Urteil des SozG Marburg vom 06.10.2010

SozG Marburg: vergleich, hessen, referenz, anteil, vergütung, gemeinschaftspraxis, genehmigung, ausgleichszahlung, rlv, zusammensetzung

Sozialgericht Marburg
Urteil vom 06.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Marburg S 12 KA 734/08
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 79/10
1. Unter Aufhebung des Bescheids vom 31.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2008 wird
die Beklagte verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
2. Die Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung zur Teilnahme an der Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 des
Honorarverteilungsvertrages der Beklagten für die Quartale II und III/07.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis aus drei zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt
zugelassenen Ärzten. Herr AA ist seit dem 01.10.1999 als Internist ohne Schwerpunkt fachärztlich tätig. Er führte
zunächst eine Gemeinschaftspraxis allein mit Herrn Dr. habil. AD, einem Internisten ohne Schwerpunkt mit
Genehmigung zur Durchführung von Koloskopien. Herr Dr. med. AB ist seit dem 01.01.2003 im Rahmen einer
Sonderbedarfszulassung als Internist mit dem Schwerpunkt Pneumologie vertragsärztlich tätig. Vom 01.01.2003 bis
31.03.2007 führten sie zu dritt eine Gemeinschaftspraxis bis 31.03.2007. Herr Dr. AC ist seit dem 01.04.2007 als
Internist ohne Schwerpunkt mit der Genehmigung zur Durchführung von Koloskopien vertragsärztlich tätig. Er trat ab
dem 01.04.2007 in die Gemeinschaftspraxis als Praxisnachfolger des Herrn Dr. habil. AD ein.
In den Quartalen II und III/05 sowie in den beiden streitbefangenen Quartalen entwickelte sich das Honorar der
Klägerin wie folgt:
II/05 III/05 Honorarbescheid vom 28.06.2006 11.08.2006 Bruttohonorar PK + EK in EUR 159.966,43 141.925,21
Fallzahl PK + EK 2.210 1.992 Oberer Punktwert RLV PK/EK in Cent 2,806/3,084 2,796/3,103 Angefordertes Honorar
Basis EBM 2005 in EUR 226.610,95 210.746,39 Anerkannte Honorarforderung nach Anw. HVV in EUR 226.610,95
210.746,39 Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 bzw. § 5 Abs. 4 HVV Referenz-Fallzahl 2.016 2.049 Referenz-Fallwert EUR
67,3527 69,7574 Aktueller Fallwert EUR 38,5886 40,7246 Auffüllbetrag je Fall EUR 25,4025 20,5133 Auffüllbetrag
gesamt in EUR 51.211,48 40,862,44
II/07 III/07 Honorarbescheid vom 16.10.2007 16.01.2008 Widerspruch eingelegt am 19.11.2007 28.02.2008
Nettohonorar gesamt in EUR Bruttohonorar PK + EK in EUR 103.339,07 103.165,99 Fallzahl PK + EK 1.917 1.965
Oberer Punktwert RLV PK/EK in Cent 2,481/2,760 3,031/3,506 Angefordertes Honorar Basis EBM 2005 in EUR
200.143,53 207.982,95 Anerkannte Honorarforderung nach Anw. HVV in EUR 200.143,53
Ausgleichsregelung Ziff. 7.5 bzw. § 5 Abs. 4 HVV Referenz-Fallzahl 2.210 1.992 Referenz-Fallwert EUR 55,5798
61,2379 Aktueller Fallwert EUR 35,2247 32,6271 Auffüllbetrag je Fall EUR - - Auffüllbetrag gesamt in EUR - -
Verhältnis Aktueller Fallwert zu Referenz-Fallwert- 63,4 % 53,3 % -Berechnung der Kammer
Die Klägerin beantragte am 19.11.2007 nach Kenntnis einer Überzahlung des Quartals II/07 eine Prüfung der
Honorarergebnisse. Es sei davon auszugehen, dass die Regelungen zum ambulanten Operieren zum einem für die
Praxis nicht verkraftbaren Honorareinbruch geführt hätten. Nach Festsetzung eines Rückforderungsbetrages aufgrund
der Endabrechnung für das Quartal III/07 in Höhe von 14.908,50 EUR führte die Klägerin am 30.01.2008 weiter aus,
die Einnahmesituation der Praxis habe sich so dramatisch verschlechtert, dass eine Rückführung "überzahlten
Honorars" derzeit unmöglich sei. Träte kurzfristig keine Änderung ein, sei die Praxis existenziell bedroht. Sie
beantrage erneut eine umgehende Prüfung der Honorarergebnisse. Ferner beantrage sie eine Erhöhung des
Regelleistungsvolumens. Eine Sonderregelung sei unbedingt erforderlich, da sie in dem Versorgungsgebiet
weitgehend fachinternistische Leistungen erbringe, die in anderen Praxen im Einzugsgebiet von 40 – 50 km nicht
vorgehalten würden. Der Honorarverfall der letzten Jahre sei im Wesentlichen dadurch geprägt, dass
Leistungsbereiche lediglich zum unteren Punktwert vergütet würden. Gegen den Honorarbescheid für das Quartal
III/07 legte sie ferner am 28.02.2008 Widerspruch ein. Sie wies erneut darauf hin, dass die Regelungen zum
ambulanten Operieren zu einem für die Praxis nicht verkraftbaren Honorareinbruch geführt hätten. Auch sei das
Regelleistungsvolumen aufgrund ihres Schwerpunktes zu erhöhen. Weiter reichte sie eine Aufstellung der
Jahresumsätze für die Jahre 2004 bis 2007 ein.
Die Beklagte wies mit Bescheid vom 31.03.2008 den Antrag auf Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung
für die Quartale II und III/07 ab. Zur Begründung verwies sie auf die Ausgleichsregelung nach § 5 Abs. 4 HVV. Weiter
führte sie aus, mit der Abrechnung für das Quartal I/07 seien die Voraussetzungen zur Teilnahme am
Anpassungsindex 2 (Ausgleichsregelung) geändert worden, da die im Honorarverteilungsvertrag geforderten
Voraussetzungen "unter sonst gleichen Bedingungen" nach dem Schiedsamtsspruch zum ambulanten Operieren
(AOP-Vertrag) nicht mehr gewährleistet sei. Durch die Herausnahme der AOP-Leistungen und ab dem Quartal II/07
auch der belegärztlichen Leistungen seien die sonst gleichen Bedingungen nicht mehr erfüllt. Eine Teilnahme am
Anpassungsindex 2 setze nunmehr voraus, dass der jeweilige Arzt entweder weniger als 1.000 EUR im Bereich AOP
§ 115b SGB V abgerechnet habe oder mehr als 1.000 EUR im Bereich AOP § 115b SGB V abgerechnet und weniger
extrabudgetäres Honorar (HG 5) als die Fachgruppe erwirtschaftet habe. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin in
den streitbefangenen Quartalen nicht. Die Auswertung der Abrechnungsunterlagen für die Quartale II/07, II/06 und
II/05 habe folgendes ergeben: Das praxisbezogene Regelleistungsvolumen sei im Quartal II/07 im Vergleich zum
Quartal II/05 etwas angestiegen, obwohl knapp 300 Fälle (minus 13 %) weniger behandelt worden seien. Es seien im
Quartal II/07 nur ca. 480.000 Punkte weniger angefordert worden, insoweit ergäben sich im Vergleich zum Quartal
II/06 keine wesentlichen Änderungen. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung sei annähernd
gleich geblieben. Dennoch sei im Quartal II/07 ein deutlicher Anstieg im Bereich der herauszurechnenden Leistungen
zu verzeichnen (plus 16.248,03 EUR). Der Anteil der Leistungen im Honorarbereich C habe im Quartal II/07 um knapp
4.000 EUR (minus 63 %) abgenommen. Die Klägerin habe im Quartal II/07 im Bereich ambulantes Operieren ein
Honorar in Höhe von 15.142,83 EUR abgerechnet. Laut Stellungnahme der Bezirksstelle AAB. betrage der Anteil der
koloskopischen Leistungen nach der Ziff. 12421 EBM 2005 rund 90 % der Leistungsanforderung AOP. In den
Quartalen II/05 und II/06 sei diese Leistung im Rahmen der Vorweghonorierung vergütet worden, jedoch mit einem
deutlich niedrigeren Punktwert. Die Zahl der Koloskopien sei nicht signifikant angestiegen. So sei im Quartal II/05 bei
einer Fallzahl von 2.261 Fällen (lt. Frequenzstatistik) die Ziff. 13421 EBM 2005 77 mal erbracht worden. Im Quartal
II/07 sei diese Leistung bei einer Fallzahl von 1971 Fällen 73 Mal erbracht worden. Eine Analyse des
Abrechnungsverhaltens für die Quartale II/05 und II/07 habe ergeben, dass keine signifikanten Änderungen im
Abrechnungsverhalten in den einzelnen Leistungsgruppen stattgefunden hätten. Die Ziff. 30600 im EBM 2005 (Wert
ca. 1.200 EUR) sei aufgrund einer fehlenden Abrechnungsgenehmigung im Rahmen der rechnerischen Berichtigung
abgesetzt worden, hiergegen habe die Klägerin Widerspruch erhoben. Für die Schlafapnoe (Ziff. 30900 EBM 2005) sei
festgestellt worden, dass diese ehemals intrabudgetär vergütete Leistung nunmehr extrabudgetär vergütet werde.
Daher sei für die Quartale II/05 bis 1/06 ein Betrag in Höhe von 7.435,00 EUR zurückgefordert worden. Im Quartal
II/07 habe im Rahmen des ambulanten Operierens eine Verlagerung von 39.545 Punkten (Begleitleistungen) in den
extrabudgetären Bereich stattgefunden. Die Auswertung der Abrechnungsunterlagen für die Quartale III/07 und III/05
habe ergeben, dass das praxisbezogene Regelleistungsvolumen im Quartal III/07 im Vergleich zum Quartal III/05 um
ca. 300.000 Punkte angestiegen sei, bei annähernd gleicher Fallzahl. Die Praxis habe im Quartal III/07 ca. 120.000
Punkte weniger angefordert. Der Honoraranspruch für die Berechnung der Ausgleichsregelung sei annähernd gleich
geblieben. Ferner sei im Quartal III/07 ein deutlicher Anstieg im Bereich der herauszurechnenden Leistungen zu
verzeichnen (plus 22.349,22 EUR). Der Anteil der Leistungen im Honorarbereich C habe dagegen in den Quartalen
III/07 um knapp 3.000 EUR (minus 65 %) abgenommen. Leistungen der Leistungsgruppe 8 hätte die Praxis im Quartal
III/07 pro Fall annähernd so häufig erbracht wie im Quartal III/05. Der Anteil der Leistungen in der Leistungsgruppe 6
sei pro Fall im Quartal III/07 um ca. 34 % gestiegen. Ferner habe die Praxis im Quartal III/07 im Bereich des
ambulanten Operierens ein Honorar in Höhe von 18.181,39 EUR erzielt. Im Quartal III/05 habe die Praxis die Ziff.
13421 EBM 2005 bei einer Fallzahl von 1.987 Fällen 85 Mal, im Quartal III/07 bei einer Fallzahl von 1950 Fällen 78
Mal erbracht. Demnach habe auch im Quartal III/07 im Hinblick auf die Anzahl der Erbringung der Ziff. 13421 EBM
2005 gegenüber dem Referenzquartal III/05 keine signifikante Änderung stattgefunden. Insgesamt sei festzustellen,
dass zwar keine signifikante Änderung im Rahmen der Leistungsanforderung stattgefunden habe, aber dennoch eine
Verlagerung vom intrabudgetären in den extrabudgetären Bereich vorliege. Deshalb sei die Nichtteilnahme an der
Ausgleichsregelung gerade sachgerecht. Für eine Sonderregelung nach § 4 Abs. 1 lit. c HVV hätten keine
Anhaltspunkte vorgelegen.
Hiergegen legte die Klägerin am 04.04.2008 Widerspruch ein. Sie führte aus, sie habe einen Anspruch auf
Sonderregelung gem. § 5 Abs. 4 d HVV. Danach sei eine Honorarberichtigung durchzuführen, wenn der Fallwertverlust
mehr als 15 % betrage und auf die Einführung des EBM 2005 zurückzuführen sei. Im Quartal I/05 sei von einem
Fallwert von 71,6167 EUR auszugehen, im Quartal I/07 lediglich von 28,610 EUR. Der Fallwertverlust betrage damit
ca. 61 %. Die Begründung im angefochtenen Bescheid, dass die Vergütung für die Punktwerte geringer geworden sei
und es dadurch zu einem Vergütungsabfall gekommen sei, sei nicht nachzuvollziehen, da im Rahmen der Prüfung
auch berücksichtigt werden müsse, dass Punktbewertungen auch anderer Praxen ggf. zu einem Vergütungsanstieg
geführt hätten. Ein entsprechender Vergütungsanstieg sei aufgrund der Fachgruppentöpfe unmittelbar ursächlich
dafür, dass ihre Vergütung gesunken sei. Dies habe zu den geringen Punktwerten geführt und mithin sei der
Vergütungsrückgang unmittelbar auf die Einführung des EBM 2005 zurückzuführen. Selbst wenn bestimmte
Leistungsverlagerungen zu einer abweichenden Vergütung geführt hätten, rechtfertige dies noch nicht den
Fallwertverlust in Höhe von 61 %. Nach der Begründung müsse der Fallwert aus intra- und extrabudgetären
Leistungen sich innerhalb der 15 %-Grenze bewegen.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2008 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur
Begründung führte sie ergänzend zum Ausgangsbescheid aus, erste Voraussetzung für eine Honorarberichtigung sei,
dass überhaupt an der Ausgleichsregelung teilgenommen werden dürfe, wozu vergleichbare Rahmenbedingungen
vorliegen müssten. Dies sei nicht der Fall bei Praxen, die nicht unerhebliche Honorarforderungen aufgrund von
ambulanten Operations- und Begleitleistungen geltend gemacht hätten. Ursache hierfür sei die
Schiedsamtsentscheidung, die verbindlich festgelegt habe, dass ambulante Operations- und entsprechende
Begleitleistungen ab dem Quartal I/07 extrabudgetär zu vergüten seien. Da bis zum Quartal IV/06 ein erhebliches
Leistungsvolumen in dem AOP-Bereich aus dem budgetierten Teil der Gesamtvergütungen honoriert worden sei, seien
diese Leistungen mit in die Berechnungen der Ausgleichsregelung und des diesbezüglich relevanten Fallwertes
eingeflossen. Ab dem Quartal I/07 habe die Verschiebung dieser Leistungen in den extrabudgetären Bereich
stattgefunden, so dass bei Vergleichen der aktuellen Quartale II und III/07 mit den Basisquartalen erhebliche
Verlagerungen entstanden seien, weshalb keine vergleichbaren Rahmenbedingungen mehr vorgelegen hätten. Bei der
Klägerin bestehe genau diese Konstellation. Es fehle an einer Vergleichbarkeit der Fallwerte. Die Herausnahme der
AOP-Leistungen führe zwingend zu einem Fallwertverlust, der umso größer sei, je höher das jeweils angeforderte
Honorarvolumen für ambulante Operations- und Begleitleistungen sei. Nach dem HVV könne zudem nicht auf das
Quartal I/05 abgestellt werden, sondern sei auf das entsprechende Quartal des Jahres 2005 abzustellen. Der Vortrag
der Klägerin sei auch in sich widersprüchlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.11.2008 die Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Fallwertverlust habe
im Quartal II/07 im Verhältnis zum Bezugsquartal II/05 ca. 36,6 % betragen. Die Beklagte gehe irrtümlich davon aus,
dass Buchst. d der Ausgleichsregelung eine Kompensation nur vorsehe, wenn eine Honorarverwerfung nicht aufgrund
des neuen EBM entstanden sei. EBM-bedingte Honorarverwerfungen würden dann nur bei Fallwertverlusten von 5 %
bis 15 % ausgeglichen werden. Aus einem Schreiben der Bezirksstelle AAB. vom 18.02.2008 ergebe sich, dass bei
ihr keine Änderung des Leistungsspektrums stattgefunden habe. Darin werde ausgeführt, dass der Fallwertverlust auf
die niedrigen oberen Punktwerte zurückzuführen sei. Die Kompensation durch andere Leistungen, die ggf. verstärkt
erbracht worden seien, reiche nicht aus, wie sich aus den Abrechnungen für die Quartale II/06 und II/07 ergebe. Es
sei ein Honorarrückgang um 20.631 EUR festzustellen. Im Vergleich zum Quartal II/05 betrage der Honorarrückgang
mehr als 60.000 EUR, ein Honorarrückgang um ca. 38 %. Die nachträglich mitgeteilten Anforderungen für die
Teilnahme an der Anpassungsregelung gemäß Rundschreiben vom 26.09.2007 seien für die streitgegenständlichen
Quartale verspätet erfolgt. Die Bezirksstelle habe im Schreiben vom 18.02.2008 eine Stützung in Höhe von 21.706,24
EUR für notwendig gehalten. Sie halte ein Leistungsspektrum vor, das durch andere Vertragsärzte nicht abgebildet
werde. Dies zeige sich auch in der Sonderbedarfszulassung für Herrn Dr. AB. Auch Herr Dr. AC weise eine
weitergehende Spezialisierung auf und habe dementsprechend die Genehmigung zu Koloskopien. Es würden auch
kardiologische Leistungen aufgrund der ländlichen Strukturen in größerem Umfang erbracht. Dies ergebe sich bereits
aus der Frequenzstatistik. Eine sachwidrige Ungleichbehandlung liege darin, dass eine Überprüfung bei
Fallwertverlusten unter 5% nicht erfolge.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 31.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2008
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie über ihren Antrag auf Sonderregelung im Rahmen der
Ausgleichsregelung für die Quartale II und III/07 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu
bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie weist nochmals auf die Schiedsamtsentscheidung zum ambulanten operieren (AOP-Vertrag) hin. Danach würden
ab dem Quartal I/07 die Leistungen gem. § 115b SGB V im Bereich der Primärkassen mit einem Punktwert von 4,7
Cent und im Bereich der Ersatzkassen mit einem Punktwert von 5,11 Cent extrabudgetär vergütet werden. Damit
würden nunmehr auch Leistungen extrabudgetär vergütet werden, die vormals intrabudgetär und damit zu Lasten der
Fachgruppentöpfe vergütet worden seien. Viele Praxen könnten dadurch diese Honorarvolumina aus der
intrabudgetäre in die extrabudgetäre Vergütung verlagern. Dies habe zur Folge, dass bei einer Praxis, die das so
verringerte Honorar im budgetierten Bereich durch den extrabudgetären Bereich ausgleiche, die nunmehr geringere
Honoraranforderung im Bereich der budgetierten Gesamtvergütung nicht mehr im Rahmen der Ausgleichsregelung
gestützt werden könne. Sie habe deshalb in einem Rundschreiben vom 26.09. 2007 ihre Mitglieder davon in Kenntnis
gesetzt, dass die Ausgleichsregelung keine Anwendung finde bei Praxen, die 1000 EUR und mehr im Bereich der
Leistungen gem. § 115 b SGB V sowie im Verhältnis zu ihrer Fachgruppe mehr extrabudgetäres Honorar (dieser
Honorarbereich werde oft auch als die "Honoraruntergruppe HG 5" bezeichnet) vergütet bekommen hätten. Sie habe
die Vertragsärzte erst nach den Entscheidungen des Schiedsamts vom Mai und Juni 2007 informieren können. Dies
sei mit Rundschreiben vom 26.09.2007 geschehen. Bei § 4 Abs. 1 c) HVV handele es sich um eine Härteregelung, so
dass Sicherstellungsaspekte nicht berücksichtigt werden könnten. Unter einer "künstlichen" Herstellung vergleichbarer
Bedingungen, wobei sie im Einzelnen die Prämissen dargelegt hat, würde sich für das Quartal II/07 eine
Ausgleichszahlung in Höhe von 16.790,62 EUR und für III/07 in Höhe von 24.457,43 EUR ergeben. Hieraus folge aber
kein entsprechender Anspruch der Klägerin.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigebogenen Verwaltungsakte, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Vertragsärzte verhandelt und
entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die Klage ist zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben
worden.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 31.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2008
ist rechtswidrig und war daher aufzuheben. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin über ihren Antrag auf
Sonderregelung im Rahmen der Ausgleichsregelung für die Quartale II und III/07 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Bescheid vom 31.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2008 ist rechtswidrig.
Nach der Vereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den Verbänden der Krankenkassen
zur Honorarverteilung für die Zeit vom 01.04.2007 bis 31.12.2007 in der Fassung der Entscheidung des
Landesschiedsamts für die vertragsärztliche Versorgung in Hessen vom 01. November 2007, bekanntgegeben in
info.doc Nr. 6, Dezember 2007 (im Folgenden: HVV), ist Grundlage für die Abrechnung der erbrachten
vertragsärztlichen Leistungen der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), die dazu ergänzend ergangenen
Beschlüsse des Bewertungsausschusses, die Bundesmantelverträge sowie die zwischen den Partnern der
Bundesmantelverträge vereinbarten Abrechnungsbestimmungen in der jeweils gültigen Fassung und die im Bereich
der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen geltenden Honorarverträge in der jeweils gültigen Fassung (§ 2 Abs. 1
HVV).
§ 5 Abs. 4 HVV "Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus" bestimmt
Folgendes:
a) Zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus erfolgt nach
Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß § 4 ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal
berechneten fallbezogenen Honoraranspruches (Fallwert in EUR) der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen
Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2005 ausschließlich beschränkt auf
Leistungen der Honorargruppe 2 mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen
Leistungen.
b) Zeigt der Fallwertvergleich einen Fallwertverlust von mehr als 5%, so erfolgt eine Stützung auf den maximalen
Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen notwendigen gehen zu Lasten der
jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch
weitergehende Quotierung der Punktwerte zu generieren. Sollte durch eine solche Quotierung die Fallwertminderung
(wieder) auf einen Wert oberhalb von 5% steigen, führt dies zu keinem weitergehenden Ausgleich.
c) Ein Ausgleich von Fallwertminderungen bis zur Grenze von 5% erfolgt grundsätzlich auf der Basis vergleichbarer
Praxisstrukturen und maximal bis zu der Fallzahl, die im entsprechenden Quartal des Jahres 2005 abgerechnet
worden ist. Ein Ausgleich ist in diesem Sinne u. a. dann ausgeschlossen, wenn im aktuellen Quartal im Vergleich
zum Basisquartal erkennbar ausgewählte Leistungsbereiche nicht mehr erbracht wurden oder sich das
Leistungsspektrum der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der Praxis, verändert
hat. Er ist des Weiteren ausgeschlossen, wenn sich die Kooperationsform der Praxis im Vergleich zum
entsprechenden Basisquartal geändert hat.
d) Beträgt der Fallwertverlust mehr als 15%, wird geprüft, ob dieser Verlust ausschließlich auf die Einführung des
EBM 2000plus zurückzuführen ist. Sofern die Prüfung ergibt, dass dies nicht der Fall ist, wird ggf. eine
Honorarberichtigung durchgeführt. Diese Regelung steht unter dem Vorbehalt, dass auf Basis der Zahlungen der
Verbände der Krankenkassen eine dem Basisquartal vergleichbare budgetierte Gesamtvergütung zur Verfügung steht.
e) Diese Regelung gilt nicht für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen.
Die in den Quartalen II/05 bis I/07 geltende Vorgängerregelung Ziffer 7.5 HVV 2005 ist von den Sozialgerichten als
rechtmäßig angesehen worden, soweit sie im Sinne einer Härtefallregelung zur Begünstigung eines Vertragsarztes
führt (vgl. z. B. LSG Hessen, Urt. v. 04.11.2009 – L 4 KA 99/08 –; LSG Hessen, Urt. v. 11.02.2009 – L 4 KA 82/07 –
www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris; BSG, Urt. v. 03.02.2010 - B 6 KA 1/09 R – juris). Lediglich soweit die sog.
Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV 2005 bei Überschreiten des Fallwerts des Vorjahresquartals von mehr als 5 %
u. U. zu einer Honorarkürzung führt, ist die Regelung zu beanstanden (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 16/09 R
– (Parallelverfahren: B 6 KA 25 bis 28/09 R), zitiert nach Terminbericht des BSG).
Die Beklagte hat es jedoch unterlassen, in die von § 5 Abs. 4 HVV gebotene Einzelfallprüfung einzutreten. Nach § 5
Abs. 4 c) HVV hat die Klägerin einen Anspruch auf Teilnahme an der Ausgleichsregelung. Ihr Fallwertverlust beträgt
nach Berechnungen der Kammer im Quartal II/07 über 36 % und im Quartal III/07 über 46 %. Die Beklagte hat auf
Anfrage der Kammer selbst eingeräumt, unter einer "künstlichen" Herstellung vergleichbarer Bedingungen würde sich
für das Quartal II/07 eine Ausgleichszahlung in Höhe von 16.790,62 EUR und für das Quartal III/07 in Höhe von
24.457,43 EUR ergeben.
Dieser Anspruch der Klägerin ist aber nach den Vorgaben des HVV nur dann ausgeschlossen, wenn die
Praxisstrukturen nicht mehr vergleichbar sind. Davon ist nach § 5 Abs. 4 c) HVV dann auszugehen, wenn eine
Einzelfallprüfung ergibt, dass (ausgewählter) Leistungsbereiche nicht mehr oder nunmehr erbracht werden oder
Veränderung des Leistungsspektrums der Praxis, u. a. als Folge einer geänderten personellen Zusammensetzung der
Praxis sowie der Kooperationsform der Praxis eingetreten sind.
Die Kammer hält diese Regelung im Anschluss an die 11. Kammer (vgl. SG Marburg, Urt. v. 31.03.2010 – S 11 KA
98/09 – www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 27/10 -), soweit bisher die
Vorgängerregelung nach Ziff. 7.5 HVV als zulässig angesehen wurde, ebf. für zulässig. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen tragen dafür Sorge, dass nur EBM-bedingte, nicht aber solche Honorarverluste, für die der
Vertragsarzt die Verantwortung selbst zu tragen hat, ausgeglichen werden. Der aktuelle Fallwert und der Fallwert des
Basisquartals müssen miteinander vergleichbar sein. Bei verändertem Leistungsspektrum der Praxis ist dies nicht
mehr der Fall. Ebenso können veränderte Kooperationsformen eine Vergleichbarkeit ausschließen. Gleiches gilt für
veränderte Berechnung des Honorars durch Einschließung oder Ausschließung von Vergütungsanteilen, insbesondere
sog. extrabudgetären Leistungen, im Vergleich zum Vorjahresquartal. Die Regelung zur Beschränkung der
Ausgleichsregelung ist selbst unmittelbarer Teil der Ausgleichsregelung im Sinne einer Härteregelung. Ihr Inhalt ist
aus den genannten Gründen nicht zu beanstanden und ist vom Gestaltungsspielraum der Vertragsparteien des HVV
gedeckt.
Die Beklagte hat jedoch auf dieser Grundlage diese einzelfallbezogene Härtefallregelung durch ihren
Vorstandsbeschluss vom 20.08.2007 unterlaufen, indem sie eine pauschalierende Regelung getroffen hat, die dem
Sinn und Zweck des § 5 Abs. 4 HVV widerspricht. Der Vorstandsbeschluss ist deshalb rechtswidrig.
Die 11. Kammer (vgl. SG Marburg, Urt. v. 31.03.2010 – S 11 KA 98/09 – aaO.) hat hierzu bereits ausgeführt:
"In diesem Beschluss hat die Beklagte festgelegt, dass die Ausgleichsregelung keine Anwendung findet bei Praxen, -
die EUR 1.000,00 und mehr im Bereich der Leistungen gemäß § 115 b SGB V sowie - im Verhältnis zu Ihrer
Fachgruppe mehr extrabudgetäres Honorar vergütet bekommen.
Zwar darf der Vorstand einer Kassenärztlichen Vereinigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG), von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht und was nach Auffassung der Kammer auch
unter Geltung eines Honorarverteilungsvertrags gilt, außer zu konkretisierenden Bestimmungen, die nicht im voraus
für mehrere Quartale gleichbleibend festgelegt werden können, auch dazu ermächtigt werden, Ausnahmen für sog.
atypische Fälle vorzusehen. Es ist eine typische Aufgabe des Vorstandes, zu beurteilen, ob sog. atypische Fälle die
Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen erfüllen. Dabei beschränkt sich die
Kompetenz des Vorstandes nicht auf die Statuierung von Ausnahmen für "echte Härten", vielmehr müssen sie
generell für atypische Versorgungssituationen möglich sein (vgl. BSG, Urt. v. 03.03.1999 - B 6 KA 15/98 R – SozR 3-
2500 § 85 Nr. 31 = MedR 2000, 153, juris Rn. 36; BSG, Urt. v. 21.10.1998 - B 6 KA 65/97 R - SozR 3-2500 § 85 Nr.
27, juris Rn. 23).
Der Beklagten mag zuzugeben sein, dass in einem hohen Prozentsatz der Fälle, in denen die im Vorstandsbeschluss
genannten Kriterien vorliegen, auch bei Einzelfallbetrachtung eine Veränderung im Leistungsspektrum der jeweiligen
Praxis und somit ein im übertragenen Sinn "atypischer Fall" vorliegen mag. Sofern Verlagerungen von Honoraranteilen
der Honorargruppe 2 im Basisquartal in den extrabudgetären Bereich erfolgt sind, erscheint es konsequent, mit diesen
Verlagerungen auch eine Veränderung des Leistungsgeschehens anzunehmen.
Diese Feststellung entbindet die Beklagte jedoch nicht von der durch den HVV vorgegebenen einzelfallbezogenen
Prüfung und rechtfertigt keine Grundsatzregelung dergestalt, dass bei Vorliegen der aufgestellten Voraussetzungen
immer und zwangsläufig die Teilnahme an der Ausgleichsregelung ausscheidet. Die Beklagte hat zu erforschen, wo
ggf. die Ursachen für Fallwert- und Honorarverluste liegen. Nur wenn diese Analyse zu dem Ergebnis führt, dass diese
Verluste allein darauf beruhen, dass die Praxisstruktur nicht mehr vergleichbar ist, darf nach den Vorgaben des HVV
ein Ausschluss von der Teilnahme an der Ausgleichsregelung erfolgen.
Darüber hinaus erscheint die Festlegung der 1.000-EUR-Grenze willkürlich und schon deshalb rechtswidrig.
Schließlich erscheint auch das im Vorstandbeschluss niedergelegte Kriterium eines Vergleichs mit der Fachgruppe
als mit der Intention von § 5 Abs. 4 HVV unvereinbar. Eine Einzelfallprüfung verbietet grundsätzlich den Vergleich mit
anderen Praxen.
Eine Einzelfallprüfung wäre gerade im vorliegenden Fall besonders angezeigt gewesen, weil die Beklagte in ihren
Berechnungen zum Leistungsspektrum der Klägerin selber immer wieder dargelegt hat, dass gerade keine
Veränderung des Leistungsspektrums eingetreten ist."
Diesen Ausführungen schließt sich die hier entscheidende 12. Kammer nach eigener Prüfung an.
Bei ihrer Neubescheidung wird die Beklagte eine einzelfallbezogene Prüfung der Klägerin vorzunehmen haben. Sie
kann dabei in der Weise vorgehen, wie sie es im Einzelnen im Schriftsatz vom 11.12.2009 dargelegt hat.
Im Ergebnis war der Klage daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten
des Verfahrens.