Urteil des SozG Dresden vom 23.10.2009

SozG Dresden: anrechenbares einkommen, nachtarbeit, erwerbstätigkeit, schichtarbeit, zulage, anteil, verfügung, miete, wechsel, rechtsgrundlage

Sozialgericht Dresden
Urteil vom 23.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 6 AS 2326/07
1. Der Bescheid vom 20.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2007 wird aufgehoben, soweit
die Rückforderung für Dezember 2005 den Betrag von 56,20 EUR und für Januar 2006 den Betrag von 66,04 EUR
über-steigt.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen Auslagen der Klägerin.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung gewährter steuerfreier Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- u. Nachtarbeit
auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II. Die erwerbsfähige, am 1972 geborene Klägerin lebt gemeinsam
mit ihrem am 1974 geborenen, erwerbsfähigen Lebensgefährten und den am 1993 und 2005 geborenen Kindern in
einer Mietwohnung in Dresden. Nur das am 2005 geborene Kind ist ein gemeinsames Kind der Klägerin und deren
Lebensgefährten. Für die Kinder erhielt die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich je 154,00 EUR
Kindergeld. Der Lebensgefährte bezog Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit. Für die Wohnung fallen monatliche
Kosten in Höhe von 378,36 EUR Kaltmiete zuzüglich jeweils 40,90 EUR Vorauszahlungen auf Heizkosten und kalte
Betriebskosten an. Mit Bescheid vom 30.08.2005 wurden der Klägerin und den mit ihr im Haushalt lebenden Personen
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für August 2005 in Höhe von 109,06 EUR und für September 2005 bis
Januar 2006 in Höhe von monatlich 430,06 EUR bewilligt, wobei der auf die Klägerin im Dezember 2005 und Januar
2006 entfallende Anteil 155,56 EUR betrug. Am 15.11.2005 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ihr
Lebensgefährte seit dem 16.10.2005 eine neue Arbeitsstelle hat. Er ist im Schichtbetrieb tätig (rollende Woche). Die
erste Lohnzahlung aus dem neuen Beschäftigungsverhältnis erfolgte am 10.11.2005. Aus dem alten und dem neuen
Beschäftigungsverhältnis bezog der Lebensgefährte folgende Einkommen (Zuflusszeitpunkt):
November 2005 792,00 EUR brutto (553,28 EUR netto) und 2512,68 EUR brutto (1625,21 EUR netto) Dezember 2005
1780,50 EUR brutto (1306,11 EUR netto); darin enthalten 243,45 EUR steuerfreie Zulage für Sonntags-, Feiertags- u.
Schichtarbeit Januar 2006 1971,05 EUR brutto (1433,63 EUR netto); darin enthalten 317,70 EUR steuerfreie Zulage
für Sonntags-, Feiertags- u. Schichtarbeit Mit Aufhebungs-u. Erstattungsbescheid vom 20.01.2006 hob die Beklagte
den Bewilli-gungsbescheid vom 30.08.2005 für November 2005 ganz und ab Dezember 2005 teilweise auf und forderte
von der Klägerin den Betrag von 1282,96 EUR zurück. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 25.01.2006
Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2007 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und
setze den Rückforderungsbetrag auf 291,21 EUR gegenüber der Klägerin fest. Im Übrigen wies sie den Widerspruch
als unbegründet zurück. Am 08.08.2007 erhob die Klägerin Klage zu Sozialgericht Dresden. Sie will erreichen, dass
die steuerfreien Zulagen für Wochenend-, Feiertags- u. Schichtdienste des Lebensgefährten anrechnungsfrei bleiben.
Diesen gewährten Zulagen stehen nicht bezifferbare Mehraufwendungen des Lebensgefährten für die Erzielung des
Einkommens gegenüber. So sei es ihm während dieser Zeit nicht möglich gemeinsam mit der Familie Speisen
einzunehmen und er müsse sich selbst zusätzlich versorgen. Auch das Heizverhalten sei deswegen anders, da
immer der Schichtdienst berücksichtigt werden müsse. Bei den Zuschlägen handelt es sich um zweckbestimmte
Einnahmen gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Diese können nicht als Einkommen angerechnet werden. Zuschläge
sind als zweckbestimmt anzusehen, soweit sie nach § 3b Abs. 1 EStG steuerfrei sind. Zweckbestimmt im Sinne des
§ 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II ist eine Leistung dann, wenn ihr eine bestimmte, vom Gesetzgeber erkennbar gebilligte
Zweckrichtung zu eigen ist, die nicht in der Bestreitung des Lebensunterhalts besteht, sodass sie verfehlt würde,
wenn der Empfänger sie über den Weg der Einkommensanrechnung hierzu verwenden müsste und dadurch ge-hindert
wäre, sie ihrer eigentlichen Bestimmung zufließen zu lassen. Schichtarbeit ist für den Arbeitnehmer anstrengender
und mit erhöhtem Verpflegungsaufwand verbunden. Die Zulagen seien vergleichbar mit Zulagen für
Verpflegungsmehraufwand. Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2007 dahingehend
abzuändern, dass die Aufrechnung für die Monate Dezember 2005 und Januar 2006 ohne Anrechnung der gezahlten
steuerfreien Schichtzulagen erfolgt.
Der Beklagtenvertreter beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass zweckbestimmte Einnahmen, die dem gleichen Zweck wie das Arbeitslosengeld II/
Sozialgeld dienen, grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen sind. Hierzu gehören entgegen der Ansicht der
Klägerin zum Beispiel steuerfrei geleistete Nacht-, Sonntags- oder Feiertagszuschläge. Soweit diese zweckbestimmt
sind, weil damit zum Beispiel Verpflegungsmehraufwendungen wegen eines Dienstes zu ungünstigen Zeiten
abgedeckt werden sollen, rechtfertigt dies nicht eine ungeminderte ALG II-Zahlung. Allenfalls könnten höhere
Aufwendungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II in Ansatz gebracht werden. Solche wurden aber nicht
nachgewiesen.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf deren Inhalt und
den Inhalt der Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Klage ist begründet. Der Aufhebungs- u. Erstattungsbescheid vom 20.01.2006 in Gestalt des
Widerspruchbe-scheides vom 06.07.2007 ist im Tenor benannten Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten. Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 30.08.2005 für die Monate
Dezember 2005 und Januar 2006 ist § 40 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
SGB X. Der Lebensgefährte der Klägerin hat nach seinem Wechsel des Arbeitgebers und nach erfolgter Bewilligung
der Leistungen für Dezember 2005 und Januar 2006 Einkommen erzielt, dass den Anspruch mindert oder entfallen
lässt. Zu Unrecht geht die Beklagte in ihrer Berechnung aber davon aus, dass die gewährten Zuschläge für Sonntags-,
Feiertags- u. Nachtarbeit anrechenbares Einkommen sind. Bei den dem Lebensgefährten der Klägerin steuerfrei
gewährten Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- u. Nachtarbeit handelt es sich im Umfang der steuerfreien
Gewährung um zweckbestimmte Einnahmen im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, sodass eine Anrechnung auf
gewährtes Arbeitslosengeld II nicht erfolgen kann. Eine zweckbestimmte Leistung liegt im Allgemeinen dann vor,
wenn ihr eine bestimmte, entweder vom Gesetzgeber oder vom Leistungserbringer erkennbar gebilligte Zweckrichtung
zu Eigen ist, die im Falle der Anrechnung vereitelt würde. Allerdings ist die Bezeichnung "zweckbestimmt" nicht so
eng auszulegen, dass darunter lediglich solche Leistungen zu verstehen wären, die der Empfänger nur zu dem im
Gesetz oder in einer Vereinbarung vorgesehenen Zweck verwenden darf und bei denen der Leistende ein Kontrollrecht
oder einen Einfluss auf die Verwendung hat. Vielmehr fallen darunter auch solche Beträge, die aus einem bestimmten
Anlass und in einer bestimmten Erwartung gegeben werden und die der Empfänger im Allgemeinen für den
bestimmten Zweck verwenden wird, ohne dass er jedoch dazu angehalten werden könnte. So ist es bei den gewährten
Zuschlägen. Die steuerfreien Zuschläge werden, neben der Anreizfunktion auch zu Unzeiten einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen, auch gewährt, um Mehraufwendungen auszugleichen, welche nur deswegen entstehen, dass einer
Tätigkeit zu diesen Zeiten nachgegangen wird. Eine Erwerbstätigkeit an Wochenenden und Feiertagen bzw. zur
Nachtzeit ist zwangsläufig mit Mehraufwendungen verbunden. Zu diesen Zeiten stehen beispielsweise
Beschaffungsmöglichkeiten von Lebensmitteln in Supermärkten etc. nur eingeschränkt zur Verfügung. Ebenso sind
Beschränkungen im Heizverhalten nur eingeschränkt möglich. Darüber hinaus ist es im konkreten Fall dem
Lebensgefährten nicht möglich an Einsparmöglichkeiten die aus dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft resultieren
in dem Umfang zu partizipieren, die der Gesetzgeber vermutet und aus diesem Grund den Regelsatz um 10 von
Hundert mindert. Es ist nach Auffassung der Kammer widersprüchlich, wenn die Klägerin und ihr Lebensgefährte jeder
nur Anspruch auf 90 von Hundert des Regelsatzes haben, da gesetzlich vermutet wird das sie von einem
gemeinsamen Wirtschaften profitieren. Andererseits aber Zahlungen auf das Einkommen angerechnet werden sollen,
die als Ausgleich dafür erfolgen, dass ein solches gemeinsames Wirtschaften nicht oder nur eingeschränkt möglich
ist. Eine Bezifferung des entstandenen Mehraufwandes ist gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II nicht notwendig. Dies
folgt bereits aus dem Wortlauf, welcher allein auf die Zweckbin-dung, nicht auf die Zweckverwendung abstellt. Aus
demselben Grund kommt auch eine Anrechnung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a. E. SGB II nicht in Betracht. Die Zahlung
der Zuschläge stellt den Lebensgefährten und die Bedarfsgemeinschaft insgesamt nicht besser, dass Leistungen
nach dem SGB II daneben nicht ge-rechtfertigt sind. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob § 11 Abs. 3 Nr. 1 a. E.
SGB II überhaupt einen anerkennenswerten Regelungszweck hat, da der Nichtberücksichtigung zweckgebundener
Einnahmen eine Besserstellung des Leistungsempfängers immanent ist. Ohne Berücksichtigung der Zuschläge für
Sonntags-, Feiertags- u. Nachtarbeit erzielte der Lebensgefährte folgendes Einkommen (Zuflussmonat):
brutto netto Dezember 05 1537,05 EUR 1062,66 EUR Januar 06 1653,35 EUR 1115,93 EUR
Dieses erzielte Einkommen ist gemäß den §§ 11 Abs. 2 i. V. m. § 30 SGB II zu bereinigen, sodass sich für
Dezember 2005 ein anrechenbares Einkommen von 752,66 EUR und im Januar 2006 ein solches von 805,93 EUR
ergibt. Das Einkommen verteilt sich gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II in der bis 31.07.2006 gültigen Fassung auf die
Klägerin, deren Lebenspartner und das gemeinsame Kind. Als weiteres Einkommen standen 308,00 EUR staatliches
Kindergeld zur Verfügung, welches gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II auf den Bedarf der minderjährigen Kinder
anzurechnen ist. Dem Einkommen der Bedarfsgemeinschaft steht ein Bedarf von 1436,26 EUR gegenüber, welcher
sich errechnet aus 2-298,00 EUR (90% Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II(Ost) zuzüglich 2-199,00 EUR
Sozialgeld nach § 28 SGB II (Ost) zuzüglich 378,36 EUR Miete zuzüglich 40,90 EUR Betriebskostenvorauszahlung
zuzüglich 40,90 EUR Heizkostenvorauszahlung abzüglich 17,90 EUR Warmwasserpauschale = 1436,26 EUR.
Insgesamt errechnet sich für die Bedarfsgemeinschaft ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 357,70 EUR im Dezember
2005 und 322,33 EUR im Januar 2006. Der auf die Klägerin entfallende, gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II
individualisierte Bedarf beträgt im Dezember 2005 92,42 EUR und im Januar 2006 70,05 EUR. Demgegenüber waren
der Klägerin individualisiert tatsächlich im Dezember 2005 und Januar 2006 155,56 EUR bewilligt und ausgezahlt
worden.
Gemäß § 50 SGB X sind überzahlte Beträge zu erstatten, wobei gemäß § 40 Abs. 2 SGB II a. F. auf die Kosten der
Unterkunft (ohne Heizkosten) entfallende Kosten nur mit einem Anteil von 44 von Hundert zurückverlangt werden
können. Daraus errechnet sich für die Klägerin ein für Dezember 2005 zu erstattender Betrag von 56,20 EUR und für
Januar 2006 von 66,04 EUR. Der Aufhebungs- u. Erstattungsbescheid war daher im diese Überzahlung
übersteigenden Umfang aufzuheben.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
III. Die Berufung war zuzulassen, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die Frage, in welchem Umfang steuerfreie Zuschläge für
Sonntags-, Feiertags- u. Nachtarbeit bei der Feststellung anrechenbaren Einkommens zu berücksichtigen sind, ist
soweit ersichtliche obergerichtlich nicht geklärt. Der Frage kommt über den Einzelfall hinaus grundsätzliche
Bedeutung zu.