Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 17.12.2010

OVG Koblenz: politische verfolgung, strafrechtliche verfolgung, entlassung aus dem amt, druck, widerruf, sicherheit, heimat, repressalien, bevölkerung, familie

OVG
Koblenz
17.12.2010
10 A 10911/10.OVG
Asylrecht
Oberverwaltungsgericht
Rheinland-Pfalz
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
………….
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin Miriam Deis, Richard-Wagner-Straße 14, 50674 Köln,
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Präsidenten des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf,
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
wegen Asylrechts (Türkei)
hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 17. Dezember 2010, an der teilgenommen haben
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Richter am Oberverwaltungsgericht Hennig
Richter am Oberverwaltungsgericht Möller
ehrenamtliche Richterin Rentnerin Böhm ehrenamtlicher Richter
Sparkassenbetriebswirt Coßmann
für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. November 2009 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahre 1962 geborene Kläger, der türkischer Staatsangehörigkeit und kurdischer
Volkszugehörigkeit ist und aus einem Ort im Kreis Besni in der Provinz Adiyaman stammt, wendet sich
gegen den Widerruf eines Bescheides der Beklagten vom 1. März 2001, mit dem für ihn ein
Abschiebungshindernis gemäß § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes festgestellt wurde.
Im Spätsommer 1997 verließ der Kläger die Türkei und gelangte auf dem Landweg in die Bundesrepublik
Deutschland. Seinen alsbald bestellten Asylantrag begründete er nach den Feststellungen des später
ergangenen Urteils im Wesentlichen wie folgt:
Er sei verheiratet und habe fünf zwischen vier und 18 Jahre alte Kinder. Die Familie habe in dem Dorf
A….. bei Besni gelebt. Dort habe er seinen eigenen Hof bewirtschaftet. 1990 oder 1991 seien erstmals
Guerilla in das Dorf gekommen und hätten die Bevölkerung aufgefordert, sie unter anderem mit Brot zu
unterstützen. Auch Sicherheitskräfte des Staates hätten das Dorf aufgesucht und von den Bewohnern
verlangt, die Guerilla nicht mehr zu versorgen. Im Jahre 1991 habe der Staat ihn aufgefordert,
Dorfschützer zu werden. Erst habe er abgelehnt und sei unter Beobachtung gestellt worden. Weil man
Druck auf ihn ausgeübt habe, habe er dann im November 1991 das Amt angenommen und eine Waffe,
eine Kalaschnikow, erhalten. Während seiner Tätigkeit als Dorfschützer habe er ein Gehalt bezogen und
außerdem zunächst jede Woche und später einmal im Monat eine Unterschrift leisten müssen. Außerdem
habe man ihm ständig vorgeworfen, die Guerilla zu unterstützen. Seine Hauptaufgabe als Dorfschützer sei
die Beobachtung der Gegend gewesen. Außerdem habe man ihn vier- oder fünfmal zu Operationen
mitgenommen. An Auseinandersetzungen habe er nicht teilnehmen müssen. Im Laufe seiner Tätigkeit sei
er auch zum Führer der Dorfschützer gewählt worden und habe fünf Leute unter seinem Befehl gehabt.
1995 habe er erstmals bei dem Kommandanten um seine Entlassung aus dem Dorfschützeramt
nachgesucht. Dieser habe seinen Antrag jedoch nicht angenommen. Später habe ein kurdischer Alevit im
Rang eines Feldwebels das Amt des Kommandanten bekleidet. Dieser habe ihn gewarnt und gesagt,
dass er bei einer Operation erschossen werden solle. Daraufhin habe er erneut um seine Entlassung aus
dem Amt nachgesucht, allerdings wiederum vergeblich. Zweimal habe man ihn aufgefordert, bei einer
Operation nach vorn zu gehen. Dem habe er sich jedoch entziehen können. Einmal habe er gesagt, dass
sein Kind krank sei. Nach einiger Zeit sei er zum Dorfvorsteher gegangen und habe dort seine Waffe
abgegeben. Seine Kinder habe er bereits zuvor nach Gaziantep gebracht. Er selbst sei am 28. August
1997 dorthin gegangen, habe die Stadt dann am 1. September 1997 wieder verlassen und sei am
nächsten Tag in Istanbul angekommen. Von dort sei er mit einem TIR-Lkw ausgereist.
Nach Ablehnung seines Antrages hat der Kläger seinerzeit Klage zum Verwaltungsgericht Arnsberg
erhoben. Mit Urteil vom 16. Januar 2001 (11 K 5224/97.A) hat das Gericht festgestellt, dass in der Person
des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorlägen. Das wurde im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Gericht hat nach der eingehenden Befragung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung
die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger seit 1991 in seinem Heimatdorf das Amt eines
Dorfschützers ausüben musste. Seine Rekrutierung zu diesem Amt stand im Zusammenhang mit
Erkenntnissen, die die Sicherheitskräfte nach der Festnahme bzw. Tötung zweier Guerilla-Kämpfer über
die Unterstützungstätigkeit des Klägers gewonnen hatten. Von seiner Arbeit als Dorfschützer und dem
Ablauf der Operationen, an denen er teilzunehmen hatte, hat der Kläger gegenüber dem Gericht in einer
insgesamt ausführlichen und für die Kammer ohne weiteres nachvollziehbaren Art und Weise berichtet.
(…) Der Kläger (…) hat glaubhaft dargetan, dass er sich in seiner Heimat offensiv zu seinem Kurdentum
bekannt und namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert hat.
Nach Rechtskraft des Urteils hat die Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2001 der Entscheidung
entsprochen und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes festgestellt.
Mit Schreiben vom 12. November 2008 hat die Beklagte den Kläger davon in Kenntnis gesetzt, dass sie
beabsichtige, den Bescheid zu widerrufen, da sich seit der Ausreise des Klägers aus der Türkei die
Rechtslage und Menschenrechts-situation dort so weit zum Positiven verändert habe, dass er wegen der
seinerzeitigen Niederlegung des Dorfschützeramtes bei einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen
Zeitpunkt vor Repressalien hinreichend sicher sei.
Daraufhin hat das Bundesamt mit Bescheid vom 8. Juni 2009 den Bescheid vom 1. März 2001 aus den
genannten Gründen widerrufen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen.
Mit seiner fristgerecht erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und im Wesentlichen
vorgetragen:
Für die Frage, ob sich die Verhältnisse in der Türkei inzwischen wesentlich geändert hätten, komme es
zunächst auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar
2001 an. Dieses Urteil habe bindend festgestellt, dass er wegen Unterstützung der PKK vor der
drohenden Verfolgung aus der Türkei seinerzeit geflohen sei. Damit komme ihm für den Widerruf
weiterhin der herabgesetzte Prognosemaßstab der hinreichenden Sicherheit zugute. Bei einer Rückkehr
in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei er aber keineswegs vor einer erneuten Verfolgung
hinreichend sicher. Unabhängig von den zwischenzeitlichen innenpolitischen Veränderungen in der
Türkei hätten Personen, die die tatsächlich oder vermeintlich Verbindungen zu staatsfeindlichen
Organisationen besäßen, politische Verfolgung zu befürchten. Indessen habe das Verwaltungsgericht
Arnsberg bei ihm eine solche Unterstützung der PKK festgestellt.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Bei einer
Wiedereinreise in die Türkei würden die türkischen Sicherheitskräfte den Kläger allein deshalb, weil er im
Jahr 1997 das Amt eines Dorfschützers niedergelegt habe, nicht mehr als einen exponierten und
ernstzunehmenden politischen Gegner ansehen. Selbst eine strafrechtliche Verfolgung dieser Handlung
damals sei sehr unwahrscheinlich. Auch könne nicht angenommen, dass der Kläger wegen des
Verdachts, die PKK zu unterstützen, Repressalien befürchten müsse. Denn seine Angaben hierzu seien
im Verwaltungsverfahren vage und oberflächlich gewesen. Seine Vortrag habe er nicht konkretisiert und
nicht durch nähere Einzelheiten belegt.
Hiergegen hat der Kläger den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat stattgegeben
hat. Mit der zugelassenen Berufung trägt er im Wesentlichen vor: Zu Unrecht habe die Vorinstanz ihm
unterstellt, er habe im Asylverfahren vage und oberflächliche Angaben gemacht. Dies habe das
Verwaltungsgericht Arnsberg gerade nicht festgestellt, sondern vielmehr angenommen, er sei in den
Verdacht geraten, die PKK unterstützt zu haben. Von dieser Bewertung könne nicht im Widerrufsverfahren
abgewichen werden. Vielmehr müsse davon ausgegangen und bei Anwendung des herabgestuften
Prognosemaßstabs gefragt werden, ob er bei einer Rückkehr gleichwohl vor Verfolgung hinreichend
sicher sei. Das sei aber nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung zu verneinen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. November 2009 den Bescheid des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist insbesondere darauf, dass sich das
Dorfschützersystem mit dem Nachlassen der PKK-Aktivitäten grundlegend gewandelt habe und wegen
der inzwischen vergangenen Zeit kein Interesse an dem Kläger bestehe, zumal er nie behauptet gehabt
habe, die PKK unterstützt zu haben.
Wegen des Sach- und Streitstandes in allen Einzelheiten wird auf die zu den Aktengereichten Schriftsätze
und Schriftstücke sowie auf die das Verfahren betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die
in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen. Diese Vorgänge lagen dem Senat vor
und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Denn der Widerrufsbescheid
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Juni 2009 ist nicht rechtswidrig.
Der Bescheid findet seine Ermächtigungsgrundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, dessen
Voraussetzungen hier vorliegen. Danach ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr gegeben sind; dies ist nach
Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zu
seiner Anerkennung geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu
nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Der Widerruf kommt damit dann in Betracht, wenn sich
die zum Zeitpunkt der Feststellung der Voraussetzungen maßgeblichen Verhältnisse nachträglich
erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in
seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf
absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut
Verfolgung droht (BVerwG, Urteil vom 1. November 2005, DVBl. 2006, 511, s. auch die Urteile des Senats
vom 19. Mai 2006 [10 A 10795/05.OVG u.a.] und vom 11. August 2006 [10 A 11042/05.OVG u.a.] – alle
rechtskräftig). Ein Wegfall der Umstände liegt etwa dann vor, wenn sich aus einem Wechsel des
politischen Systems ergibt, dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist. Von einem Wegfall
der Umstände kann aber dann nicht gesprochen werden, wenn sich im Nachhinein lediglich die
Beurteilung der Verfolgungslage ändert, selbst dann nicht, wenn die andere Beurteilung auf erst
nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht (BVerwG, a.a.O.).
Maßgeblich für die Frage der Änderung der Umstände sind dabei die Feststellungen, die seinerzeit für die
dem Ausländer günstige Entscheidung geführt haben. Demnach kommt es hier auf die Feststellungen des
Urteils des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 (11 K 5224/97.A) an, die nur noch mit dem
Bescheid vom 1. März 2001 von der Beklagten umgesetzt wurden.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg drohte dem Kläger unmittelbar vor Verlassen
der Türkei Ende August 1997 eine politische Verfolgung, weil er das Amt des Dorfschützers niedergelegt
hatte. Dazu heißt es, der Kläger habe seit 1991 in seinem Heimatdorf dieses Amt ausüben müssen; seine
Rekrutierung hierzu habe im Zusammenhang mit Erkenntnissen gestanden, die die Sicherheitskräfte nach
der Festnahme bzw. Tötung zweier Guerilla-Kämpfer über die Unterstützungstätigkeit des Klägers
gewonnen hätten; der Kläger habe sich in seiner Heimat offensiv zu seinem Kurdentum bekannt und
namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert.
Diese recht spärlichen Angaben enthalten in einer Zusammenschau mit der seinerzeitigen Darstellung
des Klägers folgende, hier bedeutsame Feststellungen: Im Heimatdorf des Klägers bzw. dessen näherer
Umgebung hatten sich 1990/91 Guerillakämpfer bei der Dorfbevölkerung um die Unterstützung mit Brot
und andere Lebensmittel bemüht. Das war auch erfolgreich und wurde von den türkischen
Sicherheitskräften bemerkt. Daraufhin forderten die Sicherheitskräfte „die“ Dorfbewohner auf, solche
Unterstützungsleistungen zu unterlassen und verlangten von den jüngeren, wehrfähigen Männern, als
Dorfschützer und damit als Hilfswillige der Sicherheitskräfte vor Ort tätig zu werden. Der Kläger, der kein
assimilierter Kurde war, lehnte das zunächst ab, obwohl diese Tätigkeit recht gut bezahlt wurde. Erst unter
Druck übernahm er im November 1991 das Amt des Dorfschützers und erhielt ein Gewehr. Besonders
hervorgetan hat er sich dabei nicht. Immerhin wurde er aber Führer der Dorfschützer und hatte fünf andere
Dorfschützer zu befehligen. Im Sommer 1997, also nach fast sechs Jahren Tätigkeit als Dorfschützer,
zuletzt als Anführer, meldete er sich dann beim Dorfvorsteher aus diesem Amt ab, lieferte die empfangene
Waffe ab und verließ sein Heimatdorf. Seine Familie, seine Frau und fünf Kinder, ließ er in der Türkei
zurück.
Danach bleibt von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg, soweit sie sich auf den Kläger
individuell beziehen und für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
bedeutsam sind, nur der Umstand, dass er nach fast sechsjähriger Tätigkeit als Dorfschützer seines
Heimatortes das Amt gegenüber dem Dorfvorsteher niedergelegt und die Waffe abgegeben hat. Das wird
gerade auch in der zusammenfassenden Wertung des Verwaltungsgerichts deutlich, in der es heißt, der
Kläger habe sich „namentlich durch die Niederlegung des Dorfschützeramtes exponiert“.
Eine wie auch immer geartete dezidiert politische oder in den Augen der türkischen Sicherheitskräfte
„separatistische“ oder „staatsfeindliche“ Haltung oder Aktivität des Klägers oder gar eine persönliche
Sympathie und Unterstützung der kurdischen Guerilla hinsichtlich ihrer politischen Ziele kann
demgegenüber dem Urteil nicht entnommen werden. Zwar heißt es zusammenfassend auch, der Kläger
habe sich offensiv zu seinem Kurdentum bekannt, jedoch ist dies als solches nicht sehr aussagekräftig.
Gemeint ist damit ersichtlich nur, dass er kein assimilierter Kurde gewesen sei. Zugleich diente es wohl als
Erklärung dafür, dass er sein Amt als Dorfschützer nach fast sechs Jahren Tätigkeit niedergelegt hat. Denn
die Formulierung wird in diesem Zusammenhang erwähnt, wobei die Niederlegung des Amtes als
eindeutig gewichtiger und exponierter angesehen wird.
Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch wesentlich von dem vom Kläger zitierten, der dem
Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 11. August 2010 (11 LB 405/08) zugrunde lag.
Denn nach den Feststellungen dort war der Kläger jenes Verfahrens „wegen einer individuellen, auf
eigenen politischen Aktivitäten beruhenden Verfolgung anerkannt worden“, und zwar „wegen der
politischen Aktivitäten des Klägers in einer Jugendgruppe der PKK“ und beruhte „darauf, dass dem Kläger
deswegen Verhaftung und Folter drohte“ (vgl. die UA S. 20 oben).
deswegen Verhaftung und Folter drohte“ (vgl. die UA S. 20 oben).
Demgegenüber ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 hinsichtlich einer
Unterstützung der PKK als Organisation gerade durch den Kläger unergiebig. Lediglich im Tatbestand
heißt es, die türkischen Sicherheitskräfte hätten das Dorf aufgesucht und die Bewohner aufgefordert, von
einer Unterstützung der Guerilla abzusehen. Diese Aussage bezieht sich aber nicht individuell auf den
Kläger, sondern ganz allgemein auf „die“ Bewohner des Dorfes. Ersichtlich wurde die Aufforderung, sich
als Dorfschützer den Sicherheitskräften zur Verfügung zu stellen, nach der Festnahme bzw. Tötung zweier
Guerillakämpfer im Rahmen einer alle Bewohner betreffenden Dorfrazzia abgegeben. Im Übrigen hatte
auch eine Beteiligung des Klägers bei der Übergabe von Brot und anderer Lebensmittel an die
Guerillakämpfer kein selbständiges Gewicht. Denn diese Handlungsweise „des“ Dorfes insgesamt war der
Anlass, um Dorfschützer zu rekrutieren, sich der Loyalität der Dorfbewohner zu vergewissern und das
„soziale Unterstützernetz“ für die Guerillakämpfer vor Ort zu zerstören bzw. seinen (weiteren) Aufbau zu
verhindern.
Die dabei bestehende Interessenlage der türkischen Sicherheitskräfte beurteilt der Senat in seiner
bisherigen ständigen Rechtsprechung (vgl. etwa das Urteil vom 26. November 1999 – 10 A
12044/98.OVG), die zu ändern kein Anlass besteht und die ersichtlich auch der Entscheidung des
Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 16. Januar 2001 zugrunde lag, wie folgt:
Diese Einschätzung des Dorfschützeramtes und der von den Sicherheitskräften ausgeübte Druck, ein
solches zu übernehmen, machen deutlich, dass die türkischen Sicherheitskräfte ein großes Interesse
daran hatten, dass vor allem Kurden ein solches Amt übernehmen. Denn dadurch wurde zwischen der
Landbevölkerung im Südosten, die vornehmlich aus Kurden besteht, Zwietracht gesät und außerdem
schaffte man „klare Verhältnisse“, indem man daraufhin wusste, wer – aus der Sicht der türkischen
Sicherheits-kräfte – schutzwürdig war und wer nicht. Im Übrigen erleichterte es die bewaffneten
Auseinandersetzungen mit der PKK, indem Dörfer – als Unterstützungspunkte und Nachschubbasen der
PKK – ganz oder teilweise geräumt wurden. Nicht zu unterschätzen waren schließlich auch die
rekrutierten Dorfschützer als Machtfaktor in den Kämpfen auf Seiten der türkischen Sicherheitskräfte. (…)
Unter diesen Umständen stellt die Rekrutierung der männlichen Landbevölkerung eine vielschichtige
Gemengelage dar. Teilweise war sie für den angehenden Dorfschützer – notgedrungen –
unproblematisch, etwa dann, wenn er Angehöriger eines Stammes war, der Dorfschützer stellt. (…)
Anders ist die Situation schon für denjenigen, der die mit dem Amt verbundenen Probleme erkennt und in
seine Entscheidung maßgeblich einstellt. Denn hierbei muss er die individuelle Gefahr berücksichtigen,
als Dorfschützer und „Kollaborateur“ einschließlich seiner Familie in das Blickfeld der PKK zu geraten und
Zielscheibe deren Übergriffe zu werden. (…)
In dem letztgenannten Fall stellt sich dann die hier maßgebliche Frage, welche Folgen die Weigerung, das
Amt eines Dorfschützers zu übernehmen, hat. Hierbei ist zu sehen, dass die Situation, in der der Einzelne
dann zur Übernahme aufgefordert wird, durchaus spannungsgeladen ist. Das Amt wird ihm nämlich in
solchen Fällen im Allgemeinen anlässlich einer Dorfrazzia oder dann angetragen, wenn er individuell in
das Blickfeld der türkischen Sicherheitskräfte geraten ist. Die sich daraus ergebende Zwangssituation wird
noch durch die Erwartungshaltung der türkischen Sicherheitskräfte, die anlässlich solcher Razzien ein
Interesse an der Gewinnung von Dorfschützern haben und den einzelnen ins Blickfeld Geratenen
überdies hinsichtlich seiner Loyalität testen und mit der Aufforderung zur Amtsübernahme weiter unter
Druck setzen wollen, verstärkt.
Die Frage, wann sich in diesen Fällen wegen der Weigerung ein weitergehendes Interesse der türkischen
Sicherheitskräfte an dem Betreffenden ergibt, lässt sich nicht generell beantworten. Dabei spielt nicht nur
eine „Vorbelastung“ eine Rolle, sondern auch das weitere Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte.
Immer schwieriger und kritischer wird die Lage für den Betroffenen, je mehr er individuell auffällt und keine
plausiblen Gründe für seine Weigerung hat. So kann sich etwa aus einer Dorfrazzia zur Zwangs-
rekrutierung die Gefahr für den Einzelnen erhöhen, wenn er – was in solchen Fällen öfter vorkommt (vgl.
dazu u.a.: Oberdiek, Gutachten vom 14. März 1997 an das VG Berlin, S. 85 ff.) – hernach auf die Wache
gebracht und dort weiter mit Schlägen, Drohungen u.ä. unter Druck gesetzt wird. Gefahrerhöhend ist auch
der wiederholte Zugriff auf den Betreffenden, denn dadurch prägt er sich bei den Sicherheitskräften ein
und erscheint immer weiter „renitent“.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Verwaltungsgericht Arnsberg in seinem Urteil vom 16.
Januar 2001 in der Niederlegung des Dorfschützeramtes und der Abgabe der Waffe eine der Weigerung,
das Amt zu übernehmen, ähnlich exponierte Handlung gesehen, die den Kläger in den Augen der
türkischen Sicherheitskräfte „verdächtig“ gemacht hat. Das in diesen Fällen darüber hinaus gehende
„weitergehende Interesse“ der Sicherheitskräfte hat es dabei nicht in einer – wie zuvor erörtert –
„Vorbelastung“ gesehen. Denn anders als in den typischen „Weigerungsfällen“ hat der Kläger – wenn
auch mit einem gewissen Zögern – das Dorfschützeramt tatsächlich angenommen, es fast sechs Jahre
lang ersichtlich beanstandungsfrei ausgeübt und ist dann sogar zum Chef der Dorfschützer seines Ortes
aufgestiegen. Überdies war er bei der Rekrutierung fast sechs Jahre zuvor nicht individuell als politisch
„missliebig“ aufgefallen, sondern vielmehr nach einer Guerillaaktion in der Umgebung bei einer Dorfrazzia
als Teil der Dorfbevölkerung zur Übernahme des Amtes aufgefordert worden. Von daher schied – auch
nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Arnsberg – eine „Vorbelastung“ aus.
Damit blieb für ein „weitergehendes Interesse“ der türkischen Sicherheitskräfte an dem Kläger nur sein
Verhalten bei der Niederlegung des Amtes. Aber auch hierbei sind keine Umstände erkennbar, die ihn
über die Niederlegung des Amtes hinaus mit Blick auf die PKK besonders verdächtig machten. So war
diese Handlung etwa keine unberechenbare und nachvollziehbare Augenblickstat – hinter der man
„Machenschaften“ vermuten konnte -, sondern vielmehr hatte der Kläger nach seinen eigenen Angaben
zuvor schon wiederholt gegenüber dem Kommandanten das Amt niederlegen wollen, dies war ihm aber
nicht gestattet worden. Nun bemühte er sich ein drittes Mal darum und legte das Amt - da er dort keinen
größeren Widerstand vermutete - gegenüber dem Dorfvorsteher nieder. Überdies geschah die
Abmeldung aus dem Amt ganz geordnet, indem er sie nicht nur „offiziell“ gegenüber dem Dorfvorsteher
vornahm, sondern auch noch die ihm zur Verfügung gestellte Waffe bei diesem abgab und für die
Dorfbevölkerung erkennbar dann das Land verließ.
Von daher beruhte das für den Kläger ausgesprochene Abschiebungsverbot nicht auf einem politischen
Hintergrund (im engeren Sinne), im Sinne einer herausgehobenen eigenen politischen oder
paramilitärischen Unterstützung der PKK (in den Worten des Klägers: „Verbindung zu einer
staatsfeindlichen Organisation“), sondern auf der bloßen Niederlegung des Dorfschützeramtes bei einem
„offensiven Bekenntnis zum Kurdentum“.
Deshalb kommt es für den Widerruf entscheidend darauf an, ob allein die Niederlegung des
Dorfschützeramtes und die Ablieferung der empfangenen Waffe beim Dorfvorsteher nach einer fast
sechsjährigen Tätigkeit - zuletzt als Anführer der Dorfschützergruppe – und ohne ersichtlichen Grund bei
einer Rückkehr in die Türkei Repressalien befürchten lassen.
Hierbei ist allerdings – was die Vorinstanz nicht beachtet hat – von dem herab-gestuften
Prognosemaßstab auszugehen. Im Rahmen der Widerrufsentscheidung ist nämlich derselbe Maßstab
anzulegen, der bereits im Anerkennungsverfahren maßgeblich war. Da der Kläger nach den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts Arnsberg bei seiner Ausreise aus der Türkei im Spätsommer
1997 eine unmittel-bar bevorstehende Verfolgung zu befürchten hatte, er also vorverfolgt ausgereist war,
sind die Voraussetzungen für das Abschiebungsverbot nur dann weggefallen, wenn er vor künftiger
Verfolgung hinreichend sicher ist (vgl. zu diesen Anforderun-gen: BVerwG, Urteil vom 1. November 2005,
a.a.O.). In dieser Situation dürfen also keine ernsthaften Zweifel an der Sicherheit des Ausländers an
erneut einsetzender Verfolgung im Fall einer Rückkehr in seine Heimat bestehen (sog. herabgestufter
Wahrscheinlichkeitsmaßstab).
Aber auch unter Zugrundelegung des herabgestuften Prognosemaßstabes ist der Widerrufsbescheid
rechtmäßig. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger heutzutage vor einer künftigen
Verfolgung hinreichend sicher ist. Die für die Beurteilung der Gefährdungslage maßgeblichen Umstände
haben sich seit Januar 2001 nachhaltig zu seinen Gunsten geändert, so dass er wegen der damaligen
Vorgänge nicht mehr mit Repressalien der türkischen Sicherheitskräfte zu rechnen hat.
Bei dieser Beurteilung kommt es nach dem zuvor Gesagten auf das Interesse der türkischen
Sicherheitskräfte an, gegenwärtig eines ehemaligen Dorfschützers allein wegen dessen früherer bloßen
Weigerung, das Amt eines Dorfschützers nicht (mehr) auszuüben, habhaft zu werden – ohne dass er
dabei zugleich auch als (exponierter) politischer Gegner aufgefallen wäre.
Hierfür haben sich indessen die Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so
verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei eine Wiederholung einer unmittelbar
drohenden Verfolgung auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus
anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Das ist aus mehreren Gründen der Fall.
Einmal ergibt sich das daraus, dass sich die Verhältnisse in der Türkei hinsichtlich des
Dorfschützersystems generell so verändert haben, dass – unabhängig von der Frage, ob eine erneute
zwangsweise Rekrutierung eine politische Verfolgung darstellt – eine solche von vornherein recht
unwahrscheinlich ist. Denn seit dem Frühjahr 2000 wird das bisher praktizierte System der Dorfschützer
nicht mehr aufrecht erhalten. Mit Runderlass des Innenministeriums an die Gouverneursäm-ter der
Provinzen vom 24. April 2000 ist angeordnet, dass keine neuen „vorläufigen“ Dorfschützer mehr
eingestellt werden. Durch Kündigung, Tod oder andere Gründe freiwerdende Stellen vorläufiger
Dorfschützer werden nicht mehr besetzt (vgl.: Kaya, Gutachten vom 21. Juni 2003, S. 2 und vom 25.
Oktober 2004, S. 6). Diese Anordnung des Innenministeriums wird seitdem, also seit nunmehr zehn
Jahren, ersichtlich auch eingehalten.
Im Übrigen bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Anordnung in absehbarer Zeit außer
Kraft gesetzt wird oder ihre Bedeutung verliert. Denn die Bedingungen, deretwegen das
Dorfschützersystem seinerzeit geschaffen und ausgebaut wurde, haben sich inzwischen wesentlich
geändert.
Das Mitte der 1980er Jahre geschaffene und in den 1990er Jahren weiter ausgebaute System diente u.a.
dazu, die Dorfbewohner in den vier Notstandsprovinzen (Diyarbakir, Hakkari, Mardin und Siirt) und später
– entsprechend der Ausweitung der Guerillatätigkeit - auch in der weiteren Provinzen mit starker
kurdischer Bevölkerung - als „verlängerter Arm“ der Sicherheitskräfte vor Ort zu rekrutieren und damit
zugleich die kurdische Bevölkerung zu spalten („Kurden gegen Kurden“) (st. Rspr. d. Sen., vgl. z.B. Urteile
vom 26. November 1999 – 10 A 12044/98.OVG – und vom 24. November 2000 – 10 A 11228/00.OVG -).
Seit der Gefangennahme des Anführers der PKK Abdullah Öcalan („Apo“) und dessen Verurteilung durch
ein türkisches Staatssicherheitsgericht im Jahre 1999 sowie nach dem von der PKK 1999 einseitig
ausgerufenen Waffenstillstand und dem Abflauen der Guerillatätigkeit im Südosten der Türkei hat sich das
dagegen gerichtete Dorfschützersystem weitgehend überlebt (vgl. Kaya, Gutachten vom 21. Juni 2003, S.
1 ff., und vom 25. Oktober 2004, S. 1 und 7). Die türkischen Sicherheitskräfte brauchten keinen „Druck“
mehr auf die Bevölkerung zur Rekrutierung auszuüben, weil sie Dorfschützer in dieser veränderten und
auch über Jahre hinweg stabilisierten Situation nicht mehr benötigte.
Im Gegenteil waren die weiter vorhandenen Dorfschützer ein erheblicher Kosten-faktor und auch ein
Sicherheitsrisiko. Denn sie erhielten ein für die Verhältnisse in der Südosttürkei auskömmliches Gehalt
und erwarben sogar einen Renten-anspruch (vgl. Kaya, Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 6). Zudem
bildeten sie ein Sicherheitsrisiko, weil damit viele Dorfbewohner unter Waffen und mit einem Amt
ausgestattet waren. Damit konnte man - unter dem Deckmantel des Dorf-schützersystems - persönliche
Rivalitäten mit dem Anschein der Legalität und effektiv austragen. Das ging soweit, dass das
Dorfschützeramt nicht selten für Straftaten zum eigenen Vorteil missbraucht wurde (vgl. Der Spiegel Nr. 20
vom 11. Mai 2009, FR und Die Welt vom 7. Mai 2009). Zudem agierten diese Dorf-schützer vielfach nicht
isoliert, sondern im Interesse und im Auftrag eines Clan-chefs, Agha. Bei größeren Clans bildeten sie
geradezu eine Privatarmee der Clanchefs. Damit ist das Macht- und Gewaltmonopol des türkischen
Staates bisweilen lokal gefährdet. Das führte erst vor kürzerer Zeit beispielsweise zu dem Massaker in
dem südostanatolischen Dorf Bilge (vgl. Der Spiegel, FR und Die Welt, a.a.O.). Dies und weitere Vorfälle
haben dazu beigetragen, dass das Dorf-schützersystem immer wieder in der Kritik steht, zum einen
innenpolitisch, aber auch europaweit (vgl. die Beschlüsse und Fortschrittsberichte der EU-Kommis-sion,
vgl. Kaya, Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 6 sowie Nützliche Nachrichten 10/2009, S. 4).
All dies hat zu einem gewissen Bedeutungsverlust des Dorfschützersystems in den letzten Jahren geführt.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Dorfschützersystem bisher nicht abgeschafft wurde und eine
solche Maßnahme auch nicht ernstlich in die Wege geleitet ist. Im Gegenteil wollen der türkische Staat
und die Sicherheitskräfte hierauf nicht gänzlich verzichten. Maßgeblich hierfür ist zum einen, dass eine
vollständige und zügige Abschaffung der Dorfschützer eine erhebliche Unruhe in den für den türkischen
Staat ohnehin schwierigen kurdischen Provinzen mit sich brächte, denn damit verlören viele – zudem
bisher staatsloyale – Kurden ihren auskömmlichen Broterwerb, bis hin zu ihrer Rentenberechtigung.
Zudem scheut er wohl auch den Konflikt mit den Clanchefs, die ihre Macht durch das Dorfschützersystem
weiter haben ausbauen konnten, und diese bei einer völligen Abschaffung sicherlich verlören. Zum
anderen will der türkische Staat offensichtlich auf diesen Machtfaktor vor Ort nicht verzichten, da er bei
einer Zunahme der Guerillatätigkeit hierauf wieder zurückgreifen könnte – ohne dass allerdings eine
solche Entwicklung heutzutage absehbar wäre (vgl. ai, Gutachten vom 18. Juli 2003, S. 1 f. sowie Der
Spiegel Nr. 20 vom 11. Mai 2009).
Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass in besonderen Fällen auch in der letzten Zeit und
auch wohl heute noch Dorfschützer rekrutiert werden. Die geschieht aufgrund der Dorfschützerverordnung
vom 1. Juli 2000, aber nur auf freiwilliger Basis und nur in ehedem von den türkischen Sicherheitskräften
zwangsgeräumten Dörfern. Diese Personen sind rückkehrwillige Bewohner zwangsgeräumter Dörfer. Ihre
Wiederansiedlung in den Dörfern wird häufig davon abhängig gemacht, dass sie Dorfschützer stellen.
Diese erhalten zwar auch eine Waffe, die Übernahme des Amtes erfolgt jedoch „ehrenamtlich“, ohne Sold
und zudem freiwillig (vgl. ai, Gutachten vom 18. Juli 2003, S. 5 und Kaya, Gutachten vom 25. Oktober
2004, S. 7). Eine solche Fallkonstellation liegt beim Kläger indessen eindeutig nicht vor.
Vor diesem Hintergrund ist für den Senat nichts ersichtlich, dass der Kläger wegen der Niederlegung des
Dorfschützeramtes vor nunmehr mehr als 13 Jahren politische Verfolgung befürchten müsste. Das
entspricht auch der Einschätzung des Sachverständigen Kaya (Gutachten vom 25. Oktober 2004, S. 7). Da
der Kläger zudem seine Waffe beim Dorfvorsteher abgeliefert hat, droht ihm noch nicht einmal eine
strafrechtliche Verfolgung - ganz abgesehen davon, dass eine solche nur unter engen Grenzen zugleich
auch eine politische Verfolgung wäre.
Zum anderen hat der Kläger umso weniger eine (erneute) Zwangsrekrutierung als Dorfschützer zu
befürchten, als seine Heimatprovinz Adiyaman nicht zu den bekanntermaßen mehrheitlich von Kurden
bewohnten Provinzen in der Südosttürkei (wie Diyarbakir, Hakkari, Mardin und Siirt, in denen bis 1987
auch das Kriegsrecht bestanden hatte) gehört, sondern weiter westlich liegt und auch nur eine kurdische
Minderheit aufweist. Auch dürfte der Kläger für eine Dorfschützertätigkeit in seinem Heimatdorf aus
persönlichen Gründen kaum in Frage kommen. Denn aufgrund seines mehr als 13 Jahre langen
Aufenthalts im Ausland ist er mit den aktuellen Verhältnissen in seinem Heimatdorf und dessen
Umgebung nicht vertraut. Zudem hat er mit nunmehr 50 Jahren ein Alter erreicht, in dem er für eine solche
Tätigkeit noch weniger interessant ist.
Zum dritten ist für den Senat recht unwahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei
überhaupt wieder in sein Heimatdorf bzw. seine Heimatregion zurückkehrt. Denn dort hat er nach seiner
Ausreise aus der Türkei vor mehr als 13 Jahren seine erste Frau mit fünf Kindern zurückgelassen. Von
diesen hat er sich längst abgewandt und ist eine neue Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen
eingegangen. Diese hat offensichtlich drei Kinder in die Ehe mitgebracht (vgl. dazu die vom Kläger
vorgelegten Unterlagen zur Gewährung von Prozesskostenhilfe). Mit dieser neuen Familie wird der Kläger
kaum in das frühere soziale Umfeld des Heimatortes und der Heimatregion zurückkehren und damit eine
mehr oder minder große Konfrontation damit suchen. Das gilt umso mehr, als er durch seinen
langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und seine aktuelle Tätigkeit in einem
Logistikunternehmen dem Berufsfeld eines traditionell wirtschaftenden Bauers in der Türkei entfremdet ist.
Deshalb wird er bei einer Rückkehr in die Türkei sehr viel eher seinen Wohnsitz in einer Großstadt der
Westtürkei suchen, so dass sich das Problem einer Zwangsrekrutierung als Dorfschützer für ihn noch
weniger stellen wird.
Nach alledem ist der Widerruf des Abschiebungsverbots gemäß § 51 Abs. 1 AuslG wegen der veränderten
Verhältnisse rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167
VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO bezeichneten Art nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
ROVG Möller ist
wegen Krankheit
verhindert, seine
Unterschrift beizu-
fügen
gez. Steppling gez. Hennig gez. Steppling