Urteil des SozG Düsseldorf vom 10.12.2009

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Sozialgericht Düsseldorf, S 8 KR 7/09
Datum:
10.12.2009
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KR 7/09
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid vom 16.10.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 02.12.2008 wird insoweit aufgehoben, als
Beiträge zur Krankenversi- cherung (53,80 Euro) festgesetzt werden. Der
Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufer-
legt. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Frage der Rechtmäßigkeit der Verbeitragung von einem
Auszahlbetrag einer Lebensversicherung.
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Die 1947 geborene Klägerin ist seit Januar 2003 pflichtversichertes Mitglied der
Beklagten. Sie ist die Witwe des im Mai 2006 verstorbenen Ehemannes I-K X. Für ihren
verstorbenen Ehemann hatte dessen ehemaliger Arbeitgeber im Jahr 1992 eine
Lebensversicherung als Direktversicherung bei der DBV (Deutsche
Beamtenversicherung) abgeschlossen. Nach der Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses führte der Ehemann ab dem 01.02.2001 die
Lebensversicherung in eigenem Namen als Versicherungsnehmer fort. Er setzte sich
selber als Bezugsberechtigten für den Erlebensfall und die Klägerin als
Bezugsberechtigte für den Todesfall ein. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Selbständiger
nahm er im Herbst 2001 bei der E Bank einen Kredit auf und schloss mit der E Bank zur
Sicherung des Kredites einen Abtretungsvertrag über die Ansprüche aus dem bei der
DBV geschlossenen Lebensversicherungsvertrag. Er trat an die E Bank alle künftigen
Rechte und Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag zur Sicherung der
Ansprüche der Bank ab. Etwaige Bezugsrechte wurden, soweit sie den Rechten der
Bank entgegenstanden, für die Dauer dieser Abtretung widerrufen. Die Bank wurde
beauftragt, dem Vorstand der Versicherungsgesellschaft die Abtretung unter Widerruf
etwa bestehender Bezugsrechte, soweit sie den Rechten der Bank entgegenstanden, im
Namen des Sicherungsgebers anzuzeigen. Die Abtretung und der Widerruf der
Bezugsrechte wurden der DBV am 02.11.2001 von der E Bank angezeigt. Die komplette
Versicherungsleistung wurde nach dem Tod des Ehemannes von der DBV vollständig
an die E Bank ausgezahlt.
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Nach dem Tod des Ehemannes erhielt die Beklagte von der DBV die Auskunft, dass die
Versicherungssumme einer Lebens- und Direktversicherung des Ehemannes mit der
Klägerin als Bezugsberechtigter ausgezahlt worden sei und zwar in Höhe von
45.000,00 Euro.
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Die Beklagte erteilte daraufhin gegenüber der Klägerin den Bescheid vom 16.10.2006,
mit dem sie unter Zugrundelegung der ausgezahlten Kapitalleistung für die Zeit ab
01.06.2006 zu leistende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung festsetzte und
zwar unter Zugrundelegung einer monatlichen Bemessungsgrundlage von 376,20 Euro
und einer monatlichen Beitragspflicht in Höhe von 60,20 Euro (Krankenversicherung:
53,80 Euro, Pflegeversicherung: 6,40 Euro).
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, mit dem sie geltend machte,
dass sie aus dem Lebensversicherungsvertrag keinerlei Auszahlung erhalten habe. Der
gesamte Auszahlungsbetrag sei an die E Bank geleistet worden. Darüber hinaus habe
sie auch im Übrigen keinerlei Ansprüche aus dem Vermögen ihres verstorbenen
Ehemannes. Sie habe die Erbschaft ausgeschlagen. Zum Nachweis legte sie
verschiedene Vertragsunterlagen vor. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2008 zurück. Die
Beitragsfestsetzung sei zu Recht erfolgt. Nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zum Versorgungsausgleich (dinglich und schuldrechtlich) seien
auch bei einer schuldrechtlichen Abtretung Beiträge zu erheben.
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Die Klägerin hat gegen die Bescheide Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung der
Beitragsbescheide geltend macht. Unter Einreichung weiterer Unterlagen hat sie
wiederholt geltend gemacht, dass sie aus der Direktversicherung ihres Ehemannes
keinerlei Zahlungen erhalten habe. Die Rechte und Ansprüche aus dem
Lebensversicherungsvertrag hätten zum Todeszeitpunkt ihres Ehemannes allein der E
Bank zugestanden. Sie habe darüber hinaus die Erbschaft ausgeschlagen. Sie habe
auch keinerlei Kenntnis davon gehabt, dass ihr Ehemann sie als Bezugsberechtigte für
den Todesfall eingesetzt hatte. Die Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung ihr
gegenüber werde darin deutlich, dass es bei einer unterstellten Rechtmäßigkeit möglich
sei, dass Dritte zu ihren Lasten ohne ihre Kenntnis Verträge abschließen könnten.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten sich dahingehend
geeinigt, dass eine Überprüfung und Anpassung der festgesetzten
Pflegeversicherungsbeiträge unter Berücksichtigung des rechtskräftigen Abschlusses
über die Bewertung der Krankenversicherungsbeitragsfestsetzung erfolgen wird.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 16.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom
02.12.2008, sofern er die Festsetzung der Beiträge zur Krankenversicherung regelt,
aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für
rechtmäßig.
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Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts die Auskunft der DBV vom
18.06.2009 eingeholt. Zur weiteren Sachdarstellung wird auf diese Auskunft sowie auf
die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze und Unterlagen der Beteiligten und die
beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten einschließlich des dort abgehefteten
Sicherungsvertrages vom 29.10.2001 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind hinsichtlich der Festsetzung von
Beiträgen zur Krankenversicherung rechtswidrig. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für
die Heranziehung der Klägerin zu den festgelegten Krankenversicherungsbeiträgen. §
229 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) bleibt außer Betracht, da die
Klägerin weder Versorgungsbezüge im Sinne des Abs. 1 Satz 1 noch eine nicht
regelmäßig wiederkehrende Leistung im Sinne des Absatz 1 Satz 2 erhalten hat.
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Die Klägerin hat gemäß den von ihr vorgelegten Unterlagen als auch der vom Gericht
eingeholten Auskunft der DBV aus der aus der ehemaligen Direktversicherung
resultierenden Kapitalleistung keine Zahlung erhalten. Ihr stand auch kein
Zahlungsanspruch zu. Im Zeitpunkt des Versicherungsfalls (Tod ihres Ehemannes als
Versicherungsnehmer) war sie auch nicht Bezugsberechtigte. Denn ihr Ehemann hatte
mit seiner Erklärung im Sicherungsvertrag vom 29.10.2001 die Bezugsberechtigung der
Klägerin widerrufen. Dieser Widerruf war der Versicherungsgesellschaft auch von der
Sicherungsnehmerin, der E Bank, angezeigt worden, sowie es die E Bank und der
Ehemann vertraglich vereinbart hatten (im Namen des Ehemannes). Gemäß der
Zusatzerklärung zum ursprünglichen Lebensversicherungsvertrag vom 04.02.1992 war
die Festlegung der bezugsberechtigten Personen auch widerruflich.
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Die Beitragsfestsetzung ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig. Unter
Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagten wird lediglich ergänzend auf
Folgendes hingewiesen:
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Entgegen dem Standpunkt der Beklagten handelt es sich vorliegend auch nicht um
einen dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vergleichbaren Fall. So sind die
Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu Sinn und Zweck dazu, dass im
Rahmen der Beitragsfestsetzung auch im Falle eines schuldrechtlichen
Versorgungsausgleichs oder einer schuldrechtlichen Abtretung das entsprechende
Einkommen dem Inhaber des Stammrechts zuzurechnen ist, vorliegend nicht
einschlägig: Das BSG ist für das Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung
davon ausgegangen, dass die Beitragspflicht grundsätzlich nicht durch Abtretungen von
Ansprüchen, die dem Grunde nach beitragspflichtige Einnahmen sind, beeinflusst wird
(BSG, Urteil vom 28.01.1999 - B 12 KR 24/98 R - SozR 3-2500 § 237 Nr. 7 S. 19 f.; Urteil
vom 21.12.1993 - 12 RK 28/93 - SozR 3-2500 § 237 Nr. 3 S. 5 ff.). Entschieden hat dies
das BSG für Versorgungsbezüge im Sinne des § 229 SGB V. Bei diesen erklärt
allerdings § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 237 Satz 1 Nr. 2 SGB V den "Zahlbetrag" für
maßgebend. Dies ist bereits nach dem Wortsinn nicht der Betrag, den der
Versorgungsberechtigte tatsächlich erhält, sondern derjenige, den der
Versorgungsträger (Zahlstelle) insgesamt zur Erfüllung des Versorgungsanspruchs
auszahlt (BSG, Urteil vom 21.12.1993 - 12 RK 28/93 -, SozR 3-2500 § 237 Nr. 3 S. 6).
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Das BSG ist darüber hinaus aus rechtssystematischen Gründen und mit Blick auf Sinn
und Zweck der Vorschriften über die Beitragsbemessung zu dem Ergebnis gelangt,
dass Abtretungen die Beitragspflicht nicht beeinflussen. Zum einen hat das BSG der
rechtssystematischen Unterscheidung zwischen Abtretungen des Anspruchs auf
Versorgungsleistungen einerseits und Übertragungen der Versorgungsberechtigung als
solcher (des "Stammrechts") andererseits maßgebliche Bedeutung beigemessen. Eine
Abtretung ändere ebenso wenig etwas an der Rechtszuständigkeit für das dem
einzelnen Zahlungsanspruch zugrundeliegende Stammrecht wie eine Pfändung, eine
Aufrechnung, eine Verrechnung oder eine Abzweigung. Dagegen sei bei einer
Übertragung des Stammrechts der frühere Berechtigte von der Einflussnahme auf das
ihm nicht mehr zustehende Stammrecht rechtlich ausgeschlossen. Der Abtretung wohne
im Gegensatz zur endgültig wirkenden Übertragung des Stammrechts auch insofern ein
Element des Vorläufigen inne, als die unverminderte Leistung des Gesamtbetrags an
den Berechtigten wieder einsetze, sobald die Abtretung ihre Wirkung verliert (BSG,
Urteil vom 21.12.1993 - 12 RK 28/93 - SozR 3-2500 § 237 Nr. 3 S. 5). Zum anderen hat
das BSG entscheidend darauf abgestellt, dass das Beitragsrecht der Sozialversicherung
seinem Sinn und Zweck nach eine Beitragsbemessung erfordert, die sich grundsätzlich
an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten orientiert. Ein Anspruch
werde in der Regel abgetreten, um mit den dann erfolgenden Zahlungen eine
Verbindlichkeit gegenüber dem Abtretungsempfänger zu erfüllen; andernfalls handele
es sich um freiwillige Zuwendungen an diesen. Eine Minderung der beitragsrechtlichen
Leistungsfähigkeit trete deswegen jedoch nicht ein, denn entweder werde der
Abtretende von einer Verbindlichkeit befreit, oder er verfüge kraft freiwilligen
Entschlusses über die Verwendung seiner Einkünfte, was die Beitragsbemessung
ebenfalls nicht beeinflussen könne (BSG, Urteil vom 21.12.1993 - 12 RK 28/93 - SozR
3-2500 § 237 Nr. 3 S. 9).
Diese Erwägungen können auf die vorliegende Fallkonstellation nicht angewendet oder
übertragen werden. Denn der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von den von
der Beklagten herangezogenen Vergleichsfällen des schuldrechtlichen
Versorgungsausgleichs oder auch von dem vom Sächsischen Landessozialgericht
entschiedenen Fall (Urteil vom 07.01.2009 - L 1 KR 31/08 - anhängige Revision: B 12
KR 4/09 R) ganz wesentlich dadurch, dass die Klägerin vorliegend zu keinem Zeitpunkt
Inhaberin des Stammrechts aus dem Lebensversicherungsvertrag gewesen ist. Für eine
lediglich Bezugsberechtigte sind die Ausführungen zur Abgrenzung einer Übertragung
eines Stammrechtes und von einer Übertragung von aus dem Stammrecht
resultierenden Ansprüchen nicht einschlägig. Anders als in dem vom Sächsischen
Landessozialgericht entschiedenen Fall resultierte für die Klägerin aus der von ihrem
Ehemann vorgenommenen Abtretung auch kein Vermögensvorteil. Vielmehr weist die
Klägerin zu Recht darauf hin, dass es nicht in ihrer Macht stand, auf die zwischen Dritten
geschlossenen Vereinbarungen und die für sie hieraus resultierenden Rechtsfolgen
Einfluss zu nehmen und dies nicht nur aufgrund ihrer Unkenntnis über die
Vertragsgestaltung (Einsetzen als Bezugsberechtigte). Auch zum Zeitpunkt des Eintritts
des Versicherungsfalls hatte sie aufgrund der erfolgten Abtretung der Ansprüche aus
dem Lebensversicherungsvertrag keine rechtliche Möglichkeit, die Auszahlung
abzulehnen und damit eine Beitragslast abzuwenden. Mit der beitragsrechtlichen
Handhabung der Beklagten hätten es Sicherungsgeber in der Hand, irgendwelche dritte
- ihnen ggf. nicht gewogene - Personen, durch die Einsetzung als Bezugsberechtigte bei
einem gleichzeitigen Ausschluss eines Vermögenszuwachses (Abtretung) mit einer
zukünftigen Beitragslast ausschließlich zu schädigen, ohne dass diese etwas dagegen
unternehmen können.
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Unter Berücksichtigung der Rechtswidrigkeit der Beitragsfestsetzung aus den
dargelegten Gründen kann dahingestellt bleiben, ob darüber hinaus die
Beitragsfestsetzung aus dem Gesichtspunkt heraus zum Teil rechtswidrig ist, dass sie
unter Zugrundelegung auch des Anteils der Kapitalleistung erfolgte, der auf den
Beitragszahlungen des Ehemannes in seiner Eigenschaft als Versicherungsnehmer (ab
01.02.2001) beruhte (vgl. Urteil der 8. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf vom
18.09.2008 - S 8 KR 82/05 -, juris.de, und anhängiges Verfahren beim
Bundesverfassungsgericht - B 1 BvR 739/08 -).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Sprungrevision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Bewertung der hier
vorliegenden (Einzel-) Fallvariante zuzulassen.
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