Urteil des SozG Marburg vom 23.03.2011

SozG Marburg: gemeinschaftspraxis, gesellschafter, versorgung, hessen, bezirk, datum, öffentlich, krankenversicherung, rückzahlung, abschlagszahlung

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Gericht:
SG Marburg 12.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
S 12 KA 247/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 57a Abs 2 SGG, §§ 705ff
BGB, § 705 BGB, § 129 Abs 1
HGB, § 128 HGB
Kassenärztliche Vereinigung - Überzahlung des Arztkontos
- Inanspruchnahme zwischenzeitlich ausgeschiedener
Gesellschafter einer ehemaligen Gemeinschaftspraxis -
Vertragsarztangelegenheit - zuständiges Sozialgericht
Leitsatz
Die Kassenärztliche Vereinigung kann einen zwischenzeitlich ausgeschiedenen
Gesellschafter der ehemaligen Gemeinschaftspraxis wegen Überzahlung des
Arztkontos in Anspruch nehmen.
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 41.387,09 € zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Rückzahlung zu viel geleisteten Honorars in Höhe
von 41.387,09 €.
Der Beklagte war in der Zeit vom 01.03.2006 bis zum 11.05.2007 zur
vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der Klägerin zugelassen und führte mit
den Ärztinnen Dres. med. C. und D. eine Gemeinschaftspraxis unter der
Arztnummer 1xxxx. Er beendete seine Zulassung durch Verzichtserklärung am
11.05.2007. Die beiden Ärztinnen führten die Gemeinschaftspraxis fort unter der
Abrechnungsnummer 2xxxx.
Die klagende Kassenärztliche Vereinigung Hessen wandte sich unter Datum vom
06.07.2009 an den Beklagten und wies darauf hin, sie habe ihm bereits mit
Kurzbrief vom 29.02.2008 nachrichtlich ein Schreiben an die Partnerinnen der
ehemaligen Berufausübungsgemeinschaft übersandt, in dem sie die Überzahlung
des Honorarkontos von 126.784,88 € zurückgefordert habe. Die Partnerinnen
hätten sich bereit erklärt, ihre Anteile der Überzahlung in Höhe von 84.523,25 €
auszugleichen. Um einen Kontoausgleich zu erreichen, bitte sie um Überweisung
des Anteils des Beklagten in Höhe von 41.387,09 €. Hieran erinnerte sie den
Beklagten mit Schreiben vom 03.08.2009 und setzte eine Frist bis zum
31.08.2009.
Die Klägerin hat am 30.03.2010 die Klage erhoben. Zur Begründung ihres
Zahlungsanspruches verweist sie auf die Überzahlung des Arztkontos der
Gemeinschaftspraxis hin und auf die bisher erfolglose Geltendmachung der
Forderung gegenüber dem Beklagten. Aufgrund einer nachträglichen
Honorargutschrift für das Quartal I/07 habe sich die anteilige
Rückforderungssumme von zunächst 42.261,63 € auf 41.987,09 € reduziert. Auch
der nach Fristverstreichung geführte Schriftverkehr habe kein Ergebnis gebracht.
Vielmehr werde darin der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bestritten.
Weiterhin werde bestritten, den Rückforderungsanspruch jedem einzelnen
Gesellschafter gegenüber geltend zu machen. Selbst nachdem sie die
Kontoauszüge für die Quartale I/06 bis einschl. II/09 übermittelt habe und anhand
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Kontoauszüge für die Quartale I/06 bis einschl. II/09 übermittelt habe und anhand
einer Übersicht die Historie der Überzahlung dargestellt habe, verweigere der
Beklagte weiterhin beharrlich, den Überzahlungsbetrag auszugleichen. Die
Überzahlung sei in erster Linie auf zu hoch bemessener Abschlagszahlungen, aber
auch auf ÄBD-Umlagen und Honorarkorrekturen zurückzuführen. Für
Gesellschaftsschulden hafteten neben der Gesellschaft die Gesellschafter analog §
128 HGB (gesamtschuldnerische Gesellschafterhaftung) persönlich und in
uneingeschränktem Umfang mit ihrem Privatvermögen. Sie habe ein Wahlrecht,
ob sie Honorarrückforderungen gegen die frühere Gemeinschaftspraxis richte oder
einen oder alle ehemaligen Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als
Gesamtschuldner aus ihrem persönlichen Vermögen in Anspruch nehme. Sie habe
auch den Status der Gemeinschaftspraxis nicht außer acht gelassen. Der Anteil
des Beklagten betrage nur 1/3 der Gesamtschuld. Sie habe die Kontoauszüge
vorgelegt, die nachvollziehbar seien. Der Betrag vom 29.05.2007 in Höhe von
7.314,16 € beziehe sich auf die BSNR 3xxxx. Diese BSNR habe die
Gemeinschaftspraxis mit Herrn Dr. F., den beiden Ärztinnen und den Beklagten
betroffen. Herr Dr. F. sei zum 28.02.2006 aus der Gemeinschaftspraxis
ausgeschieden. Die Gemeinschaftspraxis sei unter der BSNR 1xxxx mit den
übrigen Gesellschaftern fortgeführt worden und dementsprechend sei eine
Belastung aus der Überzahlung aus dem Quartal IV/06 vorgenommen worden. Sie
vergebe bei jeder Veränderung der Gemeinschaftspraxis eine neue
Abrechnungsnummer. Für die rechtliche Zuordnung von Zahlungen oder
Zahlungsansprüchen komme es nicht auf die verwaltungsinterne Vergabe der
Abrechnungs- bzw. Kontonummer an. Die Belastung des Kontos der
Gemeinschaftspraxis mit Datum vom 24.05.2007 in Höhe von 30.000,00 € beziehe
sich auf die Abschlagszahlung im Mai 2007. Bei der Vereinbarung vom 30.05.2007
habe es sich um eine Überzahlung des Honorarkontos aus dem Quartal IV/06 in
Höhe von insgesamt 99.044,37 € gehandelt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 41.387,09 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bestreite, dass eine Überzahlung in Höhe von 126.784,88 € aufgelaufen sei. Die
Klägerin habe noch nach seinem Ausscheiden das Konto belastet, so u. a. unter
dem 29.05.2007 mit dem Betrag von 7.340,16 €, der eine andere Betriebsstätten-
Nummer getroffen habe. Ferner habe sie die Abschlagsrate im Mai 2007 (Datum
24.05.2007) zugebucht. Weiter enthielten die Kontoauszüge Zahlungen, die sich
auf eine offenbar nach seinem Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis
getroffene Vereinbarung vom 30.05.2007 bezögen. Etwaige Honorarkürzungen
und/oder Regresse habe die Gemeinschaftspraxis zu tragen. Die
Gemeinschaftspraxis sei daher sowohl Gläubigerin der Honorarforderung als auch
Schuldnerin bei Honorarkürzungen. Auf § 57a SGG könne sich die Klägerin nicht
berufen. Es bestehe kein Bedürfnis, den Vertragsarztstatus des aus der
vertragsärztlichen Versorgung ausgeschiedenen Arztes trotz Ausscheidens aus
der vertragsärztlichen Versorgung als Fortbestehen anzuerkennen. Die Klägerin
habe grundsätzlich die sachlich-rechnerische Unrichtigkeit der vorangegangen
Honorarbescheide als Voraussetzung für die von ihr vorgenommene
Honorarberichtigung darzustellen. Die Vorlage eines Kontoauszuges genüge
hierfür offensichtlich nicht. Die vormaligen Mitgesellschafterinnen müssten
beigeladen werden. Der Umstand, dass die beiden Mitgesellschafterinnen nach
den Angaben der Klägerin bereits kopfteilige Zahlungen geleistet hätten, entbinde
sie weder im Außenverhältnis zu der Klägerin von einer darüber hinausgehenden
Verbindlichkeit noch sei damit bereits über die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis
laut § 426 Abs. 1 BGB entschieden. Auch nach seinem Ausscheiden sei die
Gemeinschaftspraxis fortgeführt worden. Die Klägerin könne sich durch
Aufrechnung befriedigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und
beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem
ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und
Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine
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Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine
Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12
Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die Klage ist zulässig. Das Sozialgericht Marburg ist zuständig.
In Vertragsarztangelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung ist das
Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Kassenärztliche Vereinigung oder die
Kassenzahnärztliche Vereinigung ihren Sitz hat (§ 57a Abs. 2 SGG). Der Bezirk der
Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts beim Sozialgericht Marburg
erstreckt sich auf die Bezirke der übrigen Sozialgerichte des Landes Hessen (§ 5
Abs. 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz i. d. F. v.
26.07.1989, GVBl. I 1989, 226, zuletzt geändert durch Gesetz v. 24.11.2009, GVBl.
I S. 422). Es handelt sich auch um eine Vertragsarztangelegenheit der
gesetzlichen Krankenversicherung, da die von der Klägerin geltend gemachte
Forderung in der früheren Tätigkeit des Beklagten als Vertragsarzt wurzelt. Die
Klägerin macht einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend, der
aufgrund der haftungsrechtlichen Heranziehung des Beklagten aufgrund seiner
Gesellschafterstellung nicht zu einer zivilrechtlichen Forderung wird, für die der
Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet wäre.
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung zu
viel geleisteten Honorars in Höhe von 41.387,09 € gegenüber dem Beklagten. Der
Klage war daher stattzugeben.
Die Beklagte hat gegenüber dem Beklagten in Höhe von 41.387,09 € einen
öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung des Arztkontos der
ehemaligen Gemeinschaftspraxis. Hierfür hat der Kläger als ehemaliger
Gesellschafter einzutreten.
Bei der ehemaligen Gemeinschaftspraxis handelte es sich um eine BGB-
Gesellschaft nach §§ 705 ff. BGB. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, besteht in Konsequenz der
Anerkennung der beschränkten Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts eine akzessorische Haftung der Gesellschafter für die
Gesellschaftsverbindlichkeiten. Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten
der Gesellschaft auch persönlich haftet, ist der jeweilige Bestand der
Gesellschaftsschuld also auch für die persönliche Haftung maßgebend. Insoweit
entspricht das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung damit
der Rechtslage in den Fällen der akzessorischen Gesellschafterhaftung gemäß §§
128 f. HGB bei der OHG (vgl. BGH, Urt. v. 29.01.2001 – II ZR 331/00 – zitiert nach
juris Rdnr. 39). In Fortführung seiner Rechtsprechung stellt der Bundesgerichtshof
nunmehr auf eine Analogie zu §§ 128 f. HBG ab (vgl. Ulmer/Schäfer, Münchener
Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, § 714, Rdnr. 35 m.w.N.).
Nach § 128 HGB haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der
Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Eine
entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüber unwirksam. Der
Gesellschafter nach § 129 Abs. 1 HGB können dabei auch Einwendungen der
Gesellschaft geltend machen.
Von daher trifft die Auffassung der Beklagten zu, wonach sie berechtigt ist, auch
einzelne Gesellschafter der ehemaligen Gemeinschaftspraxis in Anspruch zu
nehmen.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Beklagte in der Zeit vom
01.03.2006 bis zum 11.05.2007 mit den Ärztinnen Dres. med. C. und D. in einer
Gemeinschaftspraxis, einer BGB-Gesellschaft nach § 705 ff., tätig war.
In Höhe von 41.387,09 € bestand auch eine Schuld der Gemeinschaftspraxis. Die
Beklagte geht dabei von einer Überzahlung in Höhe von 126.784,88 € aus. Die
Beklagte hat diese Überzahlung mit Hilfe der Kontoauszüge der damaligen
Gemeinschaftspraxis nachgewiesen.
Soweit der Beklagte diese Forderung bestreitet, fehlt es an einer Substantiierung.
Der Betrag in Höhe von 7.340,16 € im Kontoauszug I/07 folgt aus einer
Überzahlung der Gemeinschaftspraxis im Quartal I/06 noch in der
Zusammensetzung mit Herrn Dr. F., für die fortbestehende Gemeinschaftspraxis
des Klägers mit den beiden Ärztinnen ebf. einzustehen hat. Die Abschlagszahlung
Mai 2007 fällt noch in den Zeitraum der Tätigkeit des Klägers, da er noch im Mai
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Mai 2007 fällt noch in den Zeitraum der Tätigkeit des Klägers, da er noch im Mai
tätig war. Auf das Buchungsdatum (24.05.2007) nach seinem Ausscheiden
(21.05.2005) kommt es insofern nicht an.
Die Kammer konnte von einer Beiladung der übrigen Gesellschafter der
vormaligen Gemeinschaftspraxis absehen, da der Beklagte als persönlich
haftender Gesellschafter in Anspruch genommen wurde.
Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der
unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.