Urteil des SozG Düsseldorf vom 11.10.2002

SozG Düsseldorf (Aufschiebende Wirkung, Aufrechnung, Öffentliches Interesse, Gemeinschaftspraxis, Behörde, Anfechtungsklage, Gegenforderung, Vollzug, Genehmigung, Verwaltungsakt)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 104/02 ER
11.10.2002
Sozialgericht Düsseldorf
2. Kammer
Beschluss
S 2 KA 104/02 ER
Vertragsarztrecht
rechtskräftig
Die aufschiebende Wirkung zum Aktenzeichen S 2 (25) KA 175/01 gegen
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.06.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheid vom 05.12.2001 wird angeordnet. Es wird
festgestellt, dass die Antragsgegnerin - vorbehaltlich einer gerichtlichen
Entscheidung über die Beendigung der Gemeinschaftspraxis -
verpflichtet ist, die Abrechnungen des Antragstellers zu 1) sowie der
Antragstellerinnen zu 2) und 3) seit dem Quartal 1/01 entgegenzunehmen
und die erbrachten vertragsärztlichen Leistungen nach Maßgabe der
gesetzlichen, vertraglichen und satzungsmäßigen Bestimmungen zu
vergüten. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Mit bestandskräftigem Zulassungsbeschluss vom 25.10.1995 war dem Antragsteller zu 1)
und der Antragstellerin zu 2) die Genehmigung zur Führung einer (ärztlichen)
Gemeinschaftspraxis in L erteilt worden. Mit weiterem bestandskräftigen Bescheid vom
18.10.2000 gab der Zulassungsausschuss für Ärzte L einem Antrag des Antragstellers zu
1) und der Antragstellerinnen zu 2) und 3) auf Errichtung einer gebietsübergreifenden
(ärztlichen) Gemeinschaftspraxis in L mit Wirkung vom 01.10.2000 statt. Durch - nicht
bestandskräftigen - Bescheid vom 24.04.2002 verfügte der Berufungsausschuss die
Beendigung dieser gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit mit dem
15.08.2001.
Die Antragsgegnerin hob mit Bescheid vom 22.06.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 die Quartalskonten/Honorarbescheide der
Quartale 1/96 bis einschließlich 1/01 auf und forderte die den Gemeinschaftspraxen Dres.
O und W sowie Dres. O, W und M gezahlten Honorare dem Grunde nach zurück. Zur
Begründung führte sie aus, der dem Berufungsausschuss vorgelegte Vertrag vom
00.00.1998 stelle keinen Gemeinschaftspraxisvertrag dar, vielmehr handele es sich um ein
verdecktes Anstellungsverhältnis. Wäre der Antragsgegnerin bekannt gewesen, dass es
sich nicht um Gemeinschaftspraxen gehandelt habe, so wäre der Punktzahlengrenzwert
nach dem Honorarverteilungsmaßstab niedriger gewesen und hätte zu massiven
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Honorarkürzungen geführt. Außerdem sei das von der Antragstellerin zu 2) als faktische
Angestellte erwirtschaftete Honorar nicht abrechnungsfähig gewesen.
In Ergänzung dieses Bescheides bezifferte die Antragsgegnerin mit drei Bescheiden vom
11.06.2002, die jeweils an den Antragsteller zu 1) und die Antragstellerinnen zu 2) und 3)
adressiert waren, den zurückgeforderten Betrag auf insgesamt 0.000.000,00 EUR. Dabei
handelte es sich um die vollständigen Honorarzahlungen für die Quartale 1/96 bis 1/01.
Abschließend teilte sie mit, dass der festgesetzte Betrag durch Aufrechnung gegen
bestehende Honorarforderungen seitens der ehemaligen Gemeinschaftspraxen Dres. O
und W sowie Dres. O, W und M sowie ihre eigenen Honorarforderungen sofort umgesetzt
werde. § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V finde Anwendung.
Im Rahmen eines Hauptsachestreitverfahrens - S 2 (25) KA 175/01 - begehren der
Antragsteller zu 1) und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes. Sie halten die Honorarrückforderung unter allen rechtlichen
Gesichtspunkten für rechtswidrig; insbesondere lägen die Voraussetzungen einer
Aufrechnung nicht vor. Zu Unrecht verweigere ihnen die Antragsgegnerin auch die
Auszahlung laufender Honorare.
Der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs vom 29.06.2002 gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 11.06.2002 anzuordnen bzw. wieder herzustellen.
Ferner beantragen sie, namens und in Vollmacht der "Ärzte-Praxis", vertreten durch den
Antragsteller zu 1),
im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, der
Antragstellerin ihre erworbenen Honoraransprüche seit dem Quartal 1/2001 in Höhe von
mindestens 000.000,00 EUR (000.000,00 DM) auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie sieht weder Anordnungsgrund noch Anordnungsanspruch, insbesondere habe sie
wirksam mit den Honorarforderungen der Antragsteller aufgerechnet.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den
Inhalt der Streitakten S 2 KA 104/02 ER und S 2 (25) KA 175/01 sowie der beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin.
II.
Den Anträgen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war stattzugeben.
ad 1.)
Gemäß § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG in der Fassung des 6. SGG-ÄndG vom 17.08.2001
(BGBl. I 2001, 2144) hat die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Wirkung
entfällt - neben den hier nicht einschlägigen Fällen des Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 und 5 - gemäß
Nr. 4 in durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen. Eine solche bundesgesetzliche
Vorschrift besteht in der Regelung des § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V n.F ...
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Danach haben Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung
oder Aufhebung keine aufschiebende Wirkung. Diese Bestimmung gilt gemäß Art. 19 des
6. SGG-ÄndG ab 02.01.2002 und erfasst auch den vorliegenden Fall von
Honoraraufhebungs- und -Rückforderungsbescheiden, die vor dem In-Kraft-Treten des
Gesetzes erteilt worden sind.
Es war jedoch die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren S 2 (25) KA 175/01
gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen.
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen
die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, diese Wirkung ganz oder
teilweise anordnen. Mit diesem Rechtsmittel können Rechtsbeeinträchtigungen abgewehrt
werden, die durch den Vollzug der noch nicht bestandskräftigen Honoraraufhebung und -
rückforderung drohen. Allerdings bestimmt die Vorschrift selbst nicht unmittelbar, unter
welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung (ganz oder teilweise) anzuordnen
ist. Diese ergeben sich vielmehr aus den Erfordernissen der Gewährung effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) im Zusammenhang mit einer Dringlichkeit oder
Eilbedürftigkeit. Ausgangspunkt ist dabei die Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass
bei Honorarstreitigkeiten generell ein öffentliches Interesse am Sofortvollzug der
Verwaltungsentscheidung besteht (vgl. BT-Drucksache 14/6335, S. 33). Daraus folgt, dass
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur gerechtfertigt ist, wenn es im Einzelfall
besondere Gründe gibt, einem Individualschutz den Vorrang einzuräumen (vgl. Meyer-
Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 7. Aufl. 2002, § 86 b Rdnr. 12). Ein solche Grund besteht
darin, dass der Bescheid vom 22.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.12.2001 offensichtlich rechtswidrig ist. Am Sofortvollzug offensichtlich rechtswidriger
Verwaltungsakte besteht kein öffentliches Interesse (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86 b Rdnr.
12).
Die Antragsgegnerin hat die Honorarbescheide für die Quartale 1/96 bis 1/01 aufgehoben
und die Honorare zurückgefordert, weil die Antragsteller/-innen keine Gemeinschaftspraxis
betrieben hätten, sondern ein verdecktes Anstellungsverhältnis vorgelegen habe. An dieser
Annahme ist die Antragstellerin jedoch aus Rechtsgründen gehindert.
Beschlüsse der Zulassungsgremien - auch solche über die Genehmigung von
Gemeinschaftspraxen - sind konstitutiver, statusbegründender Natur. Zum Schutz aller an
der Leistungserbringung Berechtigter und Verpflichteter stellen sie mit verbindlicher
Wirkung inter omnes fest, ob die zu erbringenden Leistungen innerhalb des Systems der
gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt werden oder als privatärztliche Leistungen
anzusehen und zu vergüten sind (st. Rspr. des BSG; vgl. nur Urt. v. 28.01.1998 - B 6 KA
41/96 R -). Das in der Systematik der gesetzlichen Regelungen vorgegebene Verfahren in
Streitigkeiten über die Dauer oder den Fortbestand des Zulassungsstatus besteht darin,
dass derjenige, der bei bestehenden Auffassungsunterschieden insoweit an einer Klärung
interessiert ist, dies allein gegenüber den Zulassungsgremien geltend machen kann (BSG,
Urt. v. 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R -); deren Entscheidungen legen wiederum verbindlich
inter omnes den Rechtsstatus fest.
Das bedeutet hier: Die Antragsgegnerin ist erst dann befugt, die den Antragsteller/-innen für
die Quartale 1/96 bis 1/01 erteilten Honorarbescheide aufzuheben und gezahlte Honorare
zurückzufordern, wenn wirksam von den Zulassungsgremien festgestellt worden ist, dass
eine Gemeinschaftspraxis im Rechtssinne in dieser Zeit nicht bestanden hat. Eine solche
Feststellung liegt gegenwärtig nicht vor. Der Berufungsausschuss hat in seinem Bescheid
vom 18.10.2000 nicht die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis rückwirkend
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zurückgenommen, sondern allein den Bescheid des Zulassungsausschusses bestätigt,
dass die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit mit dem 15.08.2001 beendet
wird. Damit wird der Status der Gemeinschaftspraxis für die Quartale 1/96 bis 1/01 nicht
berührt. Über eine mögliche Klage der Antragsgegnerin gegen diesen Bescheid liegt eine
gerichtliche Entscheidung jedenfalls augenblicklich nicht vor. Dies führt im Ergebnis dazu,
dass gegenwärtig nicht wirksam der Status der Gemeinschaftspraxis in Abrede gestellt
werden kann. Demgemäss hat die Antragsgegnerin keine Befugnis, Honorarbescheide für
die streitbefangene Zeit aufzuheben und Honorare zurückzufordern.
ad 2.)
Die Antragsgegnerin ist auch verpflichtet, die von dem Antragsteller zu 1) und den
Antragstellerinnen zu 2) und 3) seit dem 1. Quartal 2001 erworbenen Honoraransprüche
auszuzahlen. Wie oben dargelegt, besteht gegenwärtig der Status der Gemeinschaftspraxis
fort. Eine gegen den Bescheid des Berufungsausschusses vom 24.04.2002 erhobene
Klage hat gemäß § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung, da eine sofortige Vollziehung
im öffentlichen Interesse gemäß § 97 Abs. 4 SGB V nicht angeordnet worden ist. Die
aufschiebende Wirkung bedeutet, dass der Verwaltungsakt gegenwärtig nicht vollzogen
werden darf (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86 a Rn. 4 m.w.N.). Die Antragsgegnerin hat die
Antragsteller/-innen daher so zu behandeln, wie sie eine rechtswirksame
Gemeinschaftspraxis zu behandeln hat; dazu gehört auch die laufende Abrechnung
vertragsärztlicher Leistungen.
Die Kammer folgt nicht der von der Antragsgegnerin vertretenen Rechtsauffassung des
Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwGE 66, 218 = NJW 1983, 776), nach der trotz
eingelegten Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels gegen den Leistungsbescheid (hier:
Rückforderungsbescheid) eine Aufrechnungsmöglichkeit gegen laufende Leistungen
bestehe (ablehnend auch Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86 a Rn. 4, 5 m.w.N.). Die Judikatur des
BVerwG ist schon wegen der unterschiedlichen Sachlage nicht ohne weiteres übertragbar.
Der Entscheidung des BVerwG vom 27.10.1982 lag ein Sachverhalt zugrunde, der die
Gewährung von landwirtschaftlichen Beihilfen nach einer EWG-Verordnung betrifft, also
einer (einseitigen) Subvention. Demgegenüber geht es hier um ein (mehrseitiges)
synallagmatisches Rechtsverhältnis, nämlich die Vergütung für erbrachte vertragsärztliche
Leistungen. Das ist bereits im Ansatz eine andere Fallgestaltung.
Auch aus Rechtsgründen vermag sich die Kammer den Erwägungen des BVerwG nicht
anzuschließen.
Dem BVerwG ist insoweit zuzustimmen, als die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs
bzw. Rechtsmittels an der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nichts zu ändern vermag.
Zweck der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe/Rechtsmittel des Bürgers ist aber
nicht, die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes als solche anzugreifen, da die Überprüfung
der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes dem Rechtsbehelfs-/Rechtsmittelverfahren selbst
vorbehalten bleiben muss. Der Bürger will vielmehr mit der Einlegung des Widerspruchs
oder Erhebung der Anfechtungsklage verhindern, dass die Behörde aus dem erlassenen
Verwaltungsakt bereits Konsequenzen zieht, indem sie diesen vollstreckt. In diesem Fall
müsste der Bürger nämlich die Nachteile tragen, wenn sich der Leistungsbescheid und
damit die Zahlungsverpflichtung des Bürgers im Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahren
nachträglich als rechtswidrig herausstellt, aber der Bürger seinerseits schon geleistet hat.
Es genügt also dem Rechtsschutzinteresse des Bürgers, wenn es der Verwaltung aufgrund
der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels untersagt
ist, den Leistungsbescheid zu vollziehen.
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Die Kammer folgt insoweit nicht dem BVerwG, wenn dieses aus der unberührt bleibenden
Fälligkeit des Leistungsbescheides auch nach Einlegung des Rechtsbehelfs bzw.
Rechtsmittels auf die Zulässigkeit der Aufrechnung schließt. Damit verkürzt das BVerwG
die Voraussetzungen der Aufrechnung auf die drei Elemente "Gegenseitigkeit -
Gleichartigkeit - Fälligkeit" und übersieht die "Durchsetzbarkeit der Gegenforderung" als
weitere Voraussetzung der Aufrechnung. Die Gegenforderung, mit der der Schuldner
aufrechnet, muss nämlich neben der Fälligkeit auch wirksam sein (BGHZ 2, 300, 302).
Wirksamkeit bedeutet im Zivilrecht rechtliche Erzwingbarkeit (vgl. BGH NJW 1981, 1897),
die durch § 390 S. 1 BGB sogar noch dahingehend verschärft wird, dass eine Forderung,
der eine Einrede entgegensteht, der Aufrechnung des Schuldners entzogen ist. Diese
rechtliche Erzwingbarkeit fehlt aber im Falle der aufschiebenden Wirkung nach Einlegung
des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage gegen den Leistungsbescheid, da die
Behörde gehindert ist, diesen zu vollstrecken.
Das BVerwG lehnt eine solche Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung ab, da die
Aufrechnung vor allem der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen
Anspruch dienen würde. Hierbei wird aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass die
Aufrechnung eine Doppelfunktion erfüllt. Zwar dient die Aufrechnung einerseits auch als
Erfüllungssurrogat, da die Hauptforderung durch Hingabe der Gegenforderung erfüllt wird.
Sie dient aber andererseits gleichzeitig als Vollstreckungssurrogat, da der Gläubiger mit
Hilfe der Aufrechnung ohne Anrufung des Gerichts durch einseitige Erklärung seine
Forderung gleichzeitig durchsetzen kann. Legt man den Begriff "Vollziehung" im Sinne des
§ 86 a SGG in einem erweiterten Sinne dahingehend aus, dass damit alle Maßnahmen zur
Verwirklichung der im Verwaltungsakt getroffenen Regelungen auszusetzen sind, kann es
auf die nähere Ausgestaltung der Vollstreckung des Leistungsbescheids nicht ankommen.
Vollzug des Verwaltungsaktes im Sinne des § 86 a SGG bedeutet nämlich dann
Verwirklichung seines Inhalts schlechthin, gleichgültig, ob diese Verwirklichung durch die
erlassende Behörde oder durch den Adressaten selbst erfolgt. Dann muss es aber auch
gleichgültig sein, ob der Vollzug des Leistungsbescheids durch die Behörde nach dem
Vollstreckungsrecht vollstreckt wird, oder ob die Behörde diesen im Wege des
Vollstreckungssurrogates der Aufrechnung als "aufgezwungene Befriedigung" durchsetzt.
Somit darf die Behörde auch nicht das Mittel der Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat
wählen, wenn es durch die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs an der direkten
Vollstreckungsmöglichkeit der Forderung fehlt, da die Behörde mit der Aufrechnung
bezüglich der Durchsetzung ihrer im Leistungsbescheid konkretisierten Gegenforderung
die gleiche Wirkung wie mit der direkten Vollstreckung erzielen könnte. In beiden Fällen
könnte der Bürger ansonsten vor vollendete Tatsachen gestellt werden und irreparable
Schäden zu tragen haben, ehe das Gericht die Maßnahme der Verwaltung auf ihre
Rechtmäßigkeit überprüft hätte. § 86 a SGG dient aber gerade in besonderer Weise dazu,
den effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zu verwirklichen, da dieses als
entsprechendes Regelprinzip des Art. 19 Abs. 4 GG ausgestaltet ist (vgl. BVerfGE 35, 263,
274). Somit ist es auch im Hinblick auf die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes
nach Art. 19 Abs. 4 GG erforderlich, dass die Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat
ebenfalls vom Suspensiveffekt des § 86 a Abs. 1 SGG erfasst wird (vgl. zu Vorstehendem
Gaa, Die Aufrechnung im Öffentlichem Recht, Konstanz 1996, 125 ff.).
Im Ergebnis hindert somit die aufschiebende Wirkung der Klage S 2 (25) KA 175/01 gegen
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22.06.2002 die Antragsgegnerin
daran, gegen laufende Honoraransprüche der antragstellenden Gemeinschaftspraxis
aufzurechnen.
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Ob und inwieweit solche Honoraransprüche im Einzelnen bestehen und in welcher Höhe
die Antragsgegnerin hierauf Abschlags- und Schlusszahlungen geleistet hat, vermochte die
Kammer im Rahmen dieses Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht
abschließend zu beurteilen. Für das Rechtsschutzinteresse der Antragsteller/-innen muss
es jedoch genügen, wenn die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Durchführung der
Abrechnungen dem Grunde nach festgestellt wird.
Die Entscheidung zur Weitergewährung der Vergütungen musste unter den Vorbehalt
gestellt werden, dass nicht durch sozialgerichtlichen Erlass einer einstweiligen Anordnung
(§ 86 b Abs. 2 SGG) oder eine Hauptsacheentscheidung der Rechtsstatus der
Gemeinschaftspraxis mit Wirkung ab dem 1. Quartal 2001 beendet wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183 SGG in
Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in
Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).