Urteil des SozG Dresden vom 23.09.2009

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Sozialgericht Dresden
Urteil vom 23.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Dresden S 25 KR 603/08
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch darauf hat, über eine bestimmte Firma mit Hilfsmitteln
der aufsaugenden Inkontinenz versorgt zu werden.
Die am 1967 geborene Klägerin ist auf Hilfsmittel der aufsaugenden Inkontinenz angewiesen. Seit 2004 wurde die
Klägerin auf Grund ärztlicher Verordnungen mit Hilfsmitteln der aufsaugenden Inkontinenz durch die Firma ihrer Mutter
und ihres Ehemannes, dem Sanitätshaus S., versorgt.
Die Beklagte hat die Versorgung mit Hilfsmitteln der aufsaugenden Inkontinenz PG 15 ausgeschrieben.
Ausschreibungsgewinner ist die Firma M ... Mit Schreiben vom 25.02.2008 und 10.03.2008 informierte die Beklagte
die Klägerin darüber, dass die Versorgung mit Inkontinenzhilfmitteln ab dem 01.04.2008 über die Firma M. erfolgen
werde. Sie bat die Klägerin, einen beiliegenden Fragebogen auszufüllen, damit sie übergangslos mit
Inkontinenzhilfsmitteln versorgt werden könne.
Mit Schreiben vom 17.03.2008 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass für sie persönlich der Anbieter vor Ort sehr
wichtig sei, der sie bei ihrem Anliegen berate und bei Fragen und Problemen möglichst schnell helfen könne, was sie
bei einem Anbieter außerhalb der Wohnortnähe in Frage stelle. Sie frage sich auch, wie günstigere Preise bei gleicher
Qualität ausgehandelt haben werden können. Bei Beratung, Qualität, Lieferung, Service und großer Entfernung bleibe
irgendetwas auf der Strecke. Der Fragebogen gehe ihr zu weit in die Privatsphäre, so dass sie keine Auskunft erteilen
werde. Mit Schreiben vom 16.04.2008 und 13.05.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr ab dem 01.04.2008
eine Kostenübernahme bei einem anderen Leistungserbringer als dem Ausschreibungsgewinner nicht möglich sei. Der
Vertrag mit der Firma M. regele die Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfsmitteln im ambulanten Bereich
einschließlich aller damit im Zusammenhang stehenden Dienst- und Serviceleistungen. Es gebe aufsaugende
Inkontinenzhilfsmitteln von verschiedenen Herstellern, die jedoch alle die Qualitätskriterien des
Hilfsmittelverzeichnisses erfüllen müssten. Die gewohnte hohe Qualität bleibe auch weiterhin uneingeschränkt
bestehen. Der neue Vertragspartner sei nicht verpflichtet, vorrangig die bisherigen Produkte zu liefern, sondern könne
den Versicherten Alternativprodukte anderer Hersteller in gleich hoher Qualität anbieten. Der Vertragspartner stelle
sicher, dass für die Information bzw. Beratung des Versicherten ein Bestand an gängigen Mustern vorgehalten werde.
Entscheide sich der Versicherte für diese Alternativprodukte, dürfe ein Eigenanteil grundsätzlich nicht erhoben
werden. Werde trotz Beratung über eine eigenanteilsfreie Versorgung ausdrücklich höherwertige Artikel gewünscht,
könne der neue Vertragspartner eine Aufzahlung vom Versicherten verlangen. Versicherte könnten einen anderen
Leistungserbringer nur dann wählen, wenn ein berechtigtes Interesse bestünde. Nach eingehender Prüfung könne ein
solches berechtigtes Interesse nicht erkannt werden.
Mit ihrem Widerspruch vom 18.07.2008 wies die Klägerin auf die bestehenden Übergangsvorschriften hin. Darüber
hinaus habe sie aus den bereits erwähnten Gründen ein berechtigtes Interesse, den Leistungserbringer ihrer Wahl
selbst zu wählen. Da ihr Ehemann Miteigentümer des S. sei, werde sie über die genannte Firma die bestmögliche
Versorgung erhalten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2008 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die
Übergangsregelung des § 126 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) komme bei einer erfolgten
Ausschreibung nicht zur Anwendung. Ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V sei in den
Fällen denkbar, in denen eine langjährige Betreuung durch einen bestimmten Leistungserbringer stattgefunden habe.
Allerdings habe der Versicherte nur dann ein berechtigtes Interesse, wenn der Leistungserbringer bei dem speziellen
Krankheitsbild des Versicherten besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse erlangt habe, die ihn zur Vornahme der
notwendigen Versorgung prädestinieren. Im Falle der Klägerin sei ein berechtigtes Interesse zu verneinen.
Am 28.02.2009 endete die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten. In dem Zeitraum vom 11.08.2008 bis
28.02.2009 sind ihr durch die Versorgung mit Hilfsmitteln der aufsaugenden Inkontinenz durch das Sanitätshaus S.
insgesamt 110,40 EUR entstanden.
Am 20.11.2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Der Widerspruchsbescheid vom 13.10.2008 sei ihr am 20.10.2008
zugegangen. Sie habe sich im Oktober 2008 im Urlaub befunden und ihre Mutter, Frau M., habe täglich den
Briefkasten geleert. Erst am Abend des 20.10.2008, einem Montag, habe sie den Posteinwurf mit dem
Widerspruchsbescheid der Beklagten festgestellt. In der Sache trägt die Klägerin vor, dass sie auf Grund ihrer
Erkrankung Inkontinenzhilfsmittel mit besonders starker Saugleistung benötige und dass sie ausschließlich von der
Firma ihres Mannes mit Hilfsmitteln versorgt werden wolle. Nur so sei sichergestellt, dass die großen Kartons diskret,
ohne dass die Nachbarschaft über die Windellieferung Kenntnis erhalte, zugestellt werden könnten. Ein Schaden zu
Lasten der Versichertengemeinschaft sei nicht festzustellen, da etwaige Mehrkosten gemäß § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB
V von dem Versicherten zu tragen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
13.10.2008 zu verurteilen, an sie 110,40 EUR nebst 4 % Zinsen ab dem 11.08.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zunächst auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ein berechtigtes Interesse sei nicht
erkennbar. Die Erkrankung der Versicherten setze weder besondere Fähigkeiten oder Kenntnisse voraus, welche zur
Versorgung mit entsprechenden Inkonti- nenzartikeln erforderlich wären, noch bestünde ein Zustand, der eine
Unzumutbarkeit gleichkomme. Eine diskrete Lieferung könne auch durch die Firma M. sichergestellt werden. Der
Widerspruchsbescheid sei am 13.10.2008 in den Versand gekommen. Die Beklagte bringe keinen gesonderten
Absendevermerk an. Das Datum des Widerspruchsbescheides sei zugleich der Absendevermerk, da die
Widersprüche taggleich versenden würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der
Beklagten und der Gerichtsakte verwiesen. Die vorgenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der
mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht im Sinne von § 87 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides erhoben.
Vorliegend gibt es keinen Nachweis darüber, dass der Klägerin der Widerspruchsbescheid vor dem 20.10.2008
bekanntgegeben worden ist. Vorliegend gilt auch nicht die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch. Die Zugangsfiktion kommt nur zur Anwendung, wenn die behördliche Akte einen Absendevermerk
trägt, was vorliegend nicht der Fall ist. Die Erklärung der Beklagten, dass die Widerspruchsbescheide taggleich zur
Post gegeben werden, ersetzt den Absendevermerk nicht. Da die Beklagte einen früheren Zugang als zum 20.10.2008
nicht nachweisen kann, ist zu Gunsten der Klägerin davon auszugehen, dass der Widerspruchsbescheid am
20.10.2008 bekanntgegeben worden ist, so dass die Klage am 20.11.2008 fristgerecht erhoben wurde.
Die Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V für die Erstattung der
Kosten für die selbst beschafften Inkontinenzhilfsmittel liegen nicht vor. § 13 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB V bestimmt:
"Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von
der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.". Der in Betracht
kommende Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt
daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein
in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 m. w. N).
Die Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat die Versorgung der Klägerin mit Inkontinenzhilfsmitteln über
die Firma Sanitätshaus S. zu Recht abgelehnt. Gemäß § 33 Abs. 6 SGB V können die Versicherten bei der
Versorgung mit Hilfsmitteln alle Leistungsbringer in Anspruch nehmen, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse oder
nach § 126 Abs. 2 SGB V versorgungsberechtigt sind (Satz 1). Hat die Krankenkasse Verträge nach § 127 Abs. 1
SGB V über die Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln geschlossen, erfolgt die Versorgung durch einen
Vertragspartner, der den Versicherten von der Krankenkasse zu benennen ist (Satz 2). Vorliegend hat die Beklagte
nach Ausschreibung mit dem Ausschreibungsgewinner M. einen Vertrag nach § 127Abs. 1 SGB V geschlossen, so
dass gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V die Versorgung durch diesen Vertragspartner zu erfolgen hat. Die Klägerin
kann sich auch nicht auf die Übergangsvorschrift nach § 126 Abs. 2 SGB V n.F. berufen. Die Übergangsvorschrift
kommt nämlich dann nicht zur Anwendung, wenn die Beklagte einen Vertrag gemäß § 127 Abs. 1 SGB V mit einem
Ausschreibungsgewinner geschlossen hat. Das Sächsische Landessozialgericht hat in dem Beschluss vom
29.04.2008 (Az.: L 1 B 207/08 KR - ER) hierzu ausgeführt: "§ 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V wurde durch das GKV-WSG
ab dem 01.04.2007 dahin geändert, dass die Versorgung mit Hilfsmitteln nur (noch) durch Leistungserbringer erfolgen
darf, die Verträge nach § 127 SGB V abgeschlossen haben. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dadurch der
Vertrags- und Preiswettbewerb gestärkt werden. § 126 Abs. 2 SGB V n. F. sieht eine Bestandschutzregelung bis
Ende Dezember 2008 für Hilfsmittellieferanten vor, welche – wie die Ast. – über eine Zulassung nach der bis zum
31.03.2007 geltenden Fassung der Vorschrift verfügen. Damit soll es diesen Leistungserbringern ermöglicht werden,
sich auf die veränderten Bedingungen einzustellen (BT-Drucks. 16/3100, S. 141 – zu Nr. 92). Der Gesetzgeber hat die
tatsächlichen Empfänger der Leistungen der noch übergangsweise versorgungsberechtigten Leistungserbringer nach §
126 Abs. 2 SGB V nicht übersehen. Denn § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V in der seit dem 01.04.2007 geltenden Fassung
sieht vor, dass die Versicherten alle Leistungserbringer in Anspruch nehmen können, die Vertragspartner ihrer
Krankenkasse oder welche nach § 126 Abs. 2 SGB V n. F. versorgungsberechtigt sind. Damit steht den Versicherten
bis zum Ablauf der Übergangsfrist Ende Dezember 2008 ein Wahlrecht zu: Sie können entscheiden, ob sie Hilfsmittel
beim Vertragspartner ihrer Krankenkasse oder bei dem nach § 126 Abs. 2 SGB V n. F. versorgungsberechtigten
Leistungserbringer beziehen (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.02.2008 – L 1 B 41/08 KR ER; SG
Frankfurt (Oder), Beschluss vom 04.01.2008 – S 4 KR 285/07 ER; SG Köln, Beschluss vom 31.01.2008 – S 5 KR
310/07 ER). Dafür spricht, dass der Gesetzgeber das zeitlich begrenzte "Nebeneinander" von Vertragspartnern der
Krankenkassen und den "bestandsgeschützten" Leistungserbringern offensichtlich gewollt hat, da er die
entsprechenden Abrechnungsmodalitäten in § 33 Abs. 7 SGB V vorgesehen hat. Danach übernimmt die
Krankenkasse die jeweils vertraglich vereinbarten Preise. Sofern die Versorgung durch einen nach § 126 Abs. 2 SGB
V n. F. versorgungsberechtigten Leistungserbringer erfolgt, der nicht Vertragspartner der Krankenkasse ist, trägt die
Krankenkasse die Kosten in Höhe des niedrigsten Preises, der für eine vergleichbare Leistung mit anderen
Leistungserbringern vereinbart wurde; bei Hilfsmitteln, für die ein Festbetrag festgesetzt wurde, höchstens bis zur
Höhe dieses Festbetrages. Diesen Regelungen ist zu entnehmen, dass der Systemwechsel von der Zulassung hin zur
vertraglichen Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern vollzogen werden
sollte und sich die "bestandsgeschützten" Hilfsmittelerbringer bis zum Ablauf der Übergangsfrist in dieses System
einzufügen haben, indem sie die zwischen den Krankenkassen und ihren Vertragspartnern ausgehandelten Preise –
auf die sie keinerlei Einfluss nehmen können – bei der Abrechnung zu akzeptieren haben. Nach erfolgtem
Bieterverfahren ist das in § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V vorgesehene Wahlrecht jedoch ausgeschlossen. Dies ergibt sich
aus § 33 Abs. 6 Satz 2 SGB V. Denn darin hat der Gesetzgeber – vorbehaltlich des § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V – die
exklusive Versorgung durch einen von der Krankenkasse zu benennenden Leistungserbringer
(Ausschreibungsgewinner) vorgesehen, damit das Instrument der Ausschreibung wirkungsvoll genutzt werden kann
und die vertraglich vereinbarten Abnahmeverpflichtungen auch tatsächlich erfüllt werden können (vgl. dazu BT-
Drucks. 16/3100, S. 103 – zu Buchst. e). Diese Regelung ist in sich widerspruchsfrei und schützt abschließend den
Vorrang des formalisierten Bieterverfahrens, an dem sich jeder interessierte Leistungserbringer beteiligen kann. Um
dies sicherzustellen, sind die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten den Ausschreibungsgewinner als
Vertragspartner zu benennen (in diesem Sinne auch Beck in: jurisPK-SGB V, § 33 Rn. 107). Nur so dürfte auch
praktisch davon auszugehen sein, dass die Versorgung durch den (von der Krankenkasse benannten) Vertragspartner
erfolgen kann und damit das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, zwischen den Leistungserbringern eine Vertrags- und
Preiskonkurrenz zu etablieren, nicht unterlaufen wird. Im Übrigen wird das Recht der nach § 126 Abs. 2 SGB V n. F.
bis Ende Dezember 2008 versorgungsberechtigten Leistungserbringer nicht eingeschränkt. So können diese mit den
Krankenkassen bis dahin Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V oder Vereinbarungen nach § 127 Abs. 3 SGB V
schließen.".
Das Sächsische Landessozialgericht hat seine Rechtsauffassung in dem Beschluss vom 13.10.2008 (Az.: L 1 B
614/08 KR-ER bestätigt). Das erkennende Gericht schließt sich nach eigener Prüfung den Ausführungen des
Sächsischen Landessozialgerichts vollumfänglich an. Die gegenteilige Ansicht (vergleiche LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 09.12.2008, Az.: L 9 B 364/08 KR-ER; LSG Hessen, Beschluss vom 16.09.2008, Az.: L 8 KR 166/08
Ber) überzeugt nicht. Sie geht davon aus, dass die Übergangsvorschrift durch die hier bevorzugte Auffassung
leerlaufen würde. Dies ist nicht zutreffend. Die Übergangsvorschrift bleibt anwendbar für Verträge nach § 127 Abs. 2
SGB V. Es ist nochmals hervorzuheben, dass eine Ausschreibung nur dann sinnvoll durchgeführt werden kann, wenn
die Bieter davon ausgehen können, dass die vertraglich vereinbarten Abnahmeverpflichtungen auch tatsächlich erfüllt
werden können, worauf das Sächsische LSG zu Recht hinweist.
Bei der Klägerin besteht auch kein berechtigtes Interesse im Sinne von § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V. Gemäß § 33 Satz
3 SGB V können abweichend von Satz 2 Versicherte ausnahmsweise einen anderen Leistungserbringer wählen, wenn
ein berechtigtes Interesse besteht; dadurch entstehende Mehrkosten haben sie selbst zu tragen. Wann ein
berechtigtes Interesse besteht, ist im Gesetz nicht näher definiert. Nach Auffassung der Kammer muss das
berechtigte Interesse im weitesten Sinne medizinisch begründet sein. Dies kann dann der Fall sein, wenn die
Produkte des Ausschreibungsgewinners die Bedürfnisse des Versicherten nicht ausreichend und zweckmäßig im
Sinne von § 12 Abs. 1 SGB V befriedigen kann. Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Produkte der
Firma M. nicht ausreichend und zweckmäßig im Sinne von § 12 Abs. 5 Satz 1 SGB V sind. Die Klägerin hat auch
keine konkreten Einwände gegen die Produkte der Firma M. vorgebracht. Sie äußert lediglich die Vermutung, dass die
Produkte auf Grund des günstigen Preises nicht qualitätsvoll seien.
Berechtigte Interessen können auch darin zu sehen sein, dass die Produkte des Ausschreibungsgewinners nur auf
einen für den Versicherten unzumutbaren Vertriebswege zu erlangen sind. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn
die Produkte nicht fristgerecht geliefert werden könnten oder die Art und Weise der Lieferung den Versicherten in
unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Hierzu ist festzuhalten, dass die Beklagte unwiderlegt erklärt hat, dass die Firma
M. einen diskreten Versand zugesichert hat. Im Übrigen kann das Gericht nicht erkennen, dass die Klägerin durch die
Art und Weise der Zustellung beeinträchtigt wird.
Nach Ansicht der Kammer entsteht ein berechtigtes Interesse nicht darin, dass durch die Umstellung auf einen neuen
Leistungsanbieter umstellungsbedingte Unannehmlichkeiten entstehen können. So werden die Versicherten in vielen
Fällen anstelle des gewohnten Hilfsmittels mit einem anderen Produkt versorgt werden. In diesem Zusammenhang
kann es auch dazu kommen, dass verschiedene Produkte des neuen Leistungsanbieters zunächst ausprobiert werden
müssen, um das passende Hilfsmittel zu finden. Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass der Gesetzgeber solche
kleineren umstellungsbedingten Schwierigkeiten in Kauf genommen hat. Auch im vorliegenden Fall hält die Kammer
es für zumutbar, dass die Klägerin die verschiedenen Produkte der Firma M. zunächst ausprobiert, um das dann für
sie passende Hilfsmittel zu finden. Die Klägerin hat nicht vorgebracht, dass die von der Firma M. angebotenen
Hilfsmittel allesamt nicht ausreichend sind. Soweit die Klägerin nicht bereit war, den entsprechenden Fragebogen der
Firma M. zu beantworten, so ist festzuhalten, dass der Fragebogen keine Angaben enthält, die unzumutbar in die
Privatsphäre der Klägerin eingreifen. Ausweislich des dem Gericht vorliegenden Fragebogens sind Angaben zu
Körpergröße, Gewicht und zum benötigten Produkt zu machen. Dies sind Angaben, die die Klägerin gegenüber jedem
Leistungserbringer machen müsste, um die passende Versorgung zu ermöglichen.
Ein berechtigtes Interesse könnte im Rahmen des § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V darin zu sehen sein, dass eine
persönliche und wohnortnahe Beratung erforderlich ist, um die Versicherten mit einem geeigneten Hilfsmittel zu
versorgen. Im Rahmen von Produkten der aufsaugenden Inkontinenz, die konfektionsmäßig angeboten werden, kann
das Gericht nicht erkennen, dass eine wohnortnahe und persönliche Beratung erforderlich ist. Wie der Ehemann der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist das geeignete Produkt insbesondere dadurch zu ermitteln,
dass verschiedene Hilfsmittel der aufsaugenden Inkontinenz ausprobiert werden. Ein solches Ausprobieren
verschiedener Produkte ist auch durch die Firma M. gewährleistet und der Klägerin auch zuzumuten.
Die Kammer hat Verständnis für das Anliegen der Klägerin, durch die Firma ihres Ehemannes und ihrer Mutter
versorgt zu werden. Sicherlich ist diese Art der Versorgung für die Klägerin der diskreteste und bequemste Weg, um
an Hilfsmittel der aufsaugenden Inkontinenz zu gelangen. Es ist der Klägerin auch von Bedeutung, dass sie sich nicht
mit Dritten über ihre Inkontinenz auseinandersetzen muss. Nach Ansicht der Kammer können berechtigte Interessen
im Sinne von § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V jedoch nur solche Interessen sein, die in unmittelbarem Zusammenhang mit
dem Hilfsmittel selbst stehen und die grundsätzlich auch andere Versicherte betreffen könnten. Dass die Familie der
Klägerin ein Sanitätshaus betreibt, ist ein Umstand, der mit dem benötigten Hilfsmittel selbst nicht in unmittelbarem
Zusammenhang steht. Er ist von einer Zufälligkeit geprägt, die nach Auffassung der Kammer nicht geeignet ist, ein
berechtigtes Interesse zu begründen, zumal alle anderen Versicherten mit ähnlichem Krankheitsbild ebenfalls ohne
diesen bequemen Versorgungsweg auskommen müssen.
Unter Berücksichtigung aller von der Klägerin genannten Umstände war ein berechtigtes Interesse im vorliegenden
Fall zu verneinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die
Frage, inwieweit die Übergangsvorschrift des § 126 Abs. 2 SGB V auf Sachverhalte anzuwenden ist, die dem
Vorliegenden gleichen, wurde von verschiedenen Landessozialgerichten unterschiedlich beurteilt (vergleiche hierzu
obige Ausführungen). Darüber hinaus liegen zu dieser Frage nur Entscheidungen im Rahmen des vorläufigen
Rechtsschutzes vor. Das Bundessozialgericht hat hierzu noch nicht entschieden. Zu der Frage, wann ein berechtigtes
Interesse im Sinne von § 33 Abs. 6 Satz 3 SGB V vorliegt, gibt es nach Kenntnis des Gerichtes keine
obergerichtlichen bzw. höchstgerichtlichen Entscheidungen.