Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 05.02.2010

OVG NRW (verteilung der beweislast, abnahme, verwaltungsgericht, nachweis, lasten, ausführung, erstellung, unterlagen, durchführung, entlastung)

Oberverwaltungsgericht NRW, 12 A 2794/07
Datum:
05.02.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
12. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 A 2794/07
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Minden, 11 K 3267/06
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 422,12 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat unter keinem der geltend gemachten
Gesichtspunkte Erfolg.
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Das Zulassungsvorbringen führt nicht zu ernstlichen Zweifeln i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Es vermag nämlich die entscheidungstragende Annahme des
Verwaltungsgerichts, das Vorliegen eines – Anspruchsvoraussetzung für eine
Heranziehung der Klägerin zu den Sanierungskosten für ihren Hausanschluss
bildenden – Sondervorteils sei nicht nachgewiesen, weil der Beklagte nicht den von ihm
zu erbringenden Beweis dafür habe führen können, dass die Schadensursache nicht in
seinem Verantwortungs- und Risikobereich gelegen habe, nicht in Frage zu stellen.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten verlangt das Verwaltungsgericht zur Entlastung
des Beklagten insoweit, als eine mangelhafte Ausführung der Verlegearbeiten durch
das von der Stadt beauftragte Unternehmen im Jahre 1987 ursächlich für den
festgestellten vertikalen und horizontalen Versatz der Grundstücksanschlussleitungen
gewesen sein könnte, nicht zwingend die Vorlage eines förmlichen Abnahmeprotokolls,
sondern lediglich eine Bescheinigung über die fachgerechte Abnahme der damals
durchgeführten Arbeiten. Entscheidend ist, dass eine Abnahme nach Maßgabe von §
640 BGB die Anerkennung des Werkes als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung
bedeutet und die Durchführung einer entsprechenden gezielten Nachprüfung auf
geeignete Weise ein starkes Indiz für die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeiten
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abgibt.
Eine solche fachgerechte Abnahme, wie sie bei Tiefbauarbeiten im Bereich der
öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen gemeinhin üblich ist, lässt sich zwar
regelmäßig durch ein Abnahmeprotokoll nachweisen, kann aber auch auf andere Weise
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– etwa durch das Gutachten eines bei der Abnahme beigezogenen Sachverständigen
oder (z. B. bei Verlust oder Unergiebigkeit schriftlicher Aufzeichnungen) ggf. durch
ergänzende Angaben eines Zeugen – bewiesen werden. Vorliegend kam als Nachweis
anstelle einer Abnahmebescheinigung allenfalls das am 13. April 1987 gefertigte
Aufmaßblatt in Betracht. Dass dieses Aufmaßblatt entgegen seiner üblichen
Zweckbestimmung die ordnungsgemäße Ausführung der Baumaßnahme
dokumentieren sollte, hat der als Parteivertreter und nicht als Zeuge auftretende
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Dipl.-Ing C. bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 22. August 2007
nach dem Sitzungsprotokoll jedoch nicht annähernd zum Ausdruck gebracht, so dass
sich weitere Ausführungen zur hinreichenden Eignung des Aufmassblattes dazu, auch
eine fachgerechte Abnahme mit Beweiswert festzuhalten, erübrigen.
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Soweit der Dipl.-Ing. C. anlässlich der Erstellung der Aufmassdaten angeblich die
theoretische Möglichkeit gehabt hat, sich von der ordnungsgemäßen Ausführung der
Verlegungsarbeiten zu überzeugen, weil "der Kanal noch offen" und "die Leitungen
sichtbar" gewesen seien, hilft das nicht darüber hinweg, dass seinerzeit eine solche
bewusste Überprüfung in keiner Weise so festgehalten worden ist, dass ein auch im
Nachhinein noch belastbares Dokument darüber Auskunft gibt. Sollte der Beklagte dem
sinngemäß entgegenhalten wollen, die schriftliche Fixierung einer Abnahme etwa in
Form eines Abnahmeprotokolls sei weder damals (1987) noch heute allgemein übliche
Praxis gewesen, ist das reine Spekulation, für deren Richtigkeit sich nach den
Erfahrungen des Senats keine Anhaltspunkte finden lassen. Soweit jedenfalls der
Beklagte selbst für seinen Bereich seinerzeit auf eine schriftliche Fixierung verzichtet
haben sollte, kann er sich auf eine solche Außerachtlassung der im Rechtsverkehr
erforderlichen Sorgfalt nicht berufen.
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Ob in der Aufmessung oder der Zahlung der vereinbarten Vergütung eine im Rahmen
des § 640 BGB behandelte stillschweigende bzw. konkludente Abnahme seitens des
Beklagten im Jahre 1987 zu sehen ist, mag dahin stehen. Es kommt für die Entlastung
des Beklagten von dem Vorwurf, möglicherweise seien die Schäden, die den der
Klägerin in Rechnung gestellten Sanierungsmaßnahmen zugrunde liegen, auf die
mangelhaft ausgeführten Arbeiten bei der Verlegung des Grundstücksanschlusses im
April 1987 zurückzuführen, nicht auf das Vorliegen einer rechtsgeschäftlichen Abnahme
an, sondern auf den Nachweis, dass das Werk durch Augenscheinseinnahme und
zielgerichtete Untersuchung mit Erfolg auf eine ordnungsgemäße Erstellung geprüft
worden ist. Dass ein solcher Nachweis nach ca. 18 Jahren mangels ausreichender
Aufzeichnungen schwer zu führen ist, geht dabei zu Lasten des Nachweispflichtigen.
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Aus § 282 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung folgt der auch auf
öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse übertragbare Rechtsgedanke, dass sich für aus
einem bestimmten Einflussbereich stammende Schadensursachen stets derjenige zu
entlasten hat, dem dieser zuzurechnen ist.
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Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 1997 – 22 A 302/96 –, NWVBl.
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1998, 196 (197), m. w. N.
Soweit danach die potentielle Schadensursache dem Verantwortungsbereich des
Beklagten zuzuordnen sein muss,
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vgl. zu dieser Voraussetzung im Rahmen eines
Schadensersatzanspruches: OVG NRW, Urteil vom 10. Oktober 1997 – 22
A 2742/94 –, NWVBl. 1998, 198,
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hat das Verwaltungsgericht dies – was der Beklagte verkennt – unter Würdigung der
entsprechenden Regeln der Entwässerungssatzung für die Herstellung und
Unterhaltung der Grundstücksanschlussleitungen nachvollziehbar dargelegt. Dieser
Zuordnung ist der Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Auf die Verteilung der
Beweislast bei potentiellen Schadensursachen, die gänzlich unabhängig von einem
Handeln oder Unterlassen aus der Zurechnungssphäre des Beklagten sind (etwa einem
altersgemäßen Verschleiß), kommt es nicht an. Lässt sich nämlich die
Schadensursache – wie das Verwaltungsgericht unter Würdigung insbesondere auch
der Aussage des sachverständigen Zeugen L. unwidersprochen festgestellt hat –
aktuell nicht mehr zweifelsfrei feststellen, reicht es, um diese Unerweislichkeit zu Lasten
des Beklagten gehen zu lassen, aus, wenn nur eine der möglichen Schadensursachen
in seinen Risikobereich fällt und er sich nicht entlasten kann.
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Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst. Die
vom Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
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"wie lange Unterlagen überhaupt aufbewahrt werden müssen, um nicht der
Gefahr zu laufen, aufgrund der Beweislastverteilung einen
verwaltungsgerichtlichen Prozess zu verlieren und ob nicht ab einem
bestimmten Zeitpunkt eine Beweiserleichterung dahingehend stattfinden
muss, dass nicht mehr aufzubewahrende Unterlagen nicht zu Lasten einer
Partei gehen",
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würde sich in einem eventuellen Berufungsverfahren von vornherein nicht stellen. Der
Beklagte hat nämlich nicht geltend gemacht, dass im Jahre 1987 eine schriftliche
Unterlage gefertigt worden sein soll, aus der eine Abnahme der streitbefangenen
Grundstücksanschlussleitung als ordnungsgemäß nach den technischen Regeln des
Tiefbaus abgenommen worden ist, und die man nur nicht lange genug in den Akten über
die Maßnahme aufbewahrt habe.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht
auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist gem. § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der
Streitwertfestsetzung – nach §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG unanfechtbar.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4
VwGO).
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