Urteil des SozG Aachen vom 06.09.2007

SozG Aachen: stadt, verwaltungsakt, verfügung, arbeitsgemeinschaft, leistungsverhältnis, abrechnung, kreis, lastenverteilung, entlastung, arbeitsmarkt

Sozialgericht Aachen
Urteil vom 06.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aachen S 9 AS 63/07
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 7 B 295/07 AS
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten.
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten höhere Erstattung von im Leistungsfall der Bedarfsgemeinschaft Familie F.
(BG) gezahlter Kosten der Unterkunft (KdU).
Die BG erhielt im ganzen Jahr 2006 SGB-II-Leistungen von der ARGE Stadt Aachen. Dabei wurden die KdU von der
Beklagten vorfinanziert, sind aber – worüber zwischen den Beteiligten kein Streit besteht – gem. §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr.
2, 22 SGB II und 15 Abs. 2 des zwischen den Beteiligten bestehenden ARGE-Vertrages vom kommunalen Träger
(hier: der Klägerin) zu erbringen, so dass die Klägerin der Beklagten deren Aufwendungen zu erstatten hat.
Uneins sind die Beteiligten über die Berechnungsmethode,
Die Beklagte rechnet wie folgt (sog. "horizontale" Berechnung): Die BG besteht aus zwei erwachsenen
Haushaltsangehörigen und drei Kindern (geb. 2002 und 2004), deren monatlicher Bedarf sich zusammensetzt aus
- der Regelleistung der Ehefrau 311,00 EUR - der Regelleistung des Ehemannes 311,00 EUR - der Regelleistung der
Kinder, je 207 EUR 621,00 EUR - den KdU der BG, 110,65 EUR pro Kopf 553,25 EUR Gesamtbedarf der BG 1796,25
EUR monatlich.
Die Ehemann erzielte Einkommen, im Monat Januar belief sich der bedarfsmindernde Betrag z.B. auf 769,65 EUR,
bei den Kindern sind je 154,00 EUR Kindergeld zu berücksichtigen. Das Kindergeld zieht die Beklagte vorab vom
Einkommen der Kinder ab, so dass sich bei den Kindern ein verminderter Bedarf von je 163,65 EUR und ein
verbleibender Gesamtbedarf von 1334,25 EUR ergibt. Das Einkommen des Ehemannes rechnet die Beklagte beiden
Eheleuten und den Kindern im Verhältnis der verbleibenden Bedarfsanteile zu, so dass der Gesamtbedarf der BG sich
nach Anrechnung des Einkommens Kindergeldes so darstellt:
- Bedarf der Eheleute, je 178,42 EUR 356,84 EUR - Bedarf der Kinder, je 69,25 EUR 207,75 EUR Gesamtbedarf der
BG 564,59 EUR monatlich.
An KdU hat nach dieser Berechnung die Klägerin der Beklagten 429,05 EUR für Januar 2006 zu erstatten (je 110,65
EUR für die Eheleute, je 69,25 EUR für die Kinder. Diesen Betrag hat die Klägerin auch gezahlt.
Die Klägerin hält diese Berechnungsmethode aber für falsch. Richtig sei wie folgt zu berechnen (sog. "vertikale"
Berechnung):
Der Regelleistung des Ehemannes (311 EUR) seien zunächst die auf ihn entfallenden 1/5 KdU (110,65 EUR)
hinzuzurechnen. Von dem sich ergebenden Bedarf des Ehemannes allein von 421,65 EUR monatlich sei sein
Einkommen von 769,65 EUR abzuziehen. Da das Einkommen den Bedarf übersteige, ergebe sich für den Ehemann
kein Leistungsanspruch. Das überschießende Einkommen des Ehemannes v. 348 EUR mindere die Regelleistung der
übrigen Familienmitglieder. Es bestehe daher nur Bedarf bei der Ehefrau und den Kindern und zwar
- Regelleistung der Ehefrau, 311./.106,74 204,26 EUR - KdU Kinder, je 83,23 249,69 EUR KdU der Ehefrau 110,65
EUR Gesamtbedarf der BG 564,60 EUR monatlich.
Nach dieser Berechnung (Differenz durch Rundung) ergeben sich an die Beklagte zu erstattende KdU von nur 360,29
EUR, also ein niedrigerer Betrag.
Die Klägerin meint, ihr stehe ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch auf Rückzahlung der zu viel erstatteten
KdU gegen die Beklagte zu. Auf das ganze Jahr 2006 gesehen und unter Berücksichtigung des variablen
Einkommens des Ehemannes, belaufe sich der zuviel gezahlte Betrag im vorliegenden Leistungsfall auf 887,58 EUR
Aus dem Grundsatz des Individualanspruchs, der auch das SGB II beherrsche, ergebe sich die Rechtswidrigkeit der
horizontalen Berechnung. Die Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 SGB II beschreibe ausdrücklich die vertikale
Berechnungsmethode als die richtige. Soweit § 9 Abs. 2 S. 3 vorsehe, dass bei Unterdeckung innerhalb der BG jeder
im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig gelte, sei dies nur eine der Berechnung
dienende Fiktion und führe nicht zu Bedürftigkeit der BG-Mitglieder, die ihren eigenen Bedarf aus eigenem Einkommen
sicherstellen könnten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht verbiete sich unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der
Menschenwürde, jemanden – hier: der Ehemann – zum Sozialleistungsempfänger zu machen, der sein eigenes
Auskommen sicherstellen könne. Im Übrigen wende auch die Beklagte die horizontale Methode nicht konsequent an,
sondern weiche bei der Bereinigung des Bedarfs um gezahltes Kindergeld davon ab.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die von der Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.01.2006 zu viel erstatteten
Unterkunftskosten in Höhe von 887,58 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, dem SGB II liege nicht das streng individualistische Konzept des BSHG zugrunde. Die Richtigkeit der
horizontalen Berechnung ergebe sich aus dem Urteil des BSG vom 7.11.2006, B 7b AS 8/06 R und der
Gesetzesbegründung zu § 46 Abs. 2 SGB II n.F.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch fußt auf Vorschriften des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB II), steht insbesondere im Zusammenhang mit den aus einem öffentlichrechtlichen Vertrag
nach §§ 44b SGB II, 94 SGB X zwischen den Beteiligten (dem ARGE-Vertrag) bestehenden Rechtsbeziehungen. Es
handelt sich demnach um eine die Zuständigkeit der Sozialgerichte begründende Angelegenheit der Grundsicherung
für Arbeitsuchende (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG; ebenso VG Ansbach, Bes. v. 10.04.2007, AN 14 K 07.00504, juris). Es
fehlt auch für die Zulässigkeit dieser Klage nicht an einem notwendig vorgeschalteten Verwaltungsverfahren. Zwar
argumentiert die Klägerin damit, der Ehemann sei 2006 nicht hilfebedürftig gewesen. Sie beanstandet damit inzident
die Feststellung seiner Hilfebedürftigkeit durch die Beklagte (§ 44a Abs. 1 S. 1 SGB II). Wollte die Klägerin diese
Entscheidung der Beklagten angreifen, so wäre hierfür allerdings zunächst mit begründetem Widerspruch die
Einigungsstelle anzurufen gewesen (§ 44a Abs. 1 S. 2 SGB II), was nicht geschehen ist. Jedoch ist die
Hilfebedürftigkeit des Ehemannes nicht selbst Streitgegenstand, sondern nur Element der Argumentation im Streit um
den von der Klägerin behaupteten öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch.
Es handelt sich auch nicht um eine unzulässige Elementenfeststellungsklage. Zwar hat die Klägerin der Beklagten
sämtliche von dort verauslagten KdU zu erstatten und es ist - insbesondere bei Fällen mit Berücksichtigung von
Kindergeld - nicht gesagt, dass die von der Klägerin für richtig gehaltene Berechnungsmethode nicht im Einzelfall
auch zu für die Beklagte höheren Erstattungsansprüchen führt. Dennoch kann, schon aus Gründen der
Verwaltungspraktikabilität, von der Klägerin die Berechnung der Erstattungsforderung nicht nur insgesamt, sondern
auch in einem einzelnen Leistungsfall beanstandet werden.
Die Klage ist aber unbegründet. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht.
Das Verfahren des Ausgleichs zwischen den Beteiligten läuft nach deren Darstellung so ab, dass die ARGE der Stadt
Aachen, der die Klägerin "vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen in § 44b SGB II" ihre kommunalen
Aufgaben im Rahmen des SGB II "im Wesentlichen" übertragen hat, den Hilfebedürftigen KdU bewilligt und auszahlt.
Dies tut sie aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung aus von der Beklagten der ARGE zur Verfügung gestellten
Mitteln. Hierüber rechnet die Beklagte mit der Klägerin auf der Grundlage ihres computergestützten ("A2LL")
Abrechnungsverfahrens ab. Die Klägerin erstattet der Beklagten sodann die aufgewandten KdU.
Dieser Sachverhalt ergibt keinen Anhaltspunkt für einen möglichen Erstattungsanspruch gleich welcher rechtlichen
Natur.
Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X kommen schon systematisch nicht in Betracht, die dort genannten
Tatbestände sind sämtlich nicht erfüllt. Insbesondere erfolgte die Leistung an die BG nicht durch einen unzuständigen
Leistungsträger, sondern lediglich aus Mitteln, die die Beklagte der ARGE für die Erfüllung ihrer Aufgaben zur
Verfügung gestellt hatte. Die hier streitige Erstattungsforderung ergibt sich schon nicht aus einem Leistungsverhältnis
im Sinne der genannten Vorschriften, denn es geht nicht darum, ob ein letztlich als unzuständig erkannter Träger die
KdU an die Berechtigten gezahlt hat, sondern es geht nur um die Verwaltung und den Ursprung der vom zuständigen
Leistungsträger aufgewendeten Mittel. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob neben dem System der
Erstattungsansprüche nach § 102ff. SGB X ein öffentlichrechtlicher Erstattungsanspruch noch geltend gemacht
werden kann (verneinend Kasseler Kommentar/Kater, Rdnr. 8 zu § 102 SGB X).
Aber auch aus dem öffentlichrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen den Beteiligten lässt sich der erhobene
Anspruch nicht begründen.
Ein Erstattungsanspruch wäre allenfalls bei einer Überzahlung als "Kehrseite" des vertraglichen Zahlungsanspruchs
der Beklagten aus § 15 Abs. 2 ARGE-Vertrag denkbar. In entsprechender Anwendung der §§ 94 Abs. 1, 88, 91 Abs. 1
SGB X gelten innerhalb der Arbeitsgemeinschaft grundsätzlich die Regeln des Auftragsrechts nach §§ 88 ff. SGB X,
wie sich aus § 44b Abs. 3 S. 2 Hs. 2 ergibt. Nach § 91 Abs. 2 SGB X ist der Auftraggeber verpflichtet, dem
Auftragnehmer verauslagte Sozialleistungen, und nach Abs. 2 den Kostenaufwand zu erstatten. Nach § 15 Abs. 2 des
diese Vorschriften umsetzenden ARGE-Vertrages zwischen den Beteiligten hat die Klägerin der Beklagten die
Aufwendungen für KdU zu erstatten. Die Klägerin hat die ihr in Rechnung gestellten Aufwendungen für KdU im hier
streitigen Leistungsfall erstattet. Es hat demnach eine Vermögensverschiebung zwischen den Beteiligten
stattgefunden. Soweit diese ohne Rechtsgrund erfolgt ist, etwa weil die Klägerin mehr gezahlt hat, als vertraglich
geschuldet, kann die Klägerin im Wege des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs den überzahlten Betrag
erstattet verlangen.
Eine solche Situation liegt jedoch nicht vor. Die Klägerin hat nicht rechtsgrundlos geleistet, sondern sie war
verpflichtet, der Beklagten, die von ihr aufgewandten KdU zu erstatten. Der Betrag der Erstattungsforderung ergibt
sich aus der Summe der bescheidmäßig ausgesprochenen KdU-Bewilligungen. Die Klägerin hält diese Bewilligungen
für rechtswidrig, im hier zu entscheidenden Fall, weil die KdU zu hoch bewilligt wurden. Mit diesem Einwand kann sie
aber im Streit um den Rückerstattungsanspruch nicht mehr gehört werden. Rechtsgrundlos ist nämlich eine
Vermögensverschiebung nicht schon, wenn der zugrunde liegende Verwaltungsakt - hier die Bewilligung an die BG -
rechtswidrig ist. Auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt ist ein Rechtsgrund, wenn er nicht aufgehoben oder
unwirksam ist. Daran fehlt es hier.
Die Bewilligung der Leistung erfolgte nicht durch die Beklagte, sondern durch die ARGE der Stadt Aachen (§ 44b Abs.
3. S. 3 SGB II). Da Streit über die Hilfebedürftigkeit des Ehemannes im Zeitpunkt der Bewilligung nicht bestand, die
Klägerin jedenfalls die Einigungsstelle (s.o.) nicht deshalb angerufen hat, sind die Bewilligungen gegenüber der
Bedarfsgemeinschaft wirksam geworden. Die Bewilligungen, für Januar 2006 z.B. nach Maßgabe der Abrechnung v.
31.01.2006, erfolgten anhand des Programms A2LL, demnach entsprechend der Berechnungsmethode der Beklagten
unter Einbeziehung des Ehemannes als Hilfebedürftigem. Dieser ist demnach Leistungsempfänger geworden. Wären
die Bewilligungsbescheide gegenüber den Empfängern der Leistung z.B. nach §§ 45 oder 48 SGB X aufzuheben oder
zurückzunehmen, so wäre auch der Ehemann in Anspruch zu nehmen, denn er hat einen Teil der Leistungen erhalten.
Es kann demnach offen bleiben, ob die von der Beklagten angewandte und der Bewilligung an die BG zugrunde
gelegte horizontale Berechnung richtig ist. Zur Überzeugung der Kammer ist auch dies allerdings der Fall, denn nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 7.11.2006, B 7b AS 8/06 R, Rdnr 13, 15), der sich die Kammer
nach eigener Prüfung anschließt, geht das SGB II gerade nicht in gleichem Maße wie das frühere
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von einer weitestgehenden Individualität der Leistungsansprüche aus, sondern
betont die gegenseitige Verantwortlichkeit innerhalb von Bedarfsgemeinschaften gerade dadurch, dass es den in den
Kreis der Hilfebedürftigen einbezieht, der zwar für sich, nicht aber für die Bedarfsgemeinschaft insgesamt den
Lebensunterhalt sicherstellen kann.
Ein anderes Ergebnis ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch vom Gesetzgeber nicht erwünscht. Denn nach §
46 Abs. 5 und 6 SGB 2 beteiligt sich der Bund zweckgebunden an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach §
22 Abs. 1, um sicherzustellen, dass die Kommunen durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der sich aus ihm ergebenden Einsparungen der Länder um jährlich 2,5 Milliarden
Euro entlastet werden. Der Bund trägt deshalb 2006 jeweils 29,1 vom Hundert. Dieser gesetzlichen
Entlastungsregelung liegen die Aufwendungen aufgrund der Berechnung nach der horizontalen Bedarfsanteilsmethode
zugrunde, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BRatsDrs. 815/06 v. 9.11.2006, S. 5). Die Bemühungen des
Gesetzgebers um eine sachgerechte Lastenverteilung zwischen Bund und Kommunen würden aber konterkariert,
wenn sich die Kommunen auf Grund der von der Beklagten befürworteten, für sie unter dem Strich wohl deutlich
günstigeren Berechnungsmethode weitere Entlastung zu Lasten des Bundes verschaffen könnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a SGG, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Unstatthaftigkeit der Berufung folgt aus § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VwGO.