Urteil des OVG Saarland vom 13.06.2007

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OVG Saarlouis Beschluß vom 13.6.2007, 3 B 194/07.NC; 3 B 194/07.NC u.a.
Hochschulzulassung - Schwundberechnung im Studiengang Zahnmedizin nach dem sog.
"Hamburger Verfahren"
Leitsätze
Eine nach dem sogenannten Hamburger Verfahren durchgeführte Schwundberechnung zur
Ermittlung der Kapazität im Studiengang Zahnmedizin ist nicht deshalb zu beanstanden,
weil sie in den Bestandszahlen des 6. und der folgenden Fachsemester auch solche
Studentinnen und Studenten berücksichtigt, die die zahnärztliche Vorprüfung noch nicht
bestanden haben.
Tenor
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 16. April 2007 werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten ihrer jeweiligen Beschwerdeverfahren.
Der Streitwert wird für die Beschwerdeverfahren 3 B 194/07.NC bis 3 B 199/07.NC
(einschließlich) auf jeweils 5.000,-- Euro, für die übrigen Beschwerdeverfahren auf jeweils
1.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über das Vorhandensein von Studienplätzen außerhalb der
festgesetzten Kapazität im 1. Fachsemester des Studiengangs Zahnmedizin an der
Universität des Saarlandes im Wintersemester 2006/2007.
Durch Rechtsverordnung vom 15.2.2006 (Amtsbl. 2006, S. 710) wurde die
Zulassungszahl in diesem Studiengang für das Wintersemester 2006/2007 auf 24
festgesetzt.
In der Folgezeit haben die im Beschwerdeverfahren verbliebenen Antragstellerinnen und
Antragsteller - im folgenden: Antragsteller - sowie weitere Studienbewerberinnen und
Studienbewerber beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und
geltend gemacht, im Studiengang Zahnmedizin seien in dem betreffenden Semester über
die festgesetzte Höchstzahl hinaus weitere Studienplätze bei der Antragsgegnerin
vorhanden.
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 16. April 2007 die von der Antragsgegnerin
vorgenommene Kapazitätsberechnung überprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die
an der Universität des Saarlandes vorhandene Kapazität im 1. Fachsemester des
Studiengangs Zahnmedizin im Wintersemester 2006/2007 wie in der genannten
Rechtsverordnung festgesetzt 24 beträgt.
Mit ihren Beschwerden gegen diese Beschlüsse verfolgen die im Verfahren verbliebenen
Antragsteller ihre erstinstanzlichen Begehren weiter. Sie wenden sich gegen die im
Rahmen der Kapazitätsermittlung vorgenommene Schwundberechnung. Einige
Antragsteller (3 B 198/07.NC sowie 3 B 199/07 NC) meinen, die Schwundberechnung sei
bereits deshalb fehlerhaft, weil bei einigen Übergangsquoten unzulässigerweise eine
Schwundquote von mehr als 1 zum Ansatz gebracht sei. Sämtliche Antragsteller machen
geltend, die Schwundberechnung sei zu beanstanden, weil die Antragsgegnerin bei den
Bestandszahlen des 6. bis 10. Fachsemesters auch solche Studentinnen und Studenten
mitzähle, die die zahnärztliche Vorprüfung noch nicht bestanden hätten. In der Tat gebe es
im Studiengang Zahnmedizin bei der Antragsgegnerin eine beträchtliche Anzahl von
Studentinnen und Studenten, die zwar im 6. bis 10. Fachsemesters geführt würden, die
aber die nach dem 5. Fachsemester vorgesehene zahnärztliche Vorprüfung noch nicht
abgelegt hätten. Diese Studentinnen und Studenten befänden sich nach ihrem
Ausbildungsstand noch im vorklinischen Studienabschnitt. Wegen § 36 ZAppO seien sie
rechtlich gehindert, Leistungsnachweise im klinischen Ausbildungsabschnitt zu erbringen.
Faktisch würden sie in den klinischen Fachsemestern geführt, fragten dort aber keine
Faktisch würden sie in den klinischen Fachsemestern geführt, fragten dort aber keine
Ausbildungsleistungen nach. Eine ganze Anzahl von ihnen habe das Ziel, die zahnärztliche
Vorprüfung abzulegen und weiter Zahnmedizin zu studieren, aufgegeben und versuche,
obwohl weiterhin im Fach Zahnmedizin immatrikuliert, Leistungsnachweise im Studiengang
Humanmedizin zu erwerben und irgendwann in ein höheres Fachsemester des
letztgenannten Studiengangs zu wechseln. Bis dies gelinge, würden die betreffenden
Studentinnen und Studenten oft bis zu acht Semester in den Bestandszahlen des
Studiengangs Zahnmedizin geführt, ohne dort Unterrichtsleistungen nachzufragen. Gerade
in den klinischen Kursen der Zahnmedizin liege die Zahl der tatsächlich teilnehmenden
Studierenden in der Regel deutlich niedriger als die Bestandszahlen der betreffenden
Fachsemester. Die Berechnung der Schwundquote nach dem so genannten Hamburger
Modell werde dieser Problematik nicht gerecht. Dieser Berechnungsweise lägen folgende
drei Annahmen zugrunde:
1. Der Student fragt das gesamte Lehrangebot während der
Regelstudienzeit nach.
2. Die Lehrmengen sind beliebig teilbar.
3. Die Lehrmengen sind innerhalb des Studiengangs beliebig
umverteilbar (insbesondere vom Haupt- ins Grundstudium).
Diese dritte Modellannahme sei im Studiengang Zahnmedizin ebenso unzutreffend wie im
Studiengang Humanmedizin. Der Studiengang Humanmedizin sei gemäß § 7 Abs. 3 KapVO
zu Kapazitätsberechnungszwecken in mehrere Lehreinheiten aufgeteilt. Der Schwund
werde in der Regel für den vorklinischen Studienteil, für die ärztliche Vorprüfung und für den
klinischen Studienteil gesondert berechnet. Im 1. klinischen Fachsemester des
Studienganges Humanmedizin würden nur diejenigen immatrikulierten Studenten
berücksichtigt, die den ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung bestanden hätten. Diese
Handhabung sei auf die Berechnung des Schwundes während des Zahnmedizin-Studiums
zu übertragen, da nur diejenigen Studentinnen und Studenten, die die zahnärztliche
Vorprüfung bestanden hätten, ihre Ausbildung im klinischen Abschnitt fortsetzen dürften.
Es komme hier nicht auf die Fiktion an, dass Lehrleistungen zwischen Klinik und Vorklinik
austauschbar seien. Entscheidend sei, inwieweit die Lehreinheit Zahnmedizin durch den
Schwund einschließlich des Prüfungsschwundes entlastet werde. Das bedinge die
Feststellung der Bestehensquote in der zahnärztlichen Vorprüfung. Die entsprechenden
Erfolgsquoten könnten beim zuständigen Prüfungsamt abgefragt werden; ihre
Berücksichtigung würde keine unwägbaren Schwierigkeiten aufwerfen. Das Prüfungsamt
könne mitteilen, wie viele Studenten die zahnärztliche Vorprüfung im ersten oder zweiten
Versuch bestanden hätten. Ein Vergleich dieser Zahlen mit den Bestandszahlen des 5. bis
10. Fachsemesters ermögliche es zu ermitteln, wie viele Studenten im Durchschnitt zur
zahnärztlichen Vorprüfung antreten. Alternativ könnte die Antragsgegnerin mitteilen, wie
viele Studenten regelmäßig an den fünf zahnärztlichen Kursen gemäß § 36 Abs. 1 b ZAppO
teilnähmen. Studierende der Zahnmedizin berichteten, dass die Teilnehmerzahl
einschließlich Wiederholern lediglich bei 12 bis 14 liege. Die Ausfallquote dürfte bei
mindestens 25 %, möglicherweise sogar bei 50 % liegen. Treffe letzteres zu, frage lediglich
die Hälfte der in den Bestandszahlen der klinischen Semester geführten Studenten Lehre
im klinischen Ausbildungsabschnitt nach. Kürze man die Übergangsquote zwischen 5. und
6. Semester um 25 % und lege für die weiteren klinischen Semester eine Übergangsquote
von 1,00 zugrunde, errechneten sich drei, bei einer Kürzung um 50 % sogar sieben
zusätzliche Studienplätze.
Die Antragsteller der Verfahren 3 B 194/07.NC bis 3 B 199/07.NC beantragen jeweils,
den angefochtenen Beschluss abzuändern und die Antragsgegnerin
zu verpflichten, sie/ihn nach den Rechtsverhältnissen des
Wintersemesters 2006/2007 vorläufig zum Studium der
Zahnmedizin im 1. Fachsemester zuzulassen.
Die Antragsteller der Verfahren 3 B 200/07.NC sowie 3 B 202/07.NC bis 3 B 206/07.NC
(einschließlich) beantragen jeweils,
unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses zur Verteilung
weiterer Studienplätze im Studiengang Zahnmedizin, 1.
Fachsemester, - hilfsweise beschränkt auf den vorklinischen
Studienabschnitt - ein Losverfahren durchzuführen, die Antragsteller
an diesem Losverfahren zu beteiligen und ihnen einen Studienplatz
zuzuweisen, sofern sie einen entsprechenden Rangplatz gemäß den
Feststellungen des Gerichts erhalten.
Die Antragsgegnerin hat zu den Beschwerden nicht Stellung genommen.
II.
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.
Der Umfang der gerichtlichen Nachprüfung in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren wird
durch das innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bei Gericht eingegangene
Vorbringen zur Begründung der von den Antragstellern erhobenen Beschwerden begrenzt
(§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).
In ihrem Beschwerdevorbringen beschränken sich die Antragsteller darauf, die
erstinstanzliche Entscheidung insoweit anzugreifen, als darin die von der Antragsgegnerin
im Rahmen der Ermittlung der Ausbildungskapazität im Studiengang Zahnmedizin an der
Universität des Saarlandes im 1. Fachsemester für das Wintersemester 2006/2007
durchgeführte Schwundberechnung gebilligt wird.
Die gegen diesen Teil der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erhobenen Einwände
greifen nach dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens nicht durch.
Nach § 14 Abs. 1 KapVO ist das nach den Vorschriften des zweiten Abschnitts der
Kapazitätsverordnung berechnete Ergebnis zur Festsetzung der Zulassungszahlen anhand
der weiteren, in den Absätzen 2 und 3 aufgeführten kapazitätsbestimmenden Kriterien zu
überprüfen, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie sich auf das
Berechnungsergebnis auswirken. Nach der insoweit hier allein in Betracht zu ziehenden
Regelung des § 14 Abs. 3 Nr. 3 KapVO kommt eine Erhöhung (der nach den
Bestimmungen des zweiten Abschnittes errechneten Ausbildungskapazität) nur in
Betracht, wenn das Personal (§ 8 Abs. 1 KapVO) eine Entlastung von Lehraufgaben durch
folgende Tatsachen erfährt: Studienabbruch, Fachwechsel oder Hochschulwechsel von
Studentinnen und Studenten in höheren Semestern (Schwundquote). Zu dieser
Schwundquote ist dann in § 16 KapVO näher bestimmt, dass die Studienanfängerzahl zu
erhöhen ist, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechseln
die Zahl der Abgänge an Studentinnen und Studenten in höheren Fachsemestern größer ist
als die Zahl der Zugänge.
Erforderlich ist danach, wie der Formulierung „wenn zu erwarten ist“ in § 16 KapVO zu
entnehmen ist, eine Prognose der künftigen Entwicklung der Studentenzahlen während der
Dauer des Studiums. Ein Verfahren zur Erstellung dieser Prognose ist normativ nicht
vorgegeben. Nach den Grundsätzen der Prognosekontrolle ist sie indes gerichtlich nur
eingeschränkt nachprüfbar. Die gerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu
beschränken, ob die zuständige Behörde von zutreffenden Abgrenzungen und Daten
ausgegangen ist, sich einer wissenschaftlich vertretbaren Methode bei der
Schwundberechnung bedient und hierbei so genannte „schwundfremde“ Einflussfaktoren
ausgeklammert hat
vgl. z.B. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der
Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 16 KapVO Rdnr. 6.
In der Rechtsprechung allgemein gebilligt ist die Ermittlung des Schwundes nach dem so
genannten Hamburger Verfahren
vgl. z.B. BVerwG, Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom
30.11.1984 - 7 C 66.83 - und Urteil vom 20.11.1987 - 7 C 103/86 -
NVwZ-RR 1989, 184; VGH Mannheim, Beschluss vom 31.3.2006 - 9
S 3/06 - zitiert nach juris.
Hierbei handelt es sich um ein Berechnungsmodell, dem folgende Annahmen zugrunde
liegen:
1. Der/Die Studierende fragt das erforderliche (= das gesamte)
Lehrangebot während der Regelstudienzeit nach.
2. Die Lehrmengen sind beliebig teilbar.
3. Die Lehrmengen sind innerhalb eines Studiums beliebig
umverteilbar.
Hiervon ausgehend wird auf der Grundlage der Studentenstatistik unter Heranziehung von
mehreren Eingangs- beziehungsweise Erhebungssemestern die Entwicklung der
Studentenbestandszahlen in den einzelnen Fachsemestern des Studienganges unter
Berücksichtigung von Zu- und Abgängen durch Fach- und Ortswechsel, von Zugängen
aufgrund von Zulassungen in höhere Semester und von Abgängen durch Studienabbruch
erfasst und aus ihrer Veränderung nach einer bestimmten Rechenmethode ein
Durchschnittswert gebildet.
So ist vorliegend auch die Antragsgegnerin verfahren, wie sich der von ihr mit Schriftsatz
vom 3.11.2006 vorgelegten Unterlage „Schwund Zahnmedizin für 2006/2007“
entnehmen lässt, die die Berechnung der Schwundquote auf der Grundlage der
Bestandszahlen der zehn Fachsemester des Zahnmedizinstudiums (§ 2 ZappO, § 3
Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin an der Universität des Saarlandes vom
20.2.2003 - Dienstblatt der Hochschulen des Saarlandes 2003, 134 -) in der Zeit vom
Wintersemester 2003/2004 bis zum Wintersemester 2005/2006 enthält.
Werden in den der Schwundquotenberechnung zugrunde gelegten Bestandszahlen der
höheren Fachsemester danach nicht nur Abgänge, sondern auch Zugänge berücksichtigt,
liegt es in der Natur der Sache, dass die Bestandszahl eines Folgesemesters auch einmal
höher sein kann als diejenige des vorangegangenen Semesters, zum Beispiel wenn der
Zugang durch Ortswechsel oder Zulassung in ein höheres Fachsemester größer ist als ein
zuvor aufgetretener Schwund durch Abgänge. Hieraus kann sich dann rechnerisch eine
Übergangsquote von größer 1 ergeben
vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 21.1.1986 - 7 B 1-11/82 -, zitiert
nach juris, Rdnr. 28.
Das ist entgegen der Ansicht einiger der Antragsteller auf der Ebene der Berechnung
rechtlich nicht zu beanstanden. Eine andere Frage ist, ob die Korrektur der nach dem
zweiten Abschnitt der Kapazitätsverordnung errechneten Ausbildungskapazität mittels
einer Schwundquote von größer als 1 erfolgen darf. Das ist mit Blick auf die Regelungen
der §§ 13 Abs. 3 Nr. 1, 16 KapVO zu verneinen, die nur eine kapazitätserhöhende, nicht
aber eine kapazitätssenkende Berichtigung des Schwundes vorsehen. Ein errechneter
Schwundfaktor von größer als 1 ist demnach auf den Wert 1 zu reduzieren
vgl. Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 16 Rdnr. 3.
Vorliegend hat die Antragsgegnerin indes einen Schwundfaktor von 0,8706 errechnet und
der Kapazitätsermittlung zugrunde gelegt, mithin keine Schwundquote von > 1
berücksichtigt.
Nach dem Ergebnis der nur eingeschränkt möglichen gerichtlichen Kontrolle der hinsichtlich
des voraussichtlichen Schwundes anzustellenden Prognose ist entgegen der Auffassung
der Antragsteller ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin als
Bestände der so genannten klinischen Semester sämtliche in den Fachsemestern 6 bis 10
(einschließlich) eingeschriebene Studentinnen und Studenten im Studiengang Zahnmedizin
und nicht nur qualifizierend diejenigen berücksichtigt hat, die die im Regelfall nach dem
fünften Semester abzulegende zahnärztliche Vorprüfung bestanden haben.
Da davon auszugehen ist, dass Studentinnen und Studenten, die sich im 6. bis 10.
Fachsemester ihres zahnärztlichen Studiums befinden, auch wenn sie die zahnärztliche
Vorprüfung noch nicht bestanden haben, nach wie vor in den betreffenden Fachsemestern
immatrikuliert sind, ist ihre „Herausrechnung“ zunächst nicht gemäß den §§ 14 Abs. 3 Nr.
3, 16 KapVO geboten. Die betreffenden Bestimmungen verlangen die Berücksichtigung
einer Entlastung des Personals von Lehraufgaben, die durch Studienabbruch sowie durch
Fachwechsel oder Hochschulwechsel von Studentinnen und Studenten in höheren
Semestern eintritt. Insoweit ist schon zur Sicherstellung der Praktikabilität des
Ermittlungsverfahrens eine normative Betrachtung erforderlich. Ebenso wie die
Hinzurechnung einer Studentin oder eines Studenten zu den Bestandszahlen eines
Fachsemesters erst dann möglich ist, wenn sie/er in dem betreffenden Fachsemester des
in Rede stehenden Studienganges eingeschrieben ist
vgl. z.B. VGH München, Beschluss vom 10.8.2006 - 7 CE 06.10016
u.a., zitiert nach juris, Rdnr. 10,
können Studierende, die ihr Studium aufgegeben, das Studienfach oder den Studienort
gewechselt haben, erst dann berücksichtigt werden, wenn sie sich exmatrikuliert haben.
Eine verlässliche Aussage darüber, ob eine immatrikulierte Studentin oder ein
immatrikulierter Student wirklich das Studium ordnungsgemäß betreibt, wird hingegen in
aller Regel nicht, jedenfalls nicht mit vertretbarem Aufwand möglich sein. Die gegenteilige
Betrachtung, die die Berücksichtigung von Studierenden bei den Bestandszahlen der
erreichten Fachsemester in ihrem Studienfach von ihrem tatsächlichen Studienverhalten
oder Studienerfolg abhängig macht, würde - sofern dies überhaupt einigermaßen
verlässlich feststellbar wäre - in den von den Antragstellern angeführten Fällen von
Zahnmedizinstudentinnen und -studenten, die in Wirklichkeit Lehrveranstaltungen des
Studienfaches Humanmedizin besuchen und dort Leistungsnachweise mit dem Ziel
erwerben, sobald wie möglich in ein höheres Fachsemester des letztgenannten
Studienganges zu wechseln, konsequenterweise bedingen, dass diese Studierenden
aufgrund ihres faktischen Studienverhaltens - kapazitätsmindernd - im Fach Humanmedizin
zu berücksichtigen wären.
Letztlich würden die Anforderungen an ein System zur Ermittlung der Schwundquote
überspannt, wenn bei der Ermittlung der Bestandszahlen der Fachsemester über die
Feststellung der Immatrikulation hinaus in jedem Fall geprüft und belegbar festgestellt
werden müsste, ob der betreffende Studierende noch das Lehrangebot „seines“ Faches in
Anspruch nimmt, ob er schlicht „bummelt“ oder ob er in Wirklichkeit (ausschließlich)
Lehrveranstaltungen eines anderen Studienganges besucht oder ob er seine Bemühungen,
sein Studienziel zu erreichen, völlig eingestellt hat.
Ebenso wenig wie danach aus den §§ 14 Abs. 3 Nr. 3, 16 KapVO lässt sich das Erfordernis
einer über die angesprochene normative Betrachtung hinausgehenden, auf das
tatsächliche Studierverhalten der einzelnen Studentinnen und Studenten abstellende
Bestandserfassung nach Auffassung des Senats aus dem Art. 12 Abs. 1 GG zu
entnehmenden Gebot der erschöpfenden Nutzung der Kapazität herleiten. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dem so genannten
Kapazitätserschöpfungsgebot ein bestimmtes Modell zur rechnerischen Erfassung des
Schwundverhaltens nicht zu entnehmen. Es ist nicht Sache dieser Verfassungsdirektive, die
einzelnen, der Kapazitätsermittlung dienenden Parameter inhaltlich abschließend
auszugestalten
vgl. BVerwG, Urteile aufgrund mündlicher Verhandlung vom
30.11.1984 - 7 C 66.83 -, und vom 20.11.1987 - 7 C 103/86 -,
NVwZ-RR 1989, 184.
Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil sich die Entwicklung der Gesamtnachfrage der
zuzulassenden Semesterkohorte auf der Grundlage von in der Vergangenheit liegenden
Entwicklungen des Studentenbestandes ohnehin nicht rechnerisch feststellen, sondern
eben allenfalls prognostisch abschätzen lässt.
Auch bei dem in der Rechtsprechung allgemein akzeptierten Hamburger Verfahren handelt
es sich „lediglich“ um ein Modell, das - letztlich um überhaupt handhabbar zu sein - auf
Annahmen beruht, die nicht in jedem Einzelfall, möglicherweise sogar überhaupt nicht
zutreffen. So wird z.B. unterstellt, dass der Studierende das gesamte Lehrangebot
während der Regelstudienzeit nachfragt.
Außer Betracht bleiben hierbei - kapazitätsfreundlich - diejenigen Studierenden, die nach
Ende der Regelstudienzeit - zum Beispiel in der Zahnmedizin im 11. oder in einem noch
höheren Fachsemester - immatrikuliert sind und nach wie vor Lehrleistungen nachfragen.
Nach Angaben der Antragsgegnerin (Schriftsatz vom 1.2.2007 nebst Anlagen, Stand:
24.1.2006) sind das bei ihr im Wintersemester 2006/2007 immerhin insgesamt 35
Studenten im 11. und höheren Fachsemester des Studiengangs Zahnmedizin und damit
eine Gesamtzahl, die zum Beispiel deutlich über die regelmäßige Zahl der jährlichen
Neuzulassungen hinausgeht. Das weist darauf hin, dass das Hamburger Verfahren mit
seiner ersten Annahme eine eindeutig kapazitätsgünstige Betrachtung vorgibt. Ebenfalls
prinzipiell kapazitätsgünstig ist die weitere Annahme, dass die Lehrmengen innerhalb eines
Studiums beliebig umverteilbar sind. Soweit die Antragsteller diese Annahme für den
Studiengang Zahnmedizin als unzutreffend ansehen, lassen sie unberücksichtigt, dass
diese Annahme letztlich die Rechtfertigung für die der Berücksichtigung einer
Schwundquote „überhaupt“ zugrunde liegende Erwartung bildet, dass durch die
Verringerung der Studentenzahlen in höheren Fachsemestern ersparter Lehraufwand für
die Ausbildung einer über die nach dem zweiten Abschnitt der Kapazitätsverordnung
ermittelte Kapazität hinausgehenden Zahl von Studenten in den Anfangssemestern
nutzbar gemacht werden kann
vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.1.2007 - 5 NC
128.06 -.
Der Hinweis der Antragsteller auf die Vergleichbarkeit des Zahn- und des
Humanmedizinstudiums erlaubt insoweit keine andere Beurteilung. Zwar mag es zutreffen,
dass es sich in beiden Fällen um vergleichbar strukturierte Medizinstudiengänge handelt
und beiden gemeinsam ist, dass das Studium in den klinischen Teilen erst dann fortgesetzt
werden darf, wenn der erste Abschnitt der ärztlichen Prüfung beziehungsweise
zahnärztliche Vorprüfung bestanden ist. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass
kapazitätsrechtlich ein Unterschied zwischen beiden Studiengängen gerade darin besteht,
dass aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 7 Abs. 3 KapVO allein der Studiengang
(Human-)Medizin eine „Sonderbehandlung“ erfährt, indem er gerade für Zwecke der
Kapazitätsberechnung in einen vorklinischen und einen klinischen Teil untergliedert wird und
die Lehreinheiten vorklinische Medizin, klinisch-theoretische Medizin und klinisch-praktische
Medizin gebildet werden. Anders als der Studiengang Zahnmedizin wird der Studiengang
Humanmedizin demnach nicht innerhalb einer einzigen geschlossenen Lehreinheit absolviert
vgl. in diesem Zusammenhang auch VGH München, Beschluss vom
29.8.2006 - 7 CE 06.10430-, der darauf hinweist, dass im
Studiengang Humanmedizin mit dem ersten klinischen Fachsemester
- ungeachtet der im Einzelfall sehr unterschiedlichen Studiendauer -
eine neue Zählung beginnt.
Im Übrigen ist auch in anderen Studiengängen der Erwerb von Leistungsnachweisen des
„Hauptstudiums“ ohne vorherige Ablegung einer vorgesehenen Vor- beziehungsweise
Zwischenprüfung allenfalls sehr eingeschränkt möglich, von der Frage der Typik oder
Sinnhaftigkeit einer Organisation des Studiums, in der schon Leistungsnachweise des
Hauptstudiums vor Bestehen der Vor- oder Zwischenprüfung erworben werden, einmal
ganz abgesehen.
So setzt nach § 9 Abs. 2 der Studienordnung für den Diplom-Studiengang Psychologie an
der Universität des Saarlandes vom 14.2.1996 (Dienstblatt S. 476) der Besuch von
Lehrveranstaltungen, die für den zweiten Studienabschnitt angekündigt werden, im
Allgemeinen die Diplom-Vorprüfung voraus. Eine Ausnahme bilden lediglich so genannte
Überblicksveranstaltungen, die auch von Studierenden des ersten Studienabschnitts
besucht werden können. Nach § 15 Abs. 5 AAppO können im Studiengang Pharmazie
Nachweise, die für die Zulassung zum zweiten Abschnitt der pharmazeutischen Prüfung
erforderlich sind, vor Bestehen des ersten Abschnitts der pharmazeutischen Prüfung nur in
dem auf die erstmalige Zulassung zum ersten Prüfungsabschnitt folgenden Semester
erworben werden.
Ist danach auch in anderen Studiengängen die Durchführung des „Hauptstudiums“ vor
Bestehen einer vorgesehenen Vor- oder Zwischenprüfung allenfalls eingeschränkt möglich,
gebietet es der Umstand, dass der klinische Teil des Zahnmedizinstudiums erst nach
Bestehen der zahnärztlichen Vorprüfung aufgenommen werden darf, nicht, zur Ermittlung
der Schwundquote eine Berechnungsweise zu wählen, die sicherstellt, dass als Bestand
der klinischen Semester nur diejenigen Studentinnen und Studenten erfasst werden, die
diese Vorprüfung bereits abgelegt haben. Hinzu kommt folgendes: Die „Gruppe“ der
Studierenden, die im 6. oder einem noch höheren Fachsemester des Studienganges
Zahnmedizin eingeschrieben sind, muss keineswegs homogen sein. Sie kann, was die
Antragsteller hier geltend machen, Studierende umfassen, die in Wirklichkeit
Lehrveranstaltungen des Studiengangs Humanmedizin besuchen, um mittels der auf diese
Weise erworbenen Leistungsnachweise die Voraussetzung für einen Wechsel in ein höheres
Fachsemester des letztgenannten Studienfachs zu schaffen. Sie kann aber auch solche
Studenten umfassen, die die zahnärztliche Vorprüfung deshalb noch nicht bis zum
Abschluss des 5. Fachsemester abgelegt haben, weil es ihnen nicht gelungen ist, während
der regelmäßig fünf Semester des vorklinischen Studienteiles die erforderlichen Nachweise
zu erwerben, und solche Studierenden, die die zahnärztliche Vorprüfung im ersten Anlauf
nicht bestanden haben und sich auf eine Wiederholung dieser Prüfung vorbereiten. Diese
beiden letztgenannten „Untergruppen“ blieben, würden in den Beständen des 6. und der
folgenden Fachsemester nur Studentinnen und Studenten mit bestandener zahnärztlicher
Vorprüfung erfasst, unberücksichtigt, obwohl gerade sie in aller Regel noch Lehrleistungen
im vorklinischen Studienabschnitt nachfragen und auf sie deshalb die der Berücksichtigung
einer Schwundquote zugrunde liegende Annahme, dass sich Entlastung im klinischen
Ausbildungsteil in einem Mehr an Ausbildungskapazität im vorklinischen
Ausbildungsabschnitt niederschlägt, gerade nicht zutrifft.
Der Senat gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die von der Antragsgegnerin nach dem
Hamburger Verfahren durchgeführte Schwundberechnung entgegen der Ansicht der
Antragsteller nicht deshalb zu beanstanden ist, weil sie in den Bestandzahlen des 6. und
der folgenden Fachsemester des Studiengangs Zahnmedizin auch solche Studentinnen und
Studenten berücksichtigt, die die zahnärztliche Vorprüfung noch nicht bestanden haben.
Da auch sonst kein durchgreifender Fehler der Schwundberechnung oder der
Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin im Übrigen aufgezeigt worden ist (§ 146 Abs. 4
Satz 6 VwGO), muss es bei der erstinstanzlichen Entscheidung verbleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52, 53 Abs. 3 Nr. 1, 63 Abs. 2 GKG und
berücksichtigt anknüpfend an die neuere Rechtsprechung des Senats zur
Streitwertfestsetzung in Verfahren betreffend die vorläufige Zulassung zum Studium der
Humanmedizin
vgl. zum Beispiel Beschluss vom 2.8.2005 - 3 Y 13/05 -,
ob ein Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur unmittelbaren Zulassung
zum Studium in dem von ihm gewünschten Studiengang beantragt oder sich darauf
beschränkt hat, die vorläufige Verpflichtung der Universität zu beantragen, ihn an einer ihr
aufzugebenden Auslosung von zusätzlich zur festgesetzten Höchstzahl festgestellten
Studienplätzen zu beteiligen und ihn für den Fall zuzulassen, dass nach seinem in der
Auslosung erzielten Rangplatz einer der zusätzlich zu verteilenden Studienplätze auf ihn
entfällt. Im ersten Falle hält der Senat das Antragstellerinteresse mit 5.000,-- EUR, im
zweiten Fall mit 1.000,-- EUR für bedeutungsangemessen bewertet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.