Urteil des SozG Dresden vom 11.11.2009

SozG Dresden: freiwillige versicherung, satzung, unternehmer, rechtsgrundlage, unfallversicherung, unternehmen, beendigung, genehmigung, versicherungsschutz, kündigung

Sozialgericht Dresden
Gerichtsbescheid vom 11.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 7 U 219/09
Sächsisches Landessozialgericht L 2 U 245/09
I. Der Versicherungsschein der Beklagten vom 22.10.2008 sowie der Abfindungsbescheid vom 28.03.2009 und der
Bescheid über die Beendigung der freiwilligen Versicherung vom 28.03.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30.07.2009 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Inhaberin des Restaurants und Hotels "W." und war entsprechend der bis zum 31.12.2007 geltenden
gesetzlichen Regelung als Unternehmerin in der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Beklagten pflichtversichert.
Nach dem Ende der gesetzlichen Pflichtversicherungszeit übersandte die Beklagte der Klägerin den als
Versicherungsschein bezeichneten Bescheid vom 22.10.2008, in dem sie die Überführung der vormals als
Pflichtversicherung für Unternehmer geführte Versicherung in eine freiwillige Versicherung mitteilte. Hiergegen legte
die Klägerin am 05.11.2008 Widerspruch ein und kündigte vorsorglich mit sofortiger Wirkung die freiwillige
Versicherung bei der Beklagten. Hierauf antwortete die Beklagte mit dem Bescheid vom 28.03.2009 über die
Beendigung der freiwilligen Versicherung und im Abfindungsbescheid für die freiwillige Versicherung für das Jahr 2008,
wonach die Klägerin mit einer Versicherungssumme von 24.000,00 EUR ab 01.01.2008 bei der Beklagten nach dem
Versicherungsschein vom 22.10.2008 freiwillig versichert werden sollte gegen einen Betrag von 531,65 EUR. Mit dem
Bescheid über die Beendigung der freiwilligen Versicherung zum 30.11.2008 vom 28.03.2009 teilte die Beklagte
gleichzeitig mit dem Abfindungsbescheid unter dem gleichen Datum der Klägerin den Abfindungsbetrag von 487,34
EUR bei einer jährlichen Versicherungssumme von 24.000,00 EUR und einer anteiligen Versicherungssumme von
22.000,00 EUR mit.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2009 entschied die Beklagte über die Widersprüche zum Versicherungsschein,
zum Beitragsbescheid und zum Bescheid über die freiwillige Versicherung, indem sie der Klägerin mitteilte, dass der
von ihr verfügte Übergang einer Pflichtversicherung in eine freiwillige Versicherung nach der maßgeblichen Rechtslage
rechtmäßig ist. Auf die Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen. Die Widersprüche wurden somit
zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 13. August 2009 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben und am 09.09.2009
einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz diesbezüglich gestellt (Az. S 7 U 246/09 ER).
Die Klägerin beantragt,
1. der Bescheid der Beklagten vom 22.10.2008, AZ: ..., bezeichnet als "Versicherungsschein", sowie der Bescheid
der Beklagten vom 28.03.2009, AZ:., bezeichnet als "Abfindungsbescheid für ihre freiwillige Versicherung für das Jahr
2008", sowie der Bescheid der Beklagten vom 28.03.2009, AZ: , bezeichnet als "Beendigung der freiwilligen
Versicherung", in deren jeweiliger Form durch den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30.07.2009, AZ: ...
werden aufgehoben.
2. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin im Widerspruchsverfahren entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von
70,20 EUR netto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.05.2008,
hilfsweise mindestens seit Rechtshängigkeit, zu erstatten.
Hilfsweise: die angefochtenen Bescheide zumindest soweit aufzuheben, wie diese über eine freiwillige Mitgliedschaft
und eine Zahlungsverpflichtung für lediglich den Monat Januar 2008, d.h. in Höhe eines Beitrages von maximal 44,30
EUR hinausgehen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens und hat die Kosten der Klägerin zu erstatten.
Zur Begründung wird Bezug genommen auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze des Klägervertreters.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die bereits im Widerspruchsbescheid genannten Gründe und ergänzend auf die
schriftsätzlichen Äußerungen im Klageverfahren.
Der Kammer lag neben der Prozessakte die Verwaltungsakte der Beklagten vor.
Die Beteiligten sind zur Absicht des Gerichtes, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid
zu entscheiden, angehört worden.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105
Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist und keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist; die Be-teiligten sind hier zuvor angehört worden.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin daher in ihren Rechten. Sie waren folglich
aufzuheben. Für die Überführung der Pflichtversicherung der Unternehmer kraft Satzungsrecht in eine freiwillige
Versicherung ohne Antrag des Unter-nehmers, alleine durch Stillschweigen auf eine Ankündigung der Beklagten hin
mit Fristablauf zum 31.12.2007, entbehrt einer Rechtsgrundlage im Siebenten Sozialgesetzbuch. Mithin verstößt § 50
Abs. 2 der Satzung der Beklagten gegen höherrangiges Recht und dient nicht als Rechtsgrundlage für den getroffenen
Verfügungssatz im Versicherungsschein und auch nicht als Grundlage für die Feststellung einer Beitragspflicht der
Klägerin.
Rechtsgrundlage für die Feststellung, ob ein Unternehmer freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert
ist, ist grundsätzlich § 6 SGB VII. Hiernach gilt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII, dass auf schriftlichen Antrag sich
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten versichern können. Gemäß Abs. 2 beginnt die
Versicherung mit dem Tag, der dem Eingang des Antrages folgt.
Gemäß § 3 SGB VII kann die Satzung einer Berufsgenossenschaft bestimmen, dass und unter welchen
Voraussetzungen sich die Versicherung auch auf Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten
oder Lebenspartner erstreckt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII stellt eine Besonderheit der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne einer
Pflichtversicherung kraft Satzung dar und begründet einen mittelbaren Versicherungszwang, indem er die
Ermächtigung zur Unternehmerpflichtversicherung durch Satzung einräumt. Damit ist der
Selbstverwaltungskörperschaft die Entscheidung überlassen, ob die bei ihnen erfassten Unternehmerkreise eines
hoheitlich angeordneten Versicherungsschutzes bedürfen.
Das Sozialversicherungsrecht kennt, wenn auch nur bereichsspezifisch, neben der Pflichtversicherung zusätzlich die
Versicherungsberechtigung. Nach § 6 Abs. 1 SGB VIII können sich Unternehmer und die im Unternehmen
mitarbeitenden Ehegatten und unternehmerähnlichen Personen in der gesetzlichen Unfallversicherung auf Antrag
versichern. Die gesetzlichen Merkmale sind in diesem Fall primär nicht rechtsbegründend, sondern rechtsbegrenzend:
Der Versicherungsschutz wird erst durch die Willenserklärung, vom Antrags-recht Gebrauch machen zu wollen,
ausgelöst, jedoch nur in den gesetzlichen Grenzen (BSGE 50, 1680).
Die freiwillige Versicherung nach § 6 SGB VII kommt grundsätzlich nur dann zum Tragen, wenn nicht schon eine
Versicherungspflicht kraft Gesetzes gemäß § 3 SGB VII greift.
Festzustellen war hier, ob mit Wirkung zum 01.01.2008 eine Versicherung kraft Satzung gemäß § 3 SGB VII in
Verbindung mit der Satzung der Beklagten einen Versicherungsschutz zugunsten der Klägerin begründete.
Dem war jedoch nicht so; bis zum 31.12.2007 standen bei der beklagten Berufsgenossenschaft auch Unternehmer
und deren im Unternehmen ohne Beschäftigungsverhältnis mittätigenden Ehegatten kraft Satzung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1
SGB VII i.V.m. § 43 Abs. 1 der Satzung in der Fassung des 8. Nachtrags vom 31.08.2006) obligatorisch unter dem
Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, ohne dass es eines Antrages dafür bedurft hätte.
Seit dem 01.01.2008 kann sich diese Personengruppe nun freiwillig bei der beklagten BG gegen die Folgen von
Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten absichern (§ 6 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 49 der Satzung in der Fassung des 9.
Nachtrages vom 28.06.2007). Der Ent-schluss der Selbstverwaltung der beklagten BG fiel vor dem Hintergrund der
seit Jahren andauernden Diskussion um die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Unternehmer und die Planungen
des Gesetzgebers zu generellen Abschaffen der Pflichtversicherung.
Nachdem die Klägerin nun mit Wirkung zum 01.01.2008 bei der Beklagten nicht gemäß § 3 SGB VII i.V.m. § 43 Abs.
1 der Satzung der Beklagten gesetzlich pflichtversichert gewesen ist, kam für sie ab 01.01.2008 gemäß § 6 SGB VII
nur eine freiwillige Versicherung auf Antrag gemäß Ziffer 1. der genannten Norm in Betracht.
Demgegenüber sah die Satzung der Beklagten mit Wirkung vom 01.01.2008 vor, dass die bei der Beklagten am
31.12.2007 satzungsgemäß pflichtversichert gewesenen Mitglieder weiterversichert wurden, wenn diese nicht oder
nicht fristgerecht einer freiwilligen Wei-terversicherung widersprochen hatten. Sie wurden zum 01.01.2008 mit ihrer
bisherigen Versicherungssumme in die freiwillige Versicherung überführt, § 50 Abs. 2 der Satzung in der Fassung des
9. Nachtrages vom 28.06.2007. Soweit die Versicherungssumme der bisherigen satzungsmäßigen Versicherung
niedriger als die ab 01.01.2008 gültige Mindestversicherungssumme war, wurde sie auf diese erhöht, § 50 Abs. 2 der
Satzung der Beklagten.
Die Beklagte macht geltend, die Annahme einer Zustimmung zur Fortführung als freiwillige Versicherung bei
ausbleibendem Widerspruch bzw. Kündigung zum Schutze der Unternehmen gewählt zu haben, um Lücken des
Versicherungsschutzes derer zu vermeiden, die auf diesen vertraut hätten. Die Klägerin habe auch einer Überführung
der satzungsmäßigen Unternehmerversicherung in die freiwillige Versicherung nicht widersprochen. Deshalb sei für sie
eine freiwillige Versicherung mit der Versicherungssumme von der Mindesthöhe von 24.000,00 EUR ab 01.01.2008
eingetragen worden.
Unabhängig von den von der Beklagten durchgeführten Informationen zur Änderung des Satzungsrechtes und den
Möglichkeiten der Klägerin, dem zu widersprechen bzw. fristgerecht zu kündigen, ist jedoch festzustellen, dass die
Beklagte von Gesetzes wegen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII nicht berechtigt und befugt gewesen ist, in ihrem
Satzungsrecht eine freiwillige Versicherung ohne die Erforderlichkeit eines schriftlichen Antrages einzuräumen, da
insoweit das Satzungsrecht nicht deckungsgleich mit der Rechtsgrundlage gemäß § 6 SGB VII i.V.m. § 135 Abs. 3
SGB VII ist. Aufgrund der fehlenden Rechtsgrundlage entbehrt der hier angegriffene Bescheid der Rechtmäßigkeit und
war somit aufzuheben.
Dem steht auch nicht die vom Bundesversicherungsamt erteilte Genehmigung der Satzung entgegen. Diese stützt
sich in erster Linie auf den vom Bundesversicherungsamt selbst im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Dresden
mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2009 do-kumentierten sozialen Schutzgedanken, der sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 3 SGB
VII ergibt. Zutreffend ist hiernach, dass die Ermessensausübung über die Abschaffung einer
Unternehmerpflichtversicherung, wie vom Bundesversicherungsamt dargestellt, unter Berücksichtigung des sozialen
Schutzbedürfnisses des betroffenen Personenkreises erfolgen müsse. Dies betrifft sowohl das Ob gegebenenfalls
auch das Wie im Hinblick auf eine hier zu treffende Entscheidung, muss sich jedoch in jedem Fall an übergeordneten,
d. h. höherrangigen Recht orientieren. Somit ist entgegen der Betrachtungsweise des Bundesversiche-rungsamtes die
ausschließlich am Schutzgedanken zugunsten der Versicherten ausgerichtete Vorgehensweise zu beanstanden, da
ihr gerade die gesetzliche Grundlage fehlt.
Nicht zutreffend ist auch eine Auslegung des § 6 Abs. 1 SGB VII, wonach ein Antrag nur dann erforderlich ist, wenn
ein bislang nicht Versicherter in den Kreis der freiwilligen Versicherung eintritt.
Vielmehr ist es so, dass die Versicherung kraft Gesetzes bzw. kraft Satzung im Sinne einer Pflichtversicherung
Vorrang vor einer freiwilligen Versicherung hat. Dennoch ist zum Zeitpunkt der Feststellung des
Versicherungsschutzes einer freiwilligen Versicherung zu prüfen, ob der Versicherte zu diesem Zeitpunkt schon bzw.
noch zum versicherten Personenkreis gemäß § 3 SGB VII gehörte.
Dem steht auch nicht, wie von der Beklagten geschildert, entgegen, dass bei der Einführung des Siebenten
Sozialgesetzbuches/Unfallversicherung vom Gesetzgeber selbst die Weitergeltung des Versicherungsschutzes für
bestimmte Unternehmer in den Übergangsvorschriften des § 213 SGB VII geregelt wurde. In § 213 SGB VII wird der
bis zum 31. Dezember 1996 bestehende Unfallversicherungsschutz nach § 1149 RVO zum 01. Januar 1997 ohne
besonderen Antrag in eine freiwillige Versicherung im Sinne des § 6 SGB VII umgewandelt.
Zu beachten ist jedoch, dass hier jeweils der Gesetzgeber selbst die Überführung einer Pflichtversicherung in eine
freiwillige Versicherung in einer besonderen Überleitungsvorschrift geregelt hat, zu der es zwar ebenfalls keines
Antrags bedurfte, die jedoch auch umgehend kündbar war. Entscheidend ist hier, dass der parlamentarisch legitimierte
Gesetzgeber selbst die maßgebliche Regelung getroffen hat und eine solche für die Satzungsregelung des § 50 Abs.
2 der Satzung der Beklagten fehlt. Der Gesetzgeber hat hier keine Er-mächtigungsgrundlage für die Schaffung einer
derartigen Rechtsnorm geschaffen. Diese wird auch nicht dadurch ersetzt, dass die Satzung nach § 114 Abs. 2 Satz
1 SGB VII durch das Bundesversicherungsamt genehmigt wurde. Die Genehmigung der Satzung durch das
Bundesversicherungsamt ersetzt nicht die fehlende Rechtsgrundlage für die Schaffung des Satzungsrechtes nach § 6
SGB VII im Rahmen einer freiwilligen Versicherung ohne Antragserfordernis. Die Genehmigung des
Bundesversicherungsamtes setzt eine gültige Satzung voraus, macht eine ungültige aber nicht wirksam.
Die hier getroffene Entscheidung steht auch nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des Sozialgerichtes Lübeck,
welche von der Beklagten zitiert wird (S 20 U 87/09 ER), da der Sachverhalt sich hier insoweit grundlegend
unterscheidet, weil in der dortigen Entscheidung der Versicherungsschein-Bescheid bestandskräftig geworden war.
Der rechtlichen Konstruktion der 5. Kammer des Sozialgerichts Dresden zum Aktenzeichen S 5 U 263/09 ER, wonach
es eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs und der Erfüllung der dortigen Voraussetzung bezüglich eines
Anspruchs auf Aufhebung der ange-fochtenen Beitragsbescheide bedürfe, schließt sich die Kammer nicht an. Diese
Rechtsansicht wird nicht geteilt.
Nachdem bereits der Versicherungsschein rechtswidrig ist, sind auch die auf ihm fußenden Beitragsbescheide, die
hier angefochten sind, rechtswidrig und daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.