Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.12.2010

OVG NRW (wiedereinsetzung in den vorigen stand, verhältnis zu, bundesrepublik deutschland, antragsteller, aeuv, bewerber, auswahl, staatsangehörigkeit, beschwerde, verwaltungsgericht)

Oberverwaltungsgericht NRW, 13 B 1481/10
Datum:
07.12.2010
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
13. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 B 1481/10
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Be-schluss des
Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. Oktober 2010 wird auf
Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 5.000,-- Euro
festgesetzt.
Gründe:
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Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im
Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Antragstellers befindet, ist unbegründet.
Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist bei Zugrundelegung dieses
Prüfungsumfangs nicht zu beanstanden.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, der Antragsgegnerin
aufzugeben, ihm vorläufig einen Studienplatz für das Fach Humanmedizin im ersten
Fachsemester WS 2010/2011 gemäß seinem Zulassungsantrag vom 8. Juni 2010
zuzuweisen, zu Recht abgelehnt. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auf § 3 Abs. 7
Satz 1 der Vergabeverordnung abgehoben. Danach bleibt vom Vergabeverfahren
ausgeschlossen, wer die Bewerbungsfristen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der
Vergabeverordnung versäumt. Des Weiteren gilt § 3 Abs. 7 Satz 1 der
Vergabeverordnung entsprechend, wenn der Zulassungsantrag nicht den
Mindestanforderungen entspricht oder bei Ablauf der Fristen nach Satz 2 notwendige
Unterlagen oder nach Absatz 4 erforderliche Angaben fehlen (§ 3 Abs. 7 Satz 3 der
Vergabeverordnung). Die Bewerbungsfrist des § 3 der Vergabeverordnung hat der
Senat mit Beschluss vom 11. Februar 2000 (- 13 B 203/00 -) in der Weise gewertet, dass
bei Überschreitung der Ausschlussfrist aus Sinn und Zweck der Regelung eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht in Betracht kommt.
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Unter Beachtung dieser rechtlichen Maßgaben sowie unter Berücksichtigung der
übrigen einschlägigen Rechtsprechung und Literatur, auf die der Senat zur Vermeidung
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von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden,
dass der Antragsteller die zu seinem Zulassungsantrag erforderlichen Unterlagen nicht
fristgerecht eingereicht hat. Soweit sich der Antragsteller auf die vorliegende vorläufige
Ergebnismitteilung des Davies Laing & Dick College vom 13. Mai 2010 beruft, wonach
er einen Notendurchschnitt in Biologie und Chemie von "A" erreicht habe, was der Note
1 entspreche, durfte die Antragsgegnerin diese Mitteilung unberücksichtigt lassen. Denn
es handelte sich nicht um die Mitteilung der endgültigen Ergebnisse der A-Level in
Großbritannien, die erst im August 2010 bekannt gegeben wurden. Dies geschah mithin
nach Ablauf der hier bis zum 31. Juli 2010 laufenden Vorlagefrist (vgl. § 3 Abs. 7 Satz 2
Nr. 2 der Vergabeverordnung), da der Antragsteller den Zulassungsantrag fristgerecht
gestellt hatte, so dass bis Ende Juli nachträglich eingereichte Unterlagen für das
Wintersemester hatten berücksichtigt werden können.
Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde vorbringt, der Staat habe sich bei
seinen Regelungen realitätsgerecht am typischen Fall zu orientieren, was bei einem
Ausschluss einer ganzen Gruppe geeigneter Bewerber - hier 48 Bewerber, die über
eine britische Hochschulzugangsberechtigung verfügten - durch starre Grenzziehungen
nicht der Fall sei, führt dieses Vorbringen die Beschwerde nicht zum Erfolg.
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Die Bewerbungs- und Nachfristen der Vergabeverordnung finden ihre sachliche
Rechtfertigung darin, dass das durchzuführende Auswahl-und Verteilungsverfahren erst
dann in Gang gesetzt werden kann, wenn sämtliche für die Auswahl und Verteilung
erheblichen Daten aller Bewerber feststehen. Die Besonderheiten des
Vergabeverfahrens sind ein hinreichender Gemeinwohlgrund, das Grundrecht der
Berufswahlfreiheit zu beschränken. Eine Auswahl und Verteilung an die Studienorte ist
nur möglich, wenn für jeden Bewerber die maßgeblichen Kriterien feststehen, da sich
bei dem einheitlichen Vergabeverfahren jede Entscheidung zu Gunsten eines
Studienbewerbers zum Nachteil eines anderen Studienbewerbers auswirkt. Zwischen
den Bewerbern muss eine Rangfolge hergestellt werden. Wären noch nach Ablauf der
Ausschlussfrist gestellte Anträge oder nachgereichte Unterlagen zu berücksichtigen,
hätte dies ständige Verschiebungen in der Rangfolge zur Konsequenz, was der
Antragsgegnerin die rechtzeitige Zuteilung der Studienplätze unmöglich machte.
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Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. November 1982 1 BvR 900/78 u. a. ,
BVerfGE 62, 117, 168 = NVwZ 1983, 277, 282; BVerwG, Beschluss vom 3.
August 1983 7 B 103.83 -, Buchholz 421.21 Nr. 11 = juris; Humborg, Die
Vergabe von Studienplätzen durch die ZVS, DVBl. 1982, 469, 470.
Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik
Deutschland, 4. Aufl. 2003, § 3 Vergabeverordnung Rn. 1.
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Dies wäre aber, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, eine mit den
Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbare Folge.
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Dass die Antragsgegnerin eine zeitgerechte Auswahl und Verteilung an die Studienorte
nur in diesem Rahmen leisten kann, nimmt der Senat auch bei Berücksichtigung einer
fortschreitenden Entwicklung der Informationstechnologie an. Ebenso geht der Senat
bei summarischer Prüfung davon aus, dass die Antragsgegnerin ihrer Aufgabe unter
Ausschöpfung der ihr zur Verfügung stehenden Verwaltungskraft nachkommt.
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Gleichfalls erkennt der Senat im Hinblick auf die Vergabeverordnung und die Praxis der
Antragsgegnerin keinen Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben. Soweit der
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Antragsteller eine Verletzung von Art. 15 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union (Grundrechte-Charta), der die Berufsfreiheit und das "Recht zu arbeiten" schützt,
geltend macht, geschieht dies unter Bezugnahme auf die Begründung für eine
Verletzung des nationalen Grundrechts des Art. 12 GG. Auf der Grundlage dieses
Vorbringens vermag der Senat einen Verstoß gegen Art. 15 der Grundrechte-Charta
nicht zu erkennen und ein solcher ist im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der
Antragsteller unter Berufung auf Art. 12 EG (jetzt Art. 18 des Vertrags über die
Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV), wonach unbeschadet besonderer
Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus
Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist, eine Europarechtswidrigkeit der Praxis
der Antragsgegnerin geltend macht, da sie ausschließlich auf das Terminsystem der
deutschen Schulen abstelle, liegt eine beachtliche Diskriminierung nicht vor. Art. 18
Abs. 1 AEUV verbietet nämlich allein Diskriminierungen, die auf dem Kriterium der
Staatsangehörigkeit beruhen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2009 13 B 118/09 -, NVwZ-
RR 2010, 229; Epiney, in: Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der
Europäischen Union, 3. Auflage 2007, Art. 12 EG Rn. 11 f.
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Eine an die Staatsangehörigkeit anknüpfende unmittelbare oder mittelbare
Benachteiligung steht hier allerdings nicht im Raum. Die Studienplätze werden an
Deutsche sowie an ausländische Staatsangehörige oder Staatenlose, die im Sinne der
Vergabeverordnung Deutschen gleichgestellt sind, vergeben (§ 2 VergabeVO). Auch
aus dem Grundsatz der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV (früher Art. 18 EG) folgt nichts
anderes.
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Vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-224/98 -, EuZW 2002, 635
(D'Hoop).
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Zwar kann nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs das allgemeine
Freizügigkeitsrecht seine volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staatsangehöriger
eines Mitgliedstaats von der Wahrnehmung dieser Möglichkeiten abgehalten werden
könnte, weil ihm bei der Rückkehr in sein Herkunftsland Nachteile entstünden, die eine
Regelung an diese Wahrnehmung knüpft. Nach dieser Judikatur gilt dies im Hinblick auf
das Ziel der Gemeinschaft, einen Beitrag zu einer qualitativ hochstehenden allgemeinen
und beruflichen Bildung, insbesondere durch die Förderung der Mobilität von Lernenden
und Lehrenden zu leisten, besonders im Bereich der Bildung. Eine eigene Dynamik
entfaltet danach das Freizügigkeitsrecht für den Unionsbürger i. V. m. dem allgemeinen
Diskriminierungsverbot, so dass der Diskriminierungsschutz für den Unionsbürger
zugunsten des eigenen Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaats wirkt, wenn dieser von
den Freizügigkeitsregelungen des EG-Vertrags Gebrauch macht.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2009 13 B 118/09 -, NVwZ-
RR 2010, 229; vgl. auch Bay. VGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 - 7
CE 07.2872 -, juris; Kluth, in: Callies/Ruffert, a. a. O., Art. 18 Rn. 11.
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Ein Eingriff in den Gewährleistungsbereich des Art. 21 AEUV (i. V. m. Art. 18 AEUV)
kann aber europarechtskonform sein. Dies gilt auch, wenn ein deutscher
Staatsangehöriger, der seine Hochschulberechtigung im EU-Ausland erreicht hat, bei
der Studienplatzvergabe wegen Fristversäumung nicht (sofort) zum Zuge kommt. Eine
solche Beschränkung lässt sich nach dem Gemeinschaftsrecht rechtfertigen, wenn sie
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auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen
des Allgemeininteresses beruht, die in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem
nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck stehen. Nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs ist eine Maßnahme dann verhältnismäßig, wenn sie zur
Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu
notwendig ist.
Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 18. Juli 2006 - C-406/04, EuZW 2006, 500
(Gérald De Cuyper/Office national de l'emploi); Große Kammer, Urteil vom
23. Oktober 2007 - C-11/06 u. C-12/06, NVwZ 2008, 298, 299, m. w. N. (R.
Morgan/Bezirksregierung und Landrat); vgl. auch EuGH, Urteil vom 13. April
2010 C-73/08 , NVwZ 2010, 1141 (Nicolas Bressol u. a./Gouvernement de
la Communauté française).
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Danach begegnen die in Rede stehenden Bestimmungen der Vergabeverordnung aus
den zur Beschränkung der nationalen Berufsfreiheit (Art. 12 GG) angeführten Gründen
keinen europarechtlichen Bedenken. Es ist ein legitimes Interesse des
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Verordnungsgebers, unter Berücksichtigung des zentralen Vergabeverfahrens einen
Bewerbungstermin zu bestimmen, der die Berücksichtigung möglichst vieler Bewerber
gewährleistet und eine für einen geordneten Studienbeginn erforderliche frühzeitige
Verteilung ermöglicht. Dass die Ausschlussfristen zu dem mit dem nationalen Recht
legitimerweise verfolgten Zweck in keinem angemessenem Verhältnis stehen, ist weder
schlüssig dargetan noch sonst ersichtlich.
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Soweit der Antragsteller sich schließlich auf das "Recht auf eine gute Verwaltung" (vgl.
Art. 41 der Grundrechte-Charta) beruft, kann er aus diesen Grundsätzen vorliegend
nichts Substantielles für sich herleiten, da nicht ersichtlich ist, dass die Antragsgegnerin
den dort aufgeführten Anforderungen nicht genügt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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