenzungsmaßnahmen bei der Rückforderungsberechnung nicht zum Vorteil des falsch
abrechnenden Arztes berücksichtigt werden. Die über "sonstige Kostenträger" abgerechneten Leistungen dürften
sowohl bei der Tageszeitprofilberechnung als auch bei der Rückforderungsberechnung einbezogen werden. Auch für
Patienten der "sonstigen Kostenträger" müsse der Arzt für die ordnungsgemäße Leistungserbringung Zeit aufwenden.
Im Übrigen habe der Arzt seine Abrechnungssammelerklärung für alle Krankenkassen abgegeben. Weiterhin würden
auch für die Abrechnungen von "sonstigen Kostenträgern" dieselben Abrechnungsvorgaben gelten. Ob die Leistungen
nach GOÄ oder EBM vergütet würden, sei für die Befugnis, zu Unrecht erworbenes Honorar zurückzufordern, nicht
relevant. Die Vergütung für die ambulanten Operationen sowie die Vor- bzw. Nachbehandlungen und (Sach-)Kosten
müssten ebenfalls nicht herausgerechnet werden, weil die Abrechnungsfehler in der Regel nicht einzelnen Leistungen
zugeordnet werden könnten.
Hiergegen hat der Kläger am 30.03.2010 die Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, er sei weiterhin
der Auffassung, dass der angefochtene Bescheid fehlerhaft sei. Die Beklagte widerspreche sich selbst, wenn sie für
die Prüfzeit auf Durchschnittszeiten verweise und gleichzeitig eine schnellere Leistungserbringung ausschließe. Dem
Normgeber stehe nichts frei. Er sei an Tatsachen gebunden. Es werde nicht begründet, weshalb Sachkosten nicht
herausgerechnet werden müssten. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit sei unzutreffend, da nur an relativ wenigen
Tagen von der Beklagten beanstandete Zeiten erreicht würden. Weiterhin sei er auch der Auffassung, dass die nicht
beanstandeten Tage sowie die Kostenerstattungen herausgerechnet werden müssten. Gleiches gelte für Leistungen
gegenüber den sonstigen Kostenträgern. Unzutreffend sei auch die Auffassung der Beklagten, dass
Abrechnungsfehler in der Regel nicht einzelnen Leistungen zugeordnet werden könnten. Gerade dies sei bei der
Plausibilität möglich. Eine Nachfrage bei seiner Software-Firma habe ergeben, dass die Beklagte die geänderten
Abrechnungsbestimmungen nicht den entsprechenden Firmen übermittelt habe. Sofern ihn irgend eine Schuld an den
möglicherweise fehlerhaften Abrechnungen treffe, so sei die Mitschuld der Beklagten, die durch nichts als durch
Vorsatz zu erklärende Nichtübersendung der geänderten Abrechnungsdaten derart überwiegend, dass eine mögliche
geringe Schuld seinerseits bei der fehlerhaften Abrechnung vernachlässigt werden könne.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 04.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.03.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, das Abstellen
auf Durchschnittszeiten gehe auf eine Aussage des Bundessozialgerichts zurück. Dies drücke aus, dass im Einzelfall
die Zeit unter- und überschritten werden könne und es sich um einen statistischen Mittelwert handele. Im Übrigen sei
sie an die Vorgaben des EBM gebunden. Ihr Vorstand sei in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass neben der
Arbeitszeit, die sich für die Erbringung von EBM-Leistungen ergebe, in einer Praxis weitere drei Stunden für sonstige
Tätigkeiten aufzuwenden seien. Der Kläger könne die Auffälligkeiten im Tageszeitprofil nicht dadurch erklären, dass er
einzelne Leistungen wie die Gesprächsleistung "schneller" ausführe. Den Nachweis der implausiblen Abrechnung
habe sie durch das Beweismittel der Tagesprofile geführt. Die Aussage, dass die "schnelle" Durchführung der
Leistung insbesondere für die gleichzeitige Abrechnung der Ordinationskomplexe mit der Beratungsleistung gelte,
überrasche. Vom EBM geforderte Gesprächszeiten könnten nicht durch Erhöhung der Gesprächsgeschwindigkeit
reduziert werden. Der Kläger bestätige damit, dass er bewusst so abgerechnet habe und seine Pflicht zur peinlich
genauen Abrechnung nicht nachgekommen sei. Der Bewertungsausschuss könne auch die Zeitvorgaben für die
einzelnen Leistungen festlegen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei für den Nachweis der
Unrichtigkeit der Abrechnung nur der Nachweis in einem einzigen Fall erforderlich. Bereits der Nachweis eines
Einzelfalles führe zu einer umkehrenden Beweislast mit der Folge, dass der Vertragsarzt nachweisen müsse, in
welchem Umfang er Leistungen dennoch ordnungsgemäß erbracht und abgerechnet habe. Den Nachweis der
implausiblen Abrechnung habe sie durch das Beweismittel der Tagesprofile geführt. Auf einen Softwarefehler komme
es nicht an. Maßgeblich seien allein die im EBM festgelegten Bestimmungen, an die sie zwingend gebunden sei. Der
Kläger räume selbst ein, dass er anders abgerechnet hätte, wäre ihm bewusst geworden, dass er einen plausiblen
Zeitaufwand überschreite. Die Abrechnung von einzelnen Leistungen könne sich aber allein an der Erbringung der
Leistung orientieren und nicht an vermeintlichen Zeitkontingenten im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung. Der Kläger
räume damit ein, vorsätzlich mit seiner Abrechnung gegen die Leistungslegende des EBM verstoßen zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den
Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der
Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 04.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.03.2010 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Klage war abzuweisen.
Der Honorarrückforderungsbescheid der Beklagten vom 04.07.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
17.03.2010 ist rechtmäßig.
Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.
Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu
stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die
vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2
Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden
Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße
Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und
rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der
Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V,
eingefügt durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl. I 2003, 2190, mit Wirkung zum 01.01.2004).
§ 106a SGB V ist nicht auf den Bereich der Primär- und Ersatzkassen im Gegensatz zu den früher allein
maßgeblichen Vorschriften nach § 45 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 34 des
Ersatzkassenvertrages-Ärzte (EKV-Ä) beschränkt, wonach die Kassenärztliche Vereinigung die vom Vertragsarzt
eingereichten Honoraranforderungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und ggf. zu berichtigen hat.
Aus Sicht der Zuständigkeit ist es daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei Erstellung der Zeitprofile auch
die Leistungen gegenüber Versicherten anderer Versicherungsträger oder der Sozialhilfeträger einbezogen hat. § 106a
SGB V erstreckt die Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung auf alle Bereiche, in den sie aufgrund
gesetzlicher Erweiterung des Sicherstellungsauftrags (vgl. § 75 Abs. 3 bis 6 SGB V) auch die Abrechnung vornimmt.
Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung erstreckt sich auf die Frage, ob die
abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß – somit ohne Verstoß gegen gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen
mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebotes – erbracht worden sind. Solche Verstöße können z. B. darin liegen,
dass die Leistungen überhaupt nicht, nicht in vollem Umfang, ohne die zur Leistungserbringung erforderliche spezielle
Genehmigung oder unter Überschreitung des Fachgebietes erbracht worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 01.07.1998 – B 6
KA 48/97 R - SozR 3-2500 § 75 Nr. 10 = Breith 1999, 659 = USK 98163, zitiert nach juris, Rdnr. 15 m.w.N.). Zur
Feststellung, ob abgerechnete Leistungen vollständig erbracht worden sind, ist es zulässig, Tagesprofile zu
verwenden (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 – 6 RKa 70/91 - SozR 3-2500 § 95 Nr. 4 = BSGE 73, 234 = MedR 1994, 206
= NJW 1995, 1636 = USK 93141, juris Rdnr. 24 ff.; BSG, Urt. v. 08.03.2000 – B 6 KA 16/99 R - SozR 3-2500 § 83 Nr.
1 = BSGE 86, 30 = NZS 2001, 213 = USK 2000-111, juris Rdnr. 48).
Tagesprofile sind ein geeignetes Beweismittel, um einem Arzt unkorrekte Abrechnungen nachweisen zu können. Die
Beweisführung mit Tagesprofilen ist dem Indizienbeweis zuzuordnen. Für ihre Erstellung sind bestimmte
Anforderungen erforderlich. Für die Ermittlung der Gesamtbehandlungszeit des Arztes an einem Tag dürfen nur solche
Leistungen in die Untersuchung einbezogen werden, die ein Tätigwerden des Arztes selbst voraussetzen.
Delegationsfähige Leistungen haben außer Betracht zu bleiben. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die für die
einzelnen ärztlichen Leistungen zugrunde zu legenden Durchschnittszeiten so bemessen sein müssen, dass ein
erfahrener, geübter und zügig arbeitender Arzt die Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht
ordnungsgemäß und vollständig erbringen kann. Der Qualifizierung als Durchschnittszeit entspricht es, dass es sich
hierbei nicht um die Festlegung absoluter Mindestzeiten handelt, sondern um eine Zeitvorgabe, die im Einzelfall
durchaus unterschritten werden kann. Die Durchschnittszeit stellt sich aber bei einer ordnungsgemäßen und
vollständigen Leistungserbringung als der statistische Mittelwert dar (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 – 6 RKa 70/91 –
aaO., Rdnr. 24 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.10.2007 – L 7 KA 56/03 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris
Rdnr. 21). Als Nachweis für eine Falschabrechnung des Quartals genügt bereits ein beliebiger falsch abgerechneter
Tag (BSG SozR 3-2500 § 83 Nr. 1).
Ausgehend hiervon war die Beklagte grundsätzlich berechtigt, Tagesprofile zu erstellen.
Die Beklagte hat den Kläger durch Übersendung des Anhörungsschreibens vom Februar 2008 ausreichend angehört (§
24 SGB X).
Der angegriffene Bescheid ist auch im Übrigen formell rechtmäßig. Eine Darstellung, bei welchen Behandlungsfällen
eine Nebeneinanderberechnung der Ziffern 18211 und 18212 mit der Nr. 18220 EBM 2005 bei der Erstellung der
Tagesprofile erfolgt, ist nicht erforderlich. Die Beklagte war nicht verpflichtet anzugeben, bei welchen
Behandlungsfällen eine Nebeneinanderabrechnung stattgefunden hat. Für eine Anhörung reicht die Übersendung der
Tagesprofile mit einem Anhörungsschreiben aus, denn die Tageszeitprofile erbringen den Indizienbeweis für die
implausible Abrechnung (vgl. BSG, Urt. v. 24.11.1993 – 6 RKa 70/91 – aaO. - juris, Rdnr. 25), so dass für die
Anhörung im Sinne von § 24 Abs. 1 SGB X und für die Begründung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X grundsätzlich
keine weitergehende Darstellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlich ist (vgl. LSG Hessen, Beschl.
v. 10.11.2009 – L 4 KA 70/09 B ER www.lareda.hessenrecht.hessen.de = www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris). Die
Kammer gibt ihre im Beschluss vom 02.07.2009 - S 12 KA 235/09 ER – noch anders vertretene Rechtsauffassung im
Hinblick auf die zweitinstanzliche Entscheidungspraxis auf.
Der angegriffene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Die Beklagte hat die Tagesprofile nicht falsch berechnet. Sie hat die Tagesprofile auf der Grundlage der Zeitangaben
im EBM 2005 erstellt. Soweit sie bei einer Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 18211 und 18212 mit der Ziffer 18220
EBM 2005 davon ausgeht, dass hierfür im Behandlungsfall 20 Minuten anzusetzen sind, ist dies zutreffend.
Ziffer 18220 EBM 2005 "Beratung, Erörterung und/oder Abklärung, Dauer mindestens 10 Minuten" kann für je
vollendete 10 Minuten angesetzt werden und wird mit 150 Punkten berücksichtigt. Nach dem EBM 2005 ist aber bei
der Nebeneinanderberechnung der Leistungen nach den Ziffern 18211 und 18212 mit der Ziffer 18220 EBM 2005 eine
Dauer der Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Leistung
nach der Nr. 18220. Dies folgt eindeutig aus der klaren und bestimmten Leistungslegende dieser Vorschriften. Bei der
die Leistungslegende ergänzenden Anmerkung handelt es sich um einen Teil des vom Bewertungsausschuss
verabschiedeten EBM, der insofern die eigentliche Leistungslegende ergänzt. Sie gilt für den behandelnden
Vertragsarzt und die Kassenärztliche Vereinigung und normiert gleichfalls die Voraussetzungen für eine vollständige
Leistungserbringung.
Gerade bei zeitlichen Vorgaben verbleibt kein Auslegungs- oder Interpretationsspielraum; solche Vorgaben sind schon
aus diesem Grund eindeutig und bestimmt. Der Arzt kann auch die Einhaltung der zeitlichen Vorgaben ohne großen
Aufwand selbst kontrollieren, da hierfür nur eine normale Uhr benötigt wird. Ein neuer Gebührentatbestand wird damit
nicht geschaffen. Es ist von der Kammer daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die
Nebeneinanderabrechnung der Ziffern 18211 und 18212 mit der Ziffer 18220 EBM 2005 mit 20 Minuten bewertet,
ebenso wie es unerheblich ist, ob das vom Vertragsarzt verwendete Abrechnungsprogramm ihm diesen Zeitumfang
anzeigt (vgl. bereits LSG Hessen, Beschl. v. 10.11.2009 – L 4 KA 70/09 B ER – und die vorausgehende
Entscheidung der Kammer, SG Marburg, Beschl. v. 02.07.2009 – S 12 KA 235/09 ER –; SG Marburg, Urt. v.
13.01.2010 – S 12 KA 238/09 – ZMGR 2010, 116, Berufung anhängig: LSG Hessen – L 4 KA 7/10 -). Die im
Leistungsverzeichnis im Anhang zum EBM 2005 angegebene Prüfzeit von acht Minuten für Ziffer 18211 und von neun
Minuten für Ziffer 18212 gelten nur für die Berechnung des Quartalsprofils. Im Tagesprofil können diese Leistungen
nur einbezogen werden, wenn sie in Kombination mit einer Leistung nach Ziffer 18220 EBM 2005 erbracht worden
sind, wovon auch die Beklagte ausgeht. Ein Ansatz der Ziffer 18220 EBM 2005 setzt dann aber, wie bereits
ausgeführt, eine ärztliche Kontaktzeit von 20 Minuten voraus.
Auf eine eventuelle Fehlerhaftigkeit des vom Kläger benutzten Softwareprogramms, das die Dauer von zwanzig
Minuten nicht hat erkennen lassen, kommt es nicht an. Maßgeblich für die Abrechnung sind allein die Bestimmungen
des EBM 2005. Der mit der Abrechnung geltend gemachte Zeitaufwand, der zu den implausiblen Zeiten geführt hat,
beruht allein auf der Abrechnung des Klägers. Soweit der Kläger eine fehlende zeitnahe Information des Beklagten
rügt, räumt er letztlich ein, er hätte anders abgerechnet, wäre ihm bewusst geworden, dass er einen plausiblen
Zeitaufwand überschreite. Die Abrechnung von Leistungen kann sich aber allein an der Erbringung der Leistung
orientieren und nicht an vermeintlichen Zeitkontingenten im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung. Von daher bedarf es
auch keiner Beratung vor Durchführung einer Plausibilitätsprüfung. Letztlich räumt der Kläger, wenn er darauf
verweist, mit moderner Praxis-EDV sei die Einhaltung der zeitlichen Obergrenzen kein Problem, selbst ein, nach
Zeitkontingenten und nicht nach der vollständigen Leistungserbringung abzurechnen. Damit räumt er letztlich ein,
vorsätzlich mit seiner Abrechnung gegen die Leistungslegende verstoßen zu haben. Darauf deuten auch die jeweils
besonders zu Quartalsbeginn signifikanten Tagesprofile hin, die auf einem offensichtlich systematischem Zusetzen
der Beratungsleistung zum Ordinationskomplex, unabhängig von der Arzt-Patienten-Kontaktzeit, beruhen. Von der
Kammer war nicht zu prüfen, inwieweit damit der Betrugstatbestand des § 263 StGB erfüllt wird.
Auf die Einhaltung der Quartalsprofile kommt es nicht an. Mit der Überschreitung der Tagesprofile wird hinreichend
nachgewiesen, dass an diesen Tagen eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr möglich war. Dies trifft
insbesondere auf die Beratungsleistungen zu, die eine strikte Zeitvorgabe durch den EBM 2005 haben. Erst bei
Erreichen der in der Leistungslegende vorgegebenen Dauer ist der Leistungsinhalt vollständig erbracht und kann die
Leistung abgerechnet werden. Ein Zusammenhang mit den Quartalsprofilen besteht nicht.
Aufgrund der in der Leistungslegende vorgegebenen Dauer kommt es nicht darauf an, ob Beratungsgespräche schnell
oder langsam ausgeführt werden oder ob auch parallel im gleichen Zeitraum Beratungsgespräche für mehrere
Patienten durchgeführt werden. Beratung setzt das persönliche Gespräch des Arztes mit einem Patienten, ggf. im
Beisein von dessen Angehörigen, voraus. Eine schnellere Beratung, die die vorgegebene Dauer nicht erreicht, kann
als eine solche Beratungsleistung nicht abgerechnet werden. Ebf. ist es ausgeschlossen, mehrere Patienten parallel
zu beraten. Allenfalls denkbar wäre eine abwechselnde Beratung, die zu einer zeitlichen Addition der individuellen
Beratungsteile führen würde. Eine solchermaßen "parallel" laufende Beratung müsste bei zwei Patienten dann
mindestens vierzig Minuten dauern.
Delegationsfähige Leistungen werden bei den Tagesprofilen nicht mitgerechnet. Nur solche Leistungen werden
berücksichtigt, deren Prüfzeit eine Eignung im Tageszeitprofil aufweisen. In der Prüfzeit wird lediglich die ärztliche
Zeit abgebildet.
Bei der Plausibilitätsprüfung handelt es sich nicht um eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Auf eine Einzelfallprüfung der
Behandlungen kommt es nicht an. Mit dem Nachweis der Implausibilität wird der zulässige Nachweis einer nicht
ordnungsgemäßen Abrechnung erbracht. Einer weitergehenden Einzelfallprüfung oder des Nachweises in jedem
Einzelfall bedarf es dann nicht. Wie auch immer geartete Praxisbesonderheiten können daher nicht berücksichtigt
werden.
Nicht zu beanstanden war auch die Annahme, dass bei Tagesprofilen von über 16 Stunden bzw. bei wenigsten drei
Tagesprofilen von über 12 Stunden im Quartal eine ordnungsgemäße Leistungserbringung nicht mehr vorliegt (vgl. SG
Marburg, Urt. v. 04.06.2008 - S 12 KA 528/07 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris). Im Rahmen des
Schätzungsermessens waren daher auch nicht vermeintliche Praxisbesonderheiten des Klägers zu berücksichtigen.
Auf einen Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Die Beklagte hat keinen Vertrauenstatbestand
dahingehend gesetzt, dass sie die Abrechnungsweise des Klägers für zutreffend hält oder dass sie von einer
Berichtigung absehen werde. Nichtstun allein kann einen Vertrauenstatbestand nicht begründen.
Verjährung bzw. Ausschluss einer Berichtigung wegen Zeitablaufs ist nicht eingetreten. Die Beklagte kann eine
Berichtigung innerhalb von vier Jahren vornehmen (vgl. BSG Urt. v. 15.11.1995 – 6 RKa 57/94 – SozR 3-5535 Nr. 119
Nr. 1 = USK 95136, juris Rdnr. 10 und BSG, Urt. v. 28.03.2007 - B 6 KA 22/06 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 35 = BSGE
98, 169 = GesR 2007, 461 = USK 2007-35 = ZMGR 2008, 144, juris Rdnr. 16 m. w. N.). Soweit die Beklagte eine
kürzere Ausschlussfrist von zwei Jahren vorsieht, gilt dies nicht bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger
Falschabrechnung und bei Honorarberichtigungen aufgrund von Plausibilitätsprüfungen (vgl. Ziff. 8.6 der ab dem
Quartal II/05 geltenden Honorarvereinbarung, die insoweit fortgeführt wurde). Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung
der Kammer eine Kassenärztliche Vereinigung nicht berechtigt, in ihrem Honorarverteilungsmaßstab die nach
Bundesrecht geltende Ausschlussfrist von vier Jahren für sachlich-rechnerische Berichtigungen auf zwei Jahre zu
verkürzen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 10.11.2010 – S 12 KA 455/10 –). Von daher ist die Beklagte auch nicht
verpflichtet, die Tagesprofile vor Erlass eines Honorarbescheids zu erstellen und eine evtl. Berichtigung bereits mit
dem Honorarbescheid vorzunehmen. Zudem kommt hinzu, dass die Tagesprofile zunächst lediglich ein
Aufgreifkriterium darstellen, das Abrechnungsverhalten eines Vertragsarztes näher zu prüfen. Auch von daher kann im
Regelfall eine Prüfung erst nachträglich erfolgen.
Nicht zu beanstanden war auch die Berechnung des Berichtigungsbetrages. Im Rahmen ihres Schätzungsermessens
hat die Beklagte den Leistungsanteil abgeschöpft, der auf Leistungen jenseits der zeitlichen Grenze von 12 Stunden
entfällt. Ihr Rechenvorgang über die Feststellung eines Überschreitungsprozentsatzes bedeutet letztlich, dass sie
einen erwirtschafteten Minutenpreis für alle abgerechneten Leistungen ermittelt hat. Auf diese Weise hat die Beklagte
alle Vergütungsanteile und evtl. Sachkostenerstattungen einbezogen. Dies war von der Kammer nicht zu
beanstanden. Die letztlich hier zu Tage tretende systematisch fehlerhafte Abrechnung hat die Beklagte damit zu
Gunsten des Klägers letztlich nur auf die Tage bezogen, an denen eine Überschreitung der 12 Stunden-Grenze
vorliegt. Evtl. Sachkostenerstattungen sind Teil des Vergütungsanspruchs, unabhängig davon, ob sie gesondert
ausgewiesen werden oder ob sie als Teil der Leistungsbewertung mit der Abgeltung der Leistung indirekt erstattet
werden. Diese Vorgehensweise wäre nur dann im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung zu beanstanden,
wenn der Kläger eine signifikant von seiner Fachgruppe bzw. seine Fachgruppe von den übrigen Fachgruppen
abweichende Kostenerstattung hätte, also ein ganz wesentlicher Teil des Vergütungsanspruchs ein bloß
"durchlaufender" Posten wäre, was hier aber nicht der Fall ist.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Der
unterliegende Teil trägt die Verfahrenskosten.
Die Streitwertfestsetzung erfolgte durch Beschluss des Vorsitzenden.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach
den sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet
der Sach- und Streitwert für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, so ist ein Streitwert
von 5.000,00 Euro anzunehmen (§ 52 Abs. 1 und 2 GKG).
Der wirtschaftliche Wert folgt aus dem Rückforderungsbetrag. Dies ergab den festgesetzten Wert.